Ausdauersport
Kapitel 1 Faktoren des altersgemäßen und spezifischen Ausdauertrainings 1.1 Kinder- und Jugendtraining 1.2 Seniorentraining 1.3 Leistungstraining Academy of Sports Seite 7 von 170
Lernorientierung Nach Bearbeitung dieses Kapitels werden Sie: Die Inhalte eines altersgerechten Ausdauertrainings kennen und die Bedeutung der Wachstumsphasen verstehen. Die Inhalte eines altersgerechten Ausdauertrainings kennen und die Bedeutung des Leistungsabbaus im Altersgang verstehen. Den Zusammenhang von Leistungsentwicklung und Trainingsprozess verstehen. Academy of Sports Seite 8 von 170
Das Training der Ausdauer und die Entwicklung der Leistungsfähigkeit eines Ausdauersportlers sollte perspektivisch und spezifisch gestaltet werden. Zum einen ergeben sich aus der gewählten Ausdauersportart und dem angestrebten Wettkampf (Distanz, Leistungsklasse) Anforderungen an die Struktur des Trainingsaufbaus. Zum anderen hat das Lebensalter des Ausdauersportlers Auswirkungen auf die Gestaltung des Ausdauertrainings: Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren bringen alle unterschiedliche Voraussetzungen für das Ausdauertraining mit sich. Manche Fähigkeiten lassen sich besser, manche Fähigkeiten schlechter trainieren, ganz in Abhängigkeit vom Lebensalter. 1.1 Kinder- und Jugendtraining Das Kinder- und Jugendtraining lässt sich grob auf den Zeitraum zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr definieren, wobei innerhalb dieser Spanne zwischen dem frühen Schulkindalter (6. bis 10. Lebensjahr), dem späten Schulkindalter (10. Lebensjahr bis Eintritt der Pubertät) und der ersten (die ersten 2 3 Jahre der Pubertät) und zweiten puberalen Phase (die letzten 4 5 Jahre der Pubertät)unterschieden wird (WEINECK 2004). Jede dieser Phasen bringt günstige Voraussetzungen zur Entwicklung bestimmter motorischer und konditioneller Fähigkeiten mit sich, während andere Fähigkeiten in dieser Phase weniger gut auf Training ansprechen. Die Phasen sind unter dem Begriff Fenster der Trainierbarkeit geläufig. Das Eintreten und Ende dieser Phasen ist weniger durch das Lebensalter, als mehr durch das biologische Alter bestimmt, was eine besondere Anforderung an den verantwortlichen Trainer stellt. So verläuft das Wachstum bei Kindern und Jugendlichen nicht einheitlich, sondern es wechseln sich Phasen beschleunigten Wachstums mit Phasen verlangsamten Wachstums ab. Einen ungefähren Verlauf geben die Wachstumskurven in Abbildung 1 wieder. Die Ausdauerleistungsfähigkeit stellt eine Besonderheit dar, da die Ausdauer offensichtlich im gesamten Zeitraum des Kinder- und Jugendalters gut trainierbar ist (WEINECK 2004). Die unterschiedlichen Wachstumsphasen haben dennoch einen Einfluss auf die Entwicklung der Ausdauerleistungsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen. Academy of Sports Seite 9 von 170
Abbildung 1 - Entwicklungsalter von Jungen und Mädchen und trainierbare Fähigkeiten (vgl. Balyi 2005, bearbeitet durch Academy of Sports) Kinder, in einer beschleunigten Wachstumsphase sind auch auf die Ausdauerleistung ausgedrückt durch die Maximale Sauerstoffaufnahme VO 2max bezogen am leistungsfähigsten, während Kinder in einer verlangsamten Wachstumsphase am wenigstens leistungsfähig sind (siehe Abbildung 2). Die allgemeine Entwicklung des Herzmuskels, der Sauerstoffaufnahmefähigkeit und der allgemeinen aeroben Leistungsfähigkeit erfolgt im gesamten Kinder- und Jugendalter entsprechend der Trainingsreize, es gelten also dieselben Prinzipien und Regeln für Training und Anpassung wie auch im Erwachsenentraining (FROLOV et al. 1976). Academy of Sports Seite 10 von 170
Abbildung 2 - VO 2max bei akzeleriertem und retardiertem Wachstum (vgl. Weineck 2004, bearbeitet durch Academy of Sports) Hinweis Auch wenn auf der Ebene der Adaptation und Trainingsplanung dieselben Regeln wie im Erwachsenentraining gelten, ist das Training von Kindern und Jugendlichen kein Erwachsenentraining mit kleinen Menschen! Kinder und Jugendliche nehmen maximale Ausdauerbelastungen subjektiv als weniger anstrengend wahr als Erwachsene, die Trainingsintensität und Reizdichte bedarf einer stärkeren Kontrolle und Überwachung durch den verantwortlichen Trainer als im Erwachsenentraining. Sehr hohe Belastungsintensitäten bis zur Ausbelastung resultieren bei Kindern und Jugendlichen zudem in einer höheren Freisetzung von Stresshormonen als beim Erwachsenen (um das bis zu zehnfache erhöht, LEHMANN et al. 1980), was zusätzlich zur körperlichen Erschöpfung auch eine erhöhte mentale Erschöpfung bedeutet und in der Folge schneller zu einer Überforderung führen kann. Academy of Sports Seite 11 von 170
Fallbeispiel Kindertraining Exemplarisch ist hier die Umsetzung einer 50 minütigen Trainingseinheit im Kindertraining beschrieben. Ziel dieser Einheit ist die Schulung der allgemeinen Ausdauerleistung. Erwärmung Nach einem kurzen einleitenden Teil (Organisatorisches, Besprechung der Trainingseinheit) findet die Erwärmung in Spielformen statt. Körpergefühl und Koordination werden durch ein angeleitetes Bewegen auf der gesamten Trainingsanlage (Leichtathletikstadion) geschult. Die Kinder sollen betont langsam / schnell / laut / leise / mit langen Schritten / kurzen Schritten vorwärts / rückwärts und seitwärts laufen / gehen / traben. Zunehmend werden turnerische Aufgaben wie Rollen, Hocken und Springen eingearbeitet. Die Dauer beträgt ca. 5 Minuten, die Intensität ist leicht bis mittel. Anschließend sollen die Kinder in 3er-Gruppen ein Spiegellaufen machen. Dabei macht ein Kind Bewegungen (die in der ersten Übung aufgezeigt wurden) vor, die die beiden anderen Kinder möglichst synchron nachmachen sollen. Immer nach 90 Sekunden werden die Aufgaben gewechselt, jedes Kind soll 2-3x in die Rolle des Vorturners kommen. Die Dauer beträgt etwa 10 bis 15 Minuten, die Intensität ist mittel mit Belastungsspitzen. Hauptteil Nach einer Trinkpause werden in den 3er-Gruppen Staffelwettkämpfe veranstaltet. Dabei haben die Läufer der Gruppe jeweils einen Parcours zu bewältigen, in dem sie verschiedene Aufgaben (Slalomlaufen, Froschsprünge, Sandgrube etc.) gestellt bekommen. Die Gruppen treten jeweils gegeneinander an, die Belastungsdauer pro Läufer liegt bei 60 bis 120 Sekunden. Die Gesamtdauer für die Staffelwettkämpfe beträgt incl. Pausen 15 Minuten. Als Abschlussspiel wird eine Variante eines Fangenspiels gespielt, die Dauer sollte zwischen 5 und 10 Minuten betragen. Abwärmen Nach einer Trinkpause sollen die Kinder noch barfuß eine bestimmte Strecke (Stadionrunde, über den Kunstrasen und zurück etc.) gehen. Zurück am Treffpunkt werden gymnastische Aufgaben in der Gruppe absolviert, bevor das Training mit einem Ausblick auf die nächste Einheit beendet wird. Die Ausdauerleistungsfähigkeit sollte gerade im Schulkindalter durch Spielformen und wiederholte kurze, intensive Belastungsreize geschult werden. Die Ausdauer ist mehr ein Nebenprodukt aus einer Vielzahl von Spielformen (Fangen, Staffelwettkämpfe, Parteiballspiele). Im Training sollte der Academy of Sports Seite 12 von 170
Spieltrieb der Kinder genutzt und gefördert werden, Wettkämpfe motivieren besonders stark und fühlen sich für die Kinder nicht wie Training an. Um eine kontinuierliche Leistungsentwicklung zu gewährleisten ist es unbedingt notwendig, dass die Kinder gerne und mit Freude zum Training kommen. Je schwächer die Motivation und je geringer die Freude im Training, umso stärker besteht die Gefahr einer unregelmäßigen Trainingsbeteiligung, die Drop-out Rate steigt entsprechend an. Mit fortschreitender Entwicklung und Spezialisierung können zunehmend auch Dauerbelastungen im Bereich der niedrigen und mittleren Intensität wie z. B. Fahrtspiele in das Kinder- und Jugendtraining eingebaut werden. Auch das Training ganz verschiedener Ausdauerbelastungen mit und ohne Trainingsgerät (Inlineskates, Rad, Kanu/Boot etc.) sorgt für eine gleichbleibend hohe Motivation und verhindert eine frühzeitige Spezialisierung auf eine Ausdauersportart. Hinweis Unbedingt im Kindertraining zu vermeiden sind besonders lange Dauereinheiten, Dauereinheiten an der Dauerleistungsgrenze oder darüber und Tempotrainings mit Belastungen von 4 bis 7 Minuten je Intervall (WEINECK 2004). Diese Belastungen entsprechen in keiner Weise den Voraussetzungen der Anpassungsfähigkeit von Kindern entsprechen und sorgen schneller für Überforderung und Motivationsabfall in der Trainingsgruppe. Regelmäßiger als bei Erwachsenen sollte ein Monitoring des orthopädischen Status durchgeführt werden, um Fehlhaltungen und Fehlentwicklungen am Bewegungsapparat frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Gerade in Phasen des beschleunigten Längenwachstums haben viele Jugendliche Probleme mit der Koordination von Bewegung, da die Körperpartien nicht synchron sondern von außen nach innen wachsen. In diesen Phasen ist neben einer schwächeren Motorik auch die Verletzungsgefahr bei sportlicher Belastung heraufgesetzt. Das Training ist entsprechend anzupassen, bzw. zu individualisieren. 1.2 Seniorentraining Die allgemeine Leistungsfähigkeit und somit auch die Ausdauerleistungsfähigkeit nimmt etwa ab dem 30. Lebensjahr durch den natürlichen Alterungsprozess fast linear ab. Durch den Verlust von aktiver Muskulatur, etwa 10 % alle zehn Jahre, sind vor allem die Kraftfähigkeit und die Schnelligkeit von diesem Prozess betroffen. Die Ausdauerleistungsfähigkeit ist weniger Academy of Sports Seite 13 von 170
stark betroffen, die Höchstleistung unterscheidet sich zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr in den Ausdauersportarten nur gering (NEUMANN 2011). Entsprechend gut spricht der Organismus auch im Alter auf das Ausdauertraining an, ein 70-jähriger Ausdauersportler kann noch 50-60 % der Leistung eines 20- jährigen Ausdauersportlers erbringen, die Leistungsfähigkeit im Sprint z. B. ist für den 70-jährigen Sportler um einiges geringeranzusetzen (siehe Abbildung 3). Abbildung 3 - Verlauf verschiedener Fähigkeiten im Altersgang (vgl. Neumann 2011, bearbeitet durch Academy of Sports) Die Sauerstoffaufnahme nimmt spätestens mit Erreichen des 60. Lebensjahres deutlicher ab, was in einem deutlichen Leistungseinbruch zu beobachten ist. Den Grund hierfür vermutet NEUMANN in der geringeren Hormonproduktion (Testosteron) zusammen mit dem fortgeschrittenen Verlust von Muskelmasse und einer Erhöhung des Körperfettanteils. Auch durch eine Erhöhung des Trainingsaufwandes lässt sich der Alterungsprozess nicht aufhalten, er lässt sich jedoch verlangsamen. Dies wird deutlich beim Vergleich der Entwicklung der maximalen Sauerstoffaufnahme von Ausdauertrainierten und Untrainierten (siehe Abbildung 4). Selbst wenn man von einem gleichschnellen Verlust der VO 2max im Altersgang bei Trainierten und Untrainierten ausgeht, so liegen die Werte für Ausdauertrainierte selbst im fortgeschrittenen Alter von 60 bis 70 Jahren weit über den Werten von Untrainierten. Academy of Sports Seite 14 von 170
Abbildung 4 - Verlauf der VO 2max im Altersgang (vgl. Neumann 2011, bearbeitet durch Academy of Sports) Durch die Veränderung der Muskulatur fallen besonders kraftintensive Trainingsformen wie Sprints, hochintensive Intervalle und z. B. Läufe am Berg oder bergab im Alter schwerer als im Hochleistungsalter. Die muskuläre Regeneration braucht länger, was bei der Periodisierung für ältere Athleten entsprechend eingeplant werden muss. Mittlere Intensitäten und Umfänge werden hingegen gut toleriert, was in der Trainingsplanung zu beachten ist. Von einem vor allem grundlagenbetonten Ausdauertraining ist aus Sicht des Autors abzusehen, da durch die langen und niedrig-intensiven Belastungen die notwendigen Reize auf die schnellkräftige Muskulatur fehlen und so ein zusätzlicher Verlust dieser Muskulatur durch die einseitige Trainingsform provoziert würde. Ausdauertraining hat neben dem Leistungstraining im Seniorenalter (ab dem 60. Lebensjahr) zudem einen gesundheitssportlichen Aspekt. Die meisten Ausdauersportarten bringen den gesamten Bewegungsapparat in Bewegung, durch die Belastung werden die Beweglichkeit der Gelenke und die Koordinationsfähigkeit regelmäßig gefordert und entsprechend erhalten. Würden ein Sportler wie ein Untrainierter ihre regelmäßige Bewegung im Alter stark einschränken, so erfolgen der Verlust der körperlichen Fähigkeiten wie Kraft, Beweglichkeit, Koordination und auch Ausdauer wesentlich schneller wer sich auch im Alter regelmäßig bewegt altert im biologischen Sinne weniger schnell! Academy of Sports Seite 15 von 170
Fallbeispiel Seniorentraining Eine exemplarische Trainingseinheit für einen normal trainierten 66-jährigen Ausdauersportler soll die genannten Hinweise zu den Besonderheiten des Seniorentrainings verdeutlichen: Nordic Walking Einheit in der Mitte einer Trainingswoche, Dauer ca. 55 Minuten, Intensität mittel Einleitender Teil 10 Minuten Aktivierungsübungen für Rumpf, Beine und Oberkörper mit dem eigenen Körpergewicht (alle Übungen im Stand, bzw. aus dem Stand heraus) Hauptteil 10 Minuten Einlaufen mit Fokus auf Stocktechnik, Bewegungsamplitude 15 Minuten mittlere Geschwindigkeit mit Fahrtspielcharakter 10 Minuten gleichbleibend mittlere bis niedrige Intensität, flaches Profil Abwärmen 5 Minuten Walken ohne Stockeinsatz Lockerungs- und Dehnungsübungen im Stand (ca. 5 10 Minuten) Der Fokus auf ein gezieltes Auf- und Abwärmen des gesamten Bewegungsapparates dient sowohl der Verletzungsprophylaxe als auch der kontinuierlichen Schulung von Koordination und Körpergefühl. Die Belastungsintensität im Hauptteil entspricht den Vorgaben für ein altersgerechtes Ausdauertraining (siehe Hinweis im Skript). Dauer und Intensität der gesamten Trainingseinheit liegen im mittleren Belastungsbereich und sind für das Seniorentraining ausdrücklich geeignet. Im Gegensatz dazu stünde ein besonders intensives, kurzes Tempotraining auf der Bahn oder eine besonders lange und niedrig-intensive Dauereinheit von 90 Minuten oder länger. Academy of Sports Seite 16 von 170