Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht II (Teil 1)

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Universität Augsburg Institut für Öffentliches Recht Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht II (Teil 1) Lösungshinweise zu Fall 10 SS 2012 Rechtsmäßigkeit der Aufhebung des Bewilligungsbescheids in Höhe von 10.000. Die Aufhebung des Bewilligungsbescheids ist rechtmäßig, wenn sie auf eine Rechtsgrundlage gestützt werden kann, von der formell und materiell fehlerfrei Gebrauch gemacht worden ist. A. Rechtsgrundlage Nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) bedarf es beim Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes, welcher in Freiheit und Eigentum des Bürgers eingreift, einer Ermächtigungsgrundlage in Form einer materiellen Norm. Als solche Rechtsgrundlage kommen für die Teilaufhebung des Bewilligungsbescheides Art. 48, 49 BayVwVfG in Betracht. Ob Art. 48 oder 49 BayVwVfG als Rechtsgrundlage heranzuziehen ist, hängt davon ab, ob es sich bei dem Bewilligungsbescheid um einen rechtmäßigen oder rechtswidrigen Verwaltungsakt handelt. Für die Beurteilung, ob ein Verwaltungsakt rechtswidrig ist, kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erlasses an. Ein Verwaltungsakt ist mithin rechtswidrig, wenn er bei Erlass an einem formellen oder materiellen Mangel leidet. Der dem U am 02.05.2011 bewilligte Zuschuss war schon zum Zeitpunkt des Erlasses um 10.000 zu hoch angesetzt, was sich aus den Vorgaben der Förderrichtlinie ergibt. Daraus folgt eine Teilrechtswidrigkeit bezüglich der zuviel bewilligten 10.000. Folglich stellt Art. 48 BayVwVfG die Rechtsgrundlage für das Tätigwerden der Behörde dar. Exkurs: Verstoß des Bewilligungsbescheides gegen Unionsrecht Ungeachtet der Tatsache, dass ein Bewilligungsbescheid nach innerstaatlichem Recht zulässig ist, kann dieser gleichwohl rechtswidrig sein, wenn er gegen unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltendes europäisches Unionsrecht verstößt (Anwendungsvorrang des Unionsrechts). Da das europäische Unionsrecht durch das jeweilige nationale (Verfahrens-)Recht umgesetzt wird und mithin keine unionsrechtlichen Rücknahmevorschriften bestehen, richtet sich auch die Rücknahme solcher Verwaltungsakte, die europarechtliche Vorgaben verletzen, nach 48 VwVfG. Insbesondere das primäre Unionsrecht (AEUV) enthält Vorschriften, die unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten beanspruchen. Im Dunstkreis staatlicher Beihilfen sind hier vor allem die Art. 107, 108 AEUV zu beachten: Nach Art. 107 AEUV sind Beihilfen materiell rechtswidrig, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten wettbewerbsverfälschend beeinträchtigen. Art. 108 AEUV weist der Kommission in diesem Zusammenhang

Fallbesprechungen zum Grundkurs ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 10 Lösungshinweise 2 eine Überwachungskompetenz zu. Alleine sie befindet darüber, ob eine nationale Beihilfe mit Unionsrecht vereinbar ist und ob Ausnahmen vom Verbot zugelassen werden können. Jeder Mitgliedstaat muss eine beabsichtigte Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen der Europäischen Kommission anzeigen (Art. 108 Abs. 3 AEUV Notifizierungsverfahren ). Während die Kommission über die europarechtliche Rechtmäßigkeit entscheidet, darf ein Mitgliedstaat eine Subventionierung nicht vornehmen, bevor nicht die Kommission eine abschließende Entscheidung getroffen hat (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV). 1 Danach sind Subventionsbescheide, die gegen Art. 107 AEUV verstoßen, materiell rechtswidrig, und Subventionsbescheide, die (nur) gegen Art. 108 AEUV verstoßen, formell rechtswidrig 2. Kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass eine Beihilfe gegen Unionsrecht verstößt und daher unzulässig ist, kann gegen diese Entscheidung der Kommission Klage gemäß Art. 263 AEUV erhoben werden. Nach Ablauf der Klagefrist von 2 Monaten ist die Entscheidung bestandskräftig. B. Formelle Rechtmäßigkeit I. Zuständigkeit Die Behörde müsste für die teilweise Aufhebung der Bewilligung zuständig sein. In Art. 48 Abs. 5 ivm. Art. 3 BayVwVfG ist nur die örtliche, nicht aber die sachliche Zuständigkeit geregelt. Hat die zuständige Behörde den Ausgangs-VA erlassen, so besteht Einigkeit darüber, dass sie auch für die Aufhebung zuständig ist (actus contrarius). Da der Bewilligungsbescheid hier von der zuständigen Behörde erlassen worden ist, ist sie auch für die Aufhebung zuständig. II. Verfahren Eine Anhörung des U gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG hat stattgefunden. III. Form Formfehler sind nicht ersichtlich, Art. 37 Abs. 2 BayVwVfG, insbesondere ist der VA gemäß Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG ordnungsgemäß begründet. IV. Zwischenergebnis Der Rücknahmebescheid ist somit formell rechtmäßig. C. Materielle Rechtmäßigkeit Die Teilrücknahme ist materiell rechtmäßig, wenn sie den Voraussetzungen des Art. 48 BayVwVfG entspricht. I. Rechtswidriger Ausgangs-Verwaltungsakt 1 2 In der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission hat sich eine Regelung herausgebildet, die Subventionen, welche dem Wert nach unterhalb einer bestimmten Bagatellgrenze liegen, erlaubt. Die Europäische Kommission geht dabei davon aus, dass diese kleineren Subventionen (200.000 innerhalb von drei Jahren) keine spürbaren Auswirkungen auf den Handel und den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten haben. Diese Regelung wird De-minimis-Regelung genannt. Die De-minimis-Beihilfen sind in der Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 geregelt. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage 2006, 11 RN 38a.

Fallbesprechungen zum Grundkurs ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 10 Lösungshinweise 3 Der Ausgangs-Verwaltungsakt stellt, wie bereits oben festgestellt, einen bei Erlass rechtswidrigen Verwaltungsakt dar. II. Begünstigender Ausgangs-Verwaltungsakt Die Bewilligung des Zuschusses könnte für U einen begünstigenden Verwaltungsakt darstellen, welcher gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG nur unter den Voraussetzungen von Art. 48 Abs. 2 bis 4 BayVwVfG zurückgenommen werden darf. Der begünstigende Verwaltungsakt ist in Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG legal definiert. Demnach handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat. Ein Recht isd. Legaldefinition ist die Begründung oder Bestätigung einer Rechtsposition, die für den Inhaber mit Ansprüchen verbunden ist (zb: Bewilligung einer Leistung, Erteilung einer Genehmigung etc.). Rechtlich erheblicher Vorteil ist jedes von der Rechtsordnung als schutzwürdig anerkanntes Individualinteresse (zb: Vorteile wirtschaftlicher Natur) 3. Der Bewilligungsbescheid begründet für U ein Recht auf Auszahlung des Zuschusses, weshalb es sich bei ihm gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt. Für die Rechtmäßigkeit der Teilrücknahme müssten demnach die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 bis 4 BayVwVfG erfüllt sein. 1. Leistungsbescheid isd. Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG ist einschlägig, wenn der rechtswidrige, begünstigende Verwaltungsakt eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist (Leistungsbescheid). Der Bewilligungsbescheid gewährt U eine einmalige Geldleistung als Zuschuss, weshalb es sich hierbei um einen Leistungsbescheid handelt. 2. Schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts Die Frage der Rücknahme wird von zwei widerstreitenden Grundsätzen beherrscht. Zum einen vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der die Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustandes fordert und zum anderen vom Grundsatz des Vertrauensschutzes, der die Berücksichtigung des Vertrauens des Begünstigten auf den Bestand des erlassenen Verwaltungsaktes verlangt 4. Für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes gilt es, zwischen den widerstreitenden verfassungsrechtlichen Prinzipien einen gerechten Ausgleich zu finden. Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG regelt den geforderten Ausgleich folgendermaßen: Der rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakt darf aus Vertrauensschutzgesichtspunkten dann nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, sein Vertrauen schutzwürdig ist und sein Vertrauensinteresse gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung der Gesetzmäßigkeit überwiegt. Die Teilrücknahme könnte im vorliegenden Fall daher rechtswidrig sein, wenn U auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und dieses Vertrauen schutzwürdig ist. a) Vertrauen des U 3 4 Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, 48 RN 68. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage 2006, 11 RN 29.

Fallbesprechungen zum Grundkurs ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 10 Lösungshinweise 4 U hat auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut. Gegenteilige Anhaltspunkte liegen nicht vor. b) Schutzwürdigkeit des Vertrauens Das Vertrauen des U müsste schutzwürdig sein. aa) Ausschluss der Schutzwürdigkeit nach Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist nicht gegeben, wenn ein Ausschlussgrund nach Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG eingreift. (1) Ausschlussgrund des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG Hier könnten die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG vorliegen. U müsste dann die Bewilligung durch Angaben erwirkt haben, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. (a) Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben In wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig sind solche Angaben, die als Entscheidungsgrundlage erforderlich und nicht nur für Verwaltungszwecke nützlich sind. Die der Behörde nicht bekannten Umstände führten zur falschen Berechnung des Zuschusses. Die Angaben des U waren damit in wesentlicher Beziehung unvollständig. (b) Erwirken des Verwaltungsaktes U müsste den überhöhten Zuschuss durch diese Unvollständigkeit der Angaben erwirkt haben. Er hat zwar das Antragsformular vollständig ausgefüllt, fraglich ist allerdings, wie es sich auswirkt, dass er keine Kenntnis davon hatte, dass die Angaben im Wesentlichen unvollständig waren. Eine Ansicht in der Literatur legt das Tatbestandsmerkmal Erwirken dergestalt aus, dass ein zweck- und zielgerichtetes Handeln auf eine bestimmte Folge hin gegeben sein muss 5. Dann müsste zumindest leichtes Verschulden des Begünstigten vorliegen. U hat das Antragsformular vollständig ausgefüllt. Dagegen hat die Behörde nicht zu allen relevanten Angaben Auskunft verlangt. Ein Verschulden des U liegt damit nicht vor. Nach dieser Auffassung würde der Ausschlussgrund des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG nicht eingreifen. Nach Ansicht des BVerwG 6 und der hl kommt es allein darauf an, ob der Betroffene objektiv falsche Angaben gemacht hat und diese Angaben für die Rechtswidrigkeit kausal geworden sind. Dagegen sei es unerheblich, ob ihn diesbezüglich ein Verschulden trifft, ob er also die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben kannte oder kennen musste. Objektiv sind die Angaben des U unvollständig. Diese Unvollständigkeit war auch für die teilweise Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids bezüglich der zuviel bewilligten 10.000 kausal. U hätte hiernach durch die Angaben den Zuschuss isd. Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG erwirkt. Der hm ist zu folgen. Die Voraussetzungen eines ziel- und zweckgerichteten Handelns des Antragstellers sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG normiert im Unterschied zu Nr. 1 und 3 gerade keine subjektiven Merkmale. Der Ausschlussgrund des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG scheint somit einschlägig. 5 6 Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, 48 RN 111 ff. Vgl. BVerwG vom 14.8.1986, BVerwGE 74, S. 357 (364).

Fallbesprechungen zum Grundkurs ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 10 Lösungshinweise 5 Fraglich ist jedoch, ob die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des U nach Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG verneint werden kann, obwohl die Behörde die falschen Angaben durch ein unvollständiges Antragsformular veranlasst hat. Entscheidend für das Eingreifen des Ausschlussgrundes und die Ablehnung von Vertrauensschutz ist, ob die Ursache für die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes in den Verantwortungsbereich des Begünstigten fällt. Gemäß Art. 24 BayVwVfG hat die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Wie sich aus Art. 25 BayVwVfG ergibt, fällt es darüber hinaus in den Verantwortungsbereich der Behörde, dass sich der Antragsteller möglichst vollständig äußert. Sind nun demnach die unvollständigen Angaben durch die Behörde veranlasst worden (wie etwa hier durch ein lückenhaftes Formular), so fällt die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes in die Verantwortungssphäre der Behörde. Da U das Antragsformular vollständig ausfüllte, ist die Verursachung der Unvollständigkeit der Angaben der Behörde zuzuordnen. Der Ausschlussgrund des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG greift daher nicht ein. (2) Ausschlussgrund des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 BayVwVfG Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens könnte gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Alt. 2 BayVwVfG ausgeschlossen sein, wenn U die teilweise Rechtswidrigkeit der Bewilligung infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Selbst für den erfahrenen Unternehmer U konnte es nicht ersichtlich sein, welche Angaben für die Berechnung im Einzelnen wesentlich sind, womit U die gebotene Sorgfalt jedenfalls nicht in besonders schwerer Weise verletzt hat. Somit steht auch Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Alt. 2 BayVwVfG der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des U nicht entgegen. bb) Regelvermutung des Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG Nach der Regelvermutung des Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG könnte das Vertrauen des U in den Bestand des Verwaltungsaktes schutzwürdig sein, wenn er die gewährten Leistungen bereits verbraucht hat oder Vermögensdispositionen getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann und ihm dadurch ein Vertrauensschaden entstanden ist. U hat den Betrag für Unternehmenszwecke ausgegeben. Es greift daher die Regelvermutung ein. cc) Abwägung mit dem öffentlichen Interesse gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 1 HS 2 BayVwVfG Das Vertrauen des U ist jedoch gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 1 HS 2 BayVwVfG nur schutzwürdig, wenn öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Die Verwaltung hat hierbei nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Der Vertrauensschutzgedanke ist mit dem öffentlichen Interesse, das sich aus dem verfassungsrechtlich fundierten Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ergibt, abzuwägen. Im Fall des Art. 48 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG wird dabei der Vertrauensschutz regelmäßig überwiegen. Zudem ist durch den relativ geringen Betrag, der zu Unrecht gewährt wurde, dem Land kein sehr hoher Schaden entstanden. Für U würde es aber eine unbillige Härte bedeuten, den zuviel geleisteten Betrag zu erstatten, obwohl er schon verbraucht ist. Das Vertrauensinteresse des U überwiegt folglich das öffentliche Interesse an der Rücknahme. D. Gesamtergebnis

Fallbesprechungen zum Grundkurs ÖR II (Teil 1) SS 2012 Fall 10 Lösungshinweise 6 Die Teilrücknahme ist rechtswidrig. Exkurs: Rücknahme gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte Grundsätzlich eröffnet Art. 48 Abs. 1 Satz 1 bzw. 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BayVwVfG der Behörde ein Ermessen, ob und auf welche Weise sie den rechtswidrigen Verwaltungsakt aufhebt. Diese Ermessensentscheidung wird prinzipiell gelenkt durch die Abwägung zwischen öffentlichen Rücknahmeinteressen und privatem Vertrauensinteresse. Bei einem Verstoß gegen den AEUV ist darüber hinaus bei dieser Abwägung auch das öffentliche Interesse an einer möglichst effektiven Durchsetzung des Unionsrechts zu berücksichtigen. Nach Rechtsprechung 7 und hl 8 wird diesem zusätzlichen öffentlichen Interesse in der Regel der Vorrang gegenüber dem Vertrauensschutz des Betroffenen eingeräumt, da dem Unionsrecht grundsätzlich zur optimalen Geltung verholfen werden muss und ein gleichmäßiger Vollzug des Unionsrechts in den Mitgliedsstaaten gewährleistet werden soll. Demnach reduziert sich das Rücknahmeermessen in Art. 48 Abs. 1 Satz 2 ivm. Abs. 2 BayVwVfG dahingehend, dass eine Rücknahme erfolgen muss 9. 7 8 9 Vgl. EuGH vom 2.2.1989, NVwZ 1990, S. 1161; vom 20.3.1997, DVBl. 1997, S. 951 (Alcan); BVerwG vom 17.2.1993, BVerwGE 92, S. 81 (86); vom 28.9.1994, NVwZ 1995, S. 703 (706); BVerfG vom 17.2.2000, NJW 2000, S. 2015. Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Auflage 2006, 11 RN 38b; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Auflage 2008, 48 RN 100. BVerwG vom 17.2.1993, BVerwGE 92, S. 81 (107); vom 23.4.1998, BVerwGE 106, S. 328.