Elementargeometrie Knipping Sommersemester 2005 121 7.2 Strecenverhältnisse und Strahlensätze Nachdem wir als Einführung die zentrische Strecung behandelt haben, önnen wir jetzt noch einmal grundsätzlich fragen: 7.2.1 Was ist ein Strecenverhältnis? Das Verhältnis zweier Strecen [AB], [CD] ist der Quotient der Strecenlängen. AB ù CD Die Strecenlänge AB oder äquivalent den Abstand d(a, B) haben wir von Anfang an naiv benutzt. Im letzten Paragraphen haben wir gesehen, dass zur Maßbestimmung die Festlegung einer (willürlichen) Einheitsstrece notwendig ist. Das Strecenverhältnis ist dagegen unabhängig von der Wahl einer Einheitsstrece. Begründung: Es seien [OE] und [OF] zwei (Maß-)Strecen, dabei OFf OE. Weiter seien ABa OFa foe und CDc OFc foe mit entsprechenden Maßzahlen f, a, a f, c, c f. Dann ist: AB a OF a foe CD c OF c foe a c unabhängig von [OE] bzw. [OF]. Eine rein geometrisch-axiomatische Disussion von Strecenverhältnissen ist aber nicht unser Thema im Sinne der grundsätzlichen Bemerungen am Anfang des Sripts. Daher gehen wir jetzt über zu den Strahlensätzen. 7.2.2 Die Strahlensätze Wir werden im Folgenden zwei Strahlensätze formulieren. Den ersten Satz werden wir basierend auf Flächenüberlegungen beweisen, den zweiten mit Hilfe der zentrischen Strecung und ihren Eigenschaften. 1. Strahlensatz: Es seien g, h Geraden mit Schnittpunt S sowie a, b Geraden nicht durch S mit a ga und b gb und a ha' und b hb' Dann gilt: SA SA' a // b SB SB'
Elementargeometrie Knipping Sommersemester 2005 122 Beweis (von Eulid): : Sei a // b, dann folgt, dass die Flächen der Dreiece AA B und AA B gleich groß sind (Scherung), d.h. AA B ) AA B ) SB A)SA B), somit gilt: SB' A) SA' A) A A SB' SB' SA' SA' SA' B) SAA') A' A' SB SB SA SA SB' SB SA' (Hinweis: Die Dreiece, die hier in Beziehung zueinander gesetzt werden, haben jeweils eine gemeinsame Höhe, so dass diese und der Fator 2 1 sich heraus ürzen.) (Umehrung) Sei SB' SB SA' Zeichne eine Parallele p zu a durch B, dann sei p g B*, nach Teil 1 ( ) des Beweises folgt: * SB SB' SB, also * SB SA SA' SA SB*SB B*B p b b // a q.e.d. Anmerung: Voraussetzung dieses Beweises sind Maßzahlen für Strecen und Längen. Wieder liegt hier ein Problem mit irrationalen Längen vor, das wir an dieser Stelle jedoch nicht weiter vertiefen wollen. Wie wir gesehen haben, gilt der erste Strahlensatz in beide Richtungen. Dies gilt für den zweiten Strahlensatz nicht, er ist nicht umehrbar, was wir uns im Anschluss an seinen Beweis verdeutlichen wollen.
Elementargeometrie Knipping Sommersemester 2005 123 2. Strahlensatz: Werden zwei von einem Punt S ausgehende Strahlen von zwei Parallelen geschnitten in B und B bzw. A und A, so verhalten sich die Abschnitte auf den Parallelen wie die entsprechenden von S aus gemessenen BB' SB Abschnitte auf den Strahlen. Es gilt: AA' Beweis: Durch S, A, B ist die zentrische Strecung Z S, festgelegt mit: SB:SA. [B,B ] ist das Bild von [A,A ] bei Z S,. Wegen der Längenverhältnisse gilt BB AA, was gleichbedeutend ist zu BB :AA. Daraus folgt nun: BB' SB AA' was zu zeigen war (q.e.d). Hinweis: Der zweite Strahlensatz ist nicht umehrbar, was folgende Abbildung zeigt: Schlägt man um B einen Kreis mit Radius d(b,b ), so findet man einen Punt BB'' SB B, für den ebenfalls gilt:, aber BB ist nicht parallel zu AA. AA' Bevor wir im Folgenden zu einem typischen Anwendungsbeispiel der Strahlensätze ommen, dem Beweis des Satzes vom Schwerpunt, wollen wir zunächst die Strahlensätze noch einmal in einer etwas anderen geometrischen Konfiguration betrachten. Ähnlich wie bei der obigen Zeichnung, önnen die Strecenverhältnisse, die in Beziehung zueinander gesetzt werden, auf
Elementargeometrie Knipping Sommersemester 2005 124 verschiedenen Seiten des Schnittpuntes S liegen. Die Strahlensätze lassen sich dann auch wie folgt formulieren: 1. Strahlensatz: Es seien g, h Geraden mit Schnittpunt S sowie a, b Geraden nicht durch S mit a ga und b gb und a ha' und b hb' Dann gilt: SA SA' a // b SB SB' 2. Strahlensatz: Werden zwei von einem Punt S ausgehende Strahlen von zwei Parallelen geschnitten in B und B bzw. A und A, so verhalten sich die Abschnitte auf den Parallelen wie die entsprechenden von S aus gemessenen Abschnitte auf den BB' SB Strahlen. Es gilt: AA' Wir hatten bereits in Kapitel 5.4 den Satz vom Schwerpunt betrachtet und einen anschaulichen Beweis mit Hilfe von Mittendreiecen geliefert. An dieser Stellen wollen wir jetzt den dort ausgelassenen traditionellen Beweis mit Hilfe der Strahlensätze nachholen. Satz vom Schwerpunt: (Beweis mit Hilfe der Strahlensätze) Die Seitenhalbierenden eines Dreiecs schneiden sich in einem Punt S, dem Schwerpunt des Dreiecs, der jede Seitenhalbierende im Verhältnis 2:1 teilt. Beweis: Aufgrund des Satzes der Mittelparallelen 1 wissen wir, dass MaM b//ab und MaMb AB 2 Wir zeichnen die Seitenhalbierenden s a und s b und ihren Schnittpunt S. Dann gilt: SMa:SASMb:SB (1. Strahlensatz), SM :SBM M :AB (2. Strahlensatz) b a b und M a M b :A,B1:2 (Satz der Mittelparallelen) Daraus folgt: S teilt die Seitenhalbierenden s a, sb im Verhältnis 1:2.
Elementargeometrie Knipping Sommersemester 2005 125 Dabei ist die Strece zwischen Schnitt- und Endpunt doppelt so lang wie die zwischen Schnittpunt und Seitenmittelpunt. Wir betrachten nun s a, s c und ihren Schnittpunt S. Da wir aus dem Beweis des Satzes der Mittelparallelen wissen, dass M a M c //AC und M a M c 2 1 AC, önnen wir analog zu oben folgern. Es gilt: und M a M c :AC1:2 (Satz der Mittelparallelen) S M c :S CS M a :S A (1. Strahlensatz), S M A :S AM a M c :AC (2. Strahlensatz), Daraus folgt: S teilt die Seitenhalbierende s a, s c im Verhältnis 1:2. Auch hier ist die Strece zwischen Schnitt- und Ecpunt doppelt so lang wie die zwischen Schnittpunt und Seitenmittelpunt. Aus (1) und (2) folgt: Die Seitenhalbierende s a wird also von S und S im Verhältnis 1:2 geteilt. Es muss also SS gelten.
Elementargeometrie Knipping Sommersemester 2005 131 7.5 Der Kreis des Apollonios Als Vorbereitung brauchen wir den Satz von der Winelhalbierenden im Dreiec, der gewöhnlich so ausgesprochen wird: Satz: Im Dreiec teilt die Winelhalbierende die gegenüberliegende Seite im Verhältnis der anliegenden Seiten. Wir formulieren anders (wie Eulid VI, 3), um auch die Umehrung mit einzubeziehen. ϕ ψ AD DB b a Beweis: (Bleibt Ihnen überlassen.) Der Beweis ist insofern typisch für viele Situationen in der Elementargeometrie, als er nach Ziehen der passenden Hilfslinie ganz einfach wird. Kennt man aber die Hilfslinien nicht, so steht man ziemlich ratlos da. Satz über den Kreis des Apollonius Die Menge N der Punte X der Ebene, welche von zwei gegebenen Punten A,B ein festes Abstandsverhältnis r haben, ist ein Kreis K. Ein BX Durchmesser von K ist gegeben durch die Punte Ti und T, welche die Strece [AB] innen bzw. außen im Verhältnis r teilen, d.h. gesucht ist: N{X/ r} BX
Elementargeometrie Knipping Sommersemester 2005 132 Behauptung: N ist ein Kreis K mit Durchmesser [T T i ] Beweis: Zeige: X N X K i) Sei X N, d.h. ATi AT BX BT BT i XT i halbiert B XT halbiert Außenwinel T XT 90 X auf Thalesreis i (ii) Sei X K Zeichne eine Hilfsgerade, die parallel zu ist und durch B geht. Sei H ein Kreis mit dem Mittelpunt B und dem Randpunt Y. Nach zweifacher Anwendung der Strahlensätze gilt: BY BZ T A r T B BY Ti A r Ti B BZ Z H Da X K, folgt nach Thales T K XZ 90 und somit auch ZXY 90 nach Thales folgt X, Y, Z H BX BY und damit BZ BX BZ T A T B r