Fall: Demokratie über alles

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Transkript:

Fall: Demokratie über alles Franz-Tristan Struppele (S) bewegt die Abgeordneten der G-Partei, der er angehört und die im Bundestag in Fraktionsstärke vertreten ist, dazu, einen Entwurf zu einem Gesetz zu initiieren, durch welches die Bundesrepublik demokratisiert werden soll. Das Gesetz (DemG) enthält unter Anderem folgende Regelungen: 2 Volksbegehren Volksbegehren können darauf gerichtet sein, ein Bundesgesetz zu erlassen, zu ändern oder aufzuheben. Sie können von eins vom Hundert aller wahlberechtigten Bürger gestellt werden. 3 Volksentscheid Über die Annahme des Volksbegehrens findet ein Volksentscheid statt. Entfällt eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf die Annahme, so steht das Gesetz einem vom Bundestage beschlossenen gleich. 4 Volksbefragung Der Bundestag ist berechtigt, eine Volksbefragung durchzuführen, um die Meinung des Volkes ermitteln. Das Ergebnis der Volksbefragung ist für den Bundestag nicht bindend, es verpflichtet ihn indessen, sich mit der Sachfrage zu befassen und darüber zu beschließen. Der Gesetzentwurf der G-Fraktion wird im Deutschen Bundestag als Drucksache verteilt und in drei Lesungen beraten. Bei der anschließenden Schlussabstimmung am Freitagnachmittag gegen 17.00 Uhr sind von den zu Beginn des Sitzungstages anwesenden 535 Abgeordneten nur noch 76 Abgeordnete anwesend. Eine Feststellung der Beschlussunfähigkeit erfolgt nicht. Von den Anwesenden stimmen 40 für den Gesetzentwurf, 25 dagegen und 11 enthalten sich ihrer Stimme. Der Bundestagspräsident stellt fest, dass das Gesetz angenommen ist und leitet es noch am gleichen Tag an den Bundesrat weiter. Dieser beschließt in einer Sitzung dreieinhalb Wochen nach Eingang des Schreibens des Bundestagspräsidenten beim Bundesratspräsidenten, die Zustimmung zum Gesetz zu verweigern. Dennoch wird das Gesetz am Folgetag vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und verkündet. Die Bundeskanzlerin, die ihren Einfluss schwinden sieht, erwägt im Nachhinein gegen das Gesetz vorzugehen. Aufgabe: Erörtern Sie in einem Rechtsgutachten, ob und wie die Bundeskanzlerin oder die Bundesregierung gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht vorgehen kann. Seite 1

Abwandlung: Noch mehr Demokratie über alles Franz-Tristan Struppele (S) bewegt die Abgeordneten der G-Partei, der er angehört und die im Bundestag in Fraktionsstärke vertreten ist, dazu, einen Entwurf zu einem Gesetz zu initiieren, durch welches die Bundesrepublik demokratisiert werden soll. Das Gesetz enthält sinngemäß die Regelungen wie oben. Es ist als Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes formuliert und bestimmt die Einfügung und Änderung diverser Grundgesetzartikel. Der Gesetzentwurf der G-Fraktion wird in Bundestag als Drucksache verteilt und in drei Lesungen beraten. Bei der anschließenden Schlussabstimmung stimmen 450 von 610 Bundestagsabgeordneten für das Gesetz. Der Bundestagspräsident stellt fest, dass das Gesetz angenommen ist und leitet es noch am gleichen Tag an den Bundesrat weiter. Dieser beschließt in einer späteren Sitzung mit 48 von 69 Stimmen die Annahme des Gesetzes. Das Gesetz wird vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und verkündet. Die Bundeskanzlerin, die ihren Einfluss schwinden sieht, erwägt im Nachhinein gegen das Gesetz vorzugehen. Sie beauftragt Rechtsanwalt R mit einem Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Aufgabe: Erstellen Sie das Gutachten des R. Lesen Sie die Entscheidung BVerfGE 44, 308 322. Seite 2

Lösung Fall: Demokratie über alles Die Bundeskanzlerin oder die Bundesregierung könnten gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer abstrakten Normenkontrolle vorgehen, wenn diese zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit des Antrags I. Zuständigkeit des Gerichts Das Bundesverfassungsgericht ist für abstrakte Normenkontrollen zuständig gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, 13 Nr. 6 BVerfGG. II. Antragsteller Die Bundeskanzlerin oder die Bundesregierung müssten antragsberechtigt sein. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 Abs. 1 BVerfGG können Anträge nur stellen die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages. Hier kann die Bundeskanzlerin allein keinen solchen Antrag stellen. Genannt ist aber die Bundesregierung. Diese ist antragsberechtigt. III. Antragsgegenstand Es müsste ein überprüfbarer Antragsgegenstand vorliegen. Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 Abs. 1 BVerfGG ist die Überprüfung von Bundes- oder Landesrecht zulässig. Hier liegt mit dem DemG ein einfaches Bundesgesetz und damit Bundesrecht vor. Das Gesetz ist folglich ein überprüfbarer Antragsgegenstand. Anmerkung: Es ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ein einfaches oder ein verfassungsänderndes Bundesgesetz vorliegt. Maßstab ist der gewünschte Regelungsgehalt. Soll dieser Verfassungsrang haben, liegt ein verfassungsänderndes Gesetz vor. Ob das Gesetz indes gemäß Art. 79 Abs. 1 GG den Verfassungstext ändert, ist eine Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit des verfassungsändernden Gesetzes. Hier gibt im Gesetzestext keine Anhaltspunkte, dass das DemG Verfassungsrang haben soll. IV. Antragsgrund Es müsste auch ein Antragsgrund gegeben sein. Seite 3

Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG ist erforderlich, dass Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der bundesrechtlichen Norm vorliegen. Hingegen ist nach 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG erforderlich, dass der Antragsteller die Norm für nichtig hält, bloße Zweifel genügen nicht. Hier kann die Bundesregierung einfach vortragen, dass sie das Gesetz für nichtig halten. Insofern hätten sie auch Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit. Damit wären die Voraussetzungen beider Vorschriften erfüllt. Es bedürfte keiner Entscheidung, welche von beiden Vorschriften zur Anwendung kommt. Ergänzend, das heißt über den Wortlaut der Vorschriften des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes hinaus, muss ein objektives Klarstellungsinteresse vorliegen. Dies ist jedenfalls gegeben, wenn der Antragsteller an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes mindestens zweifelt und das Gesetz bereits ausgefertigt und verkündet ist. Hier ist das Änderungsgesetz bereits ausgefertigt und verkündet und die notwendigen Zweifel der Antragsteller würden vorliegen. Ein objektives Klarstellungsinteresse ist gegeben. Ein Antragsgrund ist gegeben. Anmerkung: Nur wenn der Antragsteller das Gesetz nicht für nichtig hält, sondern nur zweifelt, ist fraglich, ob sich die Zulässigkeit des Verfahrens nach der engeren Vorschrift des 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG, dann wäre der Antrag unzulässig, oder der weiteren Vorschrift des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, dann wäre der Antrag zulässig, richtet. Für ersteres spricht, dass das BVerfGG eine im Grundgesetz angelegte und in der Praxis erforderliche Präzisierung und Konkretisierung der Zulässigkeitsvorschriften des Grundgesetzes hinsichtlich der Verfassungsgerichtsbarkeit darstellt (vgl. Art 94 Abs. 2 Satz 1 GG; siehe auch BVerfGE 96, 133 (137)). Es ist insofern die speziellere Norm. Außerdem ließe sich nach Sinn und Zweck der Norm sagen, dass für jedes Gesetz, dass in einem demokratischen Verfahren zustande gekommen ist, die Vermutung seiner Verfassungsmäßigkeit spricht, weshalb eine verfassungsgerichtliche Überprüfung erst dann sinnvoll und angezeigt ist, wenn bedeutende Staatsorgane, wie die hier zulässigen Antragsberechtigten, vom Gegenteil überzeugt sind. Andererseits ermächtigt das Grundgesetz nach seinem Wortlaut nicht zu einer solchen Konkretisierung und Einengung. Der minimale Umfang der Zulässigkeit einer abstrakten Normenkontrolle und damit der Befugnisse des Bundesverfassungsgericht ist in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG ausdrücklich geregelt. Die übrigen Normen, insbesondere Art. 93 Abs. 3 GG, lassen nur eine Erweiterung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichtes durch einfaches Bundesrecht zu, nicht jedoch eine Einschränkung. Auch die Regelung des Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG ermächtigt nach seinem Wortlaut nicht zu einer Begrenzung der verfassungsunmittelbaren Zulässigkeitsvoraussetzungen. Das zeigt auch der Umkehrschluss aus Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG. Schließlich spricht die klare Gesetzeshierarchie zwischen dem Grundgesetz und dem einfachen Recht für die zweite Lösung. Das einfache Recht vermag eine Grundgesetznorm nicht über ihren Wortlaut hinaus begrenzen. Mithin genügen für die Zulässigkeit einer abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Zweifel des Antragstellers an der Verfassungsmäßigkeit. Anmerkung: Wie gesagt, ist für das objektive Klarstellungsinteresse das Inkrafttreten des Gesetzes nicht erforderlich. Ist es bereits wieder außer Kraft getreten, reicht der Antragsgrund, soweit Seite 4

noch Rechtswirkungen von dem Gesetz ausgehen. Begründen ließe sich dies mit der Funktion des Verfahrens, das nicht zur (wissenschaftlichen oder rechtshistorischen) Klärung noch nicht oder nicht mehr relevanter Rechtsfragen dient. Eine Ausnahme von dem Erfordernis der Ausfertigung und Verkündung gilt bei Zustimmungsgesetzen zu völkerrechtlichen Verträgen. Unter Umständen sind diese schon vorher anzugreifen, wenn sonst durch den Austausch der Ratifikationsurkunden und den Abschluss des Vertragsverfahrens eine völkerrechtliche Bindung droht, die nicht mehr durch die nachträgliche Nichtigerklärung beseitigt werden kann. Anmerkung: Zum Stichwort Antragsbefugnis: Das abstrakte Normenkontrollverfahren ist kein individualrechtliches Verfahren, sondern dient der Klärung objektiver Rechtsfragen. Daher bedarf es keiner gesonderten Befugnis des Antragstellers (Geltendmachung der Verletzung in eigenen Rechten). Dieser Punkt ist deshalb in der Falllösung nicht zu prüfen. V. Form Der Antrag ist nach 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG schriftlich zu stellen. Hier kann die Bundesregierung dies tun. Anmerkung: Zum Stichwort Frist: Eine bestimmte Antragsfrist gibt es nicht. VI. Ergebnis Ein Antrag der Bundesregierung wäre zulässig. B. Begründetheit des Antrags Der Antrag ist begründet, wenn das (einfache) Gesetz formell oder materiell verfassungswidrig ist. (Dass hier ein einfaches und kein verfassungsänderndes Gesetz vorliegt, wurde bereits oben geprüft.) I. Formelle Verfassungswidrigkeit des Gesetzes 1. Zuständigkeit (Gesetzgebungskompetenz) a) Grundsatz Grundsätzlich sind die Länder für die Gesetzgebung zuständig, Art. 70 GG. Für die Zuständigkeit des Bundes bedarf es einer geschriebenen oder ungeschriebenen Kompetenznorm. b) Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz Art. 71, 73 GG sind nicht einschlägig. c) Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz Art. 72, 74 GG sind nicht einschlägig. Seite 5

d) Sonstige Vorschriften des Grundgesetzes Keine solche Regelung (z. B. Art. 21 Abs. 3, 38 Abs. 3, 105 GG) ist einschlägig. e) Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen des Bundes Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen können sich aus der Natur der Sache ergeben, als Annexkompetenz oder kraft Sachzusammenhangs bestehen. Hier betrifft das Gesetz die Bundesgesetzgebung und die Befragungsmöglichkeit des Bundestages, also eines Bundesorgans. Dies ist begriffsnotwendig und damit nach der Natur der Sache eine Angelegenheit des Bundes. Der Bund ist mithin zuständig. 2. Verfahren a) Gesetzesinitiative Das Gesetz wurde von der G-Fraktion aus der Mitte des Bundestages wirksam eingebracht, Art. 76 Abs. 1 GG, 76 Abs. 1, 75 Abs. 1 Buchst. a) GOBT. b) Beschluss des Bundestages Der Bundestag hat das Gesetz gemäß Art. 77 Abs. 1 GG beschlossen. Fraglich ist die Beschlussfähigkeit und das Zustandekommen einer hinreichenden Mehrheit. Das Grundgesetz kennt keine Regelungen zur Beschlussfähigkeit. Diese ist in 45 GOBT geregelt. Notwendig ist die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder, also mindestens 299 Abgeordneter. Diese Zahl ist hier unterschritten. Jedoch bleibt der Bundestag beschlussfähig, wenn nicht die Beschlussunfähigkeit in dem Verfahren nach 45 GOBT festgestellt wurde. Das ist hier nicht erfolgt. Damit war der Bundestag beschlussfähig. Die erforderliche Mehrheit ist nach Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Enthaltungen werden nicht mitgezählt. Hier ist eine Mehrheit von 40 über 25 Stimmen gegeben. Damit ist das Gesetz ordnungsgemäß beschlossen. c) Mitwirkung des Bundesrates, Zustandekommen des Gesetzes Das Gesetz müsste unter verfassungsgemäßer Mitwirkung des Bundesrates zustande gekommen sein. Nach Art. 78 Var. 2 GG kommt ein Gesetz zustande, wenn der Bundesrat den Antrag nach Art. 77 Abs. 2 Satz 1 GG nicht oder nicht rechtzeitig stellt. Dies gilt, wie sich aus dem Systematik der Beteiligungsrechte des Bundesrates ergibt, nur bei Einspruchsgesetzen. Hier ist aber eine Vorschrift im Grundgesetz, nach der die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist, nicht ersichtlich. Damit liegt nur ein Einspruchsgesetz vor. Es kommt auf die Rechtzeitigkeit des Antrags nach Art. 77 Abs. 2 GG an. Dieser ist binnen drei Wochen zu stellen. Hier sind aber dreieinhalb Wochen vergangen. Der möglicherweise als Antrag auszulegende Beschluss des Bundesrates erfolgt mithin zu spät. Das Gesetz ist also nach Art. 78 Var. 2 GG zustande gekommen, ohne dass auf die nachträgliche Weigerung des Bundesrates ankommt. Seite 6

3. Form Das Gesetz wurde gemäß Art. 82 Abs. 1 GG ordnungsgemäß nach Gegenzeichnung ausgefertigt und verkündet. 4. Ergebnis Das Gesetz ist formell verfassungsmäßig. II. Materielle Verfassungswidrigkeit Das (einfache) Gesetz ist materiell verfassungswidrig, wenn es seinem Inhalt nach gegen Vorschriften der Verfassung verstößt. 1. Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 GG (Demokratieprinzip) Das DemG sieht die Einführung direktdemokratischer Elemente vor. Es könnte insofern gegen das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG verstoßen. Das wäre der Fall, wenn das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG ausschließlich die repräsentative Demokratie (das heißt, eine Sachfrage wird von durch das Volk gewählten Repräsentanten entschieden) im Gegensatz zur direkten Demokratie (eine Sachfrage wird durch das Volk entschieden) umfasst. a) Auslegung aa) Wortlaut Das DemG wäre bereits dann unzulässig, wenn aus dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG ( [...] vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung [...] ) der Ausschluss plebiszitärer, das heißt direkter Demokratie zu entnehmen wäre. Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet das Bundesvolk. Abstimmungen sind Sachentscheidungen durch die Aktivbürgerschaft selbst, die sich sowohl in Volksbegehren als auch Volksentscheiden verwirklichen. Das Grundgesetz nennt somit wörtlich sowohl die repräsentative, in der das Volk die Staatsgewalt durch Wahlen und Repräsentanten ausübt, als auch die direkte Form der Demokratie, in welcher das Volk im Zuge von rechtlich verbindlichen Sachentscheidungen direkt an der Bildung des Staatswillen beteiligt ist. Folglich schließt der Wortlaut direkte Demokratie jedenfalls nicht aus. bb) Systematik Allerdings könnte nach systematischer Auslegung ein Vorbehalt gegen das DemG bestehen. Zum ersten ist zu bedenken, dass das Grundgesetz auf Bundesebene nahezu ausschließlich die Repräsentativdemokratie, vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 38 ff., 76 ff. GG, näher regelt, was insofern auf eine rein repräsentative Form der Demokratie deutet. Dem ist Seite 7

entgegenzusetzen, dass das Grundgesetz in Art. 29 Abs. 2, 118, 118a GG detaillierte Regelungen zu Volksabstimmungen auf Länderebene in eng begrenzten Fällen (Neugliederung der Länder) trifft, die im Sinne des Homogenitätsprinzips nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG ohne weiteres als vereinbar mit dem Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG angesehen werden. Allerdings trifft in Art. 29 Abs. 2, 118, 118a GG nicht das Volk im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG die Entscheidung, sondern nur ein betroffener Teil der Bevölkerung, so dass Art. 29 Abs. 2, 118, 118a GG gar nicht als eine Abstimmung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG anzusehen ist. Die Systematik des Grundgesetzes zeigt folglich, dass bisher ausschließlich Repräsentativdemokratie im Grundgesetz vorgesehen und verfassungsrechtlich handhabbar näher ausgestaltet ist (vgl. Art. 38 ff. GG, 76 ff. GG), während die Direktdemokratie zwar als grundsätzlich vorgesehen aufgefasst werden kann, es aber an einer handhabbar verfassungsrechtlichen Ausgestaltung auf Bundesebene fehlt. Daraus lässt sich schließen, dass Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG direktdemokratische Elemente (nur) unter dem Vorbehalt erlaubt, dass sie auf Verfassungsebene näher ausgestaltet werden. (Somit wäre nach systematischer Auslegung das DemG auf Grund fehlender verfassungsrechtlicher Konkretisierung direktdemokratischer Elemente unzulässig.) cc) Historie Möglicherweise bietet der historische Hintergrund Anlass, von einem Ausschluss direktdemokratischer Elemente aus dem Demokratieprinzip gemäß Art. 20 Abs. 2 GG auszugehen. Dafür spricht, dass im Zuge der Entstehung des Grundgesetzes im parlamentarischen Rat Anträge von Seiten des Zentrums auf nähere verfassungsrechtliche Ausgestaltung direktdemokratischer Elemente wiederholt (dreimal) abgelehnt wurden. Gleichwohl konnten Bestrebungen zur Festlegung des Grundgesetzes als ausschließlich repräsentative Demokratie ebenfalls nicht durchgesetzt werden. Insoweit ist die historische Auslegung nicht eindeutig. dd) Sinn und Zweck Die teleologische Auslegung des Art. 20 Abs. 2 GG wirft die Frage auf, ob Direkt- und Repräsentativdemokratie in einem Ausschließlichkeitsverhältnis, das heißt in einem entweder-oder-verhältnis zueinander stehen, sodass nur die eine oder die andere Form funktionieren kann. Obgleich eine Kombination ohne weiteres denkbar sein könnte, scheint es angesichts der näheren Ausgestaltung der Repräsentativ- demokratie in den Art. 38 ff. und 76 ff. GG erforderlich, dass dieses Modell funktionsfähig bleibt, nicht zuletzt, da diese Regelungen sonst überflüssig würden. Dies wiederum fordert eine harmonische Auslegung des Art. 20 Abs. 2 GG und damit eine Begrenzung direkter Demokratie. ee) Ergebnis Somit lässt sich feststellen, dass direktdemokratische Elemente nach e. A. unter zwei Voraussetzungen mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vereinbar sind: (1) Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Repräsentativdemokratie, angesichts des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, besonders aber der Art. 38 ff. und 76 ff. GG (jedenfalls, solange diese Vorschriften nicht auch geändert werden) (2) Einführung auf Verfassungsebene, vgl. Art. 79 Abs. 1 und 2 GG; a. A. vertretbar (Andere Ansicht gut vertretbar. Eine Verfassungsänderung wäre nicht durch Art. 79 Abs. 3 GG ausgeschlossen; Arg. wie oben, vor allem Wortlaut Art. 20 Abs. 2 GG) Seite 8

b) Subsumtion DAMIT: 4 DemG: Diese Vorschrift regelt lediglich die konsultative Befragung des Volkes (Meinungsforschung). Eine Entscheidung über das Gesetzesvorhaben liegt beim Parlament. Es gibt keine rechtliche Bindungswirkung, das heißt das Repräsantivprinzip ist gar nicht berührt. Damit liegt kein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vor. 3 DemG: Diese Vorschrift regelt die echte Volksgesetzgebung : Das Volk trifft Entscheidung anstelle des Parlamentes. Hierdurch würde zwar wohl noch nicht die Funktionsfähigkeit Repräsantivprinzip gefährdet, vgl. oben unter (1), wohl aber fehlt es den Regelungen an Verfassungsrang, vgl. oben unter (2); a. A. vertretbar. 2 DemG: Diese Vorschrift ist ebenfalls Teil einer echten Volksgesetzgebung : Sie regelt das Initiativrecht des Volkes und damit eine sachliche Erweiterung des Art. 76 Abs. 1 GG. Hierdurch würde zwar wohl noch nicht die Funktionsfähigkeit der Repräsantivprinzip gefährdet, vgl. oben unter (1), wohl aber fehlt es den Regelungen an Verfassungsrang, vgl. oben unter (2); a. A. vertretbar. c) Ergebnis Nicht 4, wohl aber 2, 3 DemG verstoßen gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG; a. A. gut vertretbar. 2. Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Darüber hinaus könnte das DemG gegen den Grundsatz des Freien Mandats gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, nach dem der Abgeordnete [... ] an Aufträge und Weisungen nicht gebunden [... ] ist. Dies ist dann der Fall, wenn das DemG eine unzulässige Instruktion des Abgeordneten darstellen würde. 4 DemG: Eine rein konsultative Volksbefragung gemäß 4 DemG könnte eine unzulässige Instruktion des Abgeordneten bedeuten. Zwar entfaltet eine konsultative Volksbefragung keine rechtliche Bindung auf die Entscheidung der Volksvertreter, möglicherweise entsteht durch derartige Befragungen aber eine faktischer Druck (gefürchtete Unbeliebtheit; gefährdete Wiederwahl), der ggf. dazu führt, dass das Mandat nicht mehr frei ausgeübt werden kann. Zu bedenken ist allerdings, dass der Grundsatz des freien Mandats ohnehin nicht gegen externe Einflussnahme auf den Abgeordneten immunisieren kann. Der Abgeordnete ist durchgehend vergleichbarem Druck durch Presse, Interessensverbände oder Fraktionsdisziplin, Demonstrationen oder Bürgerinitiativen ausgesetzt. Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Volksbefragung eine derartige Einflussnahme darstellt, dass eine Beeinträchtigung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG vorliegt. 2 und 3 DemG: In Bezug auf 2 und 3 DemG lässt sich festhalten, dass die Ausübung des freien Mandats ausschließlich im Rahmen des Legitimationsumfangs erfolgt. In den Fällen der 2 und 3 DemG wird den Volksvertretern ein derartiger Gesetzgebungsauftrag nicht mehr erteilt, wodurch eine Beeinträchtigung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls ausgeschlossen ist. Damit: Weder 4 noch 2 und 3 DemG verstoßen gegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Seite 9

3. Verstoß gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG Zudem könnte ein Verstoß gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG ( [... ] Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen [... ] ) vorliegen. Diese Vorschrift bestimmt bisher die einzige Möglichkeit der Bundesgesetzgebung. Sie ist die direkte Folge der bisherigen Ausgestaltung der Repräsentativdemokratie auf Verfassungsebene. Daraus lässt sich ableiten, dass andere Möglichkeiten der Bundesgesetzgebung ohne Verfassungsänderung ausgeschlossen sind. 4 DemG: Durch eine konsultative Volksbefragung bleibt die Gesetzgebung beim Parlament. Folglich verstößt 4 DemG nicht gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG. 2 und 3 DemG: Allerdings könnten 2 und 3 DemG gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen. Gemäß 3 wird ein Gesetz durch Volksentscheid beschlossen, was mit dem Wortlaut des Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG ( [... ] Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen [... ] ) unvereinbar ist. 2 DemG bereitet dieses Verfahren vor und steht damit in unmittelbaren Zusammenhang Damit: Nicht 4, wohl aber 2 und 3 DemG verstoßen gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG. 4. Verstoß gegen Art. 78 GG Außerdem könnte ein Verstoß gegen Art. 78 GG vorliegen, der im Falle eines Zustimmungsgesetzes besagt: [... ] ein vom Bundestage beschlossenes Gesetz kommt zustande, wenn der Bundesrat zustimmt [... ]. 4 DemG: 4 DemG beeinträchtigt das Gesetzgebungsverfahren nicht. Es liegt kein Verstoß gegen Art. 78 GG vor. 2 und 3 DemG: Nach 3 DemG steht jedoch ein Gesetz einem vom Bundestage beschlossenen gleich, was bedeutet, dass ein Volksentscheid gemäß 3 DemG einem Bundestagsbeschluss i. S. d. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG gleichsteht. Demnach ist auch das Gesetzgebungsverfahren weiter nach den folgenden Vorschriften zu durchlaufen, das heißt bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen (dem Inhalt nach) muss der Bundesrat weiterhin zustimmen. Somit liegt kein Verstoß gegen Art. 78 GG vor. (Beachte: Anders wäre es, wenn es hieße: Gesetz gilt als erlassen oder tritt in Kraft ) Damit: Weder 4 noch 2 und 3 DemG verstoßen gegen Art. 78 GG. 5. Ergebnis Die 2 und 3 DemG sind materiell verfassungswidrig. 4 DemG ist materiell verfassungsmäßig. III. Ergebnis Das Gesetz ist teilweise verfassungswidrig. Insoweit wäre der Antrag begründet. Seite 10

C. Zusammenfassung und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Ein Antrag hätte teilweise Aussicht auf Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht würde gemäß 78 BVerfGG die 2 und 3 des Gesetzes für nichtig erklären. Seite 11

Lösung Fall: Noch mehr Demokratie über alles Das Gutachten des R beschäftigt sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des neuen Gesetzes. Diese ist in formeller wie in materieller Hinsicht zu prüfen. A. Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes I. Formelle Verfassungswidrigkeit 1. Zuständigkeit (Gesetzgebungskompetenz) a) Grundsatz Grundsätzlich sind die Länder für die Gesetzgebung zuständig, Art. 70 GG. b) Spezialnorm Hier könnte das Grundgesetz jedoch eine anderweitige Regelung vorsehen. Bei Verfassungsänderungen (d. h. Änderungen der Bundesverfassung) ergibt sich die Zuständigkeit des Bundes aus Art. 79 Abs. 2, Abs. 1 GG. (Vertretbar wäre auch eine Kompetenz aus Natur der Sache.) Hier liegt eine Verfassungsänderung vor. Der Bund ist zuständig. 2. Verfahren a) Gesetzesinitiative Das Gesetz wurde von der G-Fraktion aus der Mitte des Bundestages eingebracht, Art. 76 Abs. 1 GG, 76 Abs. 1, 75 Abs. 1 Buchst. a) GOBT. b) Beschluss des Bundestages Der Bundestag hat das Gesetz gemäß Art. 77 Abs. 1 GG beschlossen. Nach Art. 79 Abs. 2 GG ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich. Die Zahl der Mitglieder des Bundestages entspricht der gesetzlichen Mitgliederzahl (Art. 121 GG), also der Anzahl der amtierenden Abgeordneten. Dies sind hier 610. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit ist damit bei 407 Ja-Stimmen gegeben. Hier haben 450 Abgeordnete für das Gesetz gestimmt. Die notwendige Mehrheit ist erreicht. Das Gesetz ist mithin ordnungsgemäß beschlossen. c) Beteiligung des Bundesrates Bei Verfassungsänderungen ist nach Art. 79 Abs. 2 GG die Zustimmung von zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates erforderlich. Hier hat der Bundesrat insgesamt 69 Stimmen. Die Zwei-Drittel-Mehrheit liegt bei 46 Stimmen. Hier haben 48 Stimmen für das Gesetz votiert. Dies sind mehr als die notwendige Mehrheit. Mithin ist die hinreichende Zustimmung des Bundesrates nach Art. 79 Abs. 2 GG gegeben. Seite 12

d) Form Das Gesetz wurde gemäß Art. 82 Abs. 1 GG ordnungsgemäß nach Gegenzeichnung ausgefertigt und verkündet. 3. Ergebnis Das Gesetz ist formell verfassungsmäßig. II. Materielle Verfassungswidrigkeit Das Gesetz ist als verfassungsänderndes Gesetz materiell verfassungswidrig, wenn es gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstößt. Zu prüfen ist danach nur, ob die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung oder die in Art. 1 oder 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden. Anmerkung: Andere Vorschriften des Grundgesetzes dürfen nicht direkt geprüft werden. Ihre Wertung kann allenfalls im Rahmen der genannten Prüfungspunkte eine Rolle spielen. Für alle übrigen Grundgesetzvorschriften gibt es keinen Ewigkeitsschutz. Beispiel: Ein Fehler ist es, Verfassungsänderungen im Bereich des Wahlrechts an Art. 38 GG zu messen. Prüfungsmaßstab ist nur Art. 79 Abs. 3, 20 Abs. 1, 2 GG, wobei hier eine Rolle spielt, dass demokratische Wahlen frei, gleich, geheim, usw. sein müssen. 1. Gliederung des Bundes in Länder Das Gesetz betrifft den Bestand des Förderalismus nicht. 2. Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung In Betracht kommt eine Beeinträchtigung der grundsätzlichen Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung (des Bundes). Dies wird nach der bisherigen Verfassung durch den Bundesrat gewährleistet. Nach dem Änderungsgesetz bleiben jedoch Funktion und Aufgaben des Bundesrates wie bisher. Die Volksgesetze gelten nur als vom Bundestag beschlossene Gesetze. Es findet auch keine Umgehung statt, etwa durch ein zweites Verfahren zur Volksgesetzgebung. Der Bundesrat ist nach wie vor gemäß Art. 77 Abs. 2 bis 4 GG zu beteiligten. Mithin berührt das Änderungsgesetz nicht die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung. 3. Art. 1 GG Es ist nicht ersichtlich, dass das Änderungsgesetz Art. 1 GG tangiert. Anmerkung: Unbeachtlich ist, dass ein mögliches Volksgesetz Regelungen enthält, die gegen Art. 1 GG verstoßen. Dieses Gesetz wäre allgemein wie jedes andere Gesetz am Maßstab der Verfassung zu prüfen und würde bei einem Verstoß gegen Art. 1 GG verfassungswidrig sein. Seite 13

4. Art. 20 GG a) Verstoß gegen das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG Siehe Lösung oben unter Beachtung der Abwandlung. Damit Verstoß ( ). b) Verstoß gegen andere Staatsprinzipien nach Art. 20 GG Verstöße gegen Staatsprinzipien im Übrigen sind nicht ersichtlich. Zur Wiederholung: Welche Staatsprinzipien gibt es und was besagen sie? Exkurs: Was ist das Republikprinzip und was wäre beispielsweise eine Beeinträchtigung dieses Prinzips? 5. Ergebnis Das Gesetz ist materiell verfassungsmäßig. B. Ergebnis Das Gesetz ist verfassungsmäßig. Erzeugt mit LATEX und KOMA-Script. Seite 14

Lösungsübersicht A. Zulässigkeit des Antrags I. Zuständigkeit des Gerichts II. Antragsteller III. Antragsgegenstand IV. Antragsgrund V. Form VI. Ergebnis B. Begründetheit des Antrags I. Formelle Verfassungswidrigkeit des Gesetzes 1. Zuständigkeit (Gesetzgebungskompetenz) a) Grundsatz b) Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz Seite 1

c) Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz d) Sonstige Vorschriften des Grundgesetzes e) Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen des Bundes 2. Verfahren a) Gesetzesinitiative b) Beschluss des Bundestages c) Mitwirkung des Bundesrates, Zustandekommen des Gesetzes 3. Form 4. Ergebnis Seite 2

II. Materielle Verfassungswidrigkeit 1. Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 GG (Demokratieprinzip) a) Auslegung aa) Wortlaut bb) Systematik cc) Historie dd) Sinn und Zweck ee) Ergebnis b) Subsumtion c) Ergebnis 2. Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG 3. Verstoß gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG 4. Verstoß gegen Art. 78 GG Seite 3

5. Ergebnis III. Ergebnis C. Zusammenfassung und Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts A. Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes I. Formelle Verfassungswidrigkeit 1. Zuständigkeit (Gesetzgebungskompetenz) a) Grundsatz b) Spezialnorm 2. Verfahren a) Gesetzesinitiative b) Beschluss des Bundestages c) Beteiligung des Bundesrates d) Form Seite 4

3. Ergebnis II. Materielle Verfassungswidrigkeit 1. Gliederung des Bundes in Länder 2. Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung 3. Art. 1 GG 4. Art. 20 GG a) Verstoß gegen das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG b) Verstoß gegen andere Staatsprinzipien nach Art. 20 GG B. Ergebnis 5. Ergebnis Seite 5