Gestaltung des betrieblichen Lernens in dualen Ausbildungsformaten Berufspädagogische Impulse zum Betrieblichen Lernen zwischen Ausbildungsrahmenplan praktischer Erfahrung HA-Workshop des BIBB zum Thema Duales Studium am 27. April 2015 in Bonn Prof. Dr. Rita Meyer
Ausgangssituation: Trend der Akademisierung der Berufswelt und Verberuflichung der Hochschulen These 1 Im Dualen Studium Hochschulen sind Lernorte der beruflichen Bildung. These 2 Ihre fachwissenschaftliche Ausrichtung muss erweitert werden in Richtung Berufsorientierung - nicht in Richtung Employability. (HRK 2015) 2
These 3 Das Prinzip Beruflichkeit eignet sich auch zur Organisation hybrider Aus- und Weiterbildungsformen. Beruflichkeit kennzeichnet das den empirischen Berufsphänomenen (den real existierenden Berufen) jeweils zugrunde liegende Formprinzip der Reproduktion und Innovation des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens (Kutscha 2008, S. 2) Kutscha, Günter (2008): Beruflichkeit als regulatives Prinzip flexibler Kompetenzentwicklung Thesen aus berufsbildungstheoretischer Sicht. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik online, (2008) 14. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe14/kutscha_bwpat14.pdf (13.08.2014) 3
Konzepte von Beruflichkeit Arbeit Beruf Profession Verberuflichung Professionalisierung - Grad der Systematisierung des Wissens - Grad der sozialen Vergemeinschaftung Duales Studium lässt sich mit dem Konzept einer erweiterten, professionsorientierten Beruflichkeit beschreiben. Quelle: Hartmann, H.: Arbeit, Beruf, Profession, in: Soziale Welt, Jg 19, Heft 19/1968, S. 193-216 4
Berufsförmige Organisation von gesellschaftlicher Arbeit heißt in Deutschland: einheitliche Definition von Qualifikationsstandards über Ordnungsmittel Organisation des Qualifikationserwerbs - Schaffung von formalen Aus- und Weiterbildungsgängen Zertifizierung von Qualifizierungsgängen und Handlungskompetenzen Regelung spezifischer Zuständigkeiten (Föderalismus- und Korporatismusprinzip) Beteiligung von Interessengruppen (Partizipationsprinzip) kollektive Absicherung von Gratifikationen (z.b. über Tarifverträge) 5
These 4 Hochschulische und berufliche Bildung sind gleichwertig sie stehen nicht in Konkurrenz sie folgen unterschiedlichen Wissens-, Handlungs- und Interessenslogiken. 6
Wissensarten im Spannungsfeld von Beruf und Hochschule Berufliches Wissen Praxis Erfahrung Verwertung Problemlösung Praxisfortschritt Wissenschaftliches Wissen Theorie Abstraktion Zweckfreiheit Problemreflexion Erkenntnisorientierung (vgl. u.a. EIRMBTER-STOLBRINK 2011; RAUNER 2011; SCHIEFNER 2010; WEIß 2009) 7
Kompetenzbegriffe im Spannungsfeld von Beruf und Hochschule Handlungskompetenz in der Berufsbildung die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Dimensionen von Fachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz Kompetenz in Schule und Hochschule die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001) 8
Definitionsgrundlagen bzw. -logiken Kompetenzen in Schule und Hochschule (Allgemeine Bildung) Fokus auf: kognitive Leistungsfähigkeit Ausgangspunkt: Schulfächer/Fachsystematiken Kompetenzen in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik (Berufsbildung) Fokus auf: Orientierungs- und Handlungsfähigkeit Ausgangspunkt: Berufliche Handlungsfelder Inhalt - Leistung - Situierung Situation - Leistung - Inhalt These 5 Berufsorientierung kann in Dualen Studiengängen nur auf der Basis eines berufspädagogischen Kompetenzverständnisses realisiert werden. Folie nach Julia Gillen 9
Umfassende berufliche Handlungskompetenz (KMK-Definition 2012) Fachkompetenz: Bereitschaft und Fähigkeit, auf Grundlage fachlichen Wissens und Könnens Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbstständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen Sozialkompetenz: Bereitschaft und Fähigkeit, soziale Beziehungen und Interessen zu erfassen und zu verstehen, sowie sich mit anderen verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen Personalkompetenz: Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Entwicklung zu reflektieren und in Bindung an individuelle und gesellschaftliche Wertvorstellungen weiter zu entfalten Methodenkompetenz: Anwendung von Verfahren und Techniken, die der Gestaltung der eigenen Arbeit und der Arbeit in der Gruppe sowie der Persönlichkeitsentwicklung und der Entwicklung sozialer Beziehungen dienen 10
Einheit von Fachlichkeit und Erfahrung im Konzept der Beruflichkeit Fachwissenschaftlicher Bezug: systematisch-theoretische Wissenselemente Arbeitsprozesswissen: Fähigkeit zu situationsgerechtem und produktivem Umgang mit Fachwissen Kombination und Anwendung abstrakt-prozessbezogenem und inhaltlich bestimmtem Fachwissen in beruflichen Handlungskontexten 11
Was ist der spezifische Beitrag des betrieblichen Lernens zum Dualen Studium? Kompetenzentwicklung in komplexen Handlungssituationen Lernen in Praxisgemeinschaften (cop) reflektierte Praktiker Berufliche Sozialisation die Entwicklung, Verfestigung und Veränderung individueller Persönlichkeitsstrukturen in Prozessen der direkten und indirekten Auseinandersetzung (Interaktion) mit sozialen und sozial geprägten Merkmalen beruflicher und betrieblicher Umweltstrukturen, die dadurch selbst reproduziert, aber auch transformiert werden können (Lempert 1998, S. 186) Lempert, Wolfgang (1998): Berufliche Sozialisation oder was Berufe aus Menschen machen. Eine Einführung. Baltmannsweiler. 12
Sozialisationsrelevante Struktur des Arbeitshandelns (nach Hacker 1973) Ausrichten auf ein Handlungsergebnis (Planen) Orientieren an den gegebenen technologischen und arbeitsorganisatorischen Voraussetzungen Entwerfen eines Handlungsrahmens Entscheiden über Methoden und Werkzeuge ( Arbeitsmittel ) Vergleichen von Stand und Ziel der Arbeitshandlung Handlungsspielraum kognitiv-intellektuellen Ressourcen Intellektualisierung (Lempert 1998 S. 59) Hacker, Wilfried (1973): Allgemeine Arbeits-und Ingenieurspsychologie. Psychische Struktur und Regulation von Arbeitstätigkeiten. Stuttgart. 13
These 6 Im betrieblichen Lernen bildet sich eine spezifische Formen des Kontrollbewußtseins aus. Situative Grundmuster der subjektiven Einstellung: Fatalistisch-schwankend deterministisch-rigide interaktionistisch-flexibel (Hoff 1982, S. 322). Hoff, Ernst. H. (1982). Kontrollbewußtsein: Grundvorstellungen zur eigenen Person und Umwelt bei jungen Arbeitern. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 34 (1982),S. 316-339 14
Herausforderungen Dualer Studiengänge Professionalisierung des Personals in Betrieb und Hochschule Verknüpfung von Lerninhalten (systematisches und theoriebasiertes Wissen) und Lernformen (kognitives und erfahrungsgestütztes Lernen) Betriebliche Erfahrung der Lernenden als Wissensquelle Berücksichtigung didaktischer Handlungsformen und Prinzipien der beruflichen Bildung 15
Didaktische Elemente beruflicher Bildung als Orientierung für die Implementierung einer reflexiven Lehr-Lerninfrastruktur im Dualen Studium: Verknüpfung von Arbeiten und Lernen Erfahrungs- und Handlungsorientierung Kompetenzorientierung Selbststeuerung Projektorientierung Exemplarik Lernfeldorientierung (vgl. u.a. DEHNBOSTEL 2013; DICK 2010; REIBER 2007; LISOP/HUISINGA 1994) 16
Herausforderungen für Berufsbildungsforschung und -politik Systemebene (Makro) Umbau des (Berufs-)Bildungssystems; Leitbild moderner Beruflichkeit; Wertigkeit und Konkurrenz von Wissensarten; Steuerungsstrukturen und Machtverhältnisse Organisationsebene (Meso) Curriculare und didaktisch-methodische Konzeptionen; Dualer Studiengänge; Qualifizierung des Personals Ebene der Bildungsteilnehmer (Mikro) Berufsbildungsbiografien, betrieblich vs. hochschulische Sozialisation, Habitus 17