Diagnostik und Therapie der Hämorrhagischen Diathesen

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Transkript:

Diagnostik und Therapie der Hämorrhagischen Diathesen 14.03.2018 Medizinische Klinik 5

Inhalt Pathophysiologie Diagnostik Klinik Pharmakotherapie Aussichten Zusammenfassung

Begriffe Blutungsneigung Blutungsübel Hämorrhagische Diathese (HD) Koagulopathie Minus-Koagulopathie Pathologische Blutungsneigung

Elemente der Blutstillung Blutgefäße Thrombozyten Plasmatische Blutgerinnung

Elemente der Blutstillung Gefäßwand ( Endothel, Media ) - Barrierefunktion zwischen Gerinnungsfaktoren und Subendothel - Intaktes Endothel / Thromboseresistenz - Verletztes Endothel -> Kontakt -> Aktivierung - Muskelschicht -> Vasokonstriktion Thrombozyten ( Zahl, Funktion ) - Adhäsion - Aktivierung - Aggregation Plasmatische Blutgerinnung ( Fibrinbildung ) - Fibrinbildung - Fibrinstabilisierung - Fibrinolyse

Die zwei Seiten der Hämostase Hämostase Koagulopathie - Hämostase + Thrombophilie Blutung Thrombose Embolie

Hämostase-Gleichgewicht Fibrinauflösung und Fibrinbildung Fibrinolyse Plasminogen Plasmin Antithrombine Antiplasmine Gerinnung F.II F.IIa FSP Fibrin Fibrinogen

Phasen der Hämostase Trauma / Verletzung -> Freisetzung VWF, TF, PAI-1 etc. Vasokonstriktion primär Thrombozyten-Adhäsion Thrombozyten-Aktivierung Thrombozyten-Aggregation primär primär primär Fibrinbildung Fibrinstabilisierung Fibrinolyse sekundär sekundär (sekundär)

Wichtige Gefäßfunktionen u.a. Endotheliale Thromboseresistenz Intaktes Endothel verhindert T-Adhäsion /-Aktivierung und Gerinnung. ( vermittelt u.a. durch Vasodilatoren, PG-I2, NO, Thrombomodulin, heparinähnliche Subst., TFPI, t-pa ) Vasokonstriktion Kleine Blutgefäße mit glatter Muskulatur Vermindert Blutfluss im Verletzungsgebiet Blutstillung für begrenzte Zeit ( vermittelt u.a. durch zyklische Endoperoxide, TXA2, Endothelmediatoren zb Endothelin )

Wichtige Thrombozyten-Funktionen Adhäsion Vermittelt über GP der Thrombozyten Direkt: GP-Ia / IIa-Rp (Kollagen-Rp) Indirekt: GP-Ib / IX-Rp über WF Aktivierung Shape change / Formveränderung Freisetzung u.a. ADP, TXA2, Serotonin, ß-TG, WF, Ca Aggregation Vernetzung über GP-IIb / IIIa Rp (Fibrinogen-Rp) zum noch instabilen Thrombozyten-Pfropf

Fibrinbildung Aktivierung durch Mediatoren von Endothel und Thrombozyten Aktivierung parallel zur primären Hämostase Extrinsische Aktivierung über Tissue factor (TF) Intrinsische Aktivierung über Kontaktsystem zb F.XII Multiple Interaktionen zwischen intrinsischem und extrinsischem System und zwischen Thrombozyten- und Gerinnungsaktivierung Diverse Verstärkungs- und Hemmungs-Rückkopplungen zwischen den o.g. Aktivierungs-Systemen Unterscheidung zwischen intrinsischem und extrinsischem Aktivierungs-Weg aus didaktischen Gründen hilfreich

Gerinnungsfaktoren (GF) I F.I Fibrinogen HWZ 100-150 h F.II Prothrombin HWZ 40 70 h F.V Proaccelerin HWZ 20 30 h F.VII Proconvertin HWZ 2 5 h F.VIII antihämophiles Globulin A HWZ 10 18 h F.IX antihämophiles Globulin B / Christmas Factor HWZ 15 30 h F.X Stuart-Prower-Faktor HWZ 20 40 h F.XI Plasma-Thromboplastin-Antecedent / Rosenthal Faktor HWZ 60 70 h F.XII Hageman-Faktor HWZ 50 60 h F.XIII Fibrinstabilisierender Faktor HWZ 100 120 h Viele andere, u.a. von-willebrand-faktor HWZ 8 12 h Phospholipide, Ca, TF etc

Gerinnungsfaktoren (GF) II Serinproteasen Faktoren F.II, VII, IX, X, XI, XII a kennzeichnet die jeweils aktivierte Form eines GF Kofaktoren F.V und F.VIII Aktivierung an neg. geladenen Phospholipid-Oberflächen der T Reaktionen verlaufen Ca- und Phospholipid-abhängig Vit-K-abhängige Faktoren: F.II, VII, IX, X, ( PC, PS ) GF intrinsisches System: alle außer F.VII GF extrinsisches System: VII und Endstrecke ( X, V, II, I ) F XIII steht in der Systematik außerhalb extr. und intr. System

Gerinnungskaskade sehr stark vereinfacht Intrinsische Aktivierung XII ---> XIIa XI ---> XIa IX ---> IXa/VIIIa Gemeinsame Endstrecke X Xa / Va Extrinsische Aktivierung Tissue Factor VIIa <--------- VII II ---> IIa XIIIa <--- XIII Fibrinogen ---> Fibrin ---> Fibrin stabil

Inhibitoren der Gerinnung Antithrombin, AT-III Hemmt F.IIa > Xa und XIIa, XIa, IXa, VIIa AT-Wirkung durch Heparine stark beschleunigt Protein C (PC) Vit-K-abhängiger Faktor APC inaktiviert F.Va und F.VIIIa Protein S (PS) Vit-K-abhängiger Faktor Kofaktor von PC tissue factor pathway inhibitor TFPI

Fibrinolyse Verhindert überschießende Fibrinbildung Ermöglicht Wiedereröffnung thrombos. Gefäße Plasminogen zu Plasmin aktiviert Plasmin spaltet v.a. Fibrin, Fibrinogen, F.V, F.VIII Aktivatoren t-pa, Urokinase, (F.XII, Kallikrein), Strektokinase Inhibitoren PAI-1, a2-ap (stark) Tranexamsäure (Med)

Ätiologie / Epidemiologie der HD Thrombozytär: ca. 70 % Plasmatisch: ca. 20 % Vasculär: ca. 10 % Erworben: 90 % Angeboren: 10 %

Auffällige Blutungen??? Zu lang Zu stark Ohne adäquaten Anlass

Blutungstypen Thrombozytär / vaskulär Petechien, Purpura, SH-Blutungen etc. z.b. bei Thrombopenie / Thrombopathie, Vasculitis Plasmatisch Einblutung in Weichteil, Muskel, Gelenk, Organ z.b. bei Koagulopathie, Hämophilie Kombiniert z.b. bei vwjs, Lebercirrhose, DIC

Blutungserscheinungen Bezeichnung Beschreibung Pathognomonisch Petechie Kleinste Blutung in Haut, Schleimhaut T-penie, T-pathie, vasculär Purpura Kleinfleckige Blutung in H, UH, SH T-penie, T-pathie, vasculär Sugillation Kleinflächige Purpura s.o. Ekchymose Flächenhafte Purpura s.o. Suffusion Blutung UH flächenhaft z.b. traumatisch Schleimhautblutung Blutung an Schleimhäuten T-penie, T-pathie, WJS, vasc. Hämatom Blutung in Gewebe, Körperhöhle Plasmatische Koagulopathie Weichteilblutung Blutung in Gewebe Plasmatische Koagulopathie Muskelblutung Blutung in Muskulatur Plasmatische Koagulopathie Gelenkblutung Blutung in ein Gelenk Plasmatische Koagulopathie H = Haut, SH = Schleimhaut, T = Thrombozyt, UH = Unterhaut, WJS = Willebrand-Syndrom

Anamnese Diagnostik in vitro in vivo

Blutungstyp? Anamnese Ggf. Inspektion, Foto, Beschreibung Blutung bei welchem Anlass? Lokalisation? Medikation? Familie? Spontan, Trauma, OP, Entbindung, Zahnarzt Einmalig / mehrmalige Blutungsauffälligkeiten Regelblutung verstärkt / verlängert Blutungen seit früher Kindheit o erst im späteren Alter Schleimhäute, Muskel, Gelenk, GI-Trakt z.b. TAH, OAK, NSAR, Antidepressiva etc. Weitere betroffene ( w./m. )Familienangehörige

Diagnostik in vitro Basis Quick, PTT, Thrombozyten-Zahl Erweitert Fibrinogen, Thrombinzeit, einzelne Faktoren NATEM, TEG, ROTEM PFA-100, T-Aggregometrie Lupusantikoagulans, D-Dimere Speziell Plasma-Misch-Versuch, Hemmkörper-Diagnostik Durchfluß-Zytometrie

PI ( TPZ, Quick ) Test für das extrinsische Gerinnungssystem Abhängig von F.VII- (X, V, II, I) Aktivität Unempfindlich für F.XIII, XII, XI, IX, VIII-Aktivität Norm: 70 120 % (laborabhängig) Monitoring VKA (zb Marcumar, Warfarin) Ziel unter VKA: 30 40 % (laborabhängig) Kein Monitoring von UFH, NMH, NOAK Pathol. zb Vit-K-Mangel, Lebersynthesestörung Umrechnung in INR für VKA-Monitoring

INR - international normalized ratio Laborstandard, d.h. dient der Vergleichbarkeit der PI-Werte bei VKA-Monitoring zwischen verschiedenen Labors Norm: 1 VKA-Ziel: 2 3 zb bei VHF, VTE etc. VKA-Ziel 2,5 3,5 zb bei Kunstherzklappen INR = (TPZ Pat / TPZ Kontrolle) x ISI ISI = international sensitivity index des TPZ-Reagenz

PTT ( aptt ) Test für das intrinsische Gerinnungssystem Abhängig von F.XII, XI, IX, VIII, (X, V, II, I) Unempfindlich für F.VII, F.XIII Norm: 25 34 sek (laborabhängig) Monitoring unfraktioniertes Heparin HMWH AK-Ziel: 50 80 sek (laborabhängig) Kein Monitoring von VKA, NOAK, NMH Pathologisch zb bei Hämophilie A, B

TZ Thrombinzeit Test für Endstrecke (ab Thrombin) der Gerinnung Abhängig von Thrombin und Fibrinogen Unempfindlich für F.XIII, XII, XI, IX, VIII, X, V, VII Monitoring: HMWH, Thrombininhibitoren Kein Monitoring von NMH, VKA, Xa-Hemmer Pathologisch zb bei Hypofibrinogenämie, Dysfibrinogenämie, Erhöhung FSP Sehr empfindlich für Thrombin-Antagonisten wie zb Pradaxa / Dabigatran

Globaler Gerinnungstest TEG NATEM - ROTEM Abhängig vom extrinsischen / intrinsischen Weg und von der Thrombozyten - Zahl / - Funktion Personalaufwändig Läßt keine detaillierte Analyse der Störung zu

Blutungszeit Diagnostik in vivo Verschiedene Variationen zb Arm, Ohr (subaqual) Risiken (Narbe, Infektion etc.) vorhanden Erfordert geübte Hand, personal-aufwändig Pathologisch u.a. T-penie, T-pathie Rumpel-Leede-Test (Kapillarresistenztest) Personalaufwändig Relativ belastend für den Patienten Keine standardisierte Auswertung Pathologisch u.a. bei T-penie, T-pathie, Vasopathie

Vasopathie, angeboren M. Osler (-Weber-Rendu) hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie häufigste erbliche vasculäre hämorrhagische Diathese autosomaler Erbgang Läsionen (Teleangiektasien) an Haut, SH von oberem und unterem GI-Trakt, HNO Labor: Eisenmangelanämie, sonst Gerinnung ob Kavernöses Riesenhämangiom Ehlers-Danlos-Syndrom Osteogenesis imperfecta Pseudoxanthoma elasticum

Vasopathie, erworben Purpura bei Infekt / medikamentös bedingt toxische Schädigung der Gefäßwand Purpura Schönlein-Henoch Hypersensitivitätsvasculitis Purpura bei D.m., Urämie, PPÄ etc. Purpura simplex Purpure senilis

Thrombozytäre hämorrhagische Diathese Ursache: Thrombopenie / Thrombopathie Defekt der T-Adhäsion / Aggregation (Pfropfbildung) Diagnostik: Blutungszeit T-Zahl Plättchenfunktionsanalyse (PFA) T-Aggregometrie nach Born Rumpel-Leede-Test / Kapillarresistenz-Test Blutungstyp: thrombozytär Petechien, Purpura, Hautblutungen, Hämatome, SH-Blutungen Allg.: ASS, NSAR etc meiden. T-Konzentrat

Thrombopenie Definition: T < 140 / nl, DD Pseudothrombopenie Ursache: verminderte T-poese u/o gesteigerter Abbau T-Lebensdauer etwa 7 10 Tage Blutungsneigung bei T-penie abhängig von Ursache Traumatische Blutungen bei T < 100 wahrscheinlicher Spontane Blutungen bei T < 20 wahrscheinlicher Ursache meist erworben: Splenomegalie, Leberzirrhose, Infekt, Med-NW, DIC, ITP, KM- Insuffizienz, KM-Infiltration, KM-tox Substanzen, RT Ursache selten angeboren Therapie: ggf. Ursache beeinflussen, TK symptomatisch

Thrombopathie Definition: T-Zahl normal, aber Funktion gestört Ursache meist erworben: Medikamente (ASS / APT., NSAR, Antidepressiva etc.), Urämie, Hepatopathie, hämatologische Erkrankungen wie MPS, PPÄ Ursache selten angeboren: Diverse seltene T-pathien, BSS, M. Glanzmann Blutungstyp: Petechie, Purpura, SH-Blutungen Labor: PFA, Aggregometrie, Blutungszeit pathologisch Therapie: ggf. Ursache beeinflussen, problematische Medikamente meiden, Minirin, TK

Thrombopathie, angeboren Morbus Glanzmann (-Naegeli) Defekt der T-Aggregation / GP-IIb / IIIa Rezeptor Autosomal vererblich, sehr selten Labor: Aggregometrie, Durchflusszytometrie Therapie: TK, ( F.VIIa ) Bernard Soulier Syndrom Defekt der T-Adhäsion / GP Ib / IX Rezeptor Autosomal vererblich, sehr selten Labor: Aggregometrie, Durchflusszytometrie Therapie: TK, ( F.VIIa )

Vitamin-K Mangel Urs: Frühgeborene, Antibiose, VKA, Malabsorption Vit-K wird mit der Ernährung aufgenommen und im Darm von Bakterien gebildet Aktivität der F.II, VII, IX, X, PC, PS (PIVKA) PI, (PTT ), BZ, F.II,VII,IX,X Blutungstyp: plasmatisch Therapie: Gabe Vit-K p.o./i.v.. Wirkung verzögert (12-24h). Gabe von Prothrombinkomplex-Konzentrat (Wirkung sofort)

Lebersynthesestörung Lebercirrhose, akuter L-Ausfall (Med, Infekt..) Aktivität nahezu aller Faktoren (und Inhibitoren) PI, PI, PTT, BZ, T, F.VIII, WF Blutungstyp: kombiniert plasmatisch / thrombozytär Behandlung der Grunderkrankung, tox Med. meiden Therapie: Vit-K: dürfte nichts nützen (Koller-Test) FFP: große Volumina, enthält aber alle GF / Inhibitoren PPSB: kleines Volumen, enthält wenig Inhibitoren TK-Transfusionen nach Bedarf Cave: DIC-Gefahr unter höheren Dosen PPSB etc.

Disseminierte Intravasculäre Coagulation DIC Bei (gram-)sepsis, Trauma, Npl, Transfusion, Geburtshilfe-Komplikation, akute Pankreatitis Zuerst Aktivierung der Gerinnung -> dann Verbrauch der Faktoren und Thrombozyten -> Mangel -> Blutung Laborbefunde variabel, abhängig vom Stadium der DIC (Aktivierung / Verbrauch / Blutung) Labor: T, BZ, PI, PTT, D-Dimere, alle Faktoren und Inhibitoren, Schistozyten Blutungstyp: plasmatisch-thrombozytär kombiniert Therapie: Grunderkrankung bessern, wenn möglich. Heparin, AT in Frühphase. Später FFP, (T, F.I) substituieren

Ursachen: Primäre Hyperfibrinolyse HFL Leberschaden Karzinome insb. Prostata-Ca, (Adeno-Ca) Labor: PI, PTT, F.I, D-Dim pathologisch T, AT eher unauffällig (im Vgl zu DIC) NATEM / ROTEM kann HFL anzeigen Therapie: Behandlung der Grunderkrankung Antifibrinolytika z.b. Tranexamsäure

Hemmkörper (HK)-Hämophilie Auto-Antikörper gegen Gerinungsfaktoren (selten) HK meist gegen F.VIII, erworben, idiopathisch oder bei zb Tumor, Autoimmunerkrankung, Gravidität Labor: PTT, PI, F.VIII, HK-Test positiv Plasmatauschversuch / Plasmamischtest 50:50 Blutungstyp: plasmatisch Blutungen: Weichteile, Organe. Post-OP, Trauma Therapie: F.VIIa Novoseven oder Obizur bei Blutungen HK-Elimination durch immunsuppressive Therapie zb K- Steroide, Cyclophosphamid

Medikamentös bedingte Koagulopathien Substanz Geeignetes Labor Zugelassenes Antidot HMWH PTT Protamin LMWH axa (Protamin) DOAK-Xa Spiegel, axa PPSB, Antidot kommt DOAK-IIa TZ, PTT, Spiegel Idarucizumab Fondaparinux axa - Danaparoid axa - Argatroban TZ, PTT - Hirudin TZ, PTT, Spiegel - VKA PI, INR Vit-K, PPSB

Plasmatische Koagulopathie, angeboren Aktivitätsminderung eines (selten mehrerer) GF Fibrinogen, F.II, V, VII, X, XI, XII, XIII-Mangel autosomal Hämophilie A,B: X-chromosomal, seltener de novo WJS: autosomal, häufigste angeb. Koagulopathie Unterschiedliche Schweregrade (schwer, mittel, mild) Therapie: Substitution des verminderten GF bei Bedarf Formel: 1 IE/kgKG steigert GF-Aktivität beim Pat um 1 (-2) % Aufklärung über Gabe von Blutprodukten Chargendokumentations-Pflicht Sehr teure Medikamente

Hämophilie allgemein Bluterkrankheit fast nur bei Männern (X-chrom.) Frauen sind mögliche Konduktorinnen Hämophilie A : B = 5 : 1, klinisch identisch Schweregrade: <=1% (schwer), 2-5% (mittelschwer), > 5% mild Mögliche Komplikationen: Rez. Muskelblutungen -> Kontrakturen, Pseudotumoren Rez. Gelenkblutungen -> hämophilie Arthropathie, Versteifung Entwicklung von Hemmkörpern -> ITI? Infektionen früher als Hauptrisiko der Plasma-Medik. Faktoren-Konz plasmatisch (pd) oder rekombinant (r) Substitution on demand oder prophylaktisch Heimselbstbehandlung der schweren Hämophilie

Hämophilie A angeborener F.VIII-Mangel Labor: PTT, PI, F.VIII, Blutungszeit Blutungstyp: plasmatisch Blutungen: Gelenke, insb. Knie, SG, Ellenbogen etc. (Hämarthros). Weichteile, Muskulatur. Post-OP, Trauma Therapie: mild: Desmopressin schwer: Substitution von (r./pd.) F.VIII-Konzentraten

Hämophilie B - angeborener F.IX-Mangel Labor: PTT, PI, F.IX, Blutungszeit Blutungstyp: plasmatisch Blutungen: Gelenke, insb. Knie, SG, Ellenbogen etc. (Hämarthros). Weichteile, Muskulatur. Post-OP, Trauma Therapie: Substitution von (r./pd.) F.IX-Konzentraten Desmopressin hilft nicht!

Hämophilie C - angeborener F.XI-Mangel Erbgang autosomal rezessiv Labor: PTT, PI, F.XI, Blutungszeit Blutungstyp: plasmatisch Blutungen: Gelenke, insb. Knie, SG, Ellenbogen etc. (Hämarthros). Weichteile, Muskulatur. Post-OP, Trauma Therapie: Mild: Substitution von FFP Schwer: Substitution von pd-f.xi-konzentrat, in D nicht zugelassen (internationale Apotheke)

Willebrand Jürgens Syndrom WJS I Kombinierter Defekt thrombozytär / plasmatisch Häufigste angeborene Koagulopathie, meist mild Mangel / Defekt an WF:Ag / Aktivität (Risto:Cof), F.VIII Erbgang autosomal, seltener erworben zb MPS Defekt der T-Adhäsion, BZ, PFA, Aggregometrie Labor: WF:Ag, WF:Akt, (PTT, F.VIII ) Synthese des WF im Endothel, nicht in der Leber Speicher des WF: Weibel Palade Körper im Endothel Funktion WF: Bindung der T über GP-Ib-Rp und Schutz des F.VIII vor Proteolyse

WJS II Blutungstyp: kombiniert thrombozytär-plasmatisch Blutungen: Hämatome, Schleimhaut-Blutungen, nach OP insb. im HNO / Zahn-Bereich, Regelblutung. Typ 3 ähnlich wie Hämophilie Meiden von ASS, NSAR etc. Therapie: Desmopressin, führt zur Freisetzung von WF aus Speichern Antifibrinolytikum wie Tranexamsäure lokal u/o systemisch Substitution von pd. F.VIII / WF-Konzentraten

Typ 1 (80%) Typen des WJS quantitativer Defekt. WF um 25 50 % Typ 2 (19%) 2A Fehlen großer und mittlerer Multimere 2B Fehlen großer Multimere, Affinität zu GPIb-Rp 2M Abnormale Multimeren-Struktur, große Multimere 2N Defekt mit verminderter F.VIII-Affinität Typ 3 (1%) schweres WJS, WF fehlt, F.VIII stark

Seltene angeborene GF-Mängel GF path. Globaltests Substitution F.II PI, PTT PPSB F.V PI, PTT FFP F.VII PI F.VII(a)-Konzentrat F.X PI, PTT PPSB, F.X-Konzentrat F.XI PTT FFP, F.XI-Konzentrat F.XII PTT Ohne Relevanz F.XIII Fibrogammin

Fibrinogen-Mangel / -dysfunktion Fibrinogen-Mangel Hypofibrinogenämie (heterozygot) Afibrinogenämie (homozygot) Labor: PI, PTT, TZ, F.I pathologisch Therapie: Substitution F.I zb Haemocomplettan P Dysfibrinogenämie Konzentration normal / Aktivität vermindert Labor: PI, PTT, TZ, F.I immunologisch / funktionell Klinik: sowohl Blutungen als auch Thromboembolien Therapie: Substitution s.o. bei Bedarf / Blutung

Sonderfälle (angeb.) Koagulopathie F.XII-Mangel PTT stark verlängert Keine Blutungsauffälligkeiten Historisch frgl. erhöhtes Thromboembolie-Risiko (???) Therapie: nicht erforderlich F.XIII-Mangel Quick und PTT unauffällig, NATEM evtl. pathologisch Blutungstyp: plasmatisch Verzögerte Blutungserscheinungen, Wundheilungsstörung Therapie: Substitution bei Bedarf pd-konz. Fibrogammin

Cyklocapron Antifibrinolytikum z.b. Antifibrinolytikum / Plasminogenaktivatorhemmung Gabe als Infusion, oral oder lokal-topisch Ampulle oder Tablette mit je 500 mg Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz Dosis 10 15 mg/kgkg, Wh bei Bed alle 8 12 h NW-Risiko rel. gering (Cephalgie, Übelkeit, Thrombose..) Indikation: zur Verbesserung der Blutstillung bei Thrombopathie, Koagulopathien. Bei primärer HFL.

Minirin, Octostim -Spray Desmopressin Vasopressin-Analogon, DDAVP Gabe parenteral oder als Nasenspray Ampulle zu je 4 µg Dosis 0,3 0,4 µg/kgkg i.v., Wh 2 3 x alle 12 24 h Cave: Tachyphylaxie Wirkung: Freisetzung von WF aus Endothelspeichern NW-Risiko relevant: Elyt-Entgleisung, Hyponatriämie, Überwässerung (ADH-Effekt), Herz-Dekompensation, hypertensive Entgleisung, Krämpfe, Flush, Thromboembolie Indikation: zur Verbesserung der Blutstillung bei milder Hämophilie A und mildem WJS (insb. Typ 1).

Aussichten (Hämophilie-)Therapie Replacement-Therapie HWZ-verlängerte r.f.viii- und r.ix-präparate (EHL) HA,HB Non Replacement Therapie Mimetica zb Emicizumab als F.VIIIa-Mimeticum (US-Zulassung) HA AT-Modulation? TFPI-Inhibition? Heilung? Gen-Therapie zb Gen-Transfer (Studien) HA,HB

Kurze Zusammenfassung Ursachen von path. Blutungen können in Blutgefäßen, Thrombozyten und der Fibrinbildung liegen. Ergebnisse von Labortests immer kritisch mit der klinischen Beobachtung abgleichen, da insbesondere die Praeanalytik relativ störanfällig ist! Die Anamnese ist das Diagnostikum Nr. 1! Häufiges ist häufig! Viele erworbene und wenige angeborene Ursachen. Die häufigsten Ursachen von Blutungen sind Medikamente. Einsatz antihämorrhagischer Medikamente nur nach besonders kritischer Nutzen-Risiko-Abwägung. Bei der Gabe antihämorrhagischer Medikamente immer die Balance der Hämostase im Blick haben!

Weiterführende Literatur z. B. Facharztwissen Hämatologie Onkologie K. Possinger, A.C. Regierer, J. Eucker (Hrsg.) ELSEVIER, 2017, 4.Auflage Hämostaseologie für die Praxis Bruhn, Hach-Wunderle, Schambeck, Scharf. Schattauer, 2011, 2.Auflage Das Gerinnungskompendium Barthels. Thieme, 2013, 2.Auflage

Danke