Sprache und Schrift. Günther/Ludwig (1994): Schrift und Schriftlichkeit, S. VIII. die Menge der graphischen Zeichen, mit denen die gesprochene Sprache
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- Ingelore Schwarz
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1 Sprache und Schrift: Graphematik und Orthografie Sprache und Schrift Schrift die Menge der graphischen Zeichen, mit denen die gesprochene Sprache festgehalten wird die Gestalt bzw. Form der Schriftzeichen das Produkt der Verwendung von Schriftzeichen, d.h. das Schriftstück oder der Text Günther/Ludwig (1994): Schrift und Schriftlichkeit, S. VIII Grundtypen von Schriftsystemen 1) Alphabetische Systeme: Grundformen mit distinktiver Funktion systematischer Bezug zu Phonemen Grapheme als graphematische Grundformen (= Schriftzeichen) 2) Silbenschriften: Syllabogramme - Grundformen mit distinktiver Funktion systematischer Bezug zu Silben 3) Logographische Systeme: Logogramme - Grundformen mit bedeutungstragender Funktion nicht zerlegbar in kleinere, distinktive o. bedeutungstragende Segmente 97
2 Schriftsystem: Ein Beispiel Das Cherokee-Alphabet besteht aus 85 Zeichen, die in der Silbenschrift für die Cherokee-Sprache verwendet werden. 98 Karolingische Minuskel Als karolingische Minuskel (Carolina) wird eine Schriftart bezeichnet, die am Ende des 8. Jahrhunderts im Umfeld Karls des Großen entwickelt wurde, um im gesamten Frankenreich über eine einheitliche Buch- und Verwaltungsschrift zu verfügen. Aus ihr entwickelten sich über die gotische Minuskel die Kleinbuchstaben der deutschen Schriften und über die humanistische Minuskel die heutigen Kleinbuchstaben der lateinischen Schrift. 99
3 Fraktur Die Fraktur ist eine Schriftart aus der Gruppe der gebrochenen Schriften. Sie war von Mitte des 16. bis Anfang des 20. Jahrhunderts die meistbenutzte Druckschrift im deutschsprachigen Raum. 100 Deutsche Kurrentschrift um 1900 Quelle: Süß Deutsche Schreibschrift Lehrbuch, S
4 Sütterlin-Schrift (deutsche Schrift) benannt nach dem deutschen Graphiker Ludwig Sütterlin 1915 in mehreren dt. Ländern eingeführt schulische Ausgangsschrift in Deutschland von Die Verkehrsschrift von Lateinische und vereinfachte Ausgangsschrift Die Lateinische Ausgangsschrift (LA) wurde vom Iserlohner Schreibkreis aus der Deutschen Normalschrift entwickelt und am 4. November 1953 durch den Erlass der Kultusministerkonferenz verbindlich in allen Bundesländern der damaligen Bundesrepublik Deutschland als Schulausgangsschrift eingeführt (Ausnahme: In Bayern wurde die Lateinische Ausgangsschrift erst 1966 verbindlich eingeführt). 103
5 Vereinfachte Ausgangsschrift Der Versuch, Schwierigkeiten in der Anwendung der Lateinischen Ausgangsschrift zu beheben, führte 1969 in der Bundesrepublik zur Entwicklung der Vereinfachten Ausgangsschrift (VA) und Erprobung seit Schweizer Schulschrift oder Basisschrift, umgangssprachlich unter anderem Schnüerlischrift genannt Neue Schulschrift ab
6 Graphematik: Definition Graphematik [auch: Graphemik] Wissenschaft/Lehre von den distinktiven Einheiten des Schriftsystems einer Sprache erforscht die graphische Realisierung lautsprachlicher Einheiten als Schriftzeichen erforscht die Korrelationen (Wechselbeziehungen) zwischen gesprochener und geschriebener Sprache auf Basis der Phonologie (Primat der gesprochenen Sprache) Laut- und Schriftsystem = Zwei Teilsysteme, die in Wechselbeziehung zueinander stehen = Sprache (Langue) 106 Graphem: Definition Graphem Kleinste distinktive, bedeutungsunterscheidende Einheit des Schriftsystems Konvention: <k> = Graphem Das Graphem stellt (in Alphabetschriften) die schriftliche Repräsentation des Phonems dar. > Graphem-Phonem-Korrespondenz Graph Einzelnes schriftlich realisiertes Graphem als Buchstabe oder Buchstabenverbindung Realisierte Variante des Graphems 107
7 Graphematik: Langue - Parole konkret Realisierung (Parole) abstrakt System (Langue) graphisch Graph a Graphem <a> akustisch Phon [a] Phonem /a/ Allograph schreibtechnische Varianten eines Graphems: Schrifttypen (Druckschrift, Schreibschrift, Kursivschrift), Groß- und Kleinbuchstabe (Majuskel, Minuskel) graphematische Realisierungsmöglichkeiten/Schreibvarianten für ein bestimmtes Graphem Das Phonem /s/ kann durch verschiedene Allographe des korrespondierenden Graphems <s> verschriftlicht werden. /s/ <s> Last <ss> Wasser <ß> Straße /f/ <f>, <ff>, <v>, <ph> 108 Graphematik: Grapheme des deutschen Schriftsystems weich: drei, vier, fünf Grapheme? <weich> - <reich> <weich> - <weit> <weich> - <wach> <Feier> - <Feuer> <scheu> - <Schau> Vokalgrapheme im Deutschen: <a>, <e>, <i>, <ie>, <o>, <u>, <ä>, <ö>, <ü> Konsonantengrapheme im Deutschen: <p>, <t>, <k>, <b>, <d>, <g>, <f>, <w>, <s>, <ß>, <j>, <h>, <m>, <n>, <l>, <r>, <qu>, <ch>, <sch>, <z> (<ng>) vgl. Buchstabeninventar <a>, <b>, <c>, <d>, <e>, <f>, <g>, <h>, <i>, <j>, <k>, <l>, <m>, <n>, <o>, <p>, <q>, <r>, <s>, <t>, <u>, <v>, <w>, <x>, <y>, <z>, <ä>, <ö>, <ü>, <ß> Termini: Bigraphen Trigraphen 109
8 Graphem-Phonem-Korrespondenz 110 Orthografie Orthografie Rechtschreibung Lehre von der systematischen und normierten (einheitlichen) Verschriftlichung von Sprache durch Buchstaben und Satzzeichen (Interpunktion) Gesamtheit der normierten Schreibkonventionen in einer Sprache Normen sollen reibungslose interpersonale Kommunikation ermöglichen. Sekundäres, konstruiertes System, das jederzeit verändert werden kann [Rechtschreibreform] Die Rechtschreibung einer Sprache ist das Ergebnis unterschiedlicher, z.t. kontroverser Grundprinzipien. 111
9 Orthografieprinzipien [1] Phonematisches Orthografieprinzip Schreibe, wie du sprichst. ein Laut ein Schriftzeichen z.b. /j/ am Wortanfang fast immer <j> Morphologisches Orthografieprinzip Schemakonstanz, Stammprinzip, morphologische Schreibung Leitform z.b. <Tag> und <Tages>, <Wald> und <Wälder> Grammatisches Orthografieprinzip grammatische Gegebenheit Groß- und Kleinschreibung z.b. Arm und arm Historisches/etymologisches Orthografieprinzip Wörter, die aus einer Fremdsprache entlehnt sind, behalten ihre Schreibung bei. z.b. Niveau, Philosophie (aber Fotograf) 112 Orthografieprinzipien [2] Lexikalisch-semantisches Orthografieprinzip Wortformen, die (zufällig) gleich lauten, werden unterschiedlich geschrieben. weise vs. Waise, Miene vs. Mine, leeren vs. lehren Ästhetisches Orthografieprinzip Mittag (statt Mitttag), dennoch (statt dennnoch), aber Teeei, Geschirrrückgabe Lesbarkeit, schnellere Erfassung der Sinneinheiten beim Lesen: Tee-Ei, Werkstatt-Tür Syllabisches/silbisches Orthografieprinzip Worttrennung am Zeilenende z.b. Blumentopferde (Blumentopf-Erde), Urinstinkt (Ur-instinkt) *** die konstitutiven Prinzipien des deutschen Schriftsystems: das morphologische Prinzip (Schemakonstanz) vgl. schwimmen, schwimmt das phonologische Prinzip (Phonemkonstanz) vgl. singen, sang 113
10 Deutsche Orthografie Vokallänge Vokalgraphemverdopplung (Boot) Dehnungs-h (Wahl) Dehnungs-e (Liebe) Vokalkürze Doppelkonsonanten (Zimmer) Silbengelenkschreibung /zçṇ / <Sonne> /kçṃ n/ <kommen> /miṭ / <Mitte> /baḳ n/ <backen> nicht: <bakken> /lax n/ <lachen> nicht: <lachchen> Substantivgroßschreibung Von ihrer funktion her ist die großschreibung eine art serviceleistung für die lesenden. Sie soll ihnen zusammen mit anderen mitteln wie der interpunktion helfen, den text zu strukturieren. Bei der großschreibung der satzanfänge ist das unmittelbar evident, denn ohne die formale markierung durch großschreibung plus punkt kann man beim lesen leicht ins schleudern geraten. 114 Weitere Schriftzeichen Ziffern, Hilfszeichen wie Punkt, Komma, Ausrufezeichen usw.; Sonderzeichen wie, %, + oder =, Zwischenraum (Spatium) Satzzeichen Interpunktion Satzzeichen sind ja auch eigentlich Signale, die dem Leser das Lesen erleichtern sollen. Und an die Leser denkt ein Kind beim Schreiben zunächst noch nicht. Aber das Lesen zu erleichtern und mögliche Missverständnisse zu verhindern, das ist eine Aufgabe, die Schreibende allmählich lernen müssen: Sonst kann man mit Hilfe dessen, was man geschrieben hat, schlecht kommunizieren. (Menzel 1999: 41) Spatien Das Grundprinzip: Spatien markieren in geschriebenen Sätzen die Grenzen zwischen Wortvorkommen. (Jacobs 2005: 22) Warum? Diese grammatische Funktion der Spatiensetzung hat ein außergrammatisches Fundament. Sie dient der Erleichterung des (stillen) Lesens, was man daran erkennt, wiesehrfehlendespatiendaslesenbehindern undverlangsamen. (Jacobs 2005: 22) 115
11 Geschichte der deutschen Orthographie 8. Jh. erste Texte in deutscher Schreibung 15. Jh. Erfindung des Buchdrucks, Schreibanweisungen für Drucker 16. Jh. Rechtschreibempfehlungen in Grammatiken und Lehrbüchern 1876 I. Orthographische Konferenz 1880 Orthographisches Wörterbuch von Konrad Duden 1901 II. Orthographische Konferenz 1902 Inkrafttreten der Neuregelung 1955 Duden wird durch Kultusministerbeschluss zur Normierungsinstanz 1980 Konstitution des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie Wiener Gespräche (Beginn der Arbeit auf politischer Ebene) Wiener Gespräche 3. Wiener Gespräche (Beschlussfassung) Unterzeichnung der gemeinsamen Absichtserklärung 1998 Inkrafttreten der Neuregelung - Rechtschreibreform Experten: Rechtschreibkommission(en) Zwischenstaatliche Kommission (seit 1998) Rat für die deutsche Rechtschreibung (seit 2004) Die Umsetzung der Neuregelung Übergang zur Neuregelung bei den Bundes- und Kantonsbehörden in der Schweiz Umstellung der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen Rückkehr der FAZ zur alten Regelung Neuregelung in allen Institutionen der EU verbindlich April 2003 Kompromissvorschlag Im Februar 2006 wurden einige Änderungen beschlossen, die vier Bereiche der Rechtschreibung betreffen: die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Groß- und Kleinschreibung, die Worttrennung am Zeilenende und die Zeichensetzung. In den meisten Fällen gilt die reformierte Rechtschreibung, wie sie 1996 eingeführt wurde. Die neuen Regeln traten zum 1. August 2006 in allen Staaten mit Deutsch als Amts- oder Minderheitensprache in Kraft. Die Übergangszeit endete in Deutschland und der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens zum , in Österreich und Bozen-Südtirol zum , dauerte in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein bis zum an. 117
12 Graphostilistik InterCity KAUFhOF Ki.Ka bahn.comfort T uro wie schaaade! Diese Normverstöße treten in verschiedenen Bereichen und aus unterschiedlichen Gründen auf: als Stilmittel in der Literatur als Eye-Catcher in der Werbung als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kommunikationsgruppe (in der privaten Kommunikation, vorwiegend in SMS und Chat) und auch auf Grund unzureichender orthographischer Kenntnisse oder Flüchtigkeit 118
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