I. Begriff, Bedeutung und Aufgaben der Koalitionen
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- Bernd Lange
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1 12 Koalitionsrecht I. Begriff, Bedeutung und Aufgaben der Koalitionen 1. Begriff Koalitionen sind Zusammenschlüsse von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Die wichtigsten Koalitionen sind die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände. Sie sind Mitgliederverbände, Berufsorgane und darüber hinaus Interessenwalter aller Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände spielen neben dem Staat die Hauptrolle bei der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Sie gehören zu den bedeutsamsten Akteuren in der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik Bedeutung Die Bedeutung der Koalitionen zeigt sich daran, dass zur Zeit rund 18 % aller Arbeitnehmer Mitglieder einer Gewerkschaft und schätzungsweise 75 % der Arbeitgeber in Arbeitgeberverbänden organisiert sind. 2 W. Hromadka, F. Maschmann, Arbeitsrecht Band 2, DOI / _2, Springer-Verlag Berlin Heidelberg
2 12 12 Koalitionsrecht Zahl der Gewerkschaftsmitglieder (in 1000) und Organisationsgrad der Arbeitnehmer (in %) DGB DAG DBB CGB ULA (1959 ( ,6 % 2,4 % 1,6 % gegründet) gegründet) ,2 % 2,1 % 3,2 % 0,9 % rund 40 34,7 % 2,3 % 3,6 % 1,4 % 0,2 % rund 50 31,5 % 1,6 % 3,3 % 1,0 % 0,2 % ,9 % 1,5 % 3,4 % 0,9 % 0,2 % zu ver.di ,4 % (DGB) 4,3 % 1,1 % 0,2 % ,2 % - 4,1 % 1,0 % 0,2 % ,8 % - 3,6 % 0,8 % 0,1 % ,7 % - 3,0 % 0,7 % 0,1 % 3 4 Allerdings ist der Organisationsgrad in den vergangenen Jahren ständig gesunken. Den höchsten Stand hatte er kurz nach der Wiedervereinigung erreicht. Im Jahr 2010 lag er netto (= nur aktiv tätige Arbeitnehmer, d. h. ohne Rentner, Arbeitslose, 1 Studenten) bei 17,2 % im Westen und 18,0 % im Osten 2. Im umgekehrten Verhältnis zu der Bedeutung des Koalitionsrechts steht der Umfang der gesetzlichen Regelung. Kernstück ist Art. 9 Abs. 3 GG, der die Koalitionsfreiheit und damit die Tarifautonomie und nach h. L. auch die Arbeitskampffreiheit gewährleistet. Ein Verbändegesetz, das Verfassung und Organisation der Koalitionen, ihre Stellung im Recht und das Verhältnis zu ihren Mitgliedern regelt, gibt es nicht. Immerhin lässt sich aus den Gesetzen, die den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden Aufgaben zuweisen, wenigstens teilweise rückschließen, welche Anforderungen an diese Organisationen zu stellen sind. Im übrigen müssen Lösungen aus dem allgemeinen Recht, etwa dem Vereinsrecht, und aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen gewonnen werden. Zur Lückenschließung stützt man sich vielfach auf funktionale Überlegungen vor dem geschichtlich-sozialen Hintergrund. Seinen (zweifelhaften) Ruf als Ersatzgesetzgeber verdankt das BAG nicht zuletzt den Entscheidungen zum Tarifrecht im allgemeinen und zum Koalitions- und Arbeitskampfrecht im besonderen. 1 IW-Gewerkschaftsspiegel 1/2013, S IW-Gewerkschaftsspiegel 3/2011, S. 1.
3 I. Begriff, Bedeutung und Aufgaben der Koalitionen Aufgaben Der Zweck jeder Koalition i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG ist die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Die Hauptaufgaben der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zeigt folgende Übersicht 3 : 5 Aufgaben außerhalb der staatlichen Verwaltung Abschluss von Tarifverträgen Schlichtung Arbeitskampfmaßnahmen Mitwirkungsrechte im Rahmen der Betriebs- und Unternehmensverfassung Festsetzung von Arbeitsschutzvorschriften Anhörungs- und Antragsrechte gegenüber Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung Anhörung bei sozialpolitischen Gesetzentwürfen, auf der Ebene der Europäischen Union als Recht ausgestaltet Antragsrechte bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen Anhörungs- und Mitwirkungsrechte bei dem Erlass von Durchführungsverordnungen und Verwaltungsvorschriften Prozessführungsbefugnis vor den Arbeitsgerichten Mitwirkungsrechte bei der Errichtung und Organisation der Arbeitsgerichte Benennungsund Entsendungsrechte im Arbeitsrecht: Benennung und Entsendung von ehrenamtlichen Richtern für die Arbeitsgerichte Beratungsrecht bei der Bestellung der Arbeitsgerichtsvorsitzenden Benennung der Beisitzer in den Schieds- und Schlichtungsausschüssen Benennung und Entsendung von Mitgliedern für verschiedene arbeitsrechtliche Ausschüsse im Sozialversicherungsrecht: Benennung und Entsendung von ehrenamtlichen Richtern für die Sozialgerichte Entsendung von Mitgliedern in die Ausschüsse der Selbstverwaltungskörperschaften (Sozialversicherung, Arbeitsverwaltung) im Wirtschaftsrecht: Benennung und Entsendung von Mitgliedern zur IAO und zum Wirtschaftsund Sozialausschuss der Europäischen Union 3 Schaub/Treber, ArbR-Hdb., 191.
4 14 12 Koalitionsrecht II. Koalitionen 1. Koalition Arbeitgeberverband Gewerkschaft 6 Die Begriffe Koalition 4 einerseits und Gewerkschaft und Arbeitgeberverband andererseits sind nicht identisch. Alle Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind Koalitionen, nicht aber alle Koalitionen Arbeitgeberverbände oder Gewerkschaften. Die Anforderungen an Gruppierungen, die den Schutz der Koalitionsfreiheit genießen, sind geringer als die an Gewerkschaften (zu Arbeitgeberverbänden sogleich), die Tarifverträge aushandeln und ihre Durchführung überwachen und in staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen mitwirken sollen 5. Gewerkschaft ist nicht jede Arbeitnehmerkoalition, sondern nur die tariffähige Koalition. Koalition Arbeitgeberverband Arbeitnehmervereinigung nicht tariffähig ( OT ) tariffähig tariffähig (= Gewerkschaft) nicht tariffähig Tarifvertragspartei Arbeitgeber Innung 7 Theoretisch könnte man die Anforderungen an eine Koalition, die Tarifpartei sein will, anders bestimmen als die an eine Koalition, die vor den Arbeitsgerichten Arbeitnehmer vertreten kann ( 11 ArbGG). Die Rechtsprechung tut das aber nicht; sie entnimmt den Gewerkschaftsbegriff dem Tarifrecht und verlangt für alle Rechtsbereiche Tariffähigkeit. Der Gesetzgeber dürfe aufgrund typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass nicht tariffähige Arbeitnehmervereinigungen nicht in der Lage sind, bestimmte Aufgaben und Befugnisse wahrzunehmen 6. Die Notwendig- 4 Von coalescere = sich vereinigen; con, cum = mit, alere = nähren, ernähren. 5 BVerfG , AP Nr. 31 zu 2 TVG: Es ist mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit vereinbar, nur solche Koalitionen an der Tarifautonomie teilnehmen zu lassen, die in der Lage sind, den von der staatlichen Rechtsordnung freigelassenen Raum des Arbeitslebens durch Tarifverträge sinnvoll zu gestalten, um so die Gemeinschaft sozial zu befrieden ; ebenso BAG , AP Nr. 25 zu 2 TVG. 6 So für die Betriebsverfassung BAG , NZA 2007, 518, 520 ff.
5 II. Koalitionen 15 keit der Unterscheidung zwischen tariffähigen und nicht tariffähigen Koalitionen ergibt sich aus der unterschiedlichen Zielrichtung von Art. 9 Abs. 3 GG und 2 TVG. Der Schutz der Koalitionsfreiheit muss auch Arbeitnehmerkoalitionen zukommen, die auf anderem Wege als durch Tarifabschlüsse Arbeitnehmerinteressen wahrnehmen wollen, und vor allem auch Koalitionen, die noch nicht die Leistungsfähigkeit erreicht haben, die sie zu einem gleichgewichtigen Verhandlungspartner machen. Folgerichtig muss, wer den Koalitions- mit dem Gewerkschaftsbegriff gleichsetzt 7, die Anforderungen an die Gewerkschaftseigenschaft herab- oder die an die Koalitionseigenschaft hinaufsetzen; im ersten Fall tut er sich schwer zu erklären, wie diese Koalitionen ihren Aufgaben im Arbeitsleben gerecht werden sollen, im zweiten verkürzt er den Grundrechtsschutz. Auf Arbeitgeberseite werden sowohl tariffähige als auch nicht tariffähige Zusammenschlüsse als Arbeitgeberverbände bezeichnet. Waren nicht tariffähige Arbeitgeberverbände bis vor kurzem praktisch unbekannt, so gibt es mittlerweile in zahlreichen Tarifbereichen Verbände, die ihren Mitgliedern zwar die üblichen Dienstleistungen (Rechtsberatung, Information, Prozessvertretung) anbieten, aber keine Tarifverträge abschließen. Andere tariffähige Verbände bieten eine OT (= ohne Tarifbindung) -Mitgliedschaft an, d. h. eine Mitgliedschaft, die zur Inanspruchnahme der Verbandsleistungen, u. U. sogar zum Anspruch auf Unterstützung bei Firmentarifverhandlungen führt, nicht aber zur Bindung an den Verbandstarifvertrag 8 ; zu Einzelheiten s. 13 Rn. 75 ff Merkmale im einzelnen Der Begriff Koalition ist aus Art. 9 Abs. 3 GG zu entwickeln, der von Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen spricht. Weitere Voraussetzungen ergeben sich aus der Funktion als Interessenvertretung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Im einzelnen ist fast alles streitig. Die Diskussion leidet darunter, dass nicht immer exakt nach den Voraussetzungen für eine Koalition und für eine tariffähige Koalition unterschieden wird. 9 7 So etwa Schaub/Koch, ArbR-Hdb., 13. Aufl. 2009, 187 Rn Zur Zulässigkeit BAG , NZA 2006, 1225, 1230 ff.
6 16 12 Koalitionsrecht Voraussetzungen für eine (tariffähige) Koalition 9 Koalition 1. Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern a) körperschaftliche Struktur aa) auf eine gewisse Dauer angelegt bb) unabhängig vom Mitgliederwechsel cc) eigene Organe b) privatrechtlich organisiert c) frei gebildet 2. Zweck: Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 3. Geeignetes Mittel a) unabhängig vom sozialen Gegenspieler aa) gegnerfrei bb) rechtlich und tatsächlich unabhängig b) überbetrieblich organisiert c) unabhängig von dritten Mächten (Staat, Kirche, Parteien) Tariffähige Koalition (= Tarifvertragspartei: Gewerkschaft oder Arbeitgeberverband) 1. Vereinigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern a) körperschaftliche Struktur aa) auf eine gewisse Dauer angelegt bb) unabhängig vom Mitgliederwechsel cc) eigene Organe b) privatrechtlich organisiert c) frei gebildet 2. Zweck: Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 3. Geeignetes Mittel a) unabhängig vom sozialen Gegenspieler aa) gegnerfrei bb) rechtlich und tatsächlich unabhängig b) überbetrieblich organisiert c) unabhängig von dritten Mächten (Staat, Kirche, Parteien) 4. Zusätzlich für Tariffähigkeit a) demokratisch organisiert b) tarifwillig c) bereit, das geltende Tarif-, Schlichtungsund Arbeitskampfrecht anzuerkennen d) tauglich ( soziale Mächtigkeit ) aa) Durchsetzungskraft bb) Leistungsfähigkeit der Organisation e) Arbeitskampffähigkeit, nicht: -willigkeit a) Vereinigung 9 10 aa) Verein oder auch Gesellschaft? Die h. L. liest Vereinigung als Verein 10. Der Grund dafür dürfte in der Annahme zu sehen sein, dass Vereinen die Gewähr für einen Zusammenschluss auf eine gewisse Dauer zugeschrieben wird, weil sie unabhängig vom Mitgliederbestand sind, und dass in ihnen eine organisierte Willensbildung sichergestellt ist 11. Diese Überlegungen sind nicht zwingend. Auch Gesellschaften können auf Dauer angelegt sein, und 709 BGB sichert auch bei 9 Die Voraussetzungen entsprechen der Rspr. (vgl. z. B. BAG , NZA 2011, 300) und, soweit diese fehlt, der h. L., vgl. Schaub/Koch, ArbR-Hdb. 187 m. w. N. 10 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, 9 III Vgl. Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, 9 III 2.
7 II. Koalitionen 17 ihnen eine gemeinschaftliche Willensbildung. Da Art. 9 Abs. 3 GG auf Abs. 1 Bezug nimmt, der von Vereinen und Gesellschaften spricht, liegt es näher, mit 2 Abs. 1 VereinsG jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat 12, als durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt anzusehen. Anders ist es bei der Gewerkschaftseigenschaft. Hier reicht ein Zusammenschluss auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage nicht aus. bb) Auf eine gewisse Dauer angelegt. Der Zusammenschluss darf sich nicht in Einmalaktionen (z. B. Protestdemonstration) erschöpfen. Erforderlich ist ein Zusammenschluss für eine gewisse Dauer 13, in jedem Fall über die Gründungsversammlung hinaus 14. Das schließt ad-hoc-koalitionen, d. h. Koalitionen zur Verfolgung bestimmter konkreter Ziele, nicht aus 15. cc) Korporative Verfassung oder organisierte Willensbildung? In der Lehre wird mehrheitlich eine korporative Verfassung (Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel, korporative Organe) verlangt 16. Das deckt sich mit der Gleichsetzung von Vereinigung und Verein. Geht man davon aus, dass auch Gesellschaften Koalitionen sein können, dann muss die Möglichkeit einer Gesamtwillensbildung genügen 17. dd) Privatrechtlich organisiert. Koalitionen können nur privatrechtliche Vereinigungen sein. Sie sollen bei der Verfolgung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen frei sein von staatlichem Einfluss. Öffentlich-rechtliche Verbände bedürfen der Anerkennung durch Staatsakt, und sie unterliegen einer staatlichen Aufsicht 18. ee) Frei gebildet 19. Der Zusammenschluss in Zwangsverbänden (öffentlich-rechtlich: Kammern, privatrechtlich: Betriebsrat, Sprecherausschuss) würde die Arbeitnehmer und Arbeitgeber daran hindern, Koalitionen mit anderer Zielsetzung zu gründen Löwisch/Rieble, 2 TVG Rn. 49 m. w. N. 13 Schaub/Treber, ArbR-Hdb., 189 Rn. 14, MünchArbR/Löwisch/Rieble, 155 Rn Die häufig anzutreffende gegenteilige Behauptung beruht darauf, dass unter einer ad-hoc-koalition vielfach eine Koalition verstanden wird, die sich in flüchtigem Zusammenwirken erschöpft, so etwa Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, Rn Moll/Hamacher, MAH Arbeitsrecht, 71 Rn Löwisch/Rieble, 2 TVG Rn. 51 m. w. N. 18 H.L., Schaub/Treber, ArbR-Hdb., 189 Rn BVerfGE 4, 96; Löwisch/Rieble, 2 TVG Rn Schaub/Treber, ArbR-Hdb., 189 Rn. 15.
8 18 12 Koalitionsrecht b) Zweck: Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 15 Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sind als einheitlicher Ausdruck zu lesen: Gemeint ist die Wahrnehmung sozialpolitischer Interessen der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber und umgekehrt (s. 13 Rn. 144 ff.) 21. Keine Koalitionen sind also Konsumvereine oder Wirtschaftsverbände, die sich im wirtschaftspolitischen Bereich (Kartellrecht, Außenwirtschaftsrecht, Steuerrecht) betätigen. Die Wahrnehmung von Interessen im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen muss zumindest der Hauptzweck sein 22. c) Folgerungen aus dem Zweck 16 16a Aus dem Zweck der Koalitionen, Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, ergibt sich eine Reihe von rechtlichen Folgerungen: aa) Unabhängigkeit vom sozialen Gegenspieler. Die Vereinigung darf nicht strukturell vom sozialen Gegenspieler abhängig sein. Die eigenständige Interessenwahrnehmung darf nicht durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet werden 23. (1) Gegnerfreiheit (= Gegnerreinheit). Arbeitnehmer dürfen nicht an führender Stelle in einer Arbeitgeberkoalition, Arbeitgeber in dieser ihrer Eigenschaft nicht an führender Stelle in einer Arbeitnehmerkoalition tätig sein. Gemischte Verbände, sog. Harmonieverbände, sind keine Koalitionen; sie spielen auch schon lange keine Rolle mehr. Heute sind die Querverbindungen subtiler. Arbeitsdirektoren, die im Montanbereich nicht gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter bestellt werden können ( 13 Abs. 1 MontanMitbestG) und die dort deshalb in der Regel einer Gewerkschaft angehören, sind u. a. zuständig für die Tarifpolitik. Infolgedessen sitzen bei Tarifverhandlungen im Montanbereich auf beiden Seiten des Tischs nicht selten Mitglieder derselben Gewerkschaft. Der AGV Eisen und Stahl ist darum nicht Mitglied der BDA 24. Ähnliche Probleme gibt es bei kommunalen Arbeitgeberverbänden. Umgekehrt sind zahlreiche leitende Angestellte Mitglieder in Gewerkschaften. Ausschlaggebend ist, inwieweit sie am Entscheidungsprozess beteiligt sind 25. Innerhalb der Gewerkschaften werden die Arbeitnehmerinteressen de facto von den Betriebsräten wahrgenommen. Einer 1994 gegründeten Koalition von Arbeitnehmern des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften, die das 21 Dazu Söllner, Arbeitsrecht der Gegenwart 16 (1978), S. 19 m. w. N. 22 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, 9 III Allg. M., BVerfGE 18, 18; BAG , NZA 2005, Zu den Auswirkungen der paritätischen Mitbestimmung auf die Tariffähigkeit Zöllner/Loritz/ Hergenröder, Arbeitsrecht, 35 I BAG , AP Nr. 24 zu Art. 9 GG.
9 II. Koalitionen 19 bewährte Institut der Tarifautonomie auch im innergewerkschaftlichen Raum zur Geltung bringen will 26, fehlt noch die Mächtigkeit 27. (2) Rechtliche und tatsächliche Unabhängigkeit. Unzulässig wäre die Gründung einer Gewerkschaft durch Arbeitgeber oder deren Finanzierung in einem Umfang, der befürchten lässt, dass eine Einstellung die Willensbildung der Organisation beeinflussen kann 28, wie früher bei den sog. gelben Gewerkschaften oder vor einigen Jahren bei der Gewerkschaft Neue Brief- und Zustelldienste (GNBZ) 29. Eine gewisse von der h. L. noch tolerierte Abhängigkeit bedeutete die Einziehung der Gewerkschaftsbeiträge durch die Unternehmen 30. Immerhin verlor die (damalige) IG Chemie-Papier-Keramik eine ganz beträchtliche Zahl von Mitgliedern, als die Unternehmen der chemischen Industrie den Einzug der Beiträge nach dem Streik im Jahre 1971 einstellten. bb) Überbetrieblich organisiert 31. Historisch gesehen ist die Forderung nach Überbetrieblichkeit gemeint ist eine Organisation über das Unternehmen hinaus ein Unterfall der Forderung nach Unabhängigkeit vom sozialen Gegenspieler. Als es noch keinen Kündigungsschutz gab, konnte der Arbeitgeber sog. Werksvereine einfach durch Kündigung seiner Mitglieder auflösen. Nachdem dieser Grund entfallen ist, wird teilweise auf das Merkmal der Überbetrieblichkeit verzichtet 32, teilweise werden andere Gründe genannt: Koalitionen könnten ihrem Schutzauftrag nur gerecht werden, wenn sie sich für alle Arbeitnehmer einer Branche in der Region öffneten. Überbetriebliche Organisationen böten eine bessere Gewähr für ein gesamtwirtschaftliches und gesamtgesellschaftliches Verhalten. Und schließlich: Eine überbetriebliche Organisation führe zu einer besseren Abgrenzung gegenüber den betriebsverfassungsrechtlichen Organen 33. Für die Koalitionseigenschaft ist das Postulat der Überbetrieblichkeit nicht einzusehen; für die Tariffähigkeit hat das Argument der Konkurrenz zu Betriebsverfassungsorganen eine gewisse Plausibilität. Eine Teilmenge der Arbeitnehmer die gewerkschaftlich organisierten könnte Recht schaffen, das der für alle geltenden Betriebsvereinbarung übergeordnet ist. Zu bedenken ist aber, dass diese Teilmenge im Gegensatz zum Betriebsrat das Streikrecht hätte. Schon bisher wurden Ausnahmen für Arbeitnehmervereinigungen in besonders großen Unternehmen gemacht, nämlich für Post und Bahn Vgl. Präambel der Satzung des Verbandes der Gewerkschaftsbeschäftigten (VGB). 27 Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften dürfen die Mitgliedschaft in dieser Koalition nicht verbieten, vgl. BAG , AP Nr. 87 zu Art. 9 GG. 28 BAG , NZA 2005, LAG Köln , AuR 2009, Löwisch/Rieble, 2 TVG Rn. 74 ff., hier auch zu anderen Finanzierungsformen. 31 BAG , NZA 2005, BVerfGE 18, 18; anders aber bspw. BAG , AP Nr. 36 zu 2 TVG. 33 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, 9 III 7.
10 20 12 Koalitionsrecht 22 cc) Unabhängigkeit von dritten Mächten, d. h. von Staat, Kirche und Parteien. Die Koalitionen sollen die Ziele ihrer Mitglieder verfolgen, nicht die anderer Institutionen. Sie dürfen sich deshalb in ihren Satzungen nicht von Kirchen und Parteien abhängig machen, sei es durch personelle Verzahnung, sei es durch Unterwerfung unter die Ziele dieser Institutionen 34. Eine freiwillige Anlehnung ( Richtungsgewerkschaft ) schadet dagegen nicht 35. Die Gefahr der Behinderung beim Verfolgen eigener Ziele besteht natürlich auch und erst recht bei staatlicher Einflussnahme, und zwar gleichgültig, ob über organisatorische Regelungen (Einheitsgewerkschaft) oder über die Zuweisung von Mitteln. d) Tariffähigkeit aa) Demokratisch organisiert 36. Die Mitglieder müssen die Möglichkeit haben, unmittelbar oder mittelbar an der Willensbildung der Koalition mitzuwirken, weil die Tarifbestimmungen für sie unmittelbar und zwingend gelten und damit ihre Berufsfreiheit beschränken 37. Mittelbare Mitwirkung geschieht durch Wahl der Organe auf Zeit, unmittelbare durch Abstimmung insbesondere über Tarifforderungen, Arbeitskampf und Tarifabschluss. Die Wahl muss nach demokratischen Regeln durchgeführt werden; eine Gewichtung der Stimmen auf Arbeitgeberseite nach der Zahl der bei ihnen Beschäftigten und nach dem (ebenfalls beschäftigungsabhängigen) Beitrag schadet nicht. bb) Tauglichkeit ( soziale Mächtigkeit ). Um ihre Aufgaben als Tarifpartner sinnvoll erfüllen zu können, muss eine Arbeitnehmervereinigung Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler haben 38. Sie muss zumindest so viel Druck ausüben können, dass sich die Arbeitgeberseite veranlasst sieht, sich auf Tarifverhandlungen einzulassen. Das bedeutet nicht, dass die Arbeitnehmerkoalition die Chance eines vollständigen Siegs hat. Es muss aber erwartet werden können, dass sie von ihrem sozialen Gegenspieler ernst genommen wird und dass vereinbarte Tarifbedingungen nicht allein den Vorstellungen der Arbeitgeberseite entsprechen. Darüber hinaus muss die Koalition von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Der Tarifvertrag muss vorbereitet werden, und er muss tatsächlich durchgeführt werden. Deshalb müssen Organe vorhanden sein, die verantwortlich für die Koalition handeln. Das erfordert eine körperschaftliche Verfassung. Personengesellschaften sind für diese Aufgaben ungeeignet; die sachgerechte Rechtsform ist der rechtsfähige oder der nicht rechtsfähige Verein. Daran werden in aller Regel ad-hoc-koalitionen schei- 34 Löwisch/Rieble, 2 TVG Rn. 83 ff. 35 BAG , AP Nr. 6 zu 118 BetrVG 1972; LAG Düsseldorf , AP Nr. 2 zu Art. 9 GG; Schaub/Treber, ArbR-Hdb., 189 Rn Dazu BAG , NZA 2006, 1112, Löwisch/Rieble, 2 TVG Rn BAG , AP Nr. 38 zu 2 TVG; BAG , NZA 2005, 697; BAG , NZA 2006, 1112; BAG , NZA 2011, 300; dagegen u. a. Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, 35 I 2 a, dies erschwere die Bildung neuer Gewerkschaften übermäßig (Art. 9 Abs. 3 GG).
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