5. Forschungspraxis II Durchführung 5.1. Erhebungsverfahren
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- Chantal Beutel
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1 5. Forschungspraxis II Durchführung 5.1. Erhebungsverfahren Problemzentriertes Interview (fokussiertes Interview, ethnographisches Interview) Witzl (1982, 1985) selbst hat engere Grenzen. Wir wollen alle Formen der offenen, halbstrukturierten Befragung darunter zusammenfassen. Interview lässt Befragte möglichst frei zu Wort kommen, um offenem Gespräch nahe zu kommen, ist aber zentriert auf bestimmte Problemstellung, die Interviewer einführt, auf die immer wieder zurückgekommen wird. Interviewer hat Problemstellung vorher analysiert, Aspekte erarbeitet, in Interviewleitfaden zusammengefasst. Witzel (1982, 1985): Methodenentwicklung ursprünglich für seine Untersuchung Formen des Übergangs jugendlicher Schulabsolventen in die Berufswelt. Witzels Leitlinien: Problemzentrierung: an gesellschaftlichen Problemstellungen ansetzen, deren wesentliche objektive Aspekte von Forscher bereits vor Interviewphase erarbeitet. Gegenstandsorientierung: konkrete Gestaltung auf spezifischen Gegenstand bezogen, keine Übernahme fertiger Instrumente. Prozessorientierung: flexible Analyse der Fragestellung, schrittweises reflexives, adaptives Gewinnen und Prüfen von Daten. Erkenntnisgewinn als induktiv-deduktives Wechselspiel Wichtig für die Interviewdurchführung: Offenheit, d.h. keine vorgegebenen Antwortalternativen. Vorteil: kann prüfen, ob man von Befragten überhaupt richtig verstanden wurde Befragte können ihre subjektiven Perspektiven und Deutungen offen legen Befragte können selbst Zusammenhänge, größere kognitive Strukturen im Interview entwickeln Interviewsituation ist thematisierbar Damit: STÄRKERE VERTRAUENSBEZIEHUNG zw. Interviewer und Interviewtem begründen. Interviewte soll sich ernst genommen, nicht ausgehorcht fühlen! Grundgedanken des problemzentrierten Interviews: der sprachliche Zugang wird gewählt, um die Fragestellung vor dem Hintergrund subjektiver Bedeutungen - vom Befragten selbst formuliert - zu eruieren Dafür sollte eine Vertrauenssituation zwischen Interviewer und Befragtem soll entstehen Die Forschung setzt dabei an konkreten gesellschaftlichen Problemen an, deren objektive Seite vorher analysiert wird Durch den Interviewleitfaden werden die Befragten zwar auf bestimmte Fragestellungen hingeleitet, sie sollen und können aber offen, ohne Antwortvorgaben, darauf reagieren Block II Christian Kraler 1
2 Ablauf: (a) Formulierung, Analyse des Problems am Anfang. (b) Daraus zentrale Aspekte für Interviewleitfaden zusammenstellen. Enthält die einzelnen Thematiken des Gesprächs in vernünftiger Reihenfolge, jeweils Formulierungsvorschläge für konkrete Fragen (zumindest Einstiegsfrage). (c) Pilotphase: Probeinterviews, für Leitfadentesten + Modifikation und Interviewschulung (d) konkrete Interviewphase: 3 Teile (d1) Sondierungsfragen, ganz allgemeine Einstiegsfragen in eine Thematik. Dabei soll herausgefunden werden, ob das Thema für den einzelnen überhaupt wichtig ist, welche subjektive Bedeutung es bestitz. (d2) Leitfadenfragen sind die Themenaspekte, die als wesentlichste Fragestellungen im Interviewleitfaden festgehalten sind. (d3) Der Interviewer wird hin und wieder Ad-hoc-Fragen fomulieren müssen, weil er im Verlauf des Interviews immer wieder auf Aspekte stößt, die im Leitfaden nicht verzeichnet (aber dennoch für das Gespräch oder die Thematik bedeutsam ) sind. Material festhalten: In Regel mit Einverständnis des Interviewten Tonbandaufzeichnung, notfalls während Gespräch mitprotokollieren Ablaufmodell des problemzentrierten Interviews Anwendungsgebiete: häufig bei stärker theoriegeleiteter Forschung mit spezifischen Fragestellungen, da kein rein explorativer Charakter. Überall, wo schon Rahmenbedingungen zur Fragestellung bekannt, wo dezidierte, spezifischere Fragen im Vordergrund stehen. die teilweise Standardisierung erleichtert Vergleichbarkeit mehrerer Interviews, leichtere Auswertung, bei größerer Fallzahl (Stichprobe) leichtere Verallgemeinerbarkeit. Block II Christian Kraler 2
3 Narratives Interview (episodisches Interview) Fritz Schütze 1977, Bielefelder Soziologe: Idee: Interviewpartner zum freien Erzählen animieren. Hintergrund: Annahme, es gibt subjektive Bedeutungsstrukturen, die sich im freien Erzählen über bestimmte Ereignisse herausschälen, sich systematischer Abfrage jedoch verschließen würden. Auch im Alltag spielt erzählen zentrale Rolle Erzählungen sind natürliche, in Sozialisation eingeübte Diskursverfahren, mit denen sich Menschen untereinander der Bedeutung von Geschehnissen ihrer Welt versichern Über Erzählungen werden übergreifende Handlungszusammenhänge und verkettungen sichtbar Erzählungen dienen auch der Verarbeitung, Bilanzierung, Evaluierung (Märchen etc.) Schützes Technik: Interviewpartner werden aufgefordert, zu bestimmtem Thema typische Geschichte aus ihrem Leben zu erzählen, wichtiges Ereignis, Schlüsselerlebnis, typischen Geschehensablauf. Interviewer greift während der Erzählung nicht ein, Ausnahme: roter Faden der Geschichte geht verloren. Linguistik: Erzählungen haben in der Regel bestimmte Strukturen (Einführender Überblick, Worum geht s, Komplikation, Einschätzung des Geschehens, Auflösung, Coda vgl. weiter unten). Interviewer versucht allenfalls, Erzählaufbau zu unterstützen. Struktur ist Grundlage für späteren Vergleich verschiedener Interviews. Strukturierung des Gesprächs wird nicht von Interviewer vorgenommen, liegt vielmehr in Sprachform! Grundgedanken: weniger standardisierte Variante Interviewpartner wird frei zum Erzählen animiert -so daß sich subjektive Bedeutungsstrukturen im freien Erzählen über bestimmte Ereignisse herausschälen, die sich einem systematischen Abfragen verschließen würden. Die Strukturierung des Gesprächs geschieht durch den universellen Ablaufplan von Erzählungen, den der Interviewer unterstützt. Universelle sechsteile Erzählstruktur / universeller Ablaufplan von Erzählungen: Abstract als einführender Überblicksteil; Orientierung als Schilderung, worum es geht; Komplikation; Evaluation als Einschätzung des Geschehens; Auflösung; Koda als Schlußbetrachtungen. Block II Christian Kraler 3
4 Ablaufmodell narratives Interview Anwendungsgebiete: eignen sich für Thematiken mit starkem Handlungsbezug sind mehr für explorative Fragestellungen einsetzbar, vor allem wenn es um schwer abfragbare subjektive Sinnstrukturen geht. unerforschte Gebiete, Neuland Anmerkung zum episodischen Interview: Kernpunkte: Erzählaufforderung - regelmäßige Aufforderung zum Erzählen von Situationen (Situationsketten) und Frage nach subjektiven Definitionen subjektive Erfahrungen und Wissen über Gegenstandsbereiche in folgenden Formen: narrativ-episodisch: erfahrungsnah, konkret situations- und kontextbezogen semantisch: situationsabstrahiert, verallgemeinert, Begriffe in Beziehung untereinander Zentrale Momente: Aufmerksamkeit im Interview auf Situationen, Episoden legen, in denen Interviewpartner Erfahrungen gemacht hat, die für Fragestellungen relevant sind. Interview muss keine ganze Erzählung sein, etwa auch Kombination von Erzählung und regelorientiertem Wissen. Grenzen: kein unmittelbarer Zugang zu Handeln in konkreten Situationen, zu Interaktionen Block II Christian Kraler 4
5 Gruppenverfahren: Gruppendiskussion, Gruppeninterview, gemeinsames Erzählen In , Einzelerhebungen Einlassen auf subjektive Bedeutungsstrukturen. Der Mensch als soziales Wesen (Marcuse) Hannah Arendt, The Human Condition : This special relationship between action and being together seems fully to justify the early translation of Aristotle's zoon politikon by animal socialis, already found in Seneca, which then became the standard translation through Thomas Aquinas: homo est naturaliter politicus, id est, socialis ("man is by nature political, that is, social"). Grundgedanken: Viele subjektive Bedeutungsstrukturen und Meinungen sind so stark in soziale Zusammenhänge eingebunden, daß sie nur in Gruppendiskussionen erhebbar sind. Vorurteile und Ideologien werden eher offenbart. Durch Gruppendiskussion, wenn sie gut geführt werden, können Rationalisierungen durchbrochen werden und die Beteiligten legen dann Einstellungen offen, die auch im Alltag ihr Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. Solche subjektiven Bedeutungsstrukturen entstehen ja auch im wesentlichen in sozialen Situationen, in Alltagsdiskussionen. Durch Gruppendiskussionen kann man an so etwas wie öffentliche Meinung, kollektive Einstellungen, Ideologien herankommen. Gruppendiskussion öffentliche Meinung kollektive Einstellungen Ideologien Gruppenbildung bereitet oft Schwierigkeiten. Sie sollen 5 bis 15 Teilnehmer umfassen und möglichst im Alltag als Gruppe bestehen. Phaseneinteilung: Grundreiz: provozierende Textstelle, Video, Diskussion: LeiterIn soll möglichst wenig dirigieren, allenfalls weitere Reizargumente Metadiskussion: Gespräch über Gespräch, Möglichkeit zu Lernprozessen für die Gruppe(nmitglieder) Ablaufdiagramm Gruppendiskussion Block II Christian Kraler 5
6 Anwendungsgebiete: Die Gruppendiskussionsmethode eignet sich besonders zur Erhebung kollektiver Einstellungen, latenter Sinngehalte, Ideologien und Vorurteile, alltäglicher Sinngehalte, die in sozialen Situationen entstehen. Bei dieser Technik können auch größere Stichproben verwendet werden. Gruppeninterviews (Focus Groups), Merton/Kendall (1956) (vgl. Merton, Kendall 1945: Fokussiertes Interview) Augenmerkt auf Objektivität des Interviewleiters Vermittlung zw. verschienen TeilnehmerInnen Dominanzen vermeiden zurückhaltende Gruppenmitglieder zur Diskussionsteilnahme ermuntern Thema in Diskussion abdecken Balance zw. Steuerung und Moderation der Gruppe beachten Gruppendiskussion: besonderes Gewicht bei Stimulierung einer Diskussion sich entwickelnde Dynamik als Erkenntnisquelle nutzen Gruppenzusammensetzungen: natürliche/reale-künstliche, homogen-heterogen, Gemeinsames Erzählen: Hildenbrand, Jahn (1988): Ausgangspunkt waren Beobachtungen bei Familienstudien, wo diese gemeinsam erzählen, darüber Bereiche ihrer (sozialen) Wirklichkeit neu strukturieren und konstruieren. Gespräch soll Gruppe möglichst selbst gestalten Beobachtungsprotokolle Transkriptionen Block II Christian Kraler 6
7 (Teilnehmende) Beobachtung Besonders in USA standen Beobachtungen in Geschichte qualitativer Forschung und in methodischer Diskussion in Mittelpunkt. Fragen zu Konzeption von Beobachtungen und Rolle des Beobachters. Anspruch: mit Beobachtung in Feld herausfinden, wie etwas tatsächlich funktioniert. Beobachten ist neben Sprechen eine weitere Alltagskompetenz, die in QF methodisch systematisiert verwendet wird. Beobachtungsarten: verdeckte-offene Beobachtung nicht teilnehmende-teilnemende Beobachtung systematisch-unsystematisch Beobachtung natürliche-künstliche Situation Selbst-Fremd Beobachtung Teilnehmendes Beobachten ist die Standardmethode der Feldforschung: ist eine Feldstrategie, die gleichzeitig Dokumentenanalyse, Interviews mit Interviewpartnern und Information, direkte Teilnahme und Beobachtung sowie Introspektion kombiniert Eintauchen des Forschers in Feld Idee: näher am Gegenstand, Innenperspektive erheben. Geschichte der Methode: 2 Stränge: Kulturanthropologie: Eingeborene in Neuguinea seit 20iger (Branislaw Malinkowski) Chicago-Schule der Soziologie: seit 20iger, Lebenswelt von Landstreichern (Anderson), E.C. Lindemann prägt Begriff teilnehmende Beobachtung Der teilnehmende Beobachter nimmt selbst teil an der sozialen Situation, in der der Gegenstand eingebettet ist. steht in direkter Beziehung mit den Beobachteten sammelt Daten, während er an deren natürlicher Lebenssituation partizipiert d.h. näher am Gegenstand, man kann eher die Innenperspektive erheben. Bspl. Untersuchungen von Eingeborenen in Neuguinea Untersuchungen der Lebenswelt von sog. Landstreichern Grundgedanke: Mit teilnehmender Beobachtung möchte der Forscher eine größtmögliche Nähe zu seinem Gegenstand erreichen, er/sie will die Innenperspektive der Alltagssituation erschließen. dabei wird höchstens halb-standardisiert vorgegangen. Teilnehmende Beobachtung als qualitative Technik muß offen sein. Beobachtungsleitfaden, der genauer aufschlüsselt, was beobachtet werden soll. Ausführliche Kommentare seitens des Beobachters und Möglichkeit der Herausarbeitung neuer Aspekte. Block II Christian Kraler 7
8 Parallelen zum qualitativen Interview. Weder völlig frei noch vollständig strukturierte Vorgehensweise. Die wichtigsten Beobachtungsdimensionen werden vorher theoriegeleitet festgelegt und in einem Beobachtungsleitfaden zusammengestellt. Beobachter muß ihn verinnerlicht haben und seinen Beobachtungsprotokollen (möglichst detailliert) zugrunde legen. So werden die Beobachtungen verschiedener Forscher und unterschiedlicher Situationen vergleichbar und die Ergebnisse leichter verallgemeinerbar. Problem: Zugang zum Untersuchungsfeld. Ablaufplan der teilnehmenden Beobachtung Anwendungsgebiete: der Gegenstand ist in sozialen Situationen eingebunden/eingebettet der Gegenstandsbereich ist von außen schwer einsehbar die Fragestellung hat eher explorativen Charakter (für hypothesengenerierende Fragestellungen, Strukturierung von Neuland) Ethnographie Forschungsstrategie, die alle nur denkbaren und ethisch vertretbaren Optionen der Datengewinnung einschließt. Methoden der Datenerhebung nachgeordnet hinter Strategien der Teilnahme am untersuchten Feld, der Interpretation und Darstellung von Ergebnissen Ethnograph nimmt für längere Zeit am Alltag der Menschen teil, beobachtet, was passiert, hört zu, stellt Fragen, sammelt alles was immer an Daten verfügbar ist, um Thema näher zu beleuchten. Problem der methodischen Beliebigkeit Block II Christian Kraler 8
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