Sprachkontakte Björn Wiemer
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- Max Schmid
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1 Universität Konstanz, FB Sprachwissenschaft Vorlesung: Einführung in die Linguistik, WS 2005/06 Sprachkontakte Björn Wiemer Skript 3 4. Vom Code-Switching zum Fused Lect In diesem Abschnitt werden Erscheinungen angesprochen, die die Alternation von Lekten in gesprochener Sprache und deren mögliche Folgen für die Struktur sprachlicher Codes betreffen. Genauer geht es um den Versuch, drei Arten von Sprachmischung im Diskurs und auf Systemebene als fokale Punkte auf einem Kontinuum zu betrachten, bei dem am Anfang eine rein diskurspragmatisch bedingte Alternation sprachlicher Codes, die zu unterschiedlichen Lekten gehören, steht (Code-Switching), während sich am Ende über Sprachmischung de facto ein neuer Sprachcode formt, der nicht mehr Gegenstand diskurspragmatischer Alternation ist (Fused Lect). Die folgenden Ausführungen beruhen auf dem Aufsatz Auer (1999). Man sollte Code-Switching, Language Mixing und Fused Lects unterscheiden (= fokale Punkte auf einem Kontinuum, s.u. Schema 1). Bevor wir zu ihren Bezügen untereinander kommen, seien diese Phänomene erst einmal an Beispielen vorgestellt. Dabei ist es wichtig, zwischen der strukturell orientierten Beschreibung grammatischer (und lexikalischer) Merkmale einerseits und der kommunikativen Funktion im verbalen Austausch andererseits zu unterscheiden. Besonders wichtig ist dies beim Code-Switching Code-Switching Strukturell beruht das Code-Switching auf einer Nebenordnung (Juxtaposition) von syntagmatischen Einheiten (in der Regel ganzen Sätzen bzw. Gliedsätzen) aus verschiedenen Lekten. Dies können verschiedene Sprachen sein, aber auch Varietäten einer Sprache, z.b. eine Alternation zwischen Standardsprache und Dialekt. Aus interpretativer (funktionaler) Sicht können die beiden Codes als Variablen betrachtet werden, welche man dazu verwendet (gewechselt), um in irgendeiner Weise auf die Redesituation oder einen der Kommunikationsteilnehmer Bezug zu nehmen. Die Möglichkeiten einer solchen Kontextualisierung sind im Prinzip unbegrenzt, und das Code-Switching ist eine im großen und ganzen okkasionelle Erscheinung. Deshalb lässt sich für das Code-Switching auch kein Regelwerk oder kein geschlossenes Inventar an situativen Cues angeben, die zu einem Anlaß für die Alternation in der Rede werden. Sehen wir uns einmal ein Beispiel an. 1
2 (39) Auer (1999: 311) In diesem Polylog erfüllt der Redeturn, welcher auf einmal italienisch (dialektal) geäußert wird, eine ganz andere pragmatische Funktion als der vorangehende Kontext. Während der Interaktion auf deutsch geht es (zumindest vordergründig) um die Klärung der Frage, wo sich der nächste Spielplatz befindet. Die Kinder versuchen dies dem Erwachsenen (markiert mit m) zu erklären. In Zeile 07 ironisiert eines der Kinder über die Äußerung eines anderen Kindes ( weshalb sollte ein Erwachsener daran interessiert sein, sich nach Spielplätzen umzusehen? ). Diese Äußerung erfüllt eine ganz andere Funktion, und diese Veränderung der kommunikativen Variable darf als Auslöser für den Switch ins dialektale Italienische angesehen werden (welches vermutlich auch sonst von den Spielkameraden untereinander verwendet wird). In diesem Beispiel war das Code-Switching bedingt durch den Wechsel einer Variable des Diskurses selbst. Es gibt aber auch Fälle, in denen ein Wechsel in einen anderen Lekt durch die Orientierung an einem der Sprecher bedingt ist. Das soll das folgende Beispiel zeigen: (40) Auer (1999: 313) 2
3 Der kurze Ausflug ins Deutsche wird vom Partizipanten (Ag.) sofort korrigiert, da der Erwachsene (m) zuvor bereits begonnen hat Standarditalienisch zu reden. Das Kind sucht nach einem entsprechenden Ausdruck in dieser Varietät. In gewisser Weise wird hier ausgehandelt, welche Sprache als Code der aktuellen Kommunikation verwendet werden soll, und das Kind ist bemüht, sich nach der Sprachwahl des erwachsenen Partners zu richten. In jedem Fall ist der Switch ein Verfahren, um eine für die verbale Interaktion relevante ( meaningful ) Änderung der pragmatischen Funktion zu markieren Language Mixing Die Alternation sprachlicher Codes kann an Signifikanz verlieren (bezogen auf die jeweilige Kommunikationsgemeinschaft); anders gesagt: Code-Switching kann zu einer zunehmend unmarkierteren Redeweise werden. Derartige Verschleifungen der pragmatischkommunikativen Relevanz sind des öfteren in bilingualen Sprechergruppen festgestellt worden; so u.a. in der verbalen Interaktion puertorikanischer Einwanderer und ihrer Nachkommen in den USA (Spanisch-Englisch), in postkolonialen Gesellschaften Afrikas oder auch Indiens, aber ebenso in der Schweiz vor allem in Hinblick auf die Konstellation Italienisch-Schwyzertüütsch (d.i. einem alemannischen Dialekt des Deutschen; s. das folgende Beispiel). Auch in gelehrten Kontexten sind derartige Situationen bezeugt, z.b. in Form der gemischten Lateinisch-volkssprachlichen Konversation im Mittelalter und bis in die frühe Neuzeit hinein; Luthers Tischreden (s.u.) liefern hierfür illustres Anschauungsmaterial. Schauen wir uns nun ein Beispiel aus einem Gespräch zwischen italienischen Immigranten in der Schweiz an. (41) Auer (1999: 314f.) In einem solchen Fall scheint es unmöglich anzugeben, welche der beiden Sprachen die Grundlage für die Kommunikation (= Matrix-Code) darstellt. Die Alternationen bilden die Regel, nicht die Ausnahme. Aus struktureller Sicht werden die syntagmatischen Einheiten, welche alternieren, kleiner, sie sind nicht mehr einfach juxtaponiert. Aus funktionaler 3
4 (diskurspragmatischer) Sicht erscheinen sie wie Versatzstücke, die funktional an keine Änderung der Orientierung an Elemente der Redesituation und/oder an einen der Partizipanten geknüpft sind. Technischer gesprochen: es gibt keine klare Korrelation zwischen Wahl der Elemente eines Codes und einer illokutiven Intention (Sprechakttyp), und die Wahl der Elemente ist offenbar auch nicht bedingt durch die Orientierung an die Sprachwahl eines der Sprecher (es gibt kein Aushandeln des Codes). Nichtsdestotrotz darf man davon ausgehen, dass die beteiligten Sprecher sich des zweisprachigen Charakters ihrer Redeweise bewusst sind. Und oft dient ihnen ein derart gemischter Code als Identifizierungsmittel untereinander, als In-Group-Varietät (bzw. als Mittel der Abgrenzung nach außen); Language Mixing hat also per se auch eine symbolische Funktion. Nicht immer ist Language Mixing so symmetrisch alternierend wie im letzten Beispiel. Eine asymmetrischere Art der Mischung ist z.b. in vielen von Luthers Tischreden zu erkennen. Vgl. dazu das nächste Beispiel: (42) Auer (1999: 317f.) Elemente des Deutschen werden hier gelegentlich in eine lateinische Matrix eingeschaltet, nicht aber umgekehrt. (Dies entspräche einem insertional switch.) Es können aber ganze (Glied)Sätze auf deutsch erscheinen (was einem alternational switching entspräche) Fused Lects Die Resultate von Language Mixing gleichen Fused Lects hinsichtlich ihrer äußeren Struktur; ihre Unterschiede sind eigentlich grammatischer Natur. Denn während Language Mixing per 4
5 definitionem die Alternation zwischen Elementen zweier als distinkt erkannter Codes erlaubt (aber nicht zwingend erforderlich macht), wird die Verwendung solcher Elemente in einem Fused Lect verbindlich (obligatorisch). Die Alternation wird damit zu einem Bestandteil der Grammatik, oder anders herum: es konstituiert sich eine neue Grammatik (in herkömmlicher Hinsicht). Man kann beim Übergang von Language Mixing zu einem Fused Lect auch von struktureller Sedimentierung sprechen. Dies schließt folgende Vorgänge ein: Verlust an struktureller Variation Stabilisierung von Form:Funktions-Relationen. Wenn man einen Fused Lect als AB symbolisiert, so kann man sagen, dass seine grammatischen Elemente sich aus Teilen von A und von B (= L x + L y ) zusammensetzen. Da diese aber strukturell sehr unterschiedlich sein können, kann es schwierig sein, sie aneinander anzupassen. Infolgedessen entstehen neue Strukturen, welche weder denen in A noch denen in B entsprechen; es entsteht somit eine neue Grammatik (bzw. eine neue Sprache). In struktureller Hinsicht sind damit Fused Lects vergleichbar mit Kreolsprachen (s. Abschnitt 1). Allerdings unterscheiden sich beide Erscheinungen hinsichtlich ihrer Entstehung (in den prototypischen Fällen). Kreols (im engen Sinne) entstehen aus Pidgins, während diejenigen Varietäten, welche als Fused Lects gelten dürfen, nicht durch den Aufbau einer neuen Grammatik aus den Rudimenten anderer Sprachen zustandegekommen sind, sondern durch lang währende Anpassung zweier Sprachformen in Situationen asymmetrischer Zweisprachigkeit. So z.b. im Michif, der Sprache der Métis-Büffeljäger in Kanada, welches als das linguistische Resultat häufiger Ehen zwischen französischsprachigen Kolonisatoren (Männern) und einheimischen Indianerfrauen gilt. Ein anderes Beispiel wäre der Rómanes- Dialekt von Sintis in Deutschland. Vgl. dazu das folgende Beispiel: 5
6 (43) Auer (1999: 322f.) Für die Partikeln, trennbaren Verbpräfixe, Konjunktionen und Adverbien, welche hier eingeschlossen erscheinen, gibt es in diesem Sinti-Dialekt keine Alternativen. (Gleiches gilt für Modalverben, welche in diesem Beispiel nicht vorkommen.) Die Entstehung einer neuen Grammatik/Sprache AB bzw. das Fehlen von alternativen Ausdrucksweisen, wie sie noch beim Language Mixing möglich waren, zieht auch nach sich, dass ein Fused Lect von Sprechern gesprochen werden kann, die weder A noch B, d.i. die Ausпangssprachen der vorhergehenden Sprechergenerationen, beherrschen. Natürlich 6
7 verliert sich damit auch der symbolische Wert der gemischten Sprachverwendung, welche man noch hinsichtlich des Language Mixing feststellen kann Zusammenschau Die Unterschiede zwischen Code-Switching, Language Mixing und Fused Lects sind in dem folgenden Schema zusammengefasst. Schema 1: Auer (1999: 328) Dieses Kontinuum (mit seinen fokalen Punkten) soll nicht bedeuten, dass jede Art von Code- Switching sich weiter in Richtung auf ein Mixing bewegen muß, noch dass ein Language Mixing notwendigerweise zu einem Fused Lect führt. Mit dem Kontinuum ist nur die Möglichkeit eines diachronen Prozesses gegeben. Wenige solcher Prozesse lassen sich empirisch zurückverfolgen 1. 1 Auch ist hier der Begriff der Grammatikalisierung weiter gefasst als im Sinne der Grammatikalisierungstheorie (à la Lehmann, Heine, Bybee et al.). Er entspricht am ehesten dem Kontinuum aus Givón (1979): Diskurs(pragmatik) > Syntax > Morphologie > Phonologie bzw. dem bekannten Ausspruch Givóns Yesterday s discourse is today s syntax bzw. Yesterday s syntax is today s morphology. 7
Sprachkontakte Björn Wiemer
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