Hanseatisches Denken ist angesagt
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- Gerburg Holzmann
- vor 6 Jahren
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1 Hanseatisches Denken ist angesagt Gedanken von Stadtarchivar Otto Höffer zum Innenstadtentwicklungskonzept (Attendorn von Süden um 1800) Nach ungezählten Stunden des Nachdenkens hat unsere Stadtverwaltung den unglaublichen Mut bewiesen, ein offenes und ehrliches Ideenpaket zur Weiterentwicklung unserer Stadt zu verfassen und dies öffentlich zu machen. Ein ganz großer Wurf, wie ich meine, über den es sich nachzudenken lohnt. Vor allem deswegen, weil es in unserer 800jährigen Geschichte immer wieder uneigennützige große Ideenpakete gegeben hat, durch die sich die Stadt immer wieder weiterentwickeln konnte. Beim genaueren Blick in die facettenreiche Geschichte unserer Stadt und bei gleichzeitigem und sorgfältigem Studium des vorgelegten Konzeptes möchte man aus dem Herzen heraus das auf das Ganze gesehene Projekt einfach nur mit einem Wort als hanseatisch bezeichnen. Denn das Innenstadtprojekt ist ohne jeden Zweifel aus einem hanseatischen Denken heraus entwickelt worden, wie es unsere Vorväter nicht anders hätten denken können. Offensichtlich scheint in der einen oder anderen Ader noch dieses Ur- Attendorner Blut zu fließen und das ist gut so. Denn wir werden unsere Stadt nur weiterentwickeln können, wenn wir hanseatisch denken, wenn wir hanseatisch
2 diskutieren und hanseatisch zu Lösungen kommen, wie wir es von unseren Vorvätern vorgelebt bekommen haben. Hierzu fallen mir spontan Beispiele ein, die sicherlich in der 800jährigen Geschichte die Gemüter ähnlich in Wallung gebracht haben wie dies heute seinen Anfang zu nehmen scheint. Attendorner Münzen, 13. Jahrhundert Versetzen wir uns doch einmal in die Zeit der Stadtgründung, als Erzbischof Engelbert von Köln im Juni 1222 den Bürgern der Stadt Attendorn gestattete, eine neue Stadtbefestigung errichten zu dürfen. Was bedeutete das denn in der Praxis? Nun, man brauchte zunächst einmal rund um die Stadt einen 20 Meter breiten und 6 Meter tiefen Wassergraben. Vor diesem wurde mit dem ausgeschachteten Material der noch einmal so breite Wall errichtet. Als innerer Befestigungsring baute man dann die Stadtmauer mit 12 Türmen und 4 Toren. Man muss sich das vorstellen: Über Nacht wurde entschieden, dass ab sofort für dieses Projekt eine entsprechend große Fläche zur Verfügung zu stellen war man hat es einfach gemacht! Oder: Nehmen wir zu gleichen Zeit die Attendorner Kaufleute, deren Nachkommen heute noch, nach fast 690 Jahren, die altehrwürdige Nicolaikonfraternität bilden, die aus Köln zurückkamen und die Idee vorantrieben, die gerade mal 70 Jahre alte Pfarrkirche abzureißen und durch einen Neubau nach Kölner Vorbild zu ersetzen, mit einem Turm, der mehr als 30 Meter hoch war vor 800 Jahren man hat es einfach gemacht! Und diese wunderschöne romanische Dreikonchenbasilika hat man kurzerhand 150 Jahre später durch die heute noch vorhandene gotische Hallenkirche ersetzt, weil der Attendorner Hansekaufmann Robert von der Becke im hansischen Ostseeraum die Backsteingotik gesehen und schätzen gelernt hatte und deshalb am 17. Januar 1353 sein gesamtes Vermögen Testament-Auszug vom 17. Januar 1353
3 testamentarisch zur Verfügung stellte, um diese Idee auch umzusetzen man hat es einfach gemacht! Turm der Attendorner Pfarrkirche von 1220 Foto: Ralf Breer, Hattingen im Jahre 1978 Und als dann dieser Sauerländer Dom in seiner gotischen Pracht dafür sorgte, dass die Attendorner vor lauter Stolz kein Bein mehr vor das andere setzen konnten, haben sie noch einen draufgesetzt, indem sie auch noch ein gotisches Rathaus bauten; ein Gebäude, das es sonst nur in den großen Westfälischen Hansestädten gab man hat es einfach gemacht! Dieses Denken, zur Weiterentwicklung der Stadt immer wieder etwas Besonderes zu machen, kennzeichnet die Attendorner quer durch die Jahrhunderte. Es mag sein, dass gerade deshalb sich so viele Dinge aus uralten Zeiten erhalten haben, die aber immer noch passen, weil sie von den Attendornern gelebt werden. Hanseatisches Denken meint also vielleicht, andere Wege vielleicht quere Wege zu gehen, um letztlich für unsere Stadt das Beste heraus zu kitzeln. Und gerade diese queren Wege lassen sich auch durch alle Jahrhunderte der Stadtgeschichte nachweisen. Wege, die anders waren, unbequem dazu, um doch letztlich zu einem weiterentwickelnden Gedanken für die Stadt zu führen. Ich denke an den Zunftaufstand von Bis dahin war es undenkbar, dass die Handwerker an den Entscheidungsprozessen in der Stadt beteiligt wurden. Das besorgten für sie die Kaufleute. Bis eben 1455 die Handwerker auf die Barrikaden gingen, weil sie ein neues Denken hatten, das dazu führte, alte Strukturen aufzubrechen, um Neues zu schaffen. Und so kam es halt dazu, dass ab 1455 die Handwerker im Rahmen der vom Erzbischof neu erlassenen Ratsordnung als wählbare Mitglieder des Rates zugelassen wurden.
4 Oder denken wir an die Kölnischen Religionskriege oder wie wir es zu nennen pflegen, die Truchseß schen Wirren im Jahre Auch da haben die Attendorner bewiesen, dass ihr Denken nicht nur innerhalb der eigenen Stadtmauern passierte, sondern weit darüber hinaus, indem sie sich sogar dem Erzbischof als Landesherrn persönlich und seiner Streitmacht entgegenstellten, auch im Angesicht brutalster Diskriminierungen. Ich denke an den verheerenden Stadtbrand von 1783, bei dem innerhalb eines Tages bis auf wenige Ausnahmen die gesamte Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde. Hätten die Attendorner auch da nicht das uralte Hanseblut in ihren Adern gehabt und blitzschnell den Neuaufbau der Stadt betrieben, gäbe es uns heute wahrscheinlich gar nicht mehr. Damals hat man gegen Ausmaß des Brandes 1783 erbitterten Widerstand der kurkölnischen Regierung durchgesetzt, dass die Stadt ihren mittelalterlichen Grundriss bewahren durfte und trotzdem Neubau auf Neubau errichtete, um auch nach außen zu demonstrieren: Wir leben noch! Oder denken wir an die Industrialisierung unserer Stadt im 19. Jahrhundert, als die Mitglieder der bedeutendsten Familien Attendorns dazu übergingen, neuartige Verfahren des Metallgusses zu perfektionieren, um damit die Fundamente unserer heute florierenden Industrie zu legen. Sie haben es gemacht, weil sie davon überzeugt waren, es tun zu müssen, um Arbeitsplätze für die Menschen dieser Stadt zu schaffen. Was für eine Weitsicht und unter welchen Bedingungen! Attendorn nach einem Bombenangriff 1945 Nehmen wir die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs: Auch hier haben die Bürger in den Jahren nach dem Zusammenbruch bewiesen, dass die Stadt weiterlebt. Sie haben die Stadt wieder aufgebaut und als erstes ihr Wahrzeichen, den uralten Sauerländer Dom mit seinem 800jährigen Turm. Damals wurde die
5 Stadt Straße um Straße erneuert, um Platz zu schaffen für den Wirtschaftsboom unter Ludwig Erhard. Bahnbrechend und weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt wurde dann die sogenannte Attendorner Erleuchtung durch die Errichtung des Seniorenzentrums: Nicht draußen auf der grünen Wiese, sondern mitten in der Stadt! War das nicht auch hanseatisches Denken? Ein weiteres bahnbrechendes Projekt aus der neuesten Stadtgeschichte fällt mir ein, wenn ich an die Ennester Hochfläche denke. Im Mittelalter die Kornkammer Attendorns, wurde sie durch die Schaffung der Industriegebiete Ennest und Askay zur Goldkammer der Stadt. Welche Weitsicht, so etwas anzupacken auch hanseatisches Denken? Und nun geht es darum, wieder etwas Bahnbrechendes zu schaffen: Die Weiterentwicklung der Innenstadt durch liebenswerte Elemente, die das alte Denken erneut ankurbeln sollen. Dieses Denken muss wieder hanseatisch sein, es muss frei von Kleinkariertheit einen großen Wurf von Ideen umsetzen, die, gestärkt durch eine faire Diskussion, unsere Stadt für die nächste Epoche lebensfähig machen soll. Unser hochverehrter und langjähriger Pastor Johannes Klinkhammer (+) hat in seinen Predigten, vor allem an hohen Feiertagen, wenn die Kirche brechend voll war und viele es hören konnten, den Attendornern immer wieder ins Gewissen geredet den Satz: Tradition und Brauchtum sind den Attendornern heilig. Tradition ist aber nur so lange gut, wie nichts Besseres an deren Stelle tritt. Wie wahr ist doch dieser letzte Satz. Viele Attendorner, ich schließe mich da ausdrücklich nicht aus, schwelgen gerne beim Anschauen von Fotos aus Alt Attendorn. Ich bin mir sicher, dass die barocke Franziskanerkirche oder die mittelalterliche Biggebrücke niemals hätten abgerissen werden dürfen. Aber: Wenn der Ankermieter auf dem Klosterplatz wirklich die Lösung ist, Leute in die Innenstadt zu ziehen, müssen wir das tun!! Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass nach wie vor die Osterkreuze und die Karnevalswagen durch die
6 Straßen der Stadt passen und auf dem Marktplatz der Trillertanz ausreichenden Platz hat und nicht durch Bäume behindert wird. Allgemein formuliert würde das heißen: Ein jetzt vorgestelltes Ideenpaket sollte nicht durch sauerländische Hingeräsigkeit zerredet, sondern offen und ehrlich mit hanseatischer Weitsicht diskutiert werden, um wieder einmal zu einem richtig großen Wurf für die Stadt zu kommen. Hieran müssen wir alle mitarbeiten: innovativ, zukunftweisend und visionär, woll? Vielleicht helfen uns ja dabei zwei Sprüche: 1) Tradition ist nicht die Asche, die wir anbeten, sondern die Glut, mit der wir die Stadt weiterentwickeln. 2) Wenn der Geist von Veränderungen weht, so brauchen wir keine Mauern, sondern Windmühlen. Hanseatisch denken, alle gemeinsam für unsere geliebte Stadt. Fotos: Stadtarchiv Attendorn, Otto Höffer
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