Wovon lassen sich Menschen im Straßenverkehr ablenken? Prof. Dr. Mark Vollrath
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1 Wovon lassen sich Menschen im Straßenverkehr ablenken? Prof. Dr. Mark Vollrath
2 Wovon lassen sich Menschen im Straßenverkehr ablenken? und ist das eigentlich schlimm?
3 Rasantes Wachstum Statistisches Bundesamt, 2013 Im Jahr 2000: 30% der deutschen Haushalte haben mindestens 1 Handy Im Jahr 2012: 90% der privaten Haushalte WAZ Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 3
4 Informations- und Kommunikationstechnologien Im Fahrzeug 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 4
5 NDS und junge Fahrer 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 5
6 NDS und junge Fahrer 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 6
7 So viele Verlockungen Radio: Sender einstellen Musikplayer: Titelauswahl Systeme im Fahrzeug: Bedienung Klima, Bordcomputer Navigationssystem: Bedienung, Routenwahl Telefon: Wählen, Bedienen Telefon: Reden, Hören Smartphone: Textbotschaften lesen/schreiben Smartphone: Textbotschaft annehmen Smartphone: Textbotschaft schicken Computer: 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 7
8 Wie bewertet man die Auswirkungen? Was ist Verkehrssicherheit? Das Unfallrisiko beim Schreiben und Lesen von Textbotschaften ist 164-fach erhöht. Hickmann, Hanowski & Bocanegra (2010) Methodisch: Naturalistic Driving Study mit Lkw und Bussen Identifikation von Unfällen und kritischen Situationen (Fahrdaten) Auswahl vergleichbarer Kontrollsituationen Über Baseline, knapp kritische Situationen 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 8
9 Unfallrisiko Unfälle / Kritisch 90 Texting Nichts Kontrolle Texting = = Daten von Hickmann, Hanowski & Bocanegra (2010) Nichts Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 9
10 Interpretation Unfallrisiko Das Unfallrisiko bei Textbotschaften ist 164-fach Direkt vor Unfällen sind Textbotschaften 164 Mal häufiger als bei unfallfreien Perioden Aber: Wie viele Unfälle betrifft das? Wie viele könnte man verhindern? 90 / = 0.2% der Unfälle Lohnt sich der präventive Aufwand? Wie viele Fahrer betrifft das? Wie häufig wird es gemacht? 3 / = 0.001% der Kontrollperioden Wie viele Fahrer müsste man kontrollieren? Bitte beachten: Amerikanische Studie, professionelle Fahrer, Texting nicht erwünscht 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 10
11 Ablenkung und Verkehrssicherheit Ablenkung beim Fahren Gefährlichkeit Kompensation Ablenkung bei Unfällen % % 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 11
12 WIE HÄUFIG IST ABLENKUNG? 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 12
13 Pilotstudie in Deutschland? Wo wurde befragt? 4 Autobahnraststätten, 3 Parkplätze in Braunschweig E 30 Wann wurde befragt? Juli August 2009, Mo Fr, 8-17 Uhr Wer wurde befragt? N= 289 ankommende Fahrer Pkw und Lkw Braunschweig 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 13
14 Anteil Fahrer [%] Wie viele Nebentätigkeiten? Anzahl fahrfremder Tätigkeiten 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 14
15 Was wird wie lange gemacht? Beifahrer Bedienaufg. nicht Fahrzeug Selbst-initiierte Handlungen Rauchen Ablenkungen außerhalb Essen/trinken Bedienung Fahrzeug Andere Tätigkeiten Körperpflege Kleidung Dauer Häufigkeit Anteil Zeit / Fahrer [%] 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 15
16 Speziell für Informationssysteme Audio 34 Telefonieren 20 Klima 4 Navi 3 SMS 1 Laptop Anteil Fahrer [%] 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 16
17 Ist das gefährlich? Die Sicht der Fahrer War die gerade von Ihnen ausgeführte Aufgabe? Anteil Fahrer [%] Anteil Fahrer [%] Bedienung Fahrzeug Bedienung Fahrzeug Beifahrer Beifahrer Selbst-initiierte Handlungen Selbst-initiierte Handlungen Ablenkungen außerhalb Ablenkungen außerhalb Bedienaufg. nicht Fahrzeug Bedienaufg. nicht Fahrzeug Essen/trinken Essen/trinken Rauchen Rauchen Körperpflege Kleidung Körperpflege Kleidung Andere Tätigkeiten Andere Tätigkeiten generell gefährlich aktuell ablenkend aktuell gefährlich 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 17
18 Ganz aktuelle Zahlen: März-Mai 2015 Fricke, Teller, Huemer & Vollrath (2015) Braunschweig: 2116 Autofahrer Hannover: 3473 Autofahrer Stehend an Ampel: Fahrend nach/ohne Ampel: 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 18
19 Fahrer passen ihr Verhalten an, aber Fricke, Teller, Huemer & Vollrath (2015) Braunschweig Hannover Irgendeine Irgendeine Telefonieren Tippen Essen/Trinken Im Stand Fahrend Telefonieren Tippen Essen/Trinken Im Stand Fahrend Rauchen 3 2 Rauchen Anteil Fahrer [%] Anteil Fahrer [%] 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 19
20 Fazit Häufigkeit der Nutzung Wir brauchen mehr Daten! Zu wenige Studien, zu wenige aktuelle Studien Beobachtung: Nicht alles ist erkennbar von außen Befragung: Nicht alles wird zugegeben Naturalistic Driving: Wer macht da mit? Fahrfremde Informationen stehen im Vordergrund: Handy / Telefonieren Textbotschaften / Chats / Nutzung von Apps Verhaltensanpassung ist vorhanden, aber Das Verhalten verändert sich: 2009 Telefonieren deutlich häufiger als SMS 2015 Tippen deutlich häufiger als Telefonieren 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 20
21 Ist denn das so schlimm? GEFÄHRLICHKEIT 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 21
22 Lenken Kommunikationstechnologien ab? Studie von Vollrath et al. (2014) im Auftrag des UDV Metaanalyse zu den Auswirkungen 56 Studien aus 53 Veröffentlichungen seit 2000 Laborstudien / Fahrsimulator Vergleich Fahrt mit Nutzung von Kommunikationstechnologie im Vergleich zur Fahrt ohne (Baseline) Vote Counting: Prozentsatz der Studienergebnisse, die signifikante negative Veränderungen zeigen Bezug auf vergleichbare Metaanalyse zu Alkohol (Schnabel, 2011) Aussagen: Wie stark leidet die Fahraufgabe, wenn man sich mit Nebenaufgaben beschäftigt? Welche Aufgabe stört mehr / weniger? Wie stark ist dieser Effekt im Vergleich zu Alkohol? 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 22
23 Wie stark lenkt ab? Nach Vollrath et al. (2014), Vergleich zu Schnabel (2011) Anteil sign. Befunde [%] < 0.1 < 0.2 < 0.3 SMS empfangen Radio Sender < 0.4 < 0.5 Bordcomputer < 0.6 < 0.7 SMS senden < 0.8 MP3-Titel Telefonieren < 0.9 Bedienung Navi/Telefon < 1.0 < 1.1 SMS schreiben BAK -Kategorien [Promille] 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 23
24 Textbotschaften lenken ab, aber Wie häufig kommt das beim Fahren vor? Wahrscheinlich relativ häufig, bei bestimmen Fahrern? Wahrscheinlich immer häufiger? Wie gut können Fahrer den Verkehr vorhersagen? Fahrer passen ihr Verhalten an (z.b. Rauch, 2009) Reicht das? Wie viele Unfälle betrifft dies? Momentan in Deutschland kaum abzuschätzen 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 24
25 100-Car-Naturalistic-Driving-Study (Klauer et al. 2006) Methode: 109 Fahrzeuge Monate untersucht Fahrparameter und Video Situationsauswahl: 6-Sekunden-Perioden mit kritischen Situationen, Beinahe- Unfällen und Unfällen Ähnliche Kontrollperioden 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 25
26 Ablenkung und Risiko 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 26
27 Attributables Risiko: Wie wichtig ist das? 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 27
28 Unfallrisiko bei Pkw-Fahrern USA, SAFER SHRP2, Victor et al. (2014) x-faches Unfallrisiko [log] 257 Auffahrunfälle/Beinahe-Unfälle und 257 Kontrollperioden Häufigkeit: Texting 7% 0.5 Telefon 8% Bedienung 2% Radio 4% 0.05 Texting 0.1 Telefonieren Bedienung Telefon Radio 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 28
29 Überraschung: Telefon ist ungefährlich? Auffahrunfälle! Beim Telefonieren bleibt Blick nach vorne Bremsendes Fahrzeug / Hindernis ist sehr auffällig Aber: Young (2013): Review von 6 Unfallstudien Bei Korrektur von Erhebungsfehlern: Unfallrisiko beim Telefonieren ist 0.6! Mögliche Erklärung: Erfolgreiche Kompensationsstrategien Entwarnung wäre kontraproduktiv! 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 29
30 Was wissen wir also? Zusammenfassung Ablenkung durch Informations- und Kommunikationssysteme nimmt vermutlich zu Ablenkung, vor allem mit Blick weg von der Straße, ist vermutlich gefährlich Kompensation scheint nicht ausreichend, Gefahrenbewusstsein ist vermutlich zu wenig vorhanden 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 30
31 Was sollten wir tun? Verbot der Smartphone-Nutzung bei der Fahrt: Handy aus! Auch bei Radfahrern! Erfassung von Ablenkung bei Unfällen: Risikomonitoring Evaluation von Maßnahmen Jährliche Beobachtungsstudien in Deutschland: Frühe Erkennung von gefährlichen Entwicklungen Präventive Wirkung 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 31
32 Noch eine Empfehlung 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 32
33 Wovon lassen sich Menschen im Straßenverkehr ablenken? Prof. Dr. Mark Vollrath
34 Ein bisschen theoretischer Hintergrund WARUM MACHT DER FAHRER DAS? 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 34
35 Langeweile ist doof! Yerkes-Dodson-Gesetz Leistung hoch Hohe Leistung niedrig niedrig Hohe Energie Hohe Motivation hoch Beanspruchung durch die Fahraufgabe 10. Dezember 2015 Prof. Dr. Mark Vollrath Ablenkung Seite 35
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