Vortrag an der Evangelischen Akademie der Pfalz am
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1 Parallelgesellschaften: Fakt oder Fiktion? Wie fremd sind uns die Türken heute noch? Vortrag an der Evangelischen Akademie der Pfalz am Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen; Fakultät für Geisteswissenschaften Kontakt: ww.uslucan.de Seite 00
2 Vortragsprogramm 1. Migration als Thema der Psychologie: 2. Umgang mit Diversity/kultureller Heterogenität 3. Kulturkonflikte oder interaktive Akkulturationsprozesse? 4. Lebenswelten von Migranten: Akkulturationsorientierungen, Erziehung und Werte Seite 11
3 1. Migration/Akkulturation als Gegenstand der Psychologie: Akkulturation: Wie eignen sich Menschen kulturelle Umwelten an? Menschliches Handeln/Verhalten: V = f (P/U) (K. Lewin) Von : 68 Theorien zur Akkulturation (Rudmin, 2003) Seite 22
4 Aus wessen Sicht wird diese Person dargestellt? Wie würden sich dagegen Deutsche beschreiben? Seite 33
5 Seite 44
6 Wie werden gegenwärtig Migranten im Alltag dargestellt? Wie würden sie sich selbst dagegen beschreiben? Seite 55
7 Typische Stereotype im Diskurs über Migranten: Mädchen/Frauen: untergeordnet/unabhängig/unselbstständig Jungen: Ehre, religiöser Fanatismus und Gewalt; Verfestigung durch mediale Alltagsbilder und soap operas : Macho-Murat : ungebändigte Sexualität, Frauenverachtung und Aggression Vorherrschender Diskurs: Welche Probleme machen sie uns? Aber nicht: Welche Probleme haben sie selbst? Stereotype threat im Bildungsbereich wichtige Erklärungsfigur für ungleiche Chancen: Beeinträchtigung kognitiver Leistungen Seite 66
8 2. Umgang mit Diversity/Kulturelle Heterogenität (R. Nestvogel): 1. Affirmativ: Wertschätzung und Akzeptanz von Unterschiedlichkeit 2. Normativ-demokratisch: Menschenrechts- und Demokratievorstellungen verpflichten zum Prinzip der Chancengleichheit : Alter, Geschlecht, Rasse, Religion, Lebensweise etc. kein Ausgrenzungsmerkmal Seite 77
9 3. Utilitaristische Haltung: In globalisierten Wirtschaften zweckmäßig, andere kulturelle Verhaltensweisen zu kennen, zu erwerben etc., um mit den Kunden bessere Geschäfte machen zu können, um neue Märkte sich erschließen zu können; rein unter wirtschaftlichen Aspekten ist eine positive Haltung zu Diversity einzunehmen. 4. Ungleichheitskonstrukte: Wahrnehmung von Ungleichheit, aber keine Wertschätzung; Konstruktion von Differenzen: Wir vs. Ihr (Andere); Abwertung der Anderen Seite 88
10 3. Kulturkonflikte oder interaktive Akkulturationsprozesse? Kulturkonflikt Entgegengesetzte Einflüsse von Familie einerseits und Einflüsse des Aufnahmelandes Identitätsprobleme bei Jugendlichen Psychosomatische Beschwerden bei Erwachsenen Seite 99
11 Probleme des Kulturkonflikt-Ansatzes Ursachenzuschreibung einseitig auf den Kulturwechsel Kulturwechsel reduktionistisch als Entwicklungseinschränkung Unterstellte Homogenität der Mehrheits- wie der Minderheitskultur Kultur als unausweichlich präskriptiv: Unterschlagung der Widerstands- und Eigenmächtigkeitspotenziale der Subjekte Seite 1010
12 Seite 111
13 Interaktives Akkulturationsmodell (IAM) Akkulturationsziele von Mehrheiten und Minderheiten und ihre Konsequenzen (Bourhis, Moise, Perreault & Senéca, 1997) Vgl. Wagner & Zick, 2000) Seite 1212
14 Psychologische Bedingungen und Hemmnisse gelingender Integration Bedingungen gelingender Integration Akkulturationsstile auf individueller Ebene Akkulturationsstress gering bei Einreise in jüngeren Lebensjahren (Sensible Phasen in der Entwicklung: Bspw. Zweitspracherwerb) Freiwilligkeit der Migration Personen mit hoher Schulbildung/Vorerfahrungen im Herkunftsland Personen mit optimistischem Charakter, hoher sozialer Kompetenz, internalem locus of control Seite 1313
15 4. Exemplarische Ergebnisse eigener Studien zu Akkulturationsorientierungen Akkulturationsorientierungen: Mittelwerte: Jugendliche und Eltern (M) 4,6 Jugendliche 4 3,83 3,8 Mütter 3,4 2,8 3,25 2,75 2,2 2,06 1,97 1,76 1,81 1,6 1 Integration Assimilation Separation Marginalisierung Seite 1414
16 Akkulturationsorientierungen: Mittelwerte Türkische Jugendl. und andere Jugendl. mit MH 4,6 Jugend T MH 4 3,4 3,83 3,86 3,25 3,27 Andere MH 2,8 2,2 2,06 2,13 1,76 1,86 1,6 1 Integration Assimilation Separation Marginalisierung Keine signifikanten Unterschiede in der Akkulturationsorientierung Seite 1515
17 Unterschiedliche Erziehungsstile? Methodische Orientierung: Anlehnung an die Genderforschung: Intersektionalitätsanalyse Statt Orientierung an der Differenzlinie Eigenkulturelle/fremdkulturelle Herkünfte Berücksichtigung des gleichzeitigen Einflusses von Klasse/Bildung Ethnie Geschlecht Seite 1616
18 Rekrutierungskontext: Berliner Oberschulen in den Bezirken Neukölln, Kreuzberg, Charlottenburg und Steglitz-Zehlendorf Deutsche Türken Seite 1717
19 Stichprobenkennzeichnung: Schüler Deutsche Türken Altersdurchschnitt 13.6 (SD.67) (SD.63) Geschlechtsspezifische Zusammensetzung 53 % männl. 47 % weibl. 45 % männl. 55 % weibl. Bildungshintergrund Hauptschule 17.8 % 23.8 % Realschule 10.8 % 41.6 % Gesamtschule 22.4 % 3.7 % Gymnasium 49.0 % 30.8 % Uslucan, Fuhrer & Mayer (2005). Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund Seite 1818
20 Stichprobenkennzeichnung: Eltern Deutsche Türken Gesamt Zusammensetzung der 225 Mütter (M) 131 Mütter (M) Eltern 187 Väter (V) 108 Väter (V) Altersdurchschnitt der Eltern (SD 5.35) M 46.0 (SD 6.94) V (SD 4.88) M (SD 5.90) V Durchschnittliche Kinderzahl 2.21 (SD 1.04) 3.26 (SD 1.22) Uslucan, Fuhrer & Mayer (2005). Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund Seite 1919
21 Stichprobenkennzeichnung: Bildungshintergrund der Eltern Angaben n in Prozente Deutsche Mütter Deutsche Väter Türk. Mütter Türk. Väter 0 kein Abschluß Grundschule Hauptschule Mittl. Reife Abitur Seite 2020
22 Unterschiedliche Erziehungsstile? Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich: Elternsicht Türken Deutsche (N = 129) (N = 226) Variablen M SD M SD p d Aggressive Strenge (M) Unterstützung (M) Verhaltensdisziplin (M) Inkonsistenz (M) Aggressive Strenge (V) Unterstützung (V) Verhaltensdisziplin (V) Inkonsistenz (V) Seite 2121
23 Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Signifikanzen (p) und Effektstärken (d) im ethnischen Vergleich: Jugendlichensicht Türken Deutsche (N = 207) (N = 298) Variablen M SD M SD p d Aggressive Strenge (M) Unterstützung (M) Verhaltensdisziplin (M) Inkonsistenz (M) Aggressive Strenge (V) Unterstützung (V) Verhaltensdisziplin (V) Inkonsistenz (V) Seite 2222
24 Elterliche Erziehungsstile in Abhängigkeit des Bildungshintergrundes (Hauptschule als höchster Bildungsabschluß) Mittelwerte und Standardabweichungen Türkische Eltern Deutsche Eltern Variablen N M SD N M SD F p Aggressive Strenge (M) Unterstützung (M) Verhaltensdisziplin (M) Inkonsistenz (M) Aggressive Strenge (V) Unterstützung (V) Verhaltensdisziplin (V) Inkonsistenz (V) Seite 2323
25 Welche Werteunterschiede gibt es zwischen Deutschen und Türken? Seite 2424
26 Stichprobenkennzeichnung: Lebensort 232 Deutsche 337 Türkische Migranten in Deutschland Türken i.d. Türkei 210 Seite 2525
27 Tabelle : Stichprobenkennzeichnung (Angaben in Prozente) Deutsche (n= 234) Türkischstämmige Migranten in Deutschland (n = 205) Geschlecht Männlich Weiblich Bildungshintergrund Grundschule Mittlere Reife (Mittelschule i. d. Türkei) Gymnasium Universität Anderer Abschluß Schüler Türken in der Türkei (n= 327) Seite 2626
28 Tabelle : Religiosität der Befragten (Angaben in Prozente) Deutsche Türkischstämmige Türken in der Türkei Migranten in Deutschland Bezeichnen Sie sich als religiös? Ja Nein Gehen Sie regelmäßig in die Moschee (Kirche)? Ja Nein Seite 2727
29 Werteausprägung 7,00 6,00 5,00 4,00 Deutsche Türkische Migranten Türken 3,00 2,00 1,00 0,00 Höflichkeit Achtung v. Tradition Nationale Sicherheit Autorität Familiäre Sicherheit Seite 2828
30 Werteausprägung 7,00 6,00 5,00 Deutsche Türkische Migranten Türken 4,00 3,00 2,00 1,00 0,00 Freiheit Anregendes Leben Reichtum Spiritualität Freundschaft Seite 2929
31 Tabelle: Herkunftsspezifische Ausprägung der Wertvorstellungen: Mittelwerte und Standardabweichungen (in Klammern) Deutsche Türkische Migranten Türken M (SD) M (SD) M (SD) Höflichkeit 4.80 (1.40) 5.45 (1.48) 5.17 (1.55) Achtung vor Tradition 2.76 (1.66) 4.65 (2.10)) 4.50 (2.13) Nationale Sicherheit 4.26 (1.96) 5.23 (2.21) 5.64 (1.77) Autorität 1.73 (1.78) 1.65 (2.30) 2.26 (2.37) Familiäre Sicherheit 6.32 (1.04) 6.39 (1.11) 6.24 (1.25) Freiheit 5.79 (1.30) 5.95 (1.37) 5.89 (1.40) Anregendes Leben 5.28 (1.31) 3.43 (2.33) 4.20 (2.09) Reichtum 3.00 (1.53)) 3.48 (2.09) 4.01 (1.90) Spiritualität 1.36 (2.17) 4.19 (2.45) 4.45 (2.30) Freundschaft 5.87 (1.41) 5.97 (1.24) 6.16 (1.11) Seite 3030
32 Tabelle: Wertehierarchien (Rangreihen) im Kulturvergleich Deutsche Türkische Migranten Türken Reihenfolge 1. Familiäre Sicherheit 1. Familiäre Sicherheit 1. Familiäre Sicherheit 2. Freundschaft 2. Freundschaft 2. Freiheit 3. Freiheit 3. Freiheit 3. Freundschaft 4. Anregendes Leben 4. Höflichkeit 4. Nationale Sicherheit 5. Höflichkeit 5. Nationale Sicherheit 5. Höflichkeit 6. Nationale Sicherheit 6. Achtung vor Traditionen 6. Achtung vor Traditionen 7. Reichtum 7. Spiritualität 7. Spiritualität 8. Achtung vor Traditionen 8. Reichtum 8. Anregendes Leben 9. Autorität 9. Anregendes Leben 9. Reichtum 10. Spiritualität 10. Autorität 10. Autorität Seite 3131
33 Tabelle: Herkunftsspezifische Ausprägung der Wertvorstellungen: Effektstärken Deutsche Türkische Migranten Türken Effektstärke d (D-TM) Effektstärke d (TM-T) Höflichkeit Achtung vor Tradition Nationale Sicherheit Autorität Familiäre Sicherheit Freiheit Anregendes Leben Reichtum Spiritualität Freundschaft Seite 3232
34 Werteauffassungen: Differenziert nach der selbstberichteten Religiosität (Mittelwerte): Non-Relig: nicht religiös; Relig: religiös Kulturelle Zugehörigkeit Deutsche Türkische Migranten Türken Non-Relig. Relig. Non-Relig. Relig. Non-Relig. Relig. Stichprobengröße: n= 141 n= 88 n= 33 n= 168 n= 26 N= 295 Werteauffassungen Mittelwerte Familiäre Sicherheit Freundschaft Freiheit Anregendes Leben Höflichkeit Nationale Sicherheit Reichtum Achtung vor Tradition Autorität Spiritualität
35 Lebenswelten türkischer Migranten Karte der Türkei mit elf ausgewählten Regionen Sozioökonomische Entwicklung und Wertvorstellungen in elf Regionen der Türkei; Yasemin El-Menouar Martin Fritz Köln Z Soziol (2009) 61: ; DOI /s Seite 3434
36 Lebenswelten türkischer Migranten Sozioökonomische Entwicklung und Wertvorstellungen in elf Regionen der Türkei; Yasemin El-Menouar Martin Fritz Köln Z Soziol (2009) 61: ; DOI /s Seite 3535
37 Diskussion: Erwartungen, dass gerade jüngere Migranten sich in ihren Wertauffassungen an ihre deutschen Altersgenossen angleichen würden, lassen sich mit unseren Daten nicht bestätigen. Denkbar: jüngere Migranten stärkeren lebensweltlichen Verunsicherungen ausgesetzt und deshalb Präferenz für eher Sicherheit und Halt versprechende Orientierungen (wie etwa Achtung der Tradition, Höflichkeit, Autorität). Seite 3636
38 Diskussion: Werte Annahme: Jüngere Migranten deutlich stärker in Kontakt und Diskurs mit Deutschen; vermutlich eher das Bedürfnis, sich von der Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen, offensiver die Differenzen zu betonen und die als "typisch" für die "türkische Kultur" unterstellten traditionalen Werte wie etwa Höflichkeit, Achtung vor Tradition, Autorität, nationale Sicherheit etc. verteidigen oder zumindestens wertschätzen zu müssen. Seite 3737
39 Diskussion: Werte Ergebnisse zusammenfassend: Keine "Parallelgesellschaft" der Migranten: zu große Anzahl an positiven Werteübereinstimmungen wie gemeinsamer Negationen. Dennoch: Migranten, insbesondere aber Migrantenjugendliche: weitaus stärker als ihre deutsche Bezugsgruppe Favorisierung einer konservativen Wertewelt. Deutung der Daten: Vorsicht geboten, als dass diese Studie trotz einer relativ großen Stichprobe keine Repräsentativität, weder für die deutsche noch für die türkische Stichprobe, beanspruchen kann; u.a. hohe innertürkische Varianz bei der Werteausprägung (starkes Ost-West-Gefälle) Seite 3838
40 Diskussion: Werte Studien zu bzw. über Migranten mit dem methodischen Problem der Konfundierung von ethnischer Zugehörigkeit und sozialer Schicht konfrontiert: Überschneidung von Schichtzugehörigkeit (z.b. Unterschicht) und ethnische Zugehörigkeit; Folge: unreflektierte Ethnisierung. Seite 3939
41 Ausblick/Veränderungen Akkulturation kann erleichtert werden durch: Tolerante/Anerkennende Einstellung der Mitglieder der Aufnahmekultur; Offenheit gegenüber Fremden; Soziale Durchlässigkeit der Institutionen/Interkulturelle Öffnung der sozialen Dienste Gemeinsamer Referenzrahmen statt Distanzmaximierung Verständnis von Kultur als gemeinsamer Zukunftsentwurf statt (rückwärtsgerichteter) Herkunftsbezug Seite 4040
42 Chancen von Integration Interkulturelle Erziehung von Mehrheiten wie Minderheiten Größere Ambiguitätstoleranz als psychische Ressource Bi-kulturelle Identitäten Bilingualität als kognitive Ressource: Metalinguale Fähigkeiten & Metakognitive Fähigkeiten Abbau des Group-think Phänomens in heterogen zusammengesetzten Gruppen; kulturelle Vielfalt als Ressource kreativer Problemlöseprozesse in sozialen Situationen Seite 4141
43 Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit! Kontakt: Seite 4242
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