Gesundheitsfinanzierung: Solidarität in Schieflage
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- Fritzi Färber
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1 Gesundheitsfinanzierung: Solidarität in Schieflage Anna Sax, Gesundheitsökonomin SGB-Tagung zum Service public 15. Januar 2016 Kostenexplosion? Gesundheitsausgaben in % des BIP Prognose Quelle: BFS/SECO/KOF 2 1
2 Finanzierung der Gesundheitsausgaben 2013, Total: 69.2 Mrd. Fr. 6% 6% 18% 33% Staat (Steuern) Prämien KK Haushalte direkt Unternehmungen Privatversicherungen 37% Quelle: BFS 3 Finanzierung der Gesundheitsausgaben Je höher der Anteil der Krankenkassenprämien an der Finanzierung der Gesundheitsausgaben, desto stärker werden die Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen belastet. Je höher der Finanzierungsanteil über direkte Steuern, desto stärker werden die hohen Einkommensschichten belastet. 4 2
3 Verschiebung stationär/ambulant 5 Monatliche Durchschnittsprämie* in Fr * Erwachsene 26 Jahre und älter, inkl. Unfalldeckung, ordentliche Franchise Quelle: BAG, Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 6 3
4 Wachstum von Löhnen, Preisen, Mietzinsen und KK-Prämien Veränderung Nominallöhne % Konsumentenpreise % Mietzinsen % Krankenkassenprämien % 7 Prämienlast als Anteil am verfügbaren Einkommen pro Einkommensquintil 8 4
5 Machtdemonstration im Parlament: Ärztestopp, ade Ende 2015 strich der Nationalrat den Kantonen die Möglichkeit, die Zulassung der Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich zu steuern. Damit wird das Wachstum von 40% der Kosten in der Grundversicherung unkontrollierbar. 9 Feststellungen zur Gesundheitsfinanzierung Die Finanzierung der Gesundheitsausgaben ist in der Schweiz regressiv. Prozentual am stärksten belastet werden Haushalte mit Kindern und mit Einkommen leicht über der Anspruchsgrenze für Prämienverbilligungen. Trotz Prämienverbilligungen kann das vom Bundesrat definierte Sozialziel nur in wenigen Kantonen erreicht werden Die Regression der Gesundheitsfinanzierung wird durch die steigenden OKP-Prämien verstärkt und durch die Zunahme der (steuerfinanzierten) Prämienverbilligungen wiederum abgeschwächt. 10 5
6 Die Kostentreiber in der Grundversicherung Spital ambulant Spital stationär Arzt ambulant Medikamente Arzt+Apotheke Beitrag in % zum Anstieg der Gesamtkosten Spitex Physio Pflegeheim Quelle: BAG-Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 11 Bürgerliche Alternative: Aufhebung Vertragszwang Der Vertragszwang zwischen Krankenversicherern und frei praktizierenden ÄrztInnen ist faktisch für zwei Drittel der Versicherten bereits aufgehoben (Listenmodelle, Managed Care). Eine vollständige Vertragsfreiheit bedeutet: die Krankenkassen bestimmen über die Kriterien für die Zulassung von Leistungserbringern Die Hausarzt- und HMO-Modelle mit Koordination und Qualitätssicherung sind gefährdet die freie Arztwahl existiert nicht mehr. 12 6
7 Ist Sparen schädlich? 13 Stuckler/Basu haben in zahlreichen Ländern nachgewiesen: Wo während Wirtschaftskrisen Sparprogramme umgesetzt wurden, entstanden grosse gesundheitliche Schäden (Infektionskrankheiten, Suizide, Kindersterblichkeit ) Umgekehrt erholten sich die Volkswirtschaften schneller, wo Regierungen in Gesundheit und Soziales investierten. 14 7
8 Spiegel online / A. Kentikelenis u.a. in The Lancet, Februar Schweiz: Sparen, aber wo? Kostenverschiebungen: Steuern Krankenkassenprämien (ambulante Versorgung) Gesunde Kranke (Wahlfranchisen) Gemeinden Private (Langzeitpflege) Sparen heisst in der Praxis: Kosten abschieben 16 8
9 Ökonomie heisst nicht (nur) Sparen Drei Leitsätze: 1. Wer nur ans Sparen denkt, schadet der Qualität. 2. Wer an die Qualität denkt, verbessert den Nutzen für die Patientinnen und Patienten. 3. Wer an den Nutzen denkt, denkt wirtschaftlich. 17 Spitäler im Wettbewerb: Schöne neue Spitalwelt? 18 9
10 Worum geht es? Spitalversorgung als öffentliche Aufgabe DRG erzeugt Wettbewerbsdruck Spitäler wollen mehr Autonomie Umwandlung in Aktiengesellschaften Privatisierung (Verkauf der Aktien an private Investoren) Ist Deregulierung und Wettbewerb besser? Wenn ja: warum? und wie? 19 gemeinnützig reguliert Stiftung, AG (z.b. Claraspital) Teil der öffentlichen Verwaltung (z.b. Stadtspital Triemli, CHUV) privat öffentlich Privatkliniken mit Leistungsauftrag (z.b. Hirslanden) ohne Leistungsauftrag (z.b. Genolier) AG in öffentl. Besitz (z.b. Spital Thurgau AG) dereguliert Shareholdern verpflichtet 20 10
11 Mit Fallpauschalen zu mehr Wettbewerb Wettbewerb bewirkt: Anreiz zur Ausweitung der Fallzahlen Ausbau der Kapazitäten ( Wettrüsten ) Kapital muss auf dem Kapitalmarkt beschafft werden Umwandlung in Aktiengesellschaft als Ausweg? Ist die Bildung einer AG der erste Schritt in Richtung Privatisierung? 21 So beschafft ein öffentliches Spital Kapital 22 11
12 Die Lukrativen für die Privaten, die Unrentablen für die Öffentlichkeit? Der Verdrängungskampf hat begonnen Der Wettbewerb um rentable und prestigeträchtige medizinische Fachgebiete ist lanciert Kantone (und Gemeinden) bleiben für die Versorgung von schwierigen PatientInnen verantwortlich (z.b. Randständige, Gebrechliche, Schwerkranke, Sterbende). 23 Verantwortung ohne Steuerung? «C est une hypocrisie énorme, avec des lobbies d une puissance gigantesque, qui veut faire croire que les cantons ont la responsabilité de la gouvernance tout en laissant la conduite réelle à d autres acteurs sans légitimité démocratique.» Laurent Kurth, Conseiller d Etat, NE (Interview dans H+ «Competence», 2014) 24 12
13 Deregulierungsindex : Umsetzung der neuen Spitalfinanzierung durch die Kantone F Fragestellung: Wie wettbewerbsfreundlich setzen die Kantone die neue Spitalfinanzierung um? Quelle: Polynomics (2013) 25 Mehr Kosteneffizienz dank Deregulierung? 26 13
14 Fazit zur Spital-Deregulierung Die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung ist eine öffentliche Aufgabe. Es braucht Modelle, welche die Steuerung bei den Kantonen belassen und gleichzeitig den Spitälern die notwendige Handlungsfreiheit gewähren. Es gibt weder in der Schweiz noch im Ausland Evidenz für die These, dass Deregulierung von Spitälern Effizienz oder Qualität verbessert. 27 Begleitforschung zur neuen Spitalfinanzierung, Stand Mai 2015 Erste Ergebnisse (1): Die Transparenz und Vergleichbarkeit der Kosten für KVG- Leistungen (Kantone und Krankenkassen) verbessert sich, das gilt jedoch nicht für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Das Ziel der Kosteneindämmung wurde bisher verfehlt. Die Spitalausgaben sind im Gegenteil ab 2012 markant gestiegen. Bisher sind keine substanziellen Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung erkennbar
15 Begleitforschung zur neuen Spitalfinanzierung, Stand Mai 2015 Erste Ergebnisse (2) Die Kantone geraten in einen Konflikt zwischen Stärkung des Wettbewerbs und ihrem Auftrag, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Der administrative Aufwand für die Spitäler steigt. Die Spitäler reagieren auf den intensiveren Wettbewerb mit Prozessoptimierungen, aber auch mit Patientenselektion. 29 Schlussfolgerungen Prämienbelastung begrenzen - Prämienverbilligungen vereinheitlichen und ausbauen Fokus auf Koordination, integrierte Versorgung und Qualität statt auf Sparen Deregulierungsmoratorium bis zum Vorliegen von Resultaten der Begleitforschung zu DRG. Keine DRG für Psychiatrie und Rehabilitation
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