Germanistik Katharina Müller Kafkas Vaterkomplex: Darstellung in der Erzählung "Die Verwandlung" Studienarbeit
Kafkas Vaterkomplex: seine Darstellung in der Erzählung Die Verwandlung Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. Kafka und die Beziehung zu seinem Vater 3. Die Verwandlung 3.1. Darstellung der Vater-Sohn Beziehung 3.2. Bezüge zu Kafkas Vaterbeziehung 4. Fazit 5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung In seinem Brief an den Vater führte Franz Kafka seinen persönlichen Vater-Sohn-Konflikt sowohl als Grundlage seiner künstlerischen Identität, als auch seines privaten Scheiterns an. Er schrieb als Vater warst du zu stark für mich 1 und scheint diese Aussage als Rechtfertigung zu sehen, dass aus ihm ein ängstlicher, zögernder, unruhiger Mensch 2 wurde, der schon als Kind jedes Selbstvertrauen verloren und gegen ein grenzenloses Schuldbewusstsein eingetauscht hat. 3 Die Auseinandersetzung mit seiner primären persönlichen Problematik scheint sich in Kafkas Werken widerzuspiegeln nahezu jedes kann auf diesen Aspekt hin interpretiert werden. Der Verwandlung und dem Brief an den Vater liegen die gleichen Grundthemen zu Grunde: Die Auseinandersetzung mit patriarchalischen Familienstrukturen und der Bewältigungsversuch des unterdrückten Sohnes. Deshalb liegt es nahe, den Brief an den Vater bei der Auseinandersetzung mit der Verwandlung hinzuzuziehen, denn nur so ist man dazu in der Lage, Kafkas Text autobiographisch deuten zu können. Folgende Arbeit soll sich zunächst mit Franz Kafkas Beziehung zu seinem Vater Hermann Kafka befassen und seine daraus resultierenden innerlichen, sowie äußerliche Folgen. Daraufhin soll Die Verwandlung im Hinblick auf den Vater-Sohn-Konflikt untersucht und Bezüge zu Kafkas realer Problematik hergestellt werden. 2. Kafkas Beziehung zu seinem Vater Hermann Kafka kam aus ärmlichen Verhältnissen und erkämpfte sich mit Ehrgeiz und einem geschickten Geschäftswillen einen Platz in der gutbürgerlichen Oberschicht Prags. Da die soziale Stellung der Familie Kafka jedoch enorm von dem finanziellen Status abhing, mussten die Eltern sehr viel im eigenen Galanterie- und Kurzwarengeschäft arbeiten. 4 Hermann Kafkas sozialer Aufstieg aus eigener Kraft könnte der Grund für seine Abneigung gegen Franz` Lebensstil gewesen sein. Diesem wurde eine sorgenfreie Kindheit ermöglicht, in welcher es ihm an nichts zumindest an nichts Materiellem fehlte. Kafka beschrieb das in seinem Brief an den Vater wie folgt: 1 Kafka, Franz, Brief an den Vater, S. 146 2 ebd. 3 Prinz, Alois, Die Lebensgeschichte des Franz Kafka, S. 284 4 Pfeiffer, Joachim, Die Verwandlung/Brief an den Vater, S.23 2
Du hast dein ganzes Leben lang schwer gearbeitet, alles für deine Kinder, vor allem für mich geopfert, ich habe infolgedessen in Saus und Braus gelebt, habe vollständige Freiheit gehabt zu lernen, was ich wollte, habe keinen Anlaß zu Nahrungssorgen, also zu Sorgen überhaupt gehabt 5 Ersichtlich bei Betrachtung dieser Zeilen wird, dass ein gegenseitiges Verständnis zwischen Vater und Sohn nicht vorhanden war: Der Vater hatte nichts für Franz' Sentimentalitäten übrig, da er ihm in seinen Augen alles ermöglicht hatte, was für ein zufriedenes Leben benötigt wurde: Finanzielle Sicherheit. Dafür, dass es Franz um viel mehr, um seine literarische Entfaltung, und Heilung seiner Seele ging und dass er sich von dem bürgerlichen, kapitalistischen Leben der Eltern eingeengt fühlte, hatte der Vater keinerlei Verständnis, wenn er sich dessen überhaupt auch nur annäherungsweise bewusst war. Kafka schien seinen Vater und alle anderen Männer, denen es gelang zu heiraten und eine Familie zu gründen, zu bewundern. Zweimal verlobte sich Franz Kafka in seinem Leben und zweimal entzog er sich aus unterschiedlichen Gründen der Hochzeit. Er schien panische Angst davor zu haben, zu enttäuschen oder aber auch sein Dasein als ewigen Sohn 6 aufgeben zu müssen. Denn Kafka schien sich seiner zu bemitleidenden Existenz fast schon mit Genuss hingegeben zu haben. Wäre er ein verheirateter, Mann geworden, so wäre es ihm vielleicht nicht mehr möglich gewesen, sich seinen inneren Konflikten, primär dem Vater-Sohn-Konflikt, in seiner Literatur zu stellen. 7 Als sich Franz mit Julie Wohryzek, Tochter eines jüdischen Gemeindedieners und somit aus der untersten Gesellschaftsschicht stammend, verlobt, schlägt Hermann Kafka seinem Sohn vor, mit ihm gemeinsam in ein Bordell zu gehen, da er denkt, seine plötzliche Heiratsbegeisterung läge körperlichen Sehnsüchten zu Grunde. Dieses Angebot bezeichnet Kafka später als die größte Demütigung, die ihm sein Vater jemals angetan hat. Die Schande, die du mir damit antatest, schreibt er später War dir nichts im Vergleich zu der Schande, die ich deiner Meinung nach deinem Namen durch die Heirat machen würde. 8 Tatsächlich entschied sich Kafka gegen die Hochzeit mit Julie, womöglich aus Angst sowohl seinen Vater zu enttäuschen, als auch Julies Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Das Erlebnis der geplanten und letztendlich gescheiterten Hochzeit mit Julie Wohryzek und die Reaktion des Vaters darauf schienen für Kafka so prägend zu sein, dass er sich dazu entschloss, seinem Vater in einem Brief all seine Gedanken und Gefühle offen zu legen. In dem Brief an den Vater, welchen er 1919 vollendet, setzte sich Kafka mit seinem Vater und seiner lebenslange 5 Kafka, Franz, Brief an den Vater, S.143f. 6 Alt, Peter-Andrè, Der ewige Sohn, München 2005, S. 15 7 ebd. 8 Kafka, Franz, Brief an den Vater, S.280 f. 3