Rechtswissenschaftliche Fakultät. ÖR II&III / Übungen / FS 2019 Fall 4: Schöne Aussicht Prof. Regina Kiener
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1 ÖR II&III / Übungen / FS 2019 Fall 4: Schöne Aussicht Prof. Regina Kiener
2 Schritte einer Falllösung I. Sachverhalt o Hauptelemente? o Bundesstaatliche Ebene? o Akteure? - Beteiligte Behörden? Beteiligte Private? o Welche Argumente werden vorgebracht? o Welches sind die Etappen der Prozessgeschichte? II. Thema o Hauptproblem? Worum dreht sich der Fall? o Auftrag: Was soll ich tun? III. Recht o Rechtsgebiet? Einschlägige Erlasse bzw. Normen? o Rechtsfragen? Reihenfolge der Beantwortung? Seite 2
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7 Art. 78 Abs. 2 BV Der Bund nimmt bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die Anliegen des Natur-und Heimatschutzes. Er schont Landschaften, Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler; er erhält sie ungeschmälert, wenn das öffentliche Interesse es gebietet. Art. 3 NHG Pflichten von Bund und Kantonen 1 Der Bund, seine Anstalten und Betriebe sowie die Kantone sorgen bei der Erfüllung der Bundesaufgaben dafür, dass das heimatliche Landschafts- und Ortsbild, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler geschont werden und, wo das allgemeine Interesse an ihnen überwiegt, ungeschmälert erhalten bleiben. 2 Sie erfüllen diese Pflicht, indem sie b. Konzessionen und Bewilligungen nur unter Bedingungen oder Auflagen erteilen oder aber verweigern (Art. 2 Bst. b); Art. 2 Abs. 1 NHG Erfüllung von Bundesaufgaben Unter Erfüllung einer Bundesaufgabe ist insbesondere zu verstehen b. die Erteilung von Konzessionen und Bewilligungen, wie zum Bau und Betrieb von Verkehrsanlagen und Transportanstalten (mit Einschluss der Plangenehmigung), von Werken und Anlagen zur Beförderung von Energie, Flüssigkeiten oder Gasen oder zur Übermittlung von Nachrichten sowie Bewilligungen zur Vornahme von Rodungen Seite 7
8 Ein Programm zur Prüfung der Zuständigkeit I. Spezialgesetzliche Regelung? II. Rechtsmittelwahl: Triage Verfügung einer Bundesbehörde: BVGerB * (Art. 31 ff. VGG) -- VB an BR Art. 72 VwVG -- VB an Aufsichtsbehörde Art. 47/1/d VwVG Gegen E des BVGer: EHB Verfügung einer kt. Behörde: EHB (Art. 82 ff. BGG) -- subs. VB (Art. 113 ff. BGG) -- innere/äussere Sicherheit: VB an BR (Art. 72/a VwVG) Kantonaler Erlass: immer EHB III. Anfechtungsobjekt? IV. Zugangsschranken? V. Vorinstanz? VI. Subsidiarität? Seite 8
9 Zuständigkeitsprüfung 1. Spezialgesetzliche Regelung o NHG? enthält keine Regelung 2. Anfechtungsobjekt (Art. 82 BGG) o Entscheid in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts gemäss Art. 82 Bst. a BGG 3. Zugangsschranken? o Ausnahmekatalog (Art BGG) 4. Vorinstanz (Art. 86 ff. BGG) o Entscheide des BVGer gemäss Art. 86 Abs. 1 Bst. a BGG 5. Subsidiarität o Art. 86 Abs. 1 Bst. d BGG: Entscheide letzter kantonaler Instanzen? o Spezialgesetz anwendbar? Seite 9
10 Weitere Sachurteilsvoraussetzungen (1) 6. Legitimation Beschwerderecht von ideellen Organisationen im Allgemeinen Spezialgesetzlich vorgesehene Beschwerde ideeller Organisationen (Verweis in Art. 89 Abs. 2 Bst. d BGG) Dient der Durchsetzung wichtiger öffentlicher Interessen Auch: «Ideelle Verbandsbeschwerde» Nicht mit «egoistischer Verbandsbeschwerde» verwechseln! Einordnung: Formelle Beschwer: i.d.r. erforderlich (SpezialG beachten) Materielle Beschwer: nicht erforderlich (ergibt sich aus SpezialG) Aktuelles und prakt. Interesse: erforderlich Seite 10
11 Insb. Beschwerdeberechtigung nach Art. 12 NHG o Gemäss Art. 12 Abs. 1 Bst. b und Abs. 2 NHG sind Organisationen zur Beschwerde berechtigt, die: sich dem Naturschutz, dem Heimatschutz, der Denkmalpflege oder verwandten Zielen widmen; gesamtschweizerisch tätig sind (Abs. 1 Bst. b Ziff. 1) sowie; rein ideelle Zwecke verfolgen (Abs. 1 Bst. b Ziff. 2). o Rügen sind nur im Rechtsbereich zulässig, der seit mind. 10 Jahren im statutarischen Zweck des Vereins festgehalten ist (Abs. 2). o Hinweis: Die zur Beschwerde berechtigten Organisationen sind in Art. 1 und Anhang VBO aufgeführt (Art. 12 Abs. 3 NHG). Nur deklaratorische Bedeutung der Aufzählung Im Fall: o SHS erfüllt die Voraussetzungen ohne weiteres; Helvetia Nostra hat nicht am Vorverfahren teilgenommen (formelle Beschwer; Art. 12c Abs. 1 NHG) Seite 11
12 Weitere Sachurteilsvoraussetzungen (2) 7. Beschwerdegründe: Art BGG o Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 Bst. a BGG) o Unrichtige Feststellung des SV gem. Art. 97 Abs. 1 BGG Volle Kognition des BGer in Bezug auf Verletzung von Bundesrecht, beschränkte Kognition in Bezug auf SV-Fragen; keine Kognition bezüglich Angemessenheit 8. Frist/Form: o Frist (Art. 100 f. BGG) o Form (Art. 42 und 106 BGG) Seite 12
13 Rügen des SHS 1. Verletzung von Art. 3 NHG / Art. 5 Abs. 2 BV Der ausserordentliche, kulturhistorische Wert der Anlage sei im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung zu wenig berücksichtigt worden 2. Verletzung von Verfahrensrechten (rechtliches Gehör) a) Aufgrund der Ablehnung einer zusätzlichen / eigenen Expertise (siehe auch 3a) b) Aufgrund der Nichtausschöpfung der Kognition durch das BVGer 3. Unrichtige Feststellung des Sachverhalts a) Aufgrund Ablehnung des Antrags, die Seilbahn vor Ort durch einen eigenen Experten begutachten zu lassen (siehe auch 2a) b) Nur die negativen Aspekte einer Sanierung der Seilbahn aus dem Gutachten seien beachtet worden, was zu falschen Schlüssen geführt habe Seite 13
14 1) a) Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV)? o Leitentscheid: BGE 134 I 153 E. 4 o Bei Anwendung von Bundesverwaltungsrecht: Mit EHB (& B ans BVGer) eigenständig als Rechtsverletzung rügbar (Verletzung von Art. 5 Abs. 2 BV) o Bei Anwendung von kantonalem Recht: Nicht eigenständig als Rechtsverletzung rügbar, sondern lediglich: als Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV; wenn krass unverhältnismässig) als Verletzung des Äquivalenzprinzips als Teilgehalt des Legalitätsprinzips im Abgaberecht (Art. 127 Abs. 1 und 2 BV; = verfassungsmässiges Recht) im Schutzbereich eines Grundrechts (Art. 36 Abs. 3 BV) Seite 14
15 1) b) Interessenabwägung (Art. 3 Abs. 1 NHG) Ist der Abbruch angesichts der in Frage kommenden öffentlichen Interessen verhältnismässig? Für den Abbruch / Neubau sprechende Interessen o Touristische Nutzung; o Sicherheit der Benutzer; o Ökonomische Interessen; o Ökologie Gegen den Abbruch / Neubau sprechende Interessen o Schutz eines Kulturdenkmals (vgl. Art. 1 NHG), da Sessellift von besonderer Bauart und letzte ihres Typs in der Schweiz o Seilbahn prägt Gipfelbild o Touristische Nutzung (weil es sich um ein Kulturdenkmal handelt) BVGer hat laut SV eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen Seite 15
16 2) a) Ablehnung einer Expertise o Regel des VwVG und Teilgehalt des rechtlichen Gehörs: Recht auf Abnahme von angebotenen, tauglichen Beweisen (Art. 33 Abs. 1 VwVG). o Behörde darf Beweisanträge ablehnen, wenn sie mittels antizipierter Beweiswürdigung zum Schluss gelangt, dass der angebotene Beweis an der Würdigung der bereits abgenommenen Beweise nichts mehr ändert oder die Behörde den SV aufgrund eigener Sachkenntnis bereits ausreichend würdigen kann (BGE 130 II 425 E. 2.1) o Wertungsfrage; muss von der Behörde begründet werden Seite 16
17 2) b) Nichtausschöpfung der Kognition Grundsatz o Verfassungsrechtliche Mindestgarantie Art. 29 Abs. 2 BV (rechtliches Gehör) bzw. gem. einzelner Lehrmeinungen: Art. 29 Abs. 1 BV (Rechtsverweigerung) Teilgehalt: Anspruch auf Ausschöpfung der Kognition o Pflicht (hier) des BVGer, sich mit allen (1) zulässigerweise erhobenen und (2) hinreichend begründeten Rügen auseinanderzusetzen: (1) Überprüfung der Angemessenheit eines Entscheids: Art. 37 VGG i.v.m. Art. 49 Bst. c VwVG (2) Rügeprinzip gemäss Art. 52 Abs. 1 VwVG Seite 17
18 Vorbehalt der Praxis: Prüfungsdichte bei Rüge der Nichtausschöpfung der Kognition o Zurückhaltung des BVGer bei der Überprüfung der Angemessenheit eines Entscheids / unbestimmten Rechtsbegriffen, wenn sich die Vorinstanz durch besonderes Fachwissen auszeichnet («Ohne-Not-Praxis» bzw. «technisches Ermessen»). Im Ergebnis: Willkürprüfung. o Wird durch BGer im Rahmen der Überprüfung der Verletzung des rechtlichen Gehörs geschützt, sofern die Vorinstanz im Vergleich mit verfügender Behörde nicht über vergleichbare Fachkenntnisse verfügt (BGE 133 II 35). Im Fall: o BAV hat besondere Fachkenntnisse bei technischer Frage der Sanierbarkeit der Sesselbahn und deren Auswirkungen auf den Betrieb, über die das BVGer nicht verfügt. BVGer durfte sich bei Überprüfung der Angemessenheit auf Willkürprüfung beschränken. Seite 18
19 3) Unrichtige Feststellung des Sachverhalts? Verfahren vor BGer (Art. 97 BGG) o Grundsatz: keine Überprüfung des SV o Ausnahmen: (1) Offensichtlich unrichtige (willkürliche) Feststellung des SV, oder (2) auf einer Rechtsverletzung beruhende Feststellung des SV, die zudem entscheidenden Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens haben kann. Hinweis: im ersten Fall gilt vor BGer wegen der Verletzung des Willkürverbots ein qualifiziertes Rügeprinzip, vergleichbar mit Art. 106 Abs. 2 BGG (BGE 133 II 249 E S. 254 f.) Seite 19
20 3) a) Berücksichtigung nur der negativen Aspekte o Rüge: Nur die negativen Aspekte einer Sanierung der Seilbahn aus dem Gutachten seien beachtet worden, was zu falschen Schlüssen geführt habe. o Praxis zu Art. 97 BGG: Verlangt wird ein qualifizierter Mangel, d.h. ein klares Abweichen von den tatsächlichen Gegebenheiten oder eine Beweiswürdigung, welche im Lichte der Tatsachen nicht haltbar ist. Im Ergebnis muss dies zu einem falschen (d.h. willkürlichen) Entscheid geführt haben. Im Fall: o SV enthält keine Hinweise, wonach das BVGer bei der Feststellung des SV willkürlich vorgegangen wäre. Seite 20
21 3) b) Ablehnung einer Expertise o Rüge: Ablehnung des Antrags, die Seilbahn vor Ort durch einen eigenen Experten begutachten zu lassen. o Gemäss BGer betrifft die (antizipierte) Beweiswürdigung den Sachverhalt (BGE 136 II 304 E. 3.3) Im Fall: o Beruht die SV-Feststellung (nur ein Gutachten) auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG und kann die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein? Insbesondere zu diskutieren, ob durch ein zweites Gutachten der SV anders gewürdigt würde bzw. ein anderes Ergebnis möglich wäre Scheint nicht a priori ausgeschlossen. Seite 21
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