Kapitel 5: Rotationsbewegung von Molekülen und Rotationsspektroskopie
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- Adolph Michel
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1 Kapitel 5: Rotationsbewegung von Molekülen und Rotationsspektroskopie Übersicht: 5.1. Schrödingergleichung für die Drehbewegung 5.2 Molekulare Trägheitsmomente 5.3 Klassifikation molekularer Kreisel 5.4. Auswahlregeln für reine Rotationsübergänge 5.5. Korrekturen höherer Ordnung: Zentrifugalverzerrung und vibratorische Mittelung 5.6 Anwendungen b a c Literatur: P. W. Atkins, Molecular Quantum Mechanics, 5. ed.: Kapitel 10 H.W. Kroto, Molecular Rotation Spectra, Dover 2003 H. Primas, U. Müller-Herold, Elementare Quantenchemie: Kapitel 4 Handbook of High-Resolution Spectroscopy, ed. M. Quack, F. Merkt, Wiley 2011 P. Bernath, Spectra of Atoms and Molecules, 2.ed., Oxford University Press 2005 P.R. Bunker, P. Jensen, Molecular Symmetry and Spectroscopy, NRC Press 1998
2 5.1 Schrödingergleichung für die Drehbewegung Der Hamiltonoperator für die Rotationsbewegung eines Moleküls wird mittels des Korrespondenzprinzips aus der klassischen Rotationsenergie Erot eines Köpers berechnet: a E rot = 1 2 I a Trägheitsmoment um Rotationsachse a 2 a Winkelgeschwindigkeit um Rotationsachse a (5.1.1) b c Für die freie Rotation im 3D-Raum um die senkrecht stehenden Achsen a,b,c lautet die Rotationsenergie: E rot = 1 2 I a a + I b b + I c c (5.1.2) Mit der Definition des Drehimpuls Ji=Iiωi (i=a,b,c) erhält man: E rot = 1 Ja 2 + J2 b + J2 c 2 I a I b I c
3 Ersetzt man nun die Drehimpulse Ji durch ihre QM Operatoren Ĵi erhält man den Hamiltonoperator für die Rotationsbewegung: Ĥ rot = Ĵ2 a + Ĵ2 b + Ĵ2 c (5.1.3) 2I a 2I b 2I c... und damit die rotatorische Schrödingergleichung: Ĥ rot rot = Ĵ2 a 2I a + Ĵ2 b 2I b + Ĵ2 c 2I c rot = E rot rot (5.1.4) Die Rotationsachsen a,b,c sind am Molekül fixiert und drehen sich mit diesem mit. Der molekulare Rotationsdrehimpuls-Operator ˆ~J =[Ĵ a, Ĵ b, Ĵ c ] T ist in diesem molekülfesten, rotierenden Koordinatensystem definiert. Durch die Transformation in das molekülfeste Koordinatensystem gehorchen die Komponenten des molekularen Rotations-Drehimpulsoperators anomalen Vertauschungsrelationen mit umgekehrtem Vorzeichnen als in Gl. (3.1.4): [Ĵ a, Ĵ b ]= i~ĵ c und zyklische Permutationen (5.1.5) Als Folge davon sind Erzeugungs- und Vernichtungsoperator des molekülfesten Drehimpulses mit entgegengesetztem Vorzeichen im Vergleich zu Gl. (3.2.1) definiert, s. Übung 4 für Details.
4 5.2. Molekulare Trägheitsmomente Das Trägheitsmoment Iα für die Rotation eines starren Körpers bestehend aus K Massenpunkten mi um die Rotationsachse α ist gegeben durch (s. Physikvorlesung): KX I = m i r 2?,i (5.2.1) i=1 Normalabstand des Massenpunkts mi zur Rotationsachse α, α {a,b,c} Die Rotationsachse geht dabei immer durch den Schwerpunkt S des Moleküls: S = 1 P K i=1 m i KX m i r i, r i =[x i,y i,z i ] i=1... Koordinate des Massenpunktes mi im molekülfesten Koordinatensystem (5.2.2) Nomenklatur: a = Achse mit kleinstem Trägheitsmoment, c = Achse mit grösstem Trägheitsmoment.
5 Beispiele: (s. auch Tafel und Übungen)
6 5.3 Klassifikation molekularer Kreisel Man klassifiziert Moleküle nach den Eigenschaften ihrer Trägheitsmomente: Sphärische Kreisel: alle Trägheitsmomente sind gleich gross: I a = I b = I c (5.3.1) Bsp.: CH4, SF6 Symmetrische Kreisel: zwei Trägheitsmomente sind gleich gross: a) zigarrenförmige symmetrische Kreisel: I a <I b = I c (5.3.2) Bsp.:CH3Cl, CH3CN b) tellerförmige symmetrische Kreisel: I a = I b <I c (5.3.3) Bsp.: NH3, C6H6 Asymmetrische Kreisel: alle Trägheitsmomente verschieden I a = I b = I c (5.3.4) Bsp.: alle Moleküle mit niedriger bzw. keiner Symmetrie Für planare Moleküle gilt: I c = I a + I b (5.3.5)
7 5.3.1 Sphärische Kreisel Für sphärische Kreisel gilt Ia=Ib=Ic I. Somit wird die Schrödingergl. (5.1.4) zu: Ĵa 2 + Ĵb 2 + Ĵ2 c rot = E rot rot (5.3.6) 2I Da das Betragsquadrat des Rotations-Drehimpulsoperators gegeben ist durch: folgt: ˆ J 2 = Ĵ 2 = Ĵ 2 a + Ĵ 2 b + Ĵ 2 c Ĵ 2 2I rot = E rot rot (5.3.7) (5.3.8) Diese Schrödingergleichung ist formal die Eigenwertgleichung des Drehimpulsoperators Ĵ 2, Gl. (3.1.8)! Die Eigenwerte sind gegeben durch: (5.3.9) also: E rot = 2 2I J(J + 1) mit J=0,1,2,... rotatorische Drehimpulsquantenzahl (5.3.10)
8 Der Ausdruck B = wird als Rotationskonstante bezeichnet. Ausgedrückt in Wellenzahlen: Damit wird Gl. (5.3.10) zu 2 2I B = 4 ci (5.3.11) (5.3.12) E rot (J)/hc = F (J) =BJ(J + 1) (5.3.13) Der Abstand zwischen zwei Energieniveaus F(J+1)-F(J) ist F (J + 1) F (J) =2B(J + 1) (5.3.14) Für zigarrenförmige Kreisel sind die Trägheitsmomente Ib=Ic>Ia. Man definiert zwei Rotationskonstanten (in Einheiten von Wellenzahlen): mit A>B. A = 4 cia Symmetrische Kreisel und B = ~ 4 ci b (5.3.15) Rotatorische Energieniveaus eines spärischen Kreisels
9 Die Energieniveaus (in Wellenzahlen) sind: E rot (J, K)/hc = F (J, K) =BJ(J + 1) + (A B)K 2 (5.3.16) a mit einer neuen Quantenzahl K=-J, -J+1,.., J, die der Projektion von J auf die a-achse entspricht. Gl. (5.3.16) wird in Übung 4 hergeitet. Analog erhält man für tellerförmige Kreisel (Ic>Ia=Ib) E rot (J, K)/hc = F (J, K) =BJ(J + 1) (B C)K 2 (5.3.17) mit den Rotationskonstanten (in Einheiten von Wellenzahlen): B = ~ C = ~ (5.3.18) 4 ci b 4 ci c Lineare Kreisel Lineare Moleküle sind eine Spezialform von zigarrenförmigen symmetrischen Kreiseln. Da die Kerne als punktförmig betrachtet werden und alle auf der Molekülachse liegen, ist eine Rotation um diese Achse nicht möglich: K=0 für lineare Moleküle. Die Rotationsachse ist damit immer senkrecht zur Molekülachse! Die Energieniveaus sind wie beim sphärischen Kreisel gegeben durch: F (J) =BJ(J + 1) (5.3.19) Interpretation der Quantenzahl K a
10 Zusammenfassung: rotatorische Energieniveaudiagramme linearer und sphärischer Kreisel zigarrenförmiger Kreisel tellerförmiger Kreisel F(J) J F(J,K) J J K K F (J) =BJ(J + 1) F (J, K) =BJ(J + 1) + (A B)K 2 F (J, K) =BJ(J + 1) (B C)K 2 Für asymmetrische Kreisel existiert keine geschlossene Formel für die Rotationsenergien. Diese müssen in diesem Fall durch Matrixdiagonalisierung des Hamiltonoperators Gl. (5.1.4) berechnet werden siehe Übung 4.
11 5.4 Auswahlregeln für reine Rotationsübergänge Wir wenden uns nun spektroskopischen Übergängen zwischen Rotationszuständen in der Dipolnäherung zu. Da diese in der Regel im Mikrowellenbereich stattfinden, spricht man auch von Mikrowellen (MW)- Spektroskopie. Wir werten das Dipolmatrixelement ~D 12 = h2 ˆ~D 1i = Z ' 2 ˆ~D ' 1 d (4.5.30) für rein rotatorische Übergänge aus. In der Born-Oppenheimer-Näherung werden die molekularen Wellenfunktionen φi formuliert als ' i = ' e,i ' v,i ' r,i, i =1, 2 (5.4.1) In Bracket-Notation: elektronische vibratorische ii = e i i v i i J i,m i i rotatorische Wellenfunktion elektronische vibratorische rotatorische Quantenzahlen Wobei das Ket der Rotationswellenfunktion eines linearen Moleküls entspricht. Diese sind durch die Kugelflächenfunktionen YJ,M(θ,Φ) (Gl. (3.1.10)) gegeben. Für einen rein rotatorischen Übergang innerhalb des selben elektronischvibratorischen Zustands des Molekül gilt e 1 i = e 2 i = ei v 1 i = v 2 i = vi und
12 Das Dipol-Matrixelement wird damit zu: Der Ausdruck ~D 12 = hj 2,M 2 hv he ˆ~D ei vi J 1,M 1 i (5.4.2) = ~D ev ~D ev = hv he ˆ~D ei vi (5.4.3) ist das permanente elektrische Dipolmoment im elektronisch-vibratorischen Zustand ei v i des Moleküls. Somit Z wird Gl. (5.4.2) zu ~D 12 = hj 2,M 2 ~D ev J 1,M 1 i = YJ 2,M 2 (, ) ~D ev Y J1,M 1 (, ) sin d d (5.4.4) ~D ev ist ein Vektor im R 3. In Kugelkoordinaten sind seine x,y,z-komponenten gegeben als: D ev,x = ~D ev sin cos = 1 r ~D ev Y 1,+1 (, ) Y 1, 1 (, ) (5.4.5) D ev,y = ~D ev sin sin = i 1 r ~D ev Y 1,+1 (, )+Y 1, 1 (, ) r 4 D ev,z = ~D ev cos = 3 ~D ev Y 1,0 (, ) Die rechten Seiten dieser Beziehungen lassen sich leicht durch Einsetzen der Kugelflächenfunktionen Gl. (3.1.10) verifizieren.
13 Die Komponenten des Übergangsdipolmoments-Vektors ~D 12 =[D 12,x,D 12,y,D 12,z ] T sind also von der Form: Z D 12,i / YJ 2,M 2 Y 1,M 0 Y J1,M 1 sin d d, i 2 {x,y,z}, M 0 2 {0, ±1} (5.4.6) Der Integrand ist ein Produkt von drei Drehimpuls-Eigenfunktionen und kann rein formal als eine Kopplung von drei Drehimpulsen behandelt werden. Die Kopplung erfolgt wie üblich durch Clebsch-Gordan-Reihen Gl. (3.4.6). Damit das Integral in Gl. (5.4.6) nicht verschwindet, muss der resultierende gekoppelte Drehimpuls die totalsymmetrische Komponente 0, 0i = Y 0,0 (, ) enthalten. Dies ist nur dann der Fall, falls gilt (Beweis in Übung 5): J = J 2 J 1 =(0, ) ± 1 M = M 2 M 1 =0, ±1 und (5.4.7) ΔJ=+1: Absorption eines Photons ΔJ=-1: Emission eines Photons Der Fall ΔJ=0 wäre im Prinzip erlaubt, kommt jedoch in der Rotationsspektroskopie nicht vor (der Drehimpuls und damit die Rotationsenergie würde sich ja dann nicht ändern).
14 Ferner folgt aus Gl. (5.4.4) sofort, dass ~D 12 6=0nur wenn, d.h. nur Moleküle mit einem permanenten Dipolmoment besitzen ein Rotationsspektrum! Für symmetrische Kreisel liegt das Dipolmoment immer entlang der höchsten Symmetrieachse im Molekül. Die Quantenzahl K (die Projektion von J auf diese Achse) kann sich bei einem spektroskopischen Übergang nicht ändern: K =0 (5.4.8) Beweis: explizites Einsetzen der Wellenfunktionen Gl. (3.1.10) und der Dipolmomentoperatoren Gl. (5.4.5) in Gl. (5.4.4).
15 5.5 Korrekturen höherer Ordnung: Zentrifugalverzerrung und vibratorische Mittelung Bisher haben wir rotierende Moleküle als starre Rotatoren betrachtet, also Objekte, die völlig starr rotieren. Moleküle schwingen jedoch, während Sie rotieren (sogar im vibratorischen Grundzustand gibt es eine Nullpunktsschwingung). Die Bindungslängen und -winkel und damit die molekularen Trägheitsmomente verändern sich dadurch. Sie können zudem während der Rotation durch Zentrifugalkräfte ihre Geometrie verzerren, was je nach rotatorischer Anregung zu unterschiedlichen effektiven Trägheitsmomenten führt. Beide Effekte können durch eine störungstheoretische Korrektur zu den Rotationsenergien berücksichtigt werden.
16 Lineare Moleküle: Vibratorische Mittelung: die Verzerrung der Molekülgeometrie durch vibratorische Anregung wird durch der Einführung von effektiven, vibratorisch gemittelten Rotationskonstanten Bv Rechnung getragen. Die rotatorischen Termenergien werden damit: vibratorischer Mittelungsparameter F (J) =B v J(J + 1) B v = B e (v +1/2) mit (5.5.1) Rotationskonstante im vibratorischen Zustand v Rotationskonstante bei der Gleichgewichtsgeometrie Zentrifugalverzerrung: die Verzerrung des Moleküls durch Zentrifugalkräfte wird durch die Einführung eines Zentrifugalverzerrungsterms berücksichtigt: F (J) =B v J(J + 1) D v J 2 (J + 1) 2 Zentrifugalverzerrungskonstante im vibratorischen Zustand v (5.5.2) Symmetrische Kreisel: für zigarrenförmige symmetrische Kreisel erhält man: F (J, K) =B v J(J + 1) + (A v B v )K 2 (5.5.3) D v (J) J 2 (J + 1) 2 D v (JK) J(J + 1)K 2 D v (K) K 4 Die spektroskopischen Konstanten in Gl. (5.5.1)-(5.5.3) können aus experimentellen Spektren ermittelt werden (s. auch Übung 5).
17 5.6 Anwendungen In linearen Molekülen ist der Abstand zwischen zwei benachbarten Linien im Rotationsspektrum in der Näherung des starren Rotators genau 2B (Beweis?). B kann in diesem Fall also direkt aus dem Spektrum abgelesen werden. Da B via das Trägheitsmoment direkt von der Molekülgemometrie (Bindungslängen, Bindungswinkel) abhängt, kann diese mittels Rotationsspektroskopie bestimmt werden ( Übung 5). Da jedes Molekül eine andere Geometrie besitzt, weist es auch ein charakteristisches Rotationsspektrum auf spektroskopische Identifikation von Molekülen. Wichtige Anwendung: Radioastronomie 2B
18 Bsp.: Mikrowellenspektrum des Orionnebels Mikrowellenspektrum von Molekülen im Orionnebel
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