10.1. Ebene Kurven Mathematische Kurven sind uns aus den verschiedensten Zusammenhängen vertraut. Wir stellen hier kurz die wichtigsten Begriffe zusammen. Parameterdarstellungen einer Kurve sind stetige Funktionen (sogenannte Wege) w von einem reellen Intervall I [ a, b ] in einen zwei- oder dreidimensionalen Raum. Das Bild w[i] ist die von w erzeugte Kurve. Man interpretiert I meist als ein Zeitintervall, so daß w(t) den jeweiligen Punkt angibt, in dem man sich zur Zeit t befindet. Man beachte aber, daß man aus dem Bild der Kurve weder die Durchlaufgeschwindigkeit noch den Durchlaufsinn ablesen kann. Ersetzt man beispielsweise I durch [a/,b/] und w( t ) durch w( t ), so wird die Kurve doppelt so schnell durchlaufen, hat aber natürlich das selbe Bild. Den umgekehrten Durchlauf erhält man durch die Parameterdarstellung u( t ) w ( a + b t) denn dann ist u( a ) w( b ), u( b ) w( a ), und mit wachsendem t fällt a + b t entsprechend. Wir werden meist voraussetzen, daß w (zumindest stückweise) einmal oder sogar mehrfach stetig differenzierbar ist. Falls außerdem die Ableitung w ( t ) durchweg von 0 verschieden ist (die Kurve also keine stationären Punkte besitzt), spricht man von einer regulären Darstellung und einer glatten Kurve. Ableitungen nach einem Zeitparameter t bezeichnet man (insbesondere in technischen und physikalischen Zusammenhängen) häufig mit einem Punkt statt mit einem Strich (bei MAPLE geht das nicht), und die Wegfunktionen bzw. die entsprechenden Ortsvektoren mit x. Da die Buchstaben x,y,z aber fast immer für Koordinaten stehen, wählen wir einen neuen Buchstaben w, der auch auf die Interpretation als Weg hindeutet. Es ist also x( t ) w( t) x( t ) y( t ) Beispiel 1: Cardioiden (Herzkurven) für ebene Kurven, w( t) y( t ) z( t ) für Raumkurven. haben bei fest gewähltem r die überall beliebig oft differenzierbare Parameterdarstellung x( t ) r sin( t) r sin( t ), y( t ) r cos( t ) r cos( t ). Trotzdem sind die Kurven nicht glatt: bei t 0 verschwinden beide Ableitungen x ( t ) r cos( t) r cos( t ) und y ( t ) r sin( t ) + r sin( t ) und die Kurven haben eine Spitze (sind dort also nicht glatt).
Tangenten und Geschwindigkeit Die (komponentenweise gebildete) Ableitung w ( t ) beschreibt geometrisch einen Tangentenvekor. Im Falle w ( t 0 ) 0 ist w( t 0 ) + t w ( t 0 ) x ( t ) r cos( t) r cos( t ) eine Parameterdarstellung der Tangente zu einem festen Zeitpunkt t 0. Faßt man w( t ) als dynamischen Durchlauf der Kurve auf, so ist w ( t ) der jeweilige Geschwindigkeitsvektor, und sein Betrag v( t ) w ( t ) ist die (skalare) Bahngeschwindigkeit. Wir betrachten zunächst solche Kurven, die in der x-y-ebene liegen, bei denen also die dritte Koordinatenfunktion verschwindet. Im Prinzip läßt sich jede in einer Ebene gelegene Raumkurve durch eine geeignete Raumdrehung in diese Situation "transformieren". Die mathematische Beschreibung von Raumdrehungen kann allerdings recht kompliziert werden (lineare Algebra). Polarkoordinaten Wir bezeichnen wie üblich mit r den Radius, d.h. den Abstand eines Punktes vom Ursprung φ den Drehwinkel des Ortsvektors zur x-achse. Darstellungen ebener Kurven Implizite Darstellung kartesisch polar Lösungsmenge einer Gleichung Lösungsmenge einer Gleichung G ( x, y ) 0 H ( r, φ) 0 Explizite Darstellung kartesisch polar y-koordinate als Funktion Radius als Funktion der x-koordinate: y f( x ) vom Drehwinkel r ρ( φ ) Parameterdarstellung kartesisch polar Beide Koordinaten als Radius und Drehwinkel als Funktionen eines Parameters Funktionen eines Parameters x x( t ), y y( t ) r r( t ), φ φ( t ) Die expliziten Darstellungen können sowohl als Spezialfall der impliziten als auch der allgemeinen Parameterdarstellungen aufgefaßt werden:
y f( x ) ist gleichbedeutend mit G ( x, y ) 0, wenn man G ( x, y ) y f( x ) setzt, aber auch mit x x( t ) und y y( t ), wenn man x( t ) t und y( t ) f( t ) setzt. Analoges gilt für die Polarkoordinaten. Die Umrechnung zwischen kartesischen und polaren Darstellungen geschieht wie immer über die Formeln x r cos( t ), y r sin( t ), r x + y, t arctan y + x Beispiel : Berührkreise k π bzw. t signum( y) arccos x r. Wir wollen zwei gleich große Kreise mit Mittelpunkten auf der x-achse betrachten, die sich gegenseitig und den Einheitskreis berühren. Implizite Darstellung kartesisch polar Einheitskreis: x + y 1 r 1 0 1 Linker Kreis: x + + y 1 1 Rechter Kreis: x + y 1 r + cos( φ) 0 r cos( φ) 0 Explizite Darstellung kartesisch polar Einheitskreis: y 1 x, y 1 x r 1 Linker Kreis: y x + x, y x + x r cos( φ ) Rechter Kreis: y x x, y x x r cos( φ) Parameterdarstellung kartesisch polar Einheitskreis: x cos( t ), y sin( t ) r 1, φ t Linker Kreis: x Rechter Kreis: x 1 cos( t ) 1 + cos( t), y, y sin( t ) sin( t) r cos t, φ t r cos t, φ t
Die überraschend einfachen Polardarstellungen macht man sich am besten geometrisch klar: In dieser Zeichnung ist der Radius r die Höhe in einem gleichschenkligen Dreieck, dessen Öffnungswinkel t ist. Der Winkel φ zwischen dem Radius und der x-achse ist daher gleich t. Es gilt also tatsächlich für den rechten Kreis (mit Durchmesser 1) r cos( φ ) x r ( ) cos t, cos φ cos t 1 + cos( t), y sin( φ ) sin t cos t sin( t) Aus dieser Gleichung kann man umgekehrt sofort die explizite kartesische Darstellung gewinnen: y r sin( φ ) cos( φ ) sin( φ ) r 1 r x 1 x x x. Beispiel 3: Deformierte Einheitskreise Für beliebiges, aber fest gewähltes p > 0 nennen wir die implizit durch x p + y p 1 beschriebene Kurve einen deformierten Einheitskreis. Nur für p ergibt sich wirklich ein Kreis im üblichen geometrischen Sinn. Die deformierten Einheitskreise haben aber viele Eigenschaften gemein: sie sind symmetrisch sowohl zur x- als auch zur y-achse und berühren stets das Quadrat mit der Gleichung max ( x, y ) 1 von innen. Läuft p gegen, so nähern sie sich mehr und mehr diesem Quadrat. Die umschlossene Fläche ist für 1 p konvex (im Fall p 1 eine quadratische Raute), während für p < 1 eine Astroide herauskommt.. Explizit werden deformierte Einheitskreise durch die Funktionen
y ( 1 x p ) 1 p (jeweils ein positiver und ein negativer Ast) beschrieben. Eine bequeme Parameterdarstellung, die sich auch zur graphischen Darstellung gut eignet, ist x cos( t) q, y sin( t ) q mit q p. Diese Parameterdarstellung führt unmittelbar zu r x + y cos( t ) ( q ) + sin( t ) ( ) q, aber das ist (außer im Spezialfall p, d.h. q 1) nicht die Polardarstellung, d.h. t ist im allgemeinen nicht der Winkel zur x-achse. Die obige Darstellung für r läßt sich aber mit Hilfe der Gleichungen cos( t) 1 y und tan( φ) 1 + tan( t) x tan( t) q umformen zu r 1 cos( φ) ( 1 + tan( φ) p ) 1 p und dies ist jetzt wirklich die Polardarstellung! 3 p, p 3 Von speziellem Interesse ist der Fall p x p + y p 1 die Parameterdarstellung Also ist x cos( t) 3, y sin( t ) 3. r cos( t ) 6 + sin( t) 6, 3. Hier hat die Astroide während die Polardarstellung hier keine Vorteile bringt. Wir zeichnen die Astroide und die Kurve mit der Polardarstellung r cos( φ) 6 + sin( φ) 6 (die keine Astroide liefert).
Tangenten und Normalen Zur Parameterdarstellung w( t) x( t ) y( t ) gehört der Geschwindigkeitsvektor oder Tangentialvektor w ( t) x ( t) y ( t ) die skalare Geschwindigkeit v( t ) w ( t ) x ( t) + y ( t) und der Normalenvektor w n ( t) y ( t). x ( t) Er hat die gleiche Länge wie der Tangentialvektor. Im Falle n( t) w n ( t) v( t) und n( t ) die beiden Normalen-Einheitsvektoren auf der Kurve. v( t) 0 sind Mit t als neuem Parameter haben wir also zu jedem festen "Zeitpunkt" t 0 die Tangente T, und die Normale w t0 ( t ) w( t 0 ) + t w ( t 0 ) N, w t0 ( t ) w( t 0 ) + t n( t 0 ). Wir berechnen und zeichnen Tangenten und Normalen zu den deformierten Einheitskreisen w( t) x( t ) y( t ) mit x( t ) cos( t) q, y( t ) ( ) sin t q und q p. Einfache Ableitung ergibt w ( t) q cos( t ) ( q 1 ) sin( t), q sin( t ) ( q 1 ) cos( t ) w n ( t ) q sin( t ) ( q 1 ) cos( t ) q cos( t ) ( q 1 ). sin( t )
p 3, q 3 p, q 3 3 p, p 3 3
Beispiel : Zykloiden Besonders schön lassen sich Kurvenverlauf, Tangenten und Normalen bei Zykloiden verfolgen. Das sind Kurven, die ein mit einem Rad verbundener Punkt beschreibt, wenn dieses auf einer vorgegebenen Bahnkurve entlang rollt. Wir lassen die Räder zunächst auf einer ebenen Bahn (etwa der x-achse) abrollen. Nehmen wir den Rollwinkel t als Parameter, so hat der Mittelpunkt des Rades (mit Radius r) die Koordinaten r t und r. Ein mit dem Rad fest verbundener Punkt (Seitenstrahler) im Abstand a vom Mittelpunkt hat daher die kartesische Parameterdarstellung x( t ) r t a sin( t ), y( t ) r a cos( t ). Die Ableitungen lauten x ( t ) r a cos( t ), y ( t ) a sin( t ), und daraus resultiert (bei konstanter Winkelgeschwindigkeit 1) die skalare Geschwindigkeit v( t ) r + a r a cos( t ). Durch Veränderung des Maßstabes kann man r 1 annehmen. Mathe und Inge auf der Tour (völlig ungedopt) Bei Variation der Geschwindigkeit gibt es Stehversuche und Überholmanöver.
Beispiel 5: Epi- und Hypozykloiden Rollt ein Kreis k mit Radius r auf einem anderen Kreis K mit Radius R ab, so bewegt sich ein Punkt, der mit dem abrollenden Kreis k im Abstand a von dessen Mittelpunkt fest verbunden ist, auf einer Epizykloide (falls der Kreis außen abrollt) bzw. auf einer Hypozykloide (falls er innen abrollt). Parameterdarstellungen dieser Zykloiden sind gegeben durch Dabei ist w( t) ω r cos( t) σ a cos( ω t ). ω r sin( t ) a sin( ω t) t der Drehwinkel des Berührpunktes der Kreise, σ 1 das Signum für "außen" und σ 1 das Signum für "innen", R + σ r R ω + σ das Verhältnis zwischen Mittelpunktabstand und Radius r. r r Der jeweilige Geschwindigkeitsvektor entlang der Zykloide ist w ( t) ω ( r sin( t ) + σ a sin( ω t )) ω ( r cos( t ) a cos( ω t) ) und einer der beiden darauf senkrecht stehenden Normalenvektoren gleicher Länge ist w n ( t) ω ( r cos( t) + a cos( ω t )). ω ( r sin( t ) + σ a sin( ω t) ) Die Verbindungsstrecke zwischen Berührpunkt und Kurvenpunkt steht also stets senkrecht auf der Kurve, und ihre Länge ist proportional zur skalaren Geschwindigkeit v( t ) w ( t ). Diese ist gleich ( ω r sin( t) + a sin( ω t) ω σ ) + ( ω r cos( t) a cos( ω t) ω), was sich mittels der trigonometrischen Umformung cos( t ) cos( ω t ) + σ sin( t ) sin( ω t ) cos ( ω t σ t ) cos R t r vereinfacht zu v( t) ω r + a r a cos R t. r
Die Astroide w( t) cos( t ) 3 sin( t) 3 entsteht als Rollkurve durch Abrollen eines Rades vom Radius 1 im Inneren des Einheitskreises x + y 1. In der Tat ist d.h. bzw. cos( 3 t) + i sin( 3 t ) e ( 3 i t ) ( cos( t ) + i sin( t ) ) 3 cos( t) 3 3 cos( t ) sin( t) + 3 i cos( t) sin( t ) i sin( t ) 3, cos( 3 t ) cos( t ) 3 3 cos( t ) und sin( 3 t ) 3 sin( t ) sin( t ) 3, cos( t) 3 3 cos( t ) + cos( 3 t) und sin( t ) 3 3 sin( t) sin( 3 t). Zum Schluß eine Schar von Astroiden in einem Zahnradgetriebe: Clockwork Orange