Die relevanten Treiber unseres Mobilitätsverhaltens Warum bewegen wir uns so fort, wie wir es tun? Gerhard Fehr Avenir Mobilité Zukunft Mobilität: Forumsanlass «Verhaltensökonomie & Mobilität: Was kann die Verhaltensökonomie zur Lösung der Mobilitätsprobleme beitragen?» Bern, 27. Juni 2018 #Experimentability
Ziele dieses Referats 1 Evidenzbasierter Überblick: Was sind die tatsächlichen Treiber des Mobilitätsverhaltens? Diskussion des Einfluss der Erkenntnisse über die Identifikation mit 2 der Was SRG passiert, SSR auf wenn strategische man diese und operative nicht berücksichtigt? Herausforderungen 3 Welcher Handlungsbedarf ergibt sich daraus? 2
Die «Standard-Ökonomie» glaubt zu wissen «Die Entscheidung, welches Verkehrsmittel wir wählen machen wir hauptsächlich von zwei Faktoren abhängig»: dass wir möglichst schnell ans Ziel kommen (Dauer) dass wir möglichst wenig Geld dafür zahlen müssen (Kosten) 3
Folgen für die Thematisierung von Mobilität (1/3) In der Forschung, «Breit angelegte Studien» unter Pendlerinnen und Pendlern fokussieren vor allem den Preis und Zeitfaktoren wie Staus Blick, über die «Mobilitätsstudie Sophia 2018», M.I.S. Trends / Le Temps, 23. Mai 2018 und wissenschaftliche Publikationen untersuchen vor allem die Effekte von Preissteigerungen und Auswirkungen der Reisedauer (Sensitivitätsanalysen). % derer, die das Auto wählen ETH Zürich, Vorlesung zu Forschungsdesigns im Mobilitätskontext, 2016 Die klassische wissenschaftliche Forschung fokussiert methodisch im Wesentlichen darauf, wie Änderungen an Preis oder Zeit sich auf das Mobilitätsverhalten auswirken. 4
Folgen für die Thematisierung von Mobilität (2/3) in der politischen Diskussion Städtische Mobilitätskonzepte sehen die Steuerung über Preismechanismen zum Teil ebenso für das geeignetste Mittel an swr.de, 17. Mai 2018 wie andere politische Akteure wie etwa die intensive Diskussion um den Pendlerabzug zeigt. Tagesanzeiger.ch, 4. Januar 2014 Die Politik sieht vor allem das Drehen an der Preis- und Kostenschraube als wirksames Mittel, Herausforderungen im Bereich der Mobilität zu begegnen. 5
Folgen für die Thematisierung von Mobilität (3/3) und in der Praxis Die naheliegendste Intervention für Veränderungen im Mobilitätsverhalten wird vor allem in Anpassungen des Preises gesehen dies gilt für Akteure in der Mobilität Aargauer Zeitung, 18. November 2017 wie für grosse Player in der Privatwirtschaft. Auch hier dominieren marktwirtschaftliche Preismechanismen. So wollen Zuger Firmen Staus verhindern Wer nicht mehr mit dem Auto kommen darf oder von sich aus auf einen Parkplatz verzichtet, bekommt automatisch monatlich einen Mobilitätsbonus von 40 Franken mit dem Salär überwiesen. zentralplus.ch, 11. Juli 2017 Und auch Praktiker der Mobilität argumentieren vor allem über den Preis als zentrales Instrument, das Mobilitätsverhalten der Menschen zu beeinflussen. 6
Deckt sich das mit unseren Lebenserfahrungen? Die verhaltensökonomische Forschung zeigt: Menschen werden von einer Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst, wenn sie ihr Verkehrsmittel wählen Zusätzlich zu Preis, Kosten und Zeit wird unsere Entscheidung von vielen anderen Faktoren beeinflusst: Kontextuelle Faktoren Besonders häufig werden Wetterinformationen vor der Verkehrsmittelwahl eingeholt und diese beeinflussen die getroffene Wahl erwiesenermassen stark Weitere mögliche Faktoren: Uhrzeit oder Wochentag, an denen die Entscheidung getroffen wird Verplanken et al. 1997; Stover & McCormack 2012 7
Individuelle Faktoren spielen eine grosse Rolle Die verhaltensökonomische Forschung zeigt: Menschen werden von einer Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst, wenn sie ihr Verkehrsmittel wählen Zusätzlich zu Preis, Kosten und Zeit wird unsere Entscheidung von vielen anderen Faktoren beeinflusst: Individuelle Faktoren Die Art der Aktivität (z.b. Arbeitsweg) oder auch die Einkaufsmenge können Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl nehmen Einkaufsfahrten sind oft mit anderen Zielen verknüpft komplexe Wegketten werden häufiger mit dem Auto ausgeführt als «Single-Trips» Credit Suisse Economic Research 2013; Ye et al., 2007 8
Freude am Fahren: Nutzen ist nicht nur monetär Die verhaltensökonomische Forschung zeigt: Menschen werden von einer Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst, wenn sie ihr Verkehrsmittel wählen Zusätzlich zu Preis, Kosten und Zeit wird unsere Entscheidung von vielen anderen Faktoren beeinflusst: Psychologische Faktoren Wahrgenommene Nutzenbzw. Kostenfaktoren jenseits der zeitlichen und monetären Dimension Aspekte wie Status und Fahrvergnügen spielen ebenso eine Rolle für die Verkehrsmittelwahl wie gefühlte Unabhängigkeit und Privacy Steg, 2003; Stradling et al., 2001 9
Der Mensch ist im Verkehr ein Gewohnheitstier Die verhaltensökonomische Forschung zeigt: Menschen werden von einer Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst, wenn sie ihr Verkehrsmittel wählen Zusätzlich zu Preis, Kosten und Zeit wird unsere Entscheidung von vielen anderen Faktoren beeinflusst: Gewohnheiten Im Zuge sich wiederholender Abläufe (etwa dem Weg zur Arbeit), greifen Menschen besonders häufig auf vereinfachte, automatisierte Entscheidungsmuster zurück Habitualisierung spielt bei der Verkehrsmittelwahl eine sehr grosse Rolle es wird nicht systematisch abgewogen Moller & Thogersen, 2008; Bamberg et al., 2003; Chen & Chao, 2011 10
Zusammengefasst: Eine Vielzahl an Faktoren beeinflusst unsere Mobilitäts-Entscheidungen Zusätzlich zu Preis, Kosten und Zeit wird unsere Entscheidung massgeblich von vielen anderen Faktoren beeinflusst: KONTEXTUELLE FAKTOREN Etwa das Wetter, die Uhrzeit oder der Wochentag INDIVIDUELLE FAKTOREN Etwa die Art des Trips oder die Einkaufsmenge PSYCHOLOGISCHE FAKTOREN Etwa Flexibilität oder das Gefühl der Unabhängigkeit GEWOHNHEITEN weil man es einfach immer schon so gemacht hat. Zusammengefasst zeigt uns das 11
Ein Zwischenfazit Die konventionelle Annahme ist falsch! Bei Weitem nicht nur Zeit und Preis beeinflussen unser Mobilitätsverhalten sondern viele weitere Faktoren. 12
Was bedeutet das? Diese Erkenntnisse müssen zwingend berücksichtigt werden Die wissenschaftliche Forschung muss zwingend alle weiteren, für Mobilitätsentscheidungen relevanten Faktoren einbeziehen. In politische Diskussionen müssen die evidenzbasierten neuen Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie berücksichtigt werden. Die Mobilitätspraxis kann nur dann wirksame Lösungen finden, wenn sie die Ursachen und Zusammenhänge des tatsächlichen Verhaltens der Menschen versteht. 13
Was passiert, wenn man es nicht tut, zeigt folgendes Beispiel Eine klassische «Stated Preferences»-Befragung* Teilnehmende werden in repetitiven Abfragen gefragt, ob sie jeweils das Auto oder den ÖV wählen würden. Die einzigen Unterscheidungskriterien sind die Dauer (Fahrzeit, Parkplatzsuche, Weg zur Haltestelle, ) und die Kosten (Billets, Treibstoff, Parkplatz, ) Was ist das Ergebnis, wenn allein Preis und Zeit-Dauer für die Entscheidung zur Verfügung stehen? * Stated Preferences-Befragungen (SP-Befragungen): Befragungen zu persönlichen Präferenzen und Entscheidungen in einer zukünftigen, hypothetischen Situation 14
Was passiert, wenn nur Zeit- und Kostenfaktoren berücksichtigt werden? % der Teilnehmenden, die das Auto wählten Eine klassische «Stated Preferences»-Befragung Es zeigt sich eine enorm hohe Preissensitivität: Befragte reagieren sehr stark auf Veränderungen in den Preisen. Ist die Preisschraube damit der belegte, evidenzbasierte Hebel, um Mobilitätsverhalten zu steuern? 1: Auto preislich deutlich attraktiver 5: ÖV preislich deutlich attraktiver Dieses experimentelle Design unterstellt zwei Dinge: Menschen rechnen perfekt und der Kontext spielt keine Rolle. Quelle: FehrAdvice & Partners (2018): Der Mensch im Verkehr: Ein Homo Oeconomicus? Eine verhaltensökonomische Studie zu den Treibern des Mobilitätsverhaltens im Besonderen beim Einkaufsverkehr. Publikation: Juli 2018 15
Was passiert, wenn zusätzlich nur schon drei Kontextfaktoren berücksichtigt werden? Eine experimentelle Befragung Zusätzlich zur analogen Struktur, eine Entscheidung basierend auf Kosten und Zeitdauer zu treffen, erhalten die Befragten drei weitere Informationen: Wie ist das Wetter? Wie gross ist der Einkauf? Stehen weitere Aktivitäten an? Wie ist das Ergebnis, wenn diese drei Kontextfaktoren den Befragten zusätzlich angegeben werden? Quelle: FehrAdvice & Partners (2018): Der Mensch im Verkehr: Ein Homo Oeconomicus? Eine verhaltensökonomische Studie zu den Treibern des Mobilitätsverhaltens im Besonderen beim Einkaufsverkehr. Publikation: Juli 2018 16
Stated Preferences-Befragungen können zu massiven Fehleinschätzungen führen % der Teilnehmenden, die das Auto wählten Eine experimentelle Befragung 1: Auto preislich deutlich attraktiver 5: ÖV preislich deutlich attraktiver Kein Kontext Grosser Einkauf, schlechtes Wetter, komplexer Trip Durchschnitt aller Kombinationen unter den drei Kontexten* Werden von einer Vielzahl möglicher Kontextfaktoren lediglich drei genannt, ergibt sich ein völlig anderes Bild: Wer viel einzukaufen und danach noch etwas anderes zu erledigen hat, wählt mit viel höherer Wahrscheinlichkeit das Auto selbst wenn das viel teurer ist. Nur schon die Nennung einiger weniger Kontextfaktoren, verändert das Bild völlig und damit die Einschätzung über die Wirksamkeit der monetären Massnahmen. Quelle: FehrAdvice & Partners (2018): Der Mensch im Verkehr: Ein Homo Oeconomicus? Eine verhaltensökonomische Studie zu den Treibern des Mobilitätsverhaltens im Besonderen beim Einkaufsverkehr. Publikation: Juli 2018 17
Fazit 1 Preise spielen für das Mobilitätsverhalten oft nur eine untergeordnete Rolle. 2 Mit Preis-Massnahmen lässt sich beim Mobilitätsverhalten der Menschen oft nicht die gewünschte Lenkungswirkung erzielen. 3 Preis-Massnahmen führen oft sogar zu kontraproduktiven Effekten. 4 Die Behörden tragen die Verantwortung dafür, dass nur Massnahmen ergriffen werden, die auch die gewünschte Wirkung zeigen. 18
Literatur Bamberg, S., Ajzen, I. & Schmidt, P. (2003). Choice of travel mode in the theory of planned behavior. The roles of past behavior, habit, and reasoned action. Basic and Applied Social Psychology, 25(3), 175-187 Chen, C.F. & Chao, W.H. (2011). Habitual or reasoned? Using the theory of planned behavior, technology acceptance model, and habit to examine switching intentions toward public transit. Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behavior, 14(2), 128-137 Credit Suisse Economic Research (2013). Retail Outlook 2013. Fakten und Trends FehrAdvice & Partners AG (2018). Der Mensch im Verkehr: Ein Homo Oeconomicus? Eine verhaltensökonomische Studie zu den Treibern des Mobilitätsverhaltens im Besonderen beim Einkaufsverkehr Moller, B.T. & Thorgensen, J. (2008). Car-use habits: An obstacle to the use of public transportation? In: Jensen-Butler, C., Madsen, B., Nielsen, O.A., Sloth, B. (eds.). Road Pricing. The Economy and the Environment, pp. 301-314, Springer Verlag Steg, L. (2005). Car use: lust and must. Instrumental, symbolic and affective motives for car use. Transportation Research Part A: Policy and Practice, 39(2), 147-162 Stover, V.W. & McCormack, E.D. (2012). The impact of weather on bus ridership in Pierce County, Washinton. Journal of Public Transportation, 15(1), 6 Stradling, S.G., Meadows, M.L. & Beatty, S. (2001). Identity and independence. Two dimensions of driver autonomy. In: Grayson, G.B. (ed.). Behavioral research and road safety (pp. 7-19), Crowthorne: Transport Research Laboratory Verplanken, B.; Aarts, H.; van Knippenberg, A. (1997). Habit, information acquisition and the process of making travel mode choices. European Journal of Social Psychology, 27, 539-560 Ye, X., Pendyala, R.M. & Gottardi, G. (2007). An exploration of the relationship between mode choice and complexity of trip chaining patterns. Transportation Research B: Methodological, 41(1), 96-113 19
Die auf Seite 17 dargestellten Ergebnisse im Detail Ausführliche Informationen zu den auf Seite 17 dargestellten Ergebnissen, vgl. in der detaillierten Studie: Juni 2018 Der Mensch im Verkehr: Ein Homo Oeconomicus? Eine verhaltensökonomische Studie zu den Treibern des Mobilitätsverhaltens im Besonderen beim Einkaufsverkehr wird im Juni 2018 publiziert 20
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