Wissenschaftliches Schreiben für fremdsprachige Studierende textlinguistische Aspekte Bora Bushati / Christopher Ebner DIES Summer School 2010 Schreiben: Prozesse, Prozeduren, Interaktionen Kolloquium A Leitung: Prof. Dr. Torsten Steinhoff
Inhalt 1 Wissenschaftliches Schreiben für fremdsprachige Studierende textlinguistische Aspekte... 3 1.1 Zielsetzung / Hypothese... 3 1.2 Thesen... 3 1.3 Forschungsplan... 4 1.4 Erste Ergebnisse / Publikationen zu Teilbereichen... 4 1.5 Fragestellungen:... 5 2 Beispiele... 6 2.1 Einleitungen... 6 2.2 Zusammenfassungen... 7 2.2.1 Textsorten(wissen) Die Bedeutung von Textsorten im Fremdsprachenerwerb... 7 2.2.2 Textverstehen und Textverständlichkeit... 8 2.2.3 Britta Hufeisen: Ein deutsches Referat ist kein englisches Essay.... 9 2
1 Wissenschaftliches Schreiben für fremdsprachige Studierende textlinguistische Aspekte 1.1 Zielsetzung / Hypothese Ziel ist die Beschreibung von bestimmten wissenschaftlichen Textmustern, sogenannten textuellen Grundaufgaben, die in jedem wissenschaftlichen Text unterschiedlich häufig und in unterschiedlicher Zusammenstellung vorkommen und die isoliert betrachtet und klassifiziert werden können. Die Beschreibung prototypischer textueller Grundaufgaben: Ermöglicht die Betrachtung wissenschaftlicher Texte auf der sogenannten Mesoebene, jener Ebene die zwischen Satz und Text liegt. Erlaubt eine prototypische Beschreibung der speziellen Formen des wissenschaftlichen Schreibens anhand der Zusammensetzung der textuellen Grundaufgaben. Schafft die Voraussetzung für lehr- und lernergerechte Trainingseinheiten zum wissenschaftlichen Schreiben. 1.2 Thesen Schreiben an sich fordert eine Umstrukturierung der Wirklichkeit in Schemata, die die Sprache zulässt. Die Art der thematischen Entfaltung zeigt, wie beispielsweise Erleben in der Schilderung verändert werden muss. In den historischen Wissenschaften wird jedes Nebeneinander in der Schilderung notwendig zu einem Nacheinander. Lernende aus anderen Schreibkulturen haben gar keine Erfahrung im Schreiben und in der Gestaltung von komplexen Texten. Wissenschaftliches Schreiben ist Ausdruck einer anderen Art der Weltauffassung als der alltäglichen. Es repräsentiert diese Art der Auseinandersetzung der Welt nicht nur, es ist sie zu einem Gutteil. (Darum die Beschäftigung mit der Sprache der Wissenschaft seit Anbeginn der Philosophie.) Lernende aus anderen Wissenskulturen haben ein anderes Verständnis von wissenschaftlichem Schreiben. Wissenschaftliches Schreiben ist für Studierende mit Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache besonders schwer zu erfassen, da die Komponenten der allgemeinen Wissenschaftssprache auf der Ebene des Satzes komplex sind. Nominalisierungen, Funktionsverbgefüge, Passiv, modales Passiv oder die Verwendung des Konjunktivs in der Paraphrase erschweren die Rezeption und Produktion deutscher Wissenschaftsprosa. Im angewandten Bereich entstehen Förderbedürfnisse in der grundsprachlichen Kompetenz und bei der sprachlichen Realisierung der Textoberfläche. 3
1.3 Forschungsplan Ausarbeitung eines Analysemodells nach den angestellten Überlegungen. Analyse wiss. Texte aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich im Hinblick auf ihre mesostrukturellen Komponenten. Herausstellung typischer Strukturschemata innerhalb von übergreifenden Texteinheiten z.b. Einleitung, Literaturdarstellung und Diskussion, Aufstellen von Hypothesen. Identifikation fundamentaler mesostruktureller Textbausteine, die für wissenschaftliche Textbildung nahezu unverzichtbar sind. Genaue Beschreibung der Strukturellen inhaltlichen und sprachlichen Elemente. Einleitungen, Begriffe, Zitieren, Paraphrasieren, Auswerten von Literatur, Referieren Verbindung der gewonnen textlinguistischen Erkenntnisse mit den ermittelten Bedürfnissen fremdsprachiger Studierenden in einem angewandten, textpragmatischen Modell zur Verwendung im Unterricht zu Handen von Lehrenden und Lernenden. 1.4 Erste Ergebnisse / Publikationen zu Teilbereichen Bushati, Bora: Letersia lëndë speciale në programet studimore universitare të ciklit. In: Botime nga Konferenca ndërkombëtare Sfida dhe perspektiva të mësimdhënies së gjuhës së huaj. Shkodër, 31 Tetor 01 nëntor 2008. Shkodër, Camaj-Pipaj, S. 333-343. 4 Ebner, Christopher / Paul R. Portmann-Tselikas (2010): Lesen und Schreiben von wissenschaftlichen Texten in der Fremdsprache Deutsch. In: ide. Informationen zur Deutschdidaktik: Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule. 4. Im Druck. Ebner, Christopher (2009): Literature in representationalistic and functionalistic language teaching. In: Botime nga Konferenca ndërkombëtare Sfida dhe perspektiva të mësimdhënies së gjuhës së huaj. Shkodër, 31 Tetor 01 nëntor 2008. Shkodër, Camaj- Pipaj, S. 353-359. Ebner, Anna / Ebner, Christopher (2009): Sprachdidaktische Überlegungen zur Gestaltung und zur Übersetzung wissenschaftlicher Texte. In: Mercer, Sarah / Schwarz, Eveline (Hrsg.): Impulse zu einer translationsbezogenen Sprachdidaktik. Working with Language. Insights into Language Teaching for Translators. Graz: Selbstverlag, Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft, (= gts Graz Translations Studies, hrsg. v. Erich Prunc). Ebner, Christopher (2009): Wissenschaftliches Schreiben für fremdsprachige Studierende neueste Ansätze für Forschung und Didaktik. In: Deutsch als Fremdsprache: Zeitschrift fuer Theorie und Praxis des Deutschunterrichts für Ausländer.
1.5 Fragestellungen: Was kann das Konzept der Mesoebene für die textlinguistische Klassifikation von deutscher Wissenschaftsprosa leisten? o Lassen sich nur für stark genormte Formen des wissenschaftlichen Schreibens Elemente auf der Mesoebene entdecken? o Wie verhält es sich mit der Übersetzbarkeit von deutscher Wissenschaftsprosa? o Können sich Argumentationen auf der Mesoebene festmachen lassen? Inwieweit tragen textuelle Grundaufgaben dazu bei, einen wissenschaftlichen Text als ganzen zu konstituieren? o Gibt es welche, die immer vorkommen müssen? o Gibt es welche, die deutsche Wissenschaftsprosa von anderen Formen des wissenschaftlichen Schreibens unterscheidbar machen? In welchem Ausmaß kann die textlinguistische Analyse dazu beitragen, fremdsprachige Studierende beim Schreiben in der Fremd- oder Zweitsprache Deutsch zu unterstützen? o Inwieweit ist die Kenntnis der Elemente der Mesoebene hilfreich bei der Rezeption deutscher Wissenschaftsprosa? o Ist es vorstellbar, dass EIN didaktisches Konzept in der Lage ist, die grundsprachlichen, die interkulturellen und die unterschiedlichen Auffassungen von Wissenschaft zu verbinden? 5 o In welchem Ausmaß erleichtert die Kenntnis der textuellen Grundaufgaben das Schreiben von deutscher Wissenschaftsprosa? Was ist notwendig, um ein angewandtes Konzept wissenschaftlichen Schreibens aus der textlinguistischen Theorie der Mesoebene zu entwickeln? o Was können mögliche Zwischenschritte sein? o Müssen die typischen Fehler fremdsprachiger Studierender erhoben werden? o Ist ein Expertenkorpus wichtiger, um die zentralen Strukturen zu erfassen?
2 Beispiele 2.1 Einleitungen Kants Kritik der reinen Vernunft beginnt so: Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt. Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns der Erfahrung vorher, und mit dieser, fängt alle an. Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Denn es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke, bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt, welchen Zusatz wir von jenem Grundstoffe nicht eher unterscheiden, als bis lange Übung uns darauf aufmerksam und zur Absonderung derselben geschickt gemacht hat. Es ist also wenigstens eine der näheren Untersuchungen noch benötigte und nicht auf den ersten Anschein sogleich abzufertigende Frage: ob es ein dergleichen von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängiges Erkenntnis gebe. Man nennt solche Erkenntnisse a priori, und unterscheidet sie von den empirischen, die ihre Quellen a posteriori, nämlich in der Erfahrung haben. 1 Eine Proseminararbeit mit dem Titel Der Kulturbegriff von Eugen A. Nida, die 2007 am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaften eingereicht wurde, beginnt so: 6 Es gab und es gibt immer noch keine einheitliche Vorstellung von Kultur. Die Wissenschaftler sind sich immer noch nicht einig, was Kultur eigentlich ist. Es gibt so viele verschiedene Definitionen/Konzepte/Modelle von Kultur, was von sehr großer Bedeutung für die Arbeit von Übersetzerinnen und Übersetzungswissenschaftlerinnen ist. Anthropologie- und Soziologiewissenschaftler sind sich im Allgemeinen darüber einig, dass die menschliche Kultur vom Menschen als Mitglied der Gesellschaft erworben wird und dass sie durch die Semantik der Sprache sehr breit vermittelt wird. Aber sie sind sich nicht einig, wie man die Kultur definiert und welche Funktionen ihr zugeschrieben werden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die vielfältigen Diskussionen um den Kulturbegriff. Im Zuge der Beschäftigung mit dem Kulturbegriff stellt sich unwillkürlich die Frage: Wie ist Kultur überhaupt zu definieren bzw. an welchem Begriff von Kultur oder an welchem Kulturkonzept orientieren wir uns im Allgemeinen? Die Bedeutung der Kultur für die Translationswissenschaft ist in den letzten Jahren zunehmend wissenschaftlich begründet und beschrieben worden. Die Begriffe Kultur und Kulturwissenschaft sind Gegenstand unterschiedlicher terminologischer Beschreibungen. So vielfältig wie das Wort Kultur in den verschiedensten Wissenschaften nicht nur in den Geisteswissenschaften eingesetzt wird, so zahlreich sind die entsprechenden Definitionen. Von Interesse für die vorliegende Arbeit ist die Relevanz der Kultur und des Kulturbegriffs für die Translationswissenschaft. In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, nachvollziehbares Kulturbegriff von Eugene Albert Nida, amerikanischem Übersetzungswissenschaftler und Bibelübersetzer, zu erstellen. 1 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft.55.) [Kursives im Original gesperrt gedruckt.]
2.2 Zusammenfassungen 2.2.1 Textsorten(wissen) Die Bedeutung von Textsorten im Fremdsprachenerwerb Es gibt in der Textlinguistik keine einheitlichen Klassifikationskriterien zur Bestimmung von Textsorten. Eine mögliche Einteilung besteht in der Unterscheidung von textinternen Kriterien wie lautlich-paraverbale (bzw. graphische) Ebene, Wortwahl, Art und Häufigkeit von Satzbaumustern, Themenbildung und Themenverlauf, Thema selbst und Textstrukturmuster und textexternen Kriterien wie Textfunktion, Kommunikationsmedium, das den Text trägt, und Kommunikationssituation (Textkonstellation), in die ein Text eingebettet ist. Wolfgang Heinemann stellt zur Klassifikation von Textsorten eine Formel auf [Ts (G) Tk], die besagt, dass eine Textsorte eine Textklasse mit einer Menge von Gemeinsamkeiten sei. Da die Festlegung von G nach unterschiedlicher Akzentsetzung erfolgen kann, gibt es nach Heinemann vier Grundkonzepte der Einteilung. Textsorten sind demnach 1) grammatisch geprägte, 2) semantisch-inhaltlich geprägte, 3) situativ determinierte oder 4) durch die Funktion determinierte Einheiten. Textmuster- und Textsortenwissen sind relevant für die Effektivierung von Kommunikationsprozessen, da Textmusterwissen zu kohärentem Textverständnis beiträgt. Textsortenerwerb erfolgt in langjähriger Erfahrung mit Rezeption, teilweise Produktion entsprechender Texte. Mit dem Alter steigt kontinuierlich auch das Verständnis für Textsorten an; so sind kompetente Sprecher in der Lage, typische Exemplare einer bestimmten Textsorte von untypischen zu unterscheiden. 7 Diese Erkenntnisse der Textlinguistik können auch im Fremdsprachenunterricht berücksichtigt werden. Zwei große Gruppen von Texten haben sich als besonders relevant herausgestellt: Sachtexte und literarische Texte (didaktisch sinnvolle vereinfachte Zweiteilung), da zu ihrer Rezeption unterschiedliche Lesestrategien angewendet werden müssen. Um die Entwicklung von Textmustern für im Fremdsprachenunterricht besonders relevante Textsorten zu fördern, werden Texte ausgewählt, die möglichst prototypisch für eine bestimmte Textsorte sind und die dazu beitragen, das kommunikative Handeln und die Lesestrategien der Lernenden zu aktivieren.
2.2.2 Textverstehen und Textverständlichkeit Ein Text steht nicht für sich allein. Er muss von jemanden verfasst werden, der ein Ziel verfolgtnämlich den Rezipienten das Thema seiner Arbeit nahe zu legen. Sein oberstes Gebot sollte es demnach sein, die größtmögliche Verständlichkeit zu erzielen, da nur dann ein ideales Abbildungsmodell des Geschriebenen vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen kann. In dieser Proseminararbeit wurden die grundlagentheoretisch orientierten Ansätze, die im Unterschied zur Lesbarkeitsforschung, die Textverständlichkeit als das Zusammenspiel von Textinhalt und Vorwissen des Rezipienten sehen, vorgestellt. Die beiden anwendungsorientierten Instruktionspsychologische Ansätze gelangen übereinstimmend zum Ergebnis der vier Verständlichkeitsdimensionen, die immer noch überaus relevant für die Verständlichkeitsbeurteilung von Texten sind. Diese einzelnen Entwicklungen und Arbeiten finden nicht isoliert von einander statt, sondern beziehen die jeweils vorangegangenen Ergebnisse mit ein. Besonders auffallend ist dies bei Göpferichs Karlsruher Verständlichkeitskonzept der Fall. Sie bindet auf der einen Seite kognitionswissenschaftliche Ansätze, wie das der mentalen Modelle, und instruktionspsychologische Ergebnisse, wie die Verständlichkeitsdimensionen, mit ein und erweitert ihr Konzept um die kommunikative Funktion, welche das Bündnis zwischen Sender, Medium und Adressat betont. Dieses Modell scheint deshalb auch ausgereift zu sein, da Göpferich die vorteilhaften Anschauungsweisen der jeweiligen Ansätze übernimmt, einen wichtigen textexternen Bezugsrahmen herstellt und auch Erkenntnisse aus anderen Gebieten der Sprachwissenschaft aufgreift. 8 Da sich top-down-prozesse nicht nur durch kulturelle Umschläge in unserer Gesellschaft immer wieder verändern können, sondern auch neue Medien immer häufiger benützt werden und sich Konventionen verschieben, kann keiner dieser Ansätze als absolut gültig angesehen werden. Für ambitionierte Forscher bedeutet dies, dass wohl auch in Zukunft neu angepasste Konzepte und Herangehensweisen gefragt sein werden.
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