Neu aufgetretenes Vorhofflimmern beim Intensivpatienten PD Dr. Carsten Jungbauer Klinik und Poliklinik für Innere Medizin 2 Universitätsklinikum Regensburg
Was ist Vorhofflimmern?
Erstmal: was ist der normale Rhythmus Quelle: youtube
Was ist Vorhofflimmern? Quelle: youtube = supraventrikuläre Rhythmusstörung, die durch desorganisierte elektrische Vorhofaktivität ohne effektive Vorhofkontraktion charakterisiert ist -> hierdurch und durch ggf. hohe Ventrikelfrequenz kommt es zu einer Verschlechterung der ventrikulären Füllung
Was ist Vorhofflimmern? Universitätsklinikum Regensburg EKG-Charakteristika: - Absolute Arrhythmie - Keine P-Wellen, Grundlinie mit hochfrequenten Signalen (350-600/min) - häufig Tachyarrhythmie, seltener Bradyarrhythmie
Was frägt sich nun der Intensivmediziner, wenn er einen Patienten mit Vorhofflimmern behandelt?
Was frägt sich nun der Intensivmediziner, wenn er einen Patienten mit Vorhofflimmern behandelt? Ist es ein neu aufgetretenes Vorhofflimmern oder ist Vorhofflimmern vorbekannt?
Was frägt sich nun der Intensivmediziner, wenn er einen Patienten mit Vorhofflimmern behandelt? Wie häufig ist Vorhofflimmern bei meinen ICU-Patienten?
Was frägt sich nun der Intensivmediziner, wenn er einen Patienten mit Vorhofflimmern behandelt? Ist Vorhofflimmern bei meinen Patienten = Vorhofflimmern bei Nicht-ICU-Patienten?
Was frägt sich nun der Intensivmediziner, wenn er einen Patienten mit Vorhofflimmern behandelt? Welche Diagnostik braucht mein ICU-Patient mit Vorhofflimmern?
Was frägt sich nun der Intensivmediziner, wenn er einen Patienten mit Vorhofflimmern behandelt? Welche Therapie braucht mein ICU-Patient? Frequenzkontrolle? Rhythmuskontrolle? Antikoagulation? Und vor allem: wie mache ich das?
Relevante Fragen des Intensivmediziners: Wie häufig ist Vorhofflimmern bei ICU-Patienten? Ist Vorhofflimmern = Vorhofflimmern? Welche Diagnostik?????? Welche Therapie? Frequenzkontrolle oder Rhythmuskontrolle? Antikoagulation?
Relevante Fragen des Intensivmediziners: Wie häufig ist Vorhofflimmern bei ICU-Patienten? Ist Vorhofflimmern = Vorhofflimmern? Welche Diagnostik?????? Welche Therapie? Frequenzkontrolle oder Rhythmuskontrolle? Antikoagulation?
Epidemiologie Universitätsklinikum Regensburg 1 2 % der Bevölkerung, d.h., es finden sich etwa sechs Millionen Betroffene in Europa Prävalenz steigt von unter 0,5 % im Alter unter 40 Jahren auf bis zu 15 % bei über 80-jährigen Personen an Ursachen: kardiale Grunderkrankung (Hypertrophie, KHK, Vitium, Pericarditis, KMP, ) nicht-kardiale Ursache (SD, Lungenerkrankungen, Alkoholkonsum) akute schwere Erkrankungen Operationen
Epidemiologie 20% der Intensivpatienten entwickeln Rhythmusstörungen Kardio-chirurgische ICU: 14.9% mit anhaltenden Rhythmusstörungen, hiervon 61% AA Universitätsklinikum Regensburg Kardiologisch-internistische ICU: AA bei 47.4% der Patienten mit Arrhythmien schwere Erkrankungen: z.b. Sepsis Korrelation von Schweregrad mit AA-Auftreten (septischer Schock fast 50%) Auftreten: 1-4 Tage nach Aufnahme bei internistischen Patienten Operationen: höchste Inzidenz bei kardio-chirurgischen Ops (MK, ACVB; 30-40%) Auftreten 2. bis 3. Tag postoperativ
Vorhofflimmern bei ICU-Patienten ist verbunden mit längeren KH-Aufenthalten, höherer Komplikationsrate und höherer Mortalität Risikofaktoren für postoperatives Vorhofflimmern: Vorliegen einer Lungenerkrankung, insbes. COPD Herzklappenerkrankungen Vorhofvergrößerung Absetzen von Betablockern Schweregrad anhand SAPS-Score Vorliegen eines SIRS
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Vorhofflimmern Vorhofflimmern Ursachen bei kritisch Kranken oder nach Op: erhöhte myokardiale Füllung Volumenüberschuss akute Mitralinsuffizienz inadäquate myokardiale O2-Versorgung ACS Hypovolämie Anämie Elektrolytstörungen: Hypokaliämie und/oder Hypomagnesämie systemische (Sepsis) oder lokale Inflammation (Myokarditits) adrenerge Stimulation durch Inotropika oder Stress/Angst endokrine Störungen (SD) Hypothermie Herz-Lungen-Maschine
Vorhofflimmern Vorhofflimmern Oft kurzfristíg keine Überführung in einen stabilen Sinusrhythmus möglich 37 postoperative ICU-Patienten mit AA Maximal 3 Kardioversionsversuche 35% mit SR > 5min, nach 48 h nur noch 13.5% Mayer et al 2003 Langfristig tritt bei der Mehrheit der postoperativen Patienten wieder Sinusrhythmus auf 317 ACVB-Patienten, wovon 116 postoperatives AA entwickelten nur 2 Patienten von diesen hatten nach 6 Woche noch AA Kowey et al 2001
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Diagnostik Klinische Untersuchung: H.a. Flüssigkeitsüberladung, H.a. Infektion, H.a. Vitium, Hypothermie Labor, insbes. Elektrolyte, Hämoglobin, Entzündungswerte, Nierenwerte, Schilddrüsenhormone, ggf. Troponin 12-Kanal-EKG Je nach Verlauf: Echo: Vitien, reduzierte EF, WBST, PE? Weitere kardiologische Diagnostik: TEE, HKU, MRT,
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Hämodynamische Stabilität: initiale Therapie Optimierung von reversiblen Auslösefaktoren Serumelektrolyte überprüfen und korrigieren Volumenstatus beurteilen und optimieren (Volumenoder Diuretikagabe) Perfusionsdruck durch Vasopressor oder Inotropika Sedierung und / oder Analgesie O2-Gabe Nachweis bzw. Ausschluss von korrigierbaren Ursachen (Revaskularisieriung, Re-Operation, Transfusion, Abx, Korrektur einer Hypothermie, )
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Frequenzkontrolle vs. Rhythmuskontrolle Frequenzkontrolle: AA wird akzeptiert -> Ziel: Ruheherzfrequenz < 110 bpm -> Reduktion der hämodyn. Auswirkungen und Vermeidung einer Tachykardiomyopathie Rhythmuskontrolle: Versuch, SR wieder herzustellen -> durch medikamentöse oder elektrische Kardioversion
AFFIRM Vergleich von Rhythmus- und Frequenzkontrolle in nichtchirurgischen und nicht kritisch kranken Patienten kein Überlebensvorteil für Rhythmuskontrolle Rhythmuskontrolle assoziiert mit erhöhter Re-Hospitalisierungsrate und UAWs Wyse et al 2002
Rate Control versus Rhythm Control for Atrial Fibrillation after Cardiac Surgery postoperatives Vorhofflimmern in 695 Patienten (= 33%) Randomisierung 1:1 Rhythmuskontrolle vs. Frequenzkontrolle 1st Endpunkt: Hospitalisierungstage nach Entlassung (p=n.s.) 2nd Endpunkte: Mortalität und SAEs (p= n.s.) nach 60 Tagen: 93.8% in Frequenzgruppe und 97.9% in Rhythmusgruppe mit stabilen SR Gillinov et al NEJM 2016
Therapie Universitätsklinikum Regensburg primäre Entscheidung: hämodynamische Instabilität? Leitlinien von ESC bzw. AATS: Elektrische KV nur bei hämodynamischer Instabilität bzw. Dyspnoe / Angina pectoris übereinstimmend, dass Frequenzkontrolle das primäre Ziel sein sollte Denn: Kardioversionserfolgsraten: bei stabilen Patienten mit elektiver KV: 90% bei postoperativen Patienten bzw. kritisch Kranken: 30%, wobei Vorbehandlung mit Antiarrhythmika Erfolgsrate erhöht und Rezidive reduziert (Datenlage aber nur bei elektiven KVen)
elektrische Kardioversion invers verbunden mit Erfolgsrate sind: Thoraximpedanz (hoch nach kardio-chir. Op, Adipos.) linksseitige Vorhofgröße Dauer von Vorhofflimmern (Analgo)sedierung höhere Erfolgsraten: Elektroden anterior-posterior geklebt (besser als anterolateral) biphasische Schockabgabe EKG-getriggert mittels Synchronisation 100-200J (bei hoher Impedanz höhere Energieabgabe) ICD-Träger: ev. interne KV
elektrische Kardioversion in lebensbedrohlicher Situation: elektrische KV auch unabhängig davon, ob ein linksatrialer Thrombus vorliegen könnte oder nicht Falls Zeit zum Nachdenken ist ESC GL 2016
Stabiler Patient: Frequenzkontrolle vs. Rhythmuskontrolle Frequenzkontrolle: AA wird akzeptiert -> Ziel: Ruheherzfrequenz < 110 bpm -> falls erforderlich: medikamentöse Therapie mit Betablockern, Digitalis, Diltiazem oder Verapamil, ev. auch Amiodaron -> Reduktion der hämodyn. Auswirkungen und Vermeidung einer Tachykardiomyopathie Rhythmuskontrolle: Versuch, SR wieder herzustellen -> durch medikamentöse oder elektrische Kardioversion -> Antiarrhythmika (z. B. Amiodaron, Flecainid, Propafenon, Vernakalant) (((-> bei stabilen, hochsymptomatischen Patienten: Ablationstherapie)))
ESC GL 2016
ESC GL 2016
Relevante Fragen des Intensivmediziners: Wie häufig ist Vorhofflimmern bei ICU-Patienten? Ist Vorhofflimmern = Vorhofflimmern? Welche Diagnostik?????? Welche Therapie? Frequenzkontrolle oder Rhythmuskontrolle? Antikoagulation?
Antikoagulation Universitätsklinikum Regensburg Thrombembolische Ereignisse (TE), hier insbes. Schlaganfälle, sind ernste und gefürchtete Komplikationen von Vorhofflimmern In Studien existiert weite Spanne bezüglich der Inzidenz, wobei das Risiko für Herz- und Thorax-Eingriffe 50-100% höher sind als für allgemeinchirurgische Ops auch das TE-Langzeit-Risiko ist nach einer Episode von post-operativen AA 2-fach erhöht im Vergleich zu Patienten ohne post-operatives AA retrospektive Analyse: OAK bei Entlassung mit reduzierter Langzeit-Mortalität ABER: keine kontrollierte Studien El-Chami JACC 2010
ESC GL 2016
ESC GL 2016 AATS GL 2014
ABER die Risiko-Stratifizierung anhand des CHADS2-VASc- Scores basiert auf indirekter Beweislage, da die Studien nicht Patienten mit kritischem Erkrankung oder perioperativen Vorhofflimmern eingeschlossen haben 1 Single-Center-Studie, die Assoziation mit CHADS2- Score und Schlaganfallrisiko bei kritisch kranken Patienten festgestellt hat, ABER hierbei sehr heterogenes Patientenkollektiv (auch mit valvulärem Vorhofflimmern und antithrombotischer Therapie) Champion J Crit Care 2014 unklar, wie lange Thrombusbildung bei chirurgischen Patienten und kritisch kranken Patienten dauert ev Exazerbation der Virchow Trias in diesen Patienten
Zusammenfassung Universitätsklinikum Regensburg post-operativ und bei kritisch Kranken tritt als häufigste Rhythmusstörung Vorhofflimmern auf nur bei 30% gelingt es, das Vorhofflimmern mittels KV in den SR überzuführen, aber im LZ-Verlauf bei der Mehrzahl der Patienten SR somit ist Vorhofflimmern bei diesen Patienten nicht mit Vorhofflimmern bei stabilen Patienten zu vergleichen aufgrund mangelnder Studienergebnisse werden aber viele Therapieentscheidungen aufgrund von Studien bei stabilen kardiologischen Patienten empfohlen
Vielen Dank!
Prävention von post-operativen Vorhofflimmern Betablocker nutzen: bei Patienten, die ohnehin Betablocker einnehmen (nicht absetzen) - Klasse I. Betablocker eventuell neu ansetzen bei Hochrisikopatienten ( 2 Risikofaktoren, Hochrisiko- Eingriffe) - Klasse IIb. Betablocker evtl. neu ansetzen bei bekannter KHK - Klasse IIb. Die Dosis soll titriert werden und die Therapie mindestens eine Woche (bis zu 30 Tage) vor der Operation begonnen. Ziel sind eine Herzfrequenz von 60 70/Minute und ein systolischer Blutdruckwert über 100 mmhg.
Prävention von post-operativen Vorhofflimmern Kein Nutzen belegt von präoperative Statin- Gabe nur in kleinen Studien untersucht, lediglich hypothesen-generierend, somit kein klar belegter Benefit: Magnesium mehrfach ungesättigte Fettsäuren Colchicin Steroide
definiert durch: Universitätsklinikum Regensburg Hämodynamische Instabilität mittlerer arterieller Druck < 65mmHg oder Nor-Dosis >= 01.mcg/kg/min Bedarf an Inotropika Laktatspiegel >= 2.2mmol/l oder zentralvenöse Sauerstoffsättigung < 60% neu aufgetretene A. pectoris oder Ruhedyspnoe
Einteilung Paroxysmal: innerhalb von 48 Stunden bis sieben Tagen nach vermutetem Beginn spontanes Ende Persistierend: terminiert nicht selbst, aber durch eine medikamentöse oder elektrische Kardioversion lang anhaltend persistierend: Vorhofflimmern, das mehr als ein Jahr besteht und rhythmuserhaltend behandelt werden soll. Permanent: ein Fortbestehen wird akzeptiert und es wird keine rhythmisierende Behandlung durchgeführt CAVE: keine eigene Terminologie für postoperatives Vorhofflimmern
Trappe Dt. Ärzteblatt 2015
2016 ESC-Leitlinen zum Vorhofflimmern