Das Gleichlauf-Kugelgelenk ein Beispiel zum anwendungsorientierten Unterricht in Darstellender Geometrie

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Transkript:

Proceedings SDG Symposium Darstellende Geometrie, Dresden 15.-17.6.2000 (ISBN 3-86005-258-6), 151 156 Das Gleichlauf-Kugelgelenk ein Beispiel zum anwendungsorientierten Unterricht in Darstellender Geometrie Hellmuth Stachel, Institut für Geometrie, TU Wien Gleichlauf-Kugelgelenke gehören heute zur Standardausstattung der PKWs (Abb. 8), denn sie ermöglichen zum Unterschied von Kardan-Gelenken eine gleichförmige Bewegungsübertragung. Ein Verständnis ihrer Wirkungsweise setzt allerdings gute Kenntnisse der Raumgeometrie voraus. Deshalb bieten Gleichlauf-Kugelgelenke ein interessantes Beispiel, um Studenten des Maschinenbaues von der Nützlichkeit darstellend-geometrischer Kenntnisse zu überzeugen. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, wie man interessierte Hörer, die mit Seitenrissen umgehen können, in verständlicher Weise an dieses Thema heranführen kann. 1 Das Kreuzgelenk (Kardan-Gelenk) a31 Σ 1 Σ 3 a10 Σ 2 a32 a20 Abbildung 1: Kreuzgelenk Die Drehung einer Welle im System Σ 1 um die Achse a 10 mit der Winkelgeschwindigkeit ω 10 wird mittels eines kreuzförmigen Zwischenstücks (System Σ 3 ) auf die Drehung von Σ 2 um a 20 mit der Winkelgeschwindigkeit ω 20 übertragen. Dabei ist Σ 3 mittels zweier orthogonal schneidender Drehachsen a 31 bzw. a 32 mit Σ 1 bzw. Σ 2 verbunden (vgl. [1]). Es gilt stets a 10 a 31 a 32 a 20. (1) Bei :=<) a 10 a 20 0 ist die Bewegungsübertragung mittels eines Kreuzgelenkes ungleichförmig, denn für entsprechende Drehwinkel ϕ 10 von Σ 1 /Σ 0 und ϕ 20 von Σ 2 /Σ 0 gilt die Gleichung tan ϕ 20 = 1 cos tan ϕ 10, (2) 151

Abbildung 2: Bei 2 = 1 (Z-Anordnung) Aufhebung der Ungleichförmigkeit vorausgesetzt, in der Ausgangsposition ϕ 10 = ϕ 20 = 0 liegt die Achse a 31 in der von a 10 und a 20 aufgespannten Ebene, während die Achse a 32 normal dazu ist. Die Ungleichförmigkeit der Bewegungsübertragung läßt sich aufheben durch die Hintereinanderschaltung von zwei Kreuzgelenken mit gleichen Biegewinkeln ( 1 = 2 ), was ja noch nicht die Parallelität der Antriebs- und Antriebsachsen impliziert. Allerdings ist dabei darauf zu achten, daß bei beiden Gelenken die vorhin genannte Anfangsbedingung erfüllt ist. Beispiel: GEGEBEN: Drehachsen a 10, a 20 π 2 sowie die Ausgangslage OA 0 B 0 des kreuzförmigen Zwischenstücks (siehe Abb. 3). Bei = 38 sei der Antriebswinkel ϕ 10 = 30. GESUCHT: Zugehöriger Abtriebswinkel ϕ 20 und Begründung für die Gleichung (2). a 10 Σ 1 A 0 A 0 A a 31 O =B 0 B a 32 a 20 A 0 a 10 r A ϕ 10 a 31 a 20 A a 31 a 10 A 0 O a 20 ϕ 20 B 0 B 0 Σ 2 B a 32 Abbildung 3: Herleitung der Übertragungsfunktion (2) mittels Seitenrissen 152

Im dritten Riß (Kreuzriß) ist a 10 projizierend, daher der Antriebswinkel ϕ 10 unverzerrt. Im vierten Riß (Seitenriß zum Aufriß) mit projizierendem a 20 erscheint der Abtriebswinkel ϕ 20 unverzerrt. a 32 ist stets parallel zur Seitenrißebene, also eine vierte Hauptgerade. Nach dem Satz vom rechten Winkel gilt a 31 a 32. Zur Konstruktion verwenden wir die Punkte A a 31 und B a 32 im Abstand r vom Achsenschnittpunkt O. Die Ausgangslagen dieser Punkte sind mit A 0 bzw. B 0 bezeichnet. Die Formel (2) folgt nun wegen der im Kreuzriß und Seitenriß auftretenden gleichen Abstände gemäß der Seitenrißregel. Beim Kardan-Gelenk mit ortsfesten Achsen a 10 und a 20 und dem kreuzförmigen Zwischenstück OAB laufen wegen OA = OB = r die Punkte A und B auf Großkreisen (strichpunktiert in Abb. 4) der in O zentrierten Kugel vom Radius r. Wegen AB = r 2 bzw. <) AOB = 90 vollführt der Großkreisbogen AB Σ 3 gegenüber Σ 0 eine sphärische Doppelschieberbewegung. a10 ω 10 A 0 O B A Σ3 B 0 ω 20 a20 Abbildung 4: Die Bewegung Σ 3 /Σ 0 als sphärischer Doppelschieber 2 Das Gleichlauf-Kugelgelenk Wie ließe sich eine gleichförmige Bewegungsübertragung erreichen, also zu jedem Zeitpunkt ϕ 20 = ϕ 10? a10 ϕ10 e1 S ϕ20 e2 ϕ20 = ϕ = ϕ10 Abbildung 5: Gleichlaufbedingung a20 Es seien a 10 und a 20 die Achsen von Drehzylindern mit demselben Radius r. Auf diesen Zylindern wählen wir Erzeugende e 1 bzw. e 2, deren Ausgangslagen der Verbindungsebene [a 10 a 20 ] angehören. Bei einer gleichförmigen Übertragung müßten sich zu jedem Zeitpunkt die Drehlagen von e 1 und e 2 in einem Punkt S der Symmetrieebene (Gleichlaufebene) σ schneiden. Dieser Schnittpunkt S durchläuft einen ebenen Drehzylinderschnitt, also eine Ellipse in σ. Der 153

Punkt S ist damit bei 0 weder in Σ 1 fest, noch in Σ 2. Es gibt auch kein System, dem diese Schnittpunkte gemeinsam angehören, denn ihre gegenseitigen Distanzen ändern sich im Laufe der Drehung (vgl. Seitenriß in Abb. 6). Die Gleichlaufbedingung S σ läßt sich auch so formulieren, daß die Schnittgerade [OS] entsprechender Meridianebenen µ 1 = [a 10 e 1 ] und µ 2 = [a 20 e 2 ] stets in der Gleichlaufebene σ liegt. Beim Gleichlauf-Kugelgelenk (siehe Abb. 7, vgl. [2]) wird dies durch (sechs) Kugeln realisiert, deren Mitten in der Gleichlaufebene σ bleiben und auch den Abstand ρ von O beibehalten. Die Kugelmitten laufen also auf einem in O zentrierten Kreis mit dem Radius ρ in der Ebene σ. Diese Position wird durch einen Kugelkä g Σ 3 gesichert. Abb. 7 zeigt diesen Kugelkä g mit einem Viertelschnitt. Die Kugelmitten sind gegenüber Σ 1 auf Kreisen um O in Ebenen µ 1 durch a 10 beweglich. Dies wird durch Längsrillen im Endstück von Σ 1 bewirkt. Das Endstück von Σ 2 ist als Hohlkugel ausführt, die auf der Innenseite Längsrillen aufweist. Dies hat zur Folge, daß die Kugelmitten gegenüber Σ 2 analog in Meridianebenen µ 2 durch a 20 geführt werden. Abb. 7 zeigt die Hohlkugel im Halbschnitt. Die Längsrillen werden von Torus ächen berandet. Die Kugelmitten laufen allerdings nicht gleichförmig auf dem Kreis vom Radius ρ in σ. Dies ist anhand eines Seitenrisses in Abb. 6 erkennbar, in welchem vier der Kugelmitten in einer Zwischenlage eingezeichnet sind. Die Abstände zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Kugelmitten sind offensichtlich verschieden. Deshalb muß der Kugelkä g in Σ 3 längliche Führungen aufweisen. Dies ist im Aufriß von Abb. 7 bei der vordersten Kugel deutlich erkennbar. a 10 σ O a 10 /2 µ 1 a 20 ρ Abbildung 6: Kugelmitten in σ 154

Σ 2 Σ 3 Σ 1 Σ 1 Σ 2 Σ 3 a 10 a 20 155 Σ 1 a 10 Σ 2 a 20 Σ 3 Abbildung 7: Bauteile eines Gleichlaufgelenkes (dargestellt mit Hilfe der 3D-Modellierungssoftware CAD-3D)

Abbildung 8: Gleichlauf-Kugelgelenke gehören heute zur Standardausstattung der PKWs. Literatur [1] DUBBEL Taschenbuch für den Maschinenbau. 14. Au., Springer-Verlag, Berlin 1981, S. 409. [2] K. H. SCHÜTZ: Gleichlauf-Kugelgelenke für den Kraftfahrzeugantrieb. Antriebstechnik 10, 437 440 (1971). Hellmuth Stachel Institut für Geometrie Technische Universität Wien Wiedner Hauptstraße 8-10/113 A 1040 Wien 156