Individualrechtliche Fragen der Flexibilisierung des Arbeitsentgelts 10. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht 5./6. März 2015 Berlin Waldemar Reinfelder Richter am Bundesarbeitsgericht
Themenüberblick Fragestellung als Problem des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Widerrufsvorbehalte Freiwilligkeitsvorbehalte Stichtagsklauseln Befristung von Arbeitsbedingungen Leistungen nach 315 BGB Zielvereinbarungen Waldemar Reinfelder 03/2015 2
I. Allg. Geschäftsbedingungen Bei Fehlen kollektiver Regelungen regelmäßig Problem des AGB-Rechts Vertragliche Gestaltung und Umgestaltung der Vergütung für größere Anzahl von AN setzt AGB voraus Vorformulierte Vertragsbedingungen, Form unerheblich (BAG 20.8.2014 10 AZR 453/13 -; 13.11.2013 10 AZR 848/12 [Gesamtzusage]; 16.5.2012 5 AZR 331/11 [mündlich oder durch betriebliche Übung]; 18.3.2009 10 AZR 289/08 [Vorbehalt bei Zahlung]) in der Praxis regelmäßig kein echtes Aushandeln (zu den Voraussetzungen: BAG 11.12.2013 10 AZR 286/13 -) AN ist Verbraucher - einmalige Verwendung genügt (BAG 11.12.2013 10 AZR 286/13 -) Waldemar Reinfelder 03/2015 3
I. Allg. Geschäftsbedingungen Rechtsfolgen der AGB-Verwendung Stärkere gerichtliche Kontrolle im Vergleich zu Betriebsvereinbarung und Tarifverträgen Überraschende Klauseln werden nicht Vertragsbestandteil Besondere objektivierte Auslegungsregeln - Unklarheiten gehen zu Lasten des Verwenders ( 305c Abs. 2 BGB) Transparenzkontrolle Angemessenheitskontrolle ( 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB) nicht bei Hauptleistungspflichten Beachtung arbeitsrechtlicher Besonderheiten Sanktion: Im Regelfall vollständiger Wegfall der beanstandeten Klausel Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Blue-Pencil-Test bei teilbaren Klauseln ( vgl. zb BAG 13.11.2013 10 AZR 848/12 -) Waldemar Reinfelder 03/2015 4
II. Widerrufsvorbehalte 308 Nr. 4 BGB Vertraglicher Anspruch + Vorbehalt des Widerrufs zb Anrechnungsvorbehalte bei Tariflohnerhöhungen, Entzug Dienstwagen auch andere Änderungsvorbehalte Widerrufsvorbehalte sind zulässig, wenn Widerrufsrecht wegen unsicherer Verhältnisse erforderlich Kein Eingriff in Kernbereich des Arbeitsvertrags Widerruflicher Teil des Gesamtverdiensts 25% nicht überschreitet (bei Nebenleistungen bis insg. 30%) Tariflohn nicht unterschritten wird (wenn TV im Arbeitsverhältnis gilt) Art und Höhe der widerruflichen Leistung eindeutig erkennbar ist und Widerrufsgründe der Richtung nach im Vertrag angegeben sind bei Fehlen ergänzende Vertragsauslegung bei Altverträgen vor 2002 (zb BAG 20.4.2011 5 AZR 191/10 -; 12.1.2005 5 AZR 364/04 -) Waldemar Reinfelder 03/2015 5
II. Widerrufsvorbehalte Beispiele aus der Rechtsprechung: Unwirksam: Bestandteil dieses Arbeitsvertrages ist die Arbeitsund Sozialordnung in der jeweils gültigen Fassung. Die zur Zeit gültige Fassung ist beigefügt. (BAG 11.2.2009-10 AZR 222/08 [Weihnachtsgeld]) Kein Fall des 308 Nr. 4: Leistungsbestimmung nach 315 BGB bei Bonusansprüchen (zb BAG 15.5.2013 10 AZR 679/12 -) Ist Klausel zulässig, unterliegt die Maßnahme noch einer Ausübungskontrolle ( 315 BGB) Hat der AG die Interessen des AN angemessen (billiges Ermessen) berücksichtigt? (vgl. beispielhaft BAG 21.3.2012 5 AZR 651/10 -) Waldemar Reinfelder 03/2015 6
III. Freiwilligkeitsvorbehalte Neue Rechtsprechung: Freiwilligkeitsvorbehalte im Arbeitsvertrag Klausel unterliegt AGB-Kontrolle Fraglich, ob Erklärungswert zukünftiger Handlungen vorab festgelegt werden kann (offengelassen BAG 14.9.2011-10 AZR 526/10 -) 305c Abs. 2 BGB: Für Verwender günstigste = für AN belastendste Auslegung wird kontrolliert Unangemessen, wenn sämtliche Zusatzleistungen zum Gehalt unabhängig von Art und Rechtsgrund (insb. spätere Individualabreden) erfasst werden. (grundlegend BAG 14.9.2011 10 AZR 526/10 -; bei Zielvereinbarungen 19.3.2014-10 AZR 622/13 -) Waldemar Reinfelder 03/2015 7
III. Freiwilligkeitsvorbehalte Freiwilligkeitsvorbehalte bei Leistungserbringung me zulässig, wenn transparent und kein vertraglicher Anspruch kein laufendes Arbeitsentgelt erfasst (Abgrenzungsproblematik) Grundprinzip Rechtsanspruch auf laufendes Arbeitsentgelt muss gewahrt bleiben Auslegung der Erklärung ergibt, dass einmalige Leistung Vorbehalt sich nicht in Hinweis auf Freiwilligkeit erschöpft Diese Zahlung ist einmalig und schließt zukünftige Leistungen aus (BAG 18.3.2009 10 AZR 289/09 -) Dabei grundsätzlich keine Angemessenheitskontrolle, ob einmalige oder dauerhafte Leistung zugesagt wird Verhindert Entstehen einer betrieblichen Übung oder konkludenten Bindung Geringe Steuerungswirkung Waldemar Reinfelder 03/2015 8
IV. Stichtagsklauseln Zulässigkeit der Bindung an Stichtage Maßgeblich ist, ob Leistung auch Vergütungscharakter hat Fehlt bei echter Gratifikation, die nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängt oder echter Halteprämie dann Stichtage zulässig; auch bei AG-Kündigung (BAG 18.1.2012 10 AZR 667/10 -) Hat die Sondervergütung hingegen auch Vergütungscharakter, sind außerhalb des Bezugszeitraums liegende Stichtage unzulässig (BAG 18.1.2012 10 AZR 612/10 -; zu Betriebsvereinbarungen: 12.4.2011-1 AZR 412/09 ; 7.6.2011 1 AZR 807/09 -) Waldemar Reinfelder 03/2015 9
IV. Stichtagsklauseln Zulässigkeit der Bindung an Stichtage Gleiches gilt regelmäßig für Stichtage innerhalb des Bezugszeitraums AN hat pro-rata-anspruch (BAG 13.11.2013 10 AZR 848/12 -) Ausnahmen denkbar, wenn es auf Arbeitsleistung oder Unternehmenserfolg in bestimmtem Zeitraum ankommt Einordnung hat Folgen, zb für Ansprüche bei Insolvenz (dazu zb BAG 14.11.2012 10 AZR 3/12) Auswirkungen auf Rspr. zur Wirksamkeit von Rückzahlungsklauseln?! Bei tariflichen Regelungen kommt es auf die Anspruchsvoraussetzungen an ( Mischcharakter ) Waldemar Reinfelder 03/2015 10
V. Befristete Arbeitsbedingungen Befristung und auflösende Bedingungen Kontrolle ebenfalls nach 305 ff. BGB deshalb keine geeignete Ausweichstrategie Rechtsprechung bisher nur zu befristeten Arbeitszeiterhöhungen (zb BAG 20.9.2009 7 AZR 233/08 -; 15.12.2011 7 AZR 394/10 ) und zu auflösender Bedingung (BAG 18.5.2011 10 AZR 206/10 ) Kontrolliert wird Befristung einer bestimmten Leistung, nicht der Umfang der Leistung Befristung von Vergütungsbestandteilen verschiebt Verhältnis Leistung Gegenleistung kann Auswirkungen auf Kontrolldichte haben Anwendung ähnlicher Regeln wie bei Widerrufsvorbehalten denkbar Waldemar Reinfelder 03/2015 11
VI. Leistungen nach 315 BGB Variable Vergütungsbestandteile Offene Ausgestaltung nach 315 BGB grundsätzlich möglich AG kann sich (abschließendes) Leistungsbestimmungsrecht vorbehalten; kein Fall des 308 Nr. 4 BGB Jedenfalls bei Führungskräften keine überraschende Klausel isv. 305c Abs. 1 BGB, wenn Regelung in Terms & Conditions Leistungsbestimmungsrecht im Zweifel nach billigem Ermessen ( 315 Abs. 1 BGB); dann keine unangemessene Benachteiligung isv. 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB Schutz durch volle gerichtliche Kontrolle der Ermessensausübung ( 315 Abs. 3 BGB) (zb BAG 11.12.2013 10 AZR 364/13 -; 19.3.2014-10 AZR 622/13 ) Waldemar Reinfelder 03/2015 12
VI. Leistungen nach 315 BGB Grenzen: Intransparenz über Verhältnis Leistung Gegenleistung Grundprinzip Rechtsanspruch auf laufendes Arbeitsentgelt muss gewahrt bleiben - keine Verlagerung des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos auf den AN Kontrollmaßstab abhängig von beteiligten Verkehrskreisen Unterscheidung nach AN- Gruppen/Betriebshierarchien liegt nahe (BAG 19.3.2014-10 AZR 622/13 [Kombination mit Zielvereinbarung]; 14.11.2012 10 AZR 783/11 -; 29.8.2012 10 AZR 385/11 -; 12.10.2011 10 AZR 746/10 -) Waldemar Reinfelder 03/2015 13
VII. Zielvorgaben/-vereinbarungen Zielvorgaben Einseitig vom Arbeitgeber vorgegebene Ziele (BAG 12.12.2007 10 AZR 97/07) Unterliegen der vollen gerichtlichen Kontrolle nach 315 BGB kommt deshalb in der Praxis kaum vor Zielvereinbarungen Gemeinsame Festlegung der Ziele (Vereinbarung?) Ziele und zu erzielende Vergütung sind Teil der Hauptleistungspflicht keine Inhaltskontrolle, sondern nur Transparenzkontrolle Andere Regelungen ( Nebenabreden ) werden auch auf Angemessenheit kontrolliert zb Bindung der (Höhe der) variablen Vergütung an Stichtag nach Bezugszeitraum unzulässig. (BAG 14.11.2012 10 AZR 783/11) Waldemar Reinfelder 03/2015 14
VII. Zielvorgaben/-vereinbarungen Zielvereinbarungen Kombination von Zielvereinbarung mit Entscheidung nach 315 BGB über Bonushöhe zulässig offenes ZV-Modell Bindung an Ziele und Zielerreichung, soweit relevante Faktoren dadurch abgedeckt Kontrolle der Ermessensausübung nach 315 Abs. 3 BGB (BAG 29.08.2012 10 AZR 385/11 -; 19.3.2014-10 AZR 622/13 ) Darlegungs- und Beweislast für Zielerreichung Liegt beim Arbeitgeber, wenn dieser sich vorbehält, abschließend nach billigem Ermessen ( 315 BGB) über die Leistungshöhe zu entscheiden. (BAG 14.11.2012 10 AZR 783/11 -) Bisher offen, wie Verteilung, wenn in Zielvereinbarung Faktoren und Höhe abschließend festgelegt sind ( fixes ZV-Modell ). Waldemar Reinfelder 03/2015 15