Einführung in die Sprachwissenschaft (PS I) SoSe 2017 Eberhard Karls Universität Tübingen Sarah Zobel,

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Einführung in die Sprachwissenschaft (PS I) SoSe 2017 Eberhard Karls Universität Tübingen Sarah Zobel, sarah.zobel@ds.uni-tuebingen.de Pragmatik Inhaltsverzeichnis 1 Pragmatik vs. Semantik 1 2 Präsuppositionen 3 2.1 Was sind Präsuppositionen?................................... 3 2.2 Diagnoseeigenschaften für Präsuppositionen......................... 4 3 Konversationelle Implikaturen 6 3.1 Das Kooperationsprinzip..................................... 6 3.2 Entstehen von Implikaturen................................... 7 3.3 Eigenschaften von konversationellen Implikaturen...................... 7 (Basiert auf: Meibauer et al. (2007) Kapitel 6, Levinson (1983) Pragmatics.) 1 Pragmatik vs. Semantik Die Pragmatik beschäftigt sich mit der Frage des Sprachgebrauchs, d.h. den Regularitäten, denen der Sprachgebrauch in einem kommunikativen Kontext unterliegt, bzw. wie die kontextuellen Gegebenheiten sich auf den Sprachgebrauch auswirken. Eine pragmatische Theorie wird auf dieser Basis als eine Theorie des sprachlichen Handelns verstanden wobei sprachliches Handeln nicht nur die Übermittlung von Information umfasst. Es geht in der Pragmatik daher nicht um spezifische Einzelsituationen und deren Beschreibung, sondern um eine allgemeine Betrachtung des Einflusses des Gesprächskontexts auf die sprachlichen Handlungen. Da der Gebrauch einer sprachlichen Form eng mit ihrer Bedeutung verbunden ist, entsteht die Frage, ob sich Pragmatik auf Semantik zurückführen lässt. Gegen eine solche Rückführung spricht klar, dass man mit Äußerungen i.a. etwas Anderes kommunizieren kann, als der geäußerte Satz eigentlich bedeutet. Kontext: A und B sitzen beim Abendessen. (1) A zu B: Kannst du mir das Salz geben? Frage: Was bedeutet der Satz in (1) wörtlich? Was kommuniziert A mit (1)? 1

Traditionell werden drei Bedeutungsebenen unterschieden: Satzbedeutung: Die wörtliche Bedeutung eines Satzes. Äußerungsbedeutung: Die (noch sprecherintentionsunabhängige) Bedeutung, die ein geäußerter Satz bei der Interpretation in einem gegebenen Äußerungskontext erhält. Kommunikativer Sinn: Die (sprecherintentionsabhängige) Bedeutung eines geäußerten Satzes, wenn dieser als kommunikative Handlung des Sprechers in einer Kommunikationssituation verstanden wird. Die Anreicherung der Satzbedeutung zur Äußerungsbedeutung geschieht über die im unmittelbaren Gesprächskontext gegebene Information und über Weltwissen (auch: enzyklopädisches Wissen ). Die Äußerungsbedeutung ist also die kontextuell angereicherte Satzbedeutung. Der Kommunikative Sinn kann im Gesprächskontext von den beiden ersten Ebenen relativ stark abweichen je nachdem was die kommunikative Intention des Sprechers ist. Übung 1.1: Ist der Unterschied zwischen (2-a) und (2-b) ein Unterschied in der Satzbedeutung, der Äußerungsbedeutung oder dem kommunikativen Sinn? (2) a. Maria heiratet Peter und wird schwanger. b. Maria wird schwanger und heiratet Peter. In der formalen Semantik wird die Grenze zwischen Semantik und Pragmatik im Allgemeinen so gezogen: die Satzsemantik beschäftigt sich mit dem Teil der Bedeutung, der durch die Wahrheitsbedingung eines Satzes erfasst wird die Pragmatik beschäftigt sich mit dem Teil der Bedeutung, der durch inferentielle Prozesse aus den Wahrheitsbedingungen mit Hilfe von Informationen aus dem Kontext oder dem enzyklopädischen Wissen generiert wird Traditionellerweise werden unter anderem die folgenden Phänomene der Pragmatik zugeordnet, wobei Deixis mittlerweile auch schon ein Standardgebiet der formalen Semantik ist: Deixis: direkte Referenz auf Individuen im Äußerungskontext; sprachliche Ausdrücke, die in diesen Phänomenbereich fallen, sind Personalpronomen (va. 1. und 2. Person singular), Demonstrativpronomen, Adverben wie hier und jetzt etc. Präsuppositionen: Bedingungen, die ein Satz an die Gegebenheiten im Äußerungskontext stellt, die erfüllt sein müssen, damit der Satz geglückt im Kontext geäußert werden kann Implikaturen: über das wörtlich Gesagte hinausgehende, zusätzlich übermittelte Information (s.u.) Sprechakte: Äußerungen, die nicht primär dazu dienen, Information zu übermitteln, sondern, die dazu dienen Handlungen auszuführen, die eine Veränderung der Gegebenheiten in der Welt herbeiführen 2

2 Präsuppositionen 2.1 Was sind Präsuppositionen? Die Grundintuition ist, dass Präsuppositionen Hintergrundannahmen sind, die für die Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks erfüllt sein müssen. Sie sind also Voraussetzungen bzgl. des Gebrauchs eines sprachlichen Ausdrucks. Sprachliche Ausdrücke, die solche Bedingungen an den Verwendungskontext stellen, nennt man traditionellerweise Präsuppositionstrigger. Ein Beispiel sind Verben wie anfangen und aufhören. (3) a. Peter hat angefangen zu rauchen. b. Peter hat aufgehört zu rauchen. Übung 2.1: Welche Präsuppositionen werden von anfangen und aufhören in (3) getriggert? Also: was muss für (3) auf jeden Fall in der Welt der Fall sein, damit man von anfangen bzw. aufhören reden kann? Ein weiteres Beispiel für Präsuppositionstrigger sind definite Kennzeichnungen (Nominalphrasen mit definiten Artikeln), also Ausdrücke wie z.b. der Baum, das rote Haus, der kleinste Hund der Welt. Definite Kennzeichnungen stellen eine Anforderung an die Extension des beschreibenden Inhalts, der Teil der Kennzeichnung ist (= alles in der Kennzeichnung, außer dem definiten Artikel). (4) Peter mag [die Vase, die er zu Weihnachten bekommen hat]. Welche Voraussetzung muss für die Verwendung einer definiten Kennzeichnung erfüllt sein? Überlegen Sie sich das anhand des Szenarios in Übung 2.2! Übung 2.2: Angenommen in der Gesprächssituation gibt es zwei Tische. Auf einem der Tische steht eine Vase. Der andere Tisch ist leer. Ist dann der folgende Satz wahr oder falsch? Wie müsste man (5) abändern, damit er in dem Szenario passt? (5) Die Vase steht auf dem Tisch. In der vorgegebenen Situation ist (5) irgendwie komisch. Es ist ohne Zweifel wahr, dass die Vase auf einem Tisch steht. Aber steht sie auch auf dem Tisch? Die Antwort auf die Frage lautet: kann nicht beantwortet werden! Definite Kennzeichnungen beziehen sich nur dann auf ein Individuum, wenn es im Kontext nur ein einziges Individuum gibt, das in dieser Situation in der Extension des Nomens liegt. In der vorgegebenen Gesprächssituation gibt es zwei Tische die kontextuell gegebene Untermenge von Tisch w ist in dieser Gesprächssituation eine zweielementige Menge: {Tisch 1, Tisch 2}. Deswegen kann die definite Kennzeichnung nicht eindeutig auf einen der beiden Tische referieren und dem Tisch bekommt keinen semantischen Wert hat es bezeichnet nichts! Übung 2.3: Formulieren Sie die Präsupposition, die von der definiten Kennzeichnung in (4) getriggert wird. Geben Sie einen Kontext an, in dem die Präsupposition verletzt ist. Orientieren Sie sich am Szenario in Übung 2.2. 3

Übung 2.4: Bestimmen Sie die definite Kennzeichnung in (6) und die getriggerte Präsupposition. (6) Maria spielt mit dem blauen Ball aus Italien. Eine nicht-exhaustive Liste von Präsuppositionstriggerklassen: Definite Kennzeichnungen und Eigennamen Faktive Prädikate: z.b. bedauern, sich bewusst sein, bemerken, wissen, stolz sein, glücklich sein, traurig sein... Implikative Verben: z.b. schaffen, vergessen, vermeiden... Zustandsveränderungsverben: z.b. aufhören, anfangen, verlassen, hereinkommen, kommen, weggehen... Iterative: z.b. wieder, nicht mehr... Temporalsätze: z.b. bevor Peter nach Hause kam, als Peter nach Hause kam... Die Nicht-Erfüllung einer Präsupposition hat im Szenario in Übung 2.2 den Effekt, dass für (5) kein Wahrheitswert in dem angegebenen Kontext angegeben werden kann. Der Satz ist auf extensionaler Ebene nicht interpretierbar. Es ist nicht immer der Fall, dass die Nicht-Erfüllung einer Präsupposition zu Uninterpretierbarkeit führt. Bei manchen Präsuppositionen ist es möglich wenn der Adressat nicht weiß, ob die Präsupposition erfüllt ist, oder nicht dass er so tut, als wäre sie erfüllt. Der Adressat fügt also den Präsuppositionsinhalt stillschweigend zu seinem Wissen über die Welt hinzu. Dieses Vorgehen nennt man Akkommodation der Präsupposition. 2.2 Diagnoseeigenschaften für Präsuppositionen Eine zentrale Diagnoseeigenschaft für Präsuppositionen 1 ist, dass Präsuppositionen unter Negation erhalten bleiben. D.h. die negierte Variante eines Satzes hat dieselben Präsuppositionen, wie die nicht-negierte Variante. (7) a. Hans hat geschafft, rechtzeitig stehen zu bleiben. b. Es ist nicht der Fall, dass Hans geschafft hat, rechtzeitig stehen zu bleiben. Hans hat nicht geschafft, rechtzeitig stehen zu bleiben. Übung 2.5: Was wird in (7-a) präsupponiert und wovon? Ist diese Präsupposition intuitiv auch in (7-b) noch gegeben? Diese Beständigkeit unter Negation unterscheidet Präsuppositionen von logischen Folgerungen (siehe Skript zur Semantik). (8) a. Hans wurde ermordet. Hans ist tot. b. Es ist nicht der Fall, das Hans ermordet wurde. Hans wurde nicht ermordet. Hans ist tot. Sätze bzw. Informationen, die aus einem gegebenen Satz logisch folgen, gehen bei der Negation dieses Satzes verloren. 1 Selektive Zusammenfassung von Levinson 4.1 4.3. 4

Möchte man herausfinden, ob es sich bei einem mitverstandenen Inhalt eines Satzes S um eine Präsupposition handelt, muss man zunächst überprüfen, ob derselbe Inhalt auch bei der Negation von S mitverstanden wird. Zwei ähnliche Diagnoseeigenschaften sind, dass Präsuppositionen in Fragen nicht in Frage gestellt werden, und, dass sie im Antezedens eines Konditionalsatzes (= dem wenn-satz) nicht Teil des angenommenen Inhalts sind. (9) a. Hat Hans geschafft, rechtzeitig stehen zu bleiben? Hat Hans versucht und geschafft, rechtzeitig stehen zu bleiben? b. Wenn Hans geschafft hat, rechtzeitig stehen zu bleiben, ist ihm nichts passiert. Wenn Hans versucht und geschafft hat, rechtzeitig stehen zu bleiben, ist ihm nichts passiert. In den Sätzen in (9) nach wurde der Inhalt der Präsupposition explizit in die Frage bzw. in das Antezedens des Konditionals gestellt. Die resultierenden Sätze fragen nach mehr bzw. nehmen mehr an, als die Sätze vor. Das macht den Inhalt Hans hat versucht, rechtzeitig stehen zu bleiben, der bei beiden Sätzen in (9) mitverstanden wird, zu einer Präsupposition. Dass Präsuppositionen unter Negation, Fragebildung und im Antezedens von Konditionalen erhalten bleiben, ist nicht präzise genug, um sie als homogene Menge von mitverstandenen Inhalten gegenüber Implikaturen jeder Art abzugrenzen. Drei weitere Charakteristika von Präsuppositionen sind: 1) Präsuppositionen sind an ihren Trigger geknüpft (Konventionalisiertheit); wenn man den Trigger aus dem Satz entfernt und mit einem Ausdruck ersetzt, der diese Präsupposition nicht ebenfalls triggert 2, dann hat der resultierende Satz die Präsupposition nicht mehr. 2) Präsuppositionen werden von ihren Triggern immer, also unabhängig vom Gesprächskontext, getriggert. 3) Präsuppositionen können in bestimmten Kontexten trotz Präsenz des Triggers nicht auftreten bzw. annulliert werden, nämlich wenn... der Sprecher die Präsupposition explizit abstreitet. (10) Ich weiß nicht, dass Maria Georg geküsst hat. Ich weiß auch nicht, dass sie ihn nicht geküsst hat. Ehrlich gesagt, hab ich keine Ahnung. geteiltes Wissen zwischen Sprecher und Hörer mit der Präsupposition inkompatibel ist. (11) A: Ich habe kein Auto. B: Dann musst Du Dir wenigstens keine Gedanken machen, wo Du Dein Auto parkst. logische Folgerungen des Satzes oder Diskurses mit der Präsupposition inkompatibel sind. (12) Frankreich ist keine Monarchie mehr. Daher ist der König von Frankreich auch nicht kahlköpfig. 2 Achtung: Manche sprachliche Ausdrücke triggern dieselbe Präsupposition oder ähnliche Präsuppositionen, z.b. Fast-Synonyme und manche Trigger aus derselben Präsuppositionstriggerklasse. 5

3 Konversationelle Implikaturen Die Theorie der Implikaturen geht auf Paul Grice zurück, der untersucht hat, wie sich Personen in Kommunikationssituationen verhalten. Die zentrale Einsicht von Grice gekommen ist, dass sich Kommunikationspartner (vorwiegend) kooperativ verhalten und versuchen ein gemeinsames kommunikatives Ziel zu erreichen. 3.1 Das Kooperationsprinzip Das übergeordnete Prinzip, an das sich Gesprächspartner lt. Grice im Allgemeinen halten, ist das Kooperationsprinzip. (13) Kooperationsprinzip Gestalte deinen Gesprächsbeitrag genau so, wie es der Punkt des Gesprächs, an dem er erfolgt, erfordert, wobei das, was erforderlich ist, bestimmt ist durch den Zweck oder die Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst! Eine weitere Beobachtung war, dass nicht-kooperatives Verhalten oft dazu verwendet wird, um dem Gesprächspartner zu signalisieren, dass der gerade geleistete Gesprächsbeitrag nicht wörtlich zu verstehen ist, sondern, dass der Sprecher damit tatsächlich etwas Anderes kommunizieren will. Manchmal besteht also ein Unterschied zwischen dem Gesagten ( Äußerungsbedeutung) und dem Gemeinten ( Kommunikativer Sinn). In diesem Fall, sagt Grice, wird (zusätzliche) Information vom Sprecher implikatiert; diese Information ist eine Implikatur des Sprechers. Übung 3.1: Wo besteht im folgenden Dialog ein Unterschied zwischen den Gesagten und dem Gemeinten? (14) A: Maria hat Petra den Freund ausgespannt. B: Echt? Maria ist ja eine tolle Freundin! Grice hat dem Kooperationsprinzip vier spezifische Kommunikationsmaximen hinzugefügt, die die Idee des kooperativen Verhaltens weiter spezifizieren. Maxime der Quantität: 1. Mache deinen Beitrag so informativ wie erforderlich! 2. Mache deinen Beitrag nicht informativer als erforderlich! Maxime der Qualität: Versuche einen wahren Gesprächsbeitrag zu machen! 1. Sage nichts, was du für falsch hältst! 2. Sage nichts, wofür du keine adäquaten Evidenzen hast! Maxime der Relation: Sei relevant! Maximen der Art und Weise: Drücke dich deutlich aus! 1. Vermeide ungeläufige Ausdrücke! 2. Vermeide Ambiguitäten! 3. Fasse dich kurz! (Vermeide unnötige Weitschweifigkeit!) 4. Gehe geordnet vor! 6

3.2 Entstehen von Implikaturen Implikaturen können (i) über die Annahme des Adressaten, dass der Sprecher die Maximen befolgt, (ii) durch einen Konflikt zwischen Maximen, oder aber (iii) durch das explizite Ausnützen von Maximen durch den Sprecher entstehen. Beispiel für (i): (15) A: Wo kann man hier in der Gegend eine Zeitung kaufen? B: Gleich um die Ecke ist eine Tankstelle. +> An dieser Tankstelle kann sich A eine Zeitung kaufen. In dem obigen Beispiel nimmt die Äußerung von B nicht direkt auf die Frage von A Bezug. Mit der Annahme, dass B kooperativ ist und Bs Äußerung die Maximen erfüllt z.b. dass die Information, dass es eine Tankstelle um die Ecke gibt, tatsächich relevant für As Frage ist (Maxime der Relation), kann A aber schließen, dass B mit seiner Äußerung (auch) meint, dass A dort eine Zeitung kaufen kann. Übung 3.2: Welche Maxime ist bei der Entstehung der Implikatur bei Bs Antwort in (16) involviert? Um welchen Fall, also (i), (ii) oder (iii), der Implikaturentstehung handelt es sich hier? Nehmen Sie an, dass im Logbuch eines Schiffes nur außergewöhnliche Vorkommnisse berichtet werden. (16) [Kontext: Der Kapitän des Schiffs, ein strenger älterer Herr, findet Matrosen B angetrunken unter Deck.] Der Kapitän schreibt ins Logbuch: Heute, 10.07., ist Matrose B betrunken. Matrose B schreibt darunter: Heute, 10.07., ist der Kapitän nicht betrunken. Übung 3.3: Welche Maxime ist bei der Implikatur bei Bs Antwort in (14) involviert? Übung 3.4: Dem Sprecher von (17) würde man nicht unterstellen wollen, dass er lügt, obwohl seine Äußerung streng genommen nicht wahr ist. Dieser Effekt ist eine Implikatur. Welche Maximen sind hier involviert? Wieso handelt es sich um Fall (ii) der Implikaturentstehung? (17) Berlin ist von Tübingen aus mit dem Auto 680km entfernt. (tatsächliche Strecke lt. Google Maps: 681,3km) 3.3 Eigenschaften von konversationellen Implikaturen Da ein Sprecher für jede Äußerung getrennt entscheiden kann, die Maximen einzuhalten oder zu verletzen, und eine Implikatur immer auch von dem gerade bestehenden Äußerungskontext abhängt, nennt Grice diese Implikaturen konversationelle Implikaturen. Er unterscheidet diese von konventionellen Implikaturen, die von bestimmten sprachlichen Ausdrücken unabhängig von den Gegebenheiten im Kontext ausgelöst werden und nicht von der Intention des Sprechers abhängig sind. Konversationelle Implikaturen haben die folgenden Eigenschaften: Kalkulierbarkeit: Der Adressat kann die Implikaturen auf der Basis des Gesagten und des Äußerungskontexts mit Hilfe der Maximen und des Kooperationsprinzips erschließen. 7

Annullierbarkeit: Der Sprecher kann Implikaturen, die aus seiner Äußerung geschlossen werden könnten, explizit annullieren, indem er sie verneint. (18) a. Einige Studenten haben die Prüfung bestanden. (skalare Implikatur) +> Nicht alle Studenten haben die Prüfung bestanden. b. Einige Studenten, sogar alle, haben die Prüfung bestanden. Bestärkbarkeit: Implikaturen können zusätzlich explizit bestärkt werden, indem der implikatierte Inhalt explizit gemacht wird. Inhaltsbasiertheit: Das Entstehen einer Implikatur ist nicht von der spezifischen Wortwahl des Sprechers abhängig. Der Sprecher kann dieselbe Implikatur ebenfalls mit anderen, inhaltsgleichen Äußerungen kommunizieren. Universalität: Implikaturen sind nicht einzelsprachabhängig. Sie bleiben bei Übersetzung in eine andere Sprache (gegeben quasi-identischer kultureller Hintergründe) erhalten. Aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Äußerungskontext und der Intention des Sprechers sind konversationelle Implikaturen nicht konventionell und nicht eindeutig festgelegt, d.h. nicht prädeterminiert. Beachten Sie: Implikaturen sind, wie auch Präsupposition, strikt von logischen/ semantischen Folgerungen zu unterscheiden, da logische Folgerungen sprecherund kontextunabhängig sind, nicht annulliert werden können und eindeutig festgelegt sind. 8