Vorlesungskript. Algebra

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Transkript:

Vorlesungskript Algebra SS 2018 Christian Sevenheck Fakultät für Mathematik TU Chemnitz

vorläufige Fassung, 11. April 2018 Fehler und Bemerkungen bitte an : christian.sevenheck@mathematik.tu-chemnitz.de 2

Inhaltsverzeichnis 1 Einführung 4 3

Kapitel 1 Einführung In diesem Kapitel wollen wir einen Überblick über den in dieser Vorlesung behandelten Stoff geben. Wir werden einige Begriffe ad hoc definieren und einige Sätze ohne Beweis formulieren, alle diese Aussagen werden im späteren Verlauf der Vorlesung sauber behandelt. Hier soll es darum gehen, zu den Hauptergebnissen vorzustoßen und zu skizzieren, welche Hilfsmittel dabei benötigt werden. Ganz grob gesprochen werden wir fundamentale algebraische Strukturen, wie Gruppen, Ringe und Körper betrachten. Diese spielen in fast allen Teilen der Mathematik eine große Rolle. Der Fokus dieser Vorlesung soll in der Beantwortung von Problemen, die seit der Antike bekannt sind, liegen. Obwohl alle diese Probleme sehr einfach zu formulieren sind, konnten sie erst im 19. Jahrhundert vollständig gelöst werden. Mehrere dieser klassischen Probleme lassen sich unter dem Stichwort Konstruktion mit Zirkel und Lineal zusammenfassen. Um dies präzise formulieren zu können, beginnen wir mit der folgenden Definition. Definition 1.1. Gegeben sei eine Teilmenge M 0 R 2, von der wir M 0 = (Anzahl der Elemente von M 0 ) 2 voraussetzen ( M 0 = ist erlaubt). Wir definieren induktiv Mengen M i durch folgende Vorschrift: Zeichne beliebige Geraden zwischen 2 Punkten aus M i 1 sowie beliebige Kreise um Punkte aus M i 1, welche einen weiteren Punkt aus M i 1 auf der Kreislinie enthalten. Dann setze M i = M i 1 {beliebige Schnittpunkte solcher Geraden und Kreise}. Wir sagen, dass ein Punkt x R 2 aus der Ausgangsmenge M 0 mit Zirkel und Lineal konstruierbar ist, falls es ein i N = {0, 1, 2,...} gibt, so dass x M i ist. Mit dieser Definition können wir die folgenden Probleme, welche seit der Antike bekannt sind, formulieren. Definition 1.2. In den folgenden Konstruktionsproblemen definieren die gegebenen Daten eine Menge M 0 R 2. Das gesuchte Objekt zu konstruieren soll bedeuten, im Sinne von Definition 1.1 eine Menge M i mit Zirkel und Lineal zu konstruieren, so dass das gesuchte Objekt Teilmenge von M i ist. 1. (Quadratur des Kreises) Kann man aus einem gegebenen Kreis ein Quadrat gleicher Fläche konstruieren? 2. (Delisches Problem) Kann man zu einem Würfel mit vorgegebener Seitenlänge einen Würfel mit doppeltem Volumen konstruieren, d.h., kann man die Seitenlänge diese Würfels konstruieren? 3. (Regelmäßiges n-eck) Sei n N vorgegeben. Kann man dann ein regelmäßiges n-eck konstruieren, dessen Eckpunkte in einem gegebenen Kreis liegen? 4. (Winkeldreiteilung) Kann man einen vorgegebenen Winkel dreiteilen? 4

Um Antworten auf diese Probleme geben zu können, führen wir jetzt einige Begriffe über Körper und Körpererweiterungen ein, welche im Verlauf der Vorlesung ausführlich diskutiert werden. Definition 1.3. Sei A C R 2 eine Teilmenge. Wir definieren Q(A) = Q K C A K K Körper K als den kleinsten Körper, welcher Q und A enthält und in C liegt. (Es ist leicht zu sehen, dass die oben definierte Menge Q(A) tatsächlich ein Körper ist). Q(A) heißt Körpererweiterung von Q. Allgemeiner kann man für Q A B C die Körpererweiterung Q(A) Q(B) definieren. Q(B) ist in natürlicher Weise ein Q(A)-Vektorraum, und man nennt [Q(B) Q(A)] = dim Q(A) (Q(B)) den Grad dieser Körpererweiterung. Falls A = {a 1,..., a k } endlich ist, schreiben wir Q(A) = Q(a 1,..., a k ) und sagen, dass Q(a 1,..., a k ) aus Q durch Adjunktion von a 1,..., a k entsteht. Eine Zahl c C heißt algebraisch, falls [Q(c) Q] < ist, sonst heißt c transzendent. Die folgenden Resultate über Körpererweiterungen werden (teilweise) in der Vorlesung bewiesen, und erlauben es, die oben gestellten geometrischen Probleme zu lösen. Satz 1.4. 1. Q( 2) = Q + Q 2 = {a + b 2 a, b Q}, [Q( 2) Q] = 2 2. Q( 3 2) = Q + Q 3 2 + Q( 3 2) 2, [Q( 3 2) Q] = 3 3. π und π sind transzendent. 4. Für α [0, 2π) ist [Q(cos α, cos α) Q(cos α)] = 3. 3 5. Es ist [Q(e 2πi 1 n ) Q] = ϕ(n), hierbei ist ϕ N>0 N die Eulersche ϕ-funktion, definiert durch ϕ(n) = {a {0,..., n 1} ggt(a, n) = 1}. Beweis. Wir werden hier nur einige Bemerkungen zu den Beweisen machen, die Details kommen später. 1. Wegen Q( 2) = Q + Q 2 ist {1, 2} ein Erzeugendensystem des Q-Vektorraumes Q( 2) und auch linear unabhängig, daher ist dim Q Q( 2) = 2. 2. Analog zu 1. 3. Dies ist der Satz von Lindemann (1882), den wir in dieser Vorlesung nicht beweisen werden. 4. Es gilt also cos(3x) = 4 cos 3 (x) 3 cos(x), cos 3 α 3 3 4 cos α 3 1 cos α = 0. 4 Also sind alle Potenzen cos k α 3 für k > 2 als Linearkombination von 1, cos2 α 3 und cos α 3 aus Q(cos(α)) darstellbar. Daher folgt mit Koeffizienten Q (cos α 3, cos α) = Q(cos α) 1 + Q(cos α) (cos α 3 ) + Q(cos α) (cos2 α 3 ), und daher ist {1, cos α 3, cos2 α 3 } eine Q(cos α)-basis von Q (cos α, cos α). 3 5

5. Wir werden später sehen, dass das Polynom Φ n (x) = a mit 0<a n ggt(a,n)=1 (x e 2πi a n ) rationale Koeffizienten hat. Natürlich hat es Grad ϕ(n), und e 2πi 1 n ist eine Nullstelle von Φn, außerdem gibt es (wie wir auch später sehen werden) kein Polynom kleineren Grades mit rationalen Koeffizienten, welches e 2πi 1 n als Nullstelle hat. Daraus folgt (auch das kommt später), dass [Q(e 2πi 1 n ) Q] = ϕ(n) gilt. Der folgende Satz beantwortet die Fragen aus Definition 1.2. Satz 1.5. 1. Sei M R 2 gegeben und sei ein Punkt x R 2 im Sinne von Definition 1.1 mit Zirkel und Lineal aus M konstruierbar. Dann gilt für ein m N. 2. Die Quadratur des Kreises ist nicht lösbar. 3. Das Delische Problem ist nicht lösbar [Q(M {x}) Q(M)] = 2 m 4. Einen Winkel kann man nicht mit Zirkel und Lineal dritteln. 5. Falls das reguläre n-eck konstruierbar ist, dann gilt ϕ(n) = 2 m für ein m N. (Tatsächlich sind diese beiden Bedingungen äquivalent). Beweis. 1. Das ist der schwierigste Teil dieses Satzes, der Beweis wird am Ende der Vorlesung gegeben. 2. Ein Kreis mit Radius 1 hat Flächeinhalt π, also müßte man ein Quadrat der Seitenlänge π konstruieren, wegen Satz 1.4, 3. ist aber [Q( π) Q] =. 3. Analog zum Punkt 2. müsste man hier den Abstand 3 2 konstruieren, aber dies wiederspricht der Aussage [Q( 3 2) Q] = 3, denn 3 ist keine Zweierpotenz. 4. Auch hier folgt aus [Q(cos α, cos α), Q(cos α)] = 3, dass es keine Lösung geben kann. 3 5. Dies ist eine Konsequenz von [Q(e 2πi 1 n ) Q] = ϕ(n), denn das reguläre n-eck mit Ecken auf einem Kreis mit Radius 1 hat einen Eckpunkt bei e 2πi 1 n C R 2. Wir wollen nun ein zweites fundamentales Problem beschreiben, welches wir in dieser Vorlesung behandeln werden. Es geht um die Lösbarkeit von algebraischen Gleichungen, oder anders formuliert, um die Frage, inwieweit man Formeln zur Berechnung von Nullstellen von Polynomen angeben kann. Wir starten mit der folgenden Definition. Definition 1.6. Sei f(x) = x n + a n 1 x n 1 +... + a 1 x + a 0 Q[x] ein Polynom in einer Variablen mit Koeffizienten aus Q. Die Nullstellen von f seien x 1,..., x n C, d.h., es gilt f(x) = (x x 1 )... (x x n ). Wir sagen, dass f durch Radikale lösbar ist, wenn die Nullstellen x 1,..., x n aus den Koeffizienten a 0,..., a n 1 durch Anwenden der Grundrechenoperationen und durch Wurzelziehen bestimmbar sind. Für Polynome kleinen Grades kann man explizite Formeln für die Lösungen angeben, dies wollen wir jetzt behandeln, uns dabei aber auf die Fälle Grad(f) < 4 beschränken. 6

Satz 1.7. Quadratische Gleichungen x 2 + px + q = 0 lassen sich mit der Formel lösen. x 1,2 = p 2 ± p 2 4 q (1.1) Beweis. Der Beweis ist natürlich wohlbekannt, aber er ist instruktiv, um die gleich zu behandelnden Formeln für das Lösen von kubischen Gleichungen zu verstehen. Wir ersetzen in der Gleichung x 2 + px + q = 0 die Variable x durch y p, und erhalten 2 x 2 + px + q = (y p 2 ) 2 + p (y p 2 ) + q = y2 p2 4 + q Daher ist x 2 + px + q = 0 äquivalent zu y 2 = p2 4 q, also y 1,2 = ± p 2 4 q und daher x 1,2 = p 2 ± p 2 4 q. Im folgenden Satz leiten wir eine ähnliche, aber deutlich kompliziertere Formel für Gleichungen dritten Grades her. Satz 1.8 (Cardanosche Formeln). Sei eine Gleichung x 3 + ax 2 + bx + c = 0 gegeben. Wir transformieren diese mittels y = x + a 3 auf y3 + py + q = 0, mit p = 1 3 a2 + b, q = 2 27 a3 1 3 ab + c Dann sind die Lösungen von y 3 + py + q = 0 gegeben durch y 0 = u 0 + v 0, y 1 = u 1 + v 1, y 2 = u 2 + v 2 (1.2) mit u 0 = 3 q 2 + ( q 2 )2 + ( p 3 )3, v 0 = 3 q 2 ( q 2 )2 + ( p 3 )3 u 1 = u 0 ζ, v 1 = v 0 ζ 2 (1.3) u 2 = u 0 ζ 2, v 2 = v 0 ζ wobei ζ = e 2πi 1 3 eine sogenannte primitive dritte Einheitswurzel ist. Beweis. Wir verwenden die Formel aus der (u + v) 3 = u 3 + 3u 2 v + 3uv 2 + v 3 = 3uv(u + v) + (u 3 + v 3 ) (u + v) 3 + ( 3uv) (u + v) + ( u 3 v 3 ) = 0 folgt, d.h., die Zahl u + v erfüllt die Gleichung x 3 + px + q = 0, wenn wir p = 3uv und q = u 3 v 3 setzen. Umgekehrt sucht man also für gegebene p und q Zahlen u und v, so dass p = 3uv und q = u 3 v 3 gilt. Wegen u 3 v 3 = ( p 3 )3 und q = u 3 + v 3 sind die Zahlen u 3 und v 3 Lösung der quadratischen Gleichung z 2 + qz ( p 3 )3 = 0, also gilt u 3, v 3 = q 2 ± ( q 2 ) 2 + ( p 3 ) 3 und das führt zu den Cardanoschen Formeln, hierbei sind die 3-ten Einheitswurzeln als Faktoren so verteilt, dass für i = 0, 1, 2 wirklich 3u i v i = p gilt, und nicht nur u 3 i v3 i = ( p 3 )3. 7

Zu erwähnen bleibt, dass es auch ähnliche Lösungsformeln für Gleichungen vom Grad 4 gibt, welche wir aus Zeitgründen nicht herleiten. Auch in ihnen werden nur Grundrechenoperationen sowie Wurzelziehen verwendet. Wir werden gleich noch einen abstrakten Ansatz kennenlernen, welcher zeigt, dass es für alle Gleichungen vom Grad 4 solcher Lösungsformeln geben muss. Wir wollen noch einen wichtigen Begriff einführen, welcher die Struktur der Lösungsmenge von Gleichungen vom Grad 2 oder 3 bestimmt. Definition-Lemma 1.9 (Diskriminante). 1. Die Diskriminante des Polynoms x 2 + px + q ist D = p2 4 q. Wenn x 2 + px + q = (x x 1 )(x x 2 ) gilt, dann ist D = 1 4 (x 1 x 2 ) 2, also ist D = 0 genau dann, wenn x 1 = x 2 ist. Im Spezialfall, dass p, q R sind, gilt darüber hinaus: (a) D 0 genau dann, wenn x 1, x 2 R. (b) D 0 genau dann, wenn x 1 = x 2. 2. Die Diskriminante des Polynoms x 3 + px + q ist D = ( q 2 )2 + ( p 3 )3. Seien y 0, y 1, y 2 Lösungen, gegeben durch Formel (1.2), dann ist D = 3 18 1 (y 0 y 1 )(y 0 y 2 )(y 1 y 2 ), insbesondere ist D = 0 genau dann, wenn es i j mit y i = y j gibt. Seien spezieller p, q R, dann gilt (a) D 0 genau dann, wenn alle Lösungen y i reell sind, (b) D > 0 genau dann, wenn zwei Lösungen komplex konjugiert und nicht reell sind (und die dritte reell ist). Beweis. 1. Dies ergibt sich sofort aus den Lösungsformeln (Formel (1.1)) für quadratische Gleichungen. 2. Dies ist der Inhalt von Übungsblatt 1., Aufgabe 2. Um die Auflösbarkeit (durch Radikale) von Polynomen bzw. algebraischen Gleichungen beliebigen Grades zu studieren, definieren wir nun ein fundamentales Objekt, welches später (siehe Kapitel?? und??) in großer Ausführlichkeit behandelt wird. Definition 1.10. Sei K 1 K 2 eine Körpererweiterung, d.h., K 1 und K 2 sind Körper, K 1 ist in K 2 enhalten, und die Verknüpfungen + und sind in beiden Körpern kompatibel. Dann heißt Gal(K 2 /K 1 ) = {φ K 2 K 2 φ Körperautomorphismus, φ K1 = id K1 } die Galoisgruppe von K 2 /K 1 (mit der Verknüpfung von Automorphismen als Gruppenstruktur). Der folgende Satz beantwortet die Frage nach der Auflösbarkeit von Polynomgleichungen im Allgemeinen. Wir verschieben den Beweis vollständig auf die hinteren Teile der Vorlesung. Satz 1.11. Gegeben f(x) = x n + a n 1 x n 1 +... + a 1 x + a 0 = n i=1(x x i ), a i Q, x i C. Betrachte Q(x 1,..., x n )/Q und Galoisgruppe Gal(Q(x 1,..., x n )/Q). Dann gilt: 1. ϕ Gal(Q(x 1,..., x n )/Q) σ S n ϕ(x i ) = x σ(i) 8

2. Die durch Gal(Q(x 1,..., x n )/Q) S n ϕ σ definierte Abbildung ist ein injektiver Gruppenhomomorphismus (siehe Definition??). 3. Es seien die folgenden Voraussetzungen erfüllt: (a) n ist eine Primzahl, (b) f ist irreduzibel, d.h. falls f = g h für Polynome mit rationalen Koeffizienten, dann ist Grad(g) = 0 oder Grad(h) = 0, (c) x 1,..., x n 2 R, (d) x n 1, x n C/R und x n 1 = x n. Dann gilt Gal(Q(x 1,..., x n )/Q) = S n. Ein Beispiel für ein solches Polynom ist f(x) = x 5 10x + 5. 4. Die Nullstellen x 1,..., x n sind durch Grundrechenoperationen und Wurzelziehen aus den Koeffizienten a 0,..., a n 1 bestimmbar, d.h., f ist durch Radikale lösbar, genau dann, wenn die Gruppe Gal(Q(x 1,..., x n )/Q) auflösbar ist (siehe Definition??). 5. S n ist auflösbar für n 4, und nicht auflösbar für n 5 (siehe Korollar??). 6. Also existieren für Gleichungen vom Grad 2, 3, 4 Lösungsformeln, welche nur Grundrechenoperationen und Wurzelziehen beinhalten, für Gleichungen vom Grad größer oder gleich 5 hingegen im Allgemeinen nicht mehr. Beispielweise kann man die Nullstellen von f(x) = x 5 10x + 5 nicht aus den rationalen Zahlen durch (iteriertes) Wurzelziehen und die Grundrechenoperationen bestimmen. 9

Literaturverzeichnis [1] Siegfried Bosch, Algebra, Springer, 7.Auflage (2008). [2] Annette Werner, Algebra, Vorlesungsskript, Johannes-Goethe-Universität Frankfurt, verfügbar unter http://www.uni-frankfurt.de/fb/fb12/mathematik/ag/personen/werner/skripte/algebra.pdf [3] Claus Hertling, Algebra, Vorlesungsskript, Universität Mannheim 10