KOLLEKTIVES ARBEITSRECHT WS 2015/16 TU DRESDEN. Rechtsanwältin Yvonne Dietzel, LL.M. Rechtsanwältin Dr. Charlotte Sander, LL.M.
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1 KOLLEKTIVES ARBEITSRECHT WS 2015/16 TU DRESDEN Rechtsanwältin Yvonne Dietzel, LL.M. Rechtsanwältin Dr. Charlotte Sander, LL.M.
2 E. Betriebsverfassungsrecht
3 Überblick I. Allgemeine Grundlagen II. III. IV. Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes Organe der Betriebsverfassung Betriebsrat V. Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder VI. VII. VIII. IX. Beteiligungsrechte des Betriebsrats Beteiligung in sozialen Angelegenheiten Beteiligung in personellen Angelegenheiten Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten 3
4 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (1) Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten Informations- und Beratungsrechte des Wirtschaftsausschusses, BetrVG Unterrichtungs-, Beratungsund Mitbestimmungsrechte bei Betriebsänderung, BetrVG 4
5 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (2) 1. Der Wirtschaftsausschuss Bildung des Wirtschaftsausschusses Zu bilden in Unternehmen mit mehr als 100 i.d.r. beschäftigten Arbeitnehmern, 106 ff. BetrVG Ausnahme: Tendenzbetrieben und Religionsgemeinschaften, 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BetrVG Zusammensetzung: mind. drei und höchstens sieben Mitglieder, die dem Unternehmen angehören müssen und darunter mind. ein Betriebsratsmitglied, 107 Abs. 1 BetrVG Rechtsnatur des Wirtschaftsausschusses Kein Mitbestimmungsorgan, sondern gesetzlich besonders geregelter Ausschuss des Betriebsrats mit Doppelfunktion ( 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) Einerseits Anspruch auf Unterrichtung und Beratung bezüglich der wirtschaftlichen Angelegenheiten i. S. d. 106 Abs. 3 BetrVG gegenüber Unternehmer Andererseits umfassende Unterrichtungspflicht über Auskünfte und Ergebnisse der Beratung gegenüber dem Betriebsrat (=Funktion als Hilfsorgan des Betriebsrats) 5
6 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (3) Wirtschaftliche Angelegenheiten 1. die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens 2. die Produktions- und Absatzlage 3. das Produktions- und Investitionsprogramm 4. Rationalisierungsvorhaben 5. Fabrikations- und Arbeitsmethoden, insbesondere die Einführung neuer Arbeitsmethoden Wirtschaftliche Angelegenheiten 5a. Fragen des betrieblichen Umweltschutzes 6. die Einschränkung oder Stilllegung von Betrieben oder von Betriebsteilen 7. die Verlegung von Betrieben oder Betriebsteilen 8. der Zusammenschluss oder die Spaltung von Unternehmen oder Betrieben; 9. die Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks sowie 9a. die Übernahme des Unternehmens, wenn hiermit der Erwerb der Kontrolle verbunden ist, sowie 10. sonstige Vorgänge und Vorhaben, welche die Interessen der Arbeitnehmer des Unternehmens wesentlich berühren können 6
7 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (4) Rechte des Wirtschaftsausschusses Für Rechtsstellung der Wirtschaftsausschussmitglieder gelten die 78, 79 BetrVG ausdrücklich Analoge Anwendung der anderen Vorschriften über die Betriebsratsmitglieder auf die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses umstritten Praktische Bedeutung für Wirtschaftsausschussmitglieder, die nicht zugleich Betriebsratsmitglied sind BAG: Freistellung von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung der Bezüge gem. 37 Abs. 2 und 3 BetrVG analog für Wirtschaftsausschusstätigkeit; ABER Grundsätzlich keine analoge Anwendung des 37 Abs. 6 BetrVG für Schulungen und des 37 Abs. 4 und 5 BetrVG für wirtschaftliche und berufliche Absicherung; kein besonderer Kündigungsschutz Anforderungen an die Unterrichtung durch den Arbeitgeber Rechtzeitig vor der Entscheidung, damit der Wirtschaftsausschuss durch eine Beratung Möglichkeit der Einflussnahme hat und den Betriebsrat unterrichten kann Bei fehlender, nicht rechtzeitiger oder ungenügender Auskunft durch den Arbeitgeber und fehlender Einigung zwischen Unternehmer und Betriebsrat entscheidet die Einigungsstelle nach 109 Satz 1 BetrVG Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ( 109 Satz 2 BetrVG) 7
8 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (5) 2. Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach BetrVG Voraussetzungen für Beteiligungsrechte nach BetrVG: 1. I.d.R. mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer im Unternehmen im Zeitpunkt der Entstehung der Beteiligungsrechte 2. Vorhandensein eines Betriebsrats Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderung nach 111 BetrVG Betriebsrat muss durch den Arbeitnehmer über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder für erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend unterrichtet werden ( 111 BetrVG) Fünf Fallgruppen einer Betriebsänderung in 111 Satz 3 BetrVG geregelt P: Ist 111 Satz 3 BetrVG abschließend? e.a.: a.a.: Katalog in 111 Satz 3 BetrVG ist abschließend Grund: anders als in 106 Abs. 3 BetrVG fehlt es hier an einem Wort wie insbesondere 111 Satz 3 BetrVG stellt eine beispielhafte Aufzählung dar (so auch das BAG) Grund: 111 Satz 1 BetrVG ist eine Generalklausel 8
9 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (6) Fallgruppen der Betriebsänderung: Nr. 1: Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen Auch reiner Personalabbau, soweit Erheblichkeitsschwelle (vgl. 17 KSchG) erreicht ist Nr. 2: Verlegung des ganze Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen Verlegung = jede nicht nur geringfügige Veränderung der örtlichen Lage des Standorts Nr. 3: Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben Zusammenschluss = Bildung eines neuen Betriebs aus dem alten Betrieb oder Aufnahme eines bestehenden Betriebs in einen anderen Betrieb Bei Spaltung: abgespaltener Teil wird ein selbstständiger Betrieb oder geht in einem anderen Betrieb auf Nr. 4: Grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen Nr. 5: Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren 9
10 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (7) Interessenausgleich nach 112 BetrVG Betrifft organisatorische Fragen zur Durchführung einer Betriebsänderung, die nicht Teil des Sozialplans sind, die also nicht in einem wirtschaftlichen Ausgleich für die Arbeitnehmer bestehen Rechtsnatur und Wirkung des Interessenausgleichs: Vertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat Wirkt nicht wie eine Betriebsvereinbarung nach 77 Abs. 4 BetrVG, d.h. Arbeitnehmer können keine Ansprüche aus dem Interessenausgleich herleiten I. d. R. wird Arbeitgeber zu einen Tun oder Unterlassen verpflichtet Lediglich eine Naturalobliegenheit, sodass Betriebsrat keine Klage auf Einhaltung des Interessenausgleichs einreichen kann Stattdessen: Anspruch auf Nachteilsausgleich als Sanktion bei Nichteinhaltung nach 113 BetrVG Abschluss des Interessenausgleiches muss lediglich versucht werden, wenn Verhandlungen gescheitert sind, kann der Arbeitgeber mit der Durchführung der Betriebsänderung beginnen Aber beachte: Scheitern der Verhandlungen muss in der Einigungsstelle festgestellt werden! 10
11 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (8) Sozialplani.S.d. 112,122aBetrVG Legaldefinition für Sozialplan in 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG: Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen Wirkung des Sozialplans: Wirkung wie eine Betriebsvereinbarung ( 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) Keine Anwendung des Tarifvorbehalts aus 77 Abs. 3 BetrVG (112 Abs. 1 Satz 4 BetrVG) Unmittelbar Rechtsansprüche aus Sozialplan für Arbeitnehmer ( 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) Wenn Einigung nicht zustande kommt, kann Einigungsstelle angerufen werden WICHTIG: Entscheidung der Einigungsstelle ist nach 112 Abs. 4 BetrVG verbindlich Sozialplan ist somit erzwingbar Jedoch: Zwei Ausnahmen in 112a Abs. 1 und 2 BetrVG von der Erzwingbarkeit: Betriebsänderung besteht allein in der Entlassung von Arbeitnehmern in den von 112a BetrVG genannten Grenzen Neu gegründete Unternehmen in den ersten vier Jahren nach der Neugründung 11
12 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (9) Nachteilsausgleich nach 113 BetrVG Normzweck: Unternehmer soll durch Androhung einer finanziellen Sanktion zur Durchführung eines Interessenausgleichsverfahrens bzw. zur Einhaltung eines vereinbarten Interessenausgleichs angehalten werden Betriebsverfassungswidriges Verhalten des Arbeitgebers soll sanktioniert werden, wobei es nicht auf das Verschulden des Arbeitgebers ankommt Rechtsnatur: Individualrechtlicher Anspruch der unternehmensangehörigen Arbeitnehmer mit Sanktionscharakter Anspruch des Arbeitnehmers auf Nachteilsausgleich gem. 113 BetrVG, wenn Unternehmer keinen Interessenausgleich versucht oder ohne zwingenden Grund vom vereinbarten Interessenausgleich abweicht Versuch eines Interessenausgleichs = Unternehmer muss von sich aus gem. 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die Einigungsstelle anrufen; irrelevant, ob der Betriebsrat untätig bleibt Abweichung vom Interessenausgleich = wenn Unternehmer eine Betriebsänderung trotz vorherigen Verzichts im Interessenausgleich durchführt oder sich nicht an die Vereinbarungen zu den Einzelheiten der Betriebsänderung hält zwingender Grund = nachträglich entstandene oder nachträglich erkennbar gewordene Umstände; aus Sicht eines verständigen Unternehmers darf sich keine andere Wahl ergeben, als vom Interessenausgleich abzuweichen; z.b. Konkurs eines Hauptkunden, plötzlicher Verlust von Großaufträgen oder Entziehung eines entscheidenden Bankkredits 12
13 IX. Beteiligung in wirtschaftlichen Angelegenheiten (10) Nachteilsausgleich unabhängig davon, ob Kündigungen oder Versetzungen individualrechtlich rechtmäßig sind oder ob der Arbeitgeber finanziell leistungsfähig ist Gilt auch für bloßen Personalabbau i. S. d. 112a BetrVG Anspruchsentstehung: Sobald Arbeitgeber mit der geplanten Betriebsänderung beginnt, d.h. der Arbeitgeber muss unumkehrbare Maßnahmen hinsichtlich der Betriebsänderung treffen Bei Entlassung: Anspruch auf eine Abfindung von bis zu 18 Monatsverdiensten gem. 113 Abs. 1 BetrVG i. V. m. 10 KSchG Bei anderen wirtschaftlichen Nachteilen: Anspruch auf Ausgleich der Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten gem. 113 Abs. 2 BetrVG wirtschaftliche Nachteile = Vermögenswerte Einbußen, die in Geld ausgeglichen werden können Beispiele für Ausgleichsleistungen: Fahrtkostenersatz, Ersatz von Umzugskosten, Trennungsentschädigungen oder Lohnausgleichszahlungen Voraussetzungen für Abfindungsanspruch (Abs. 1) und sonstigen Nachteilsausgleichsanspruch (Abs. 2) richten sich nach 113 Abs. 3 BetrVG: die Betriebsänderung muss für die Entlassung oder den sonstigen Nachteil der Arbeitnehmers kausal geworden sein 13
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