Beitrag: Der Unkrautvernichter Glyphosat Heimtückisches Gift

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1 Manuskript Beitrag: Der Unkrautvernichter Glyphosat Heimtückisches Gift Sendung vom 19. Mai 2015 von Andreas Rummel Anmoderation: Draußen sprießt das Grün, auch das Unerwünschte, und ordnungsliebende Hobby-Gärtner greifen jetzt wieder zur Chemiekeule. Herbizide mit dem Wirkstoff Glyphosat sind in den meisten Garten- und Baumärkten zu haben. Dabei stuften Experten der WHO Glyphosat kürzlich als wahrscheinlich krebserregend ein. Die Zulassungsbehörden aber genehmigen den Rundum-Unkrautvernichter als Rundum-Sorglospaket seit 40 Jahren. Vor allem die Agrarindustrie nutzt Glyphosat rund um den Globus massenhaft und mit Megaprofiten. Das Geschäft wollte sie sich noch nie so gern von Meldungen über mögliche Gefahren vergiften lassen, berichtet Andreas Rummel. Machen Sie sich bitte auf erschreckende Bilder gefasst! Text: Seit knapp zwanzig Jahren züchtet der Däne Ib Pedersen schon Schweine. Auf seinem Hof hält er einige hundert Sauen und zweibis dreitausend Ferkel. Ihm ist wichtig, dass seine Tiere gesund sind. Nur: Seit Jahren sieht Pedersen an seinen Tieren Missbildungen und Deformationen, die ihn erschrecken. O-Ton Ib Pedersen, Schweinezüchter: Dieses Ferkel wurde heute geboren. Die Nabelschnur ist noch ganz weich, das war vor vielleicht vier bis acht Stunden. Dieses kleine Ferkelchen wird es nicht schaffen. Es hat keine Chance zu trinken, es hat keine Nase, durch das es Luft bekommen kann, es muss durch das Maul atmen. Weil sich solche Missbildungen häuften, suchte der Landwirt systematisch nach der Ursache - auch im Futter - und hatte bald einen Verdacht: Rückstände des Pflanzengiftes Glyphosat könnten für die Defekte der Tiere verantwortlich sein. Im Frühjahr 2013 bringt Ib Pedersen zwei Körbe mit deformierten Ferkeln zur Universität Leipzig. Dort erforscht die

2 Veterinärmedizinerin und Mikrobiologin Monika Krüger seit Jahren potenzielle Auswirkungen von Glyphosat auf Nutztiere. Die Untersuchung der Ferkel erbringt eindeutige Ergebnisse. O-Ton Prof. Dr. Monika Krüger, Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig: In allen untersuchten Organen jeden Tieres haben wir Glyphosat nachgewiesen. Und wir haben in diesen Organen sowie in der Muskulatur und in den Darmwänden dieser Tiere keine signifikanten Unterschiede zwischen den Konzentrationen gefunden. Das heißt also, dass die Tiere über die Plazenta der Muttertiere mit dem Glyphosat in Kontakt gekommen sind. Glyphosat ist das weltweit meist eingesetzte Pflanzengift. Das Herbizid wurde vom amerikanischen Agrarkonzern Monsanto entwickelt. Man findet es beinahe in jedem Garten- und Baumarkt. Vor allem in der Landwirtschaft wird es in riesigen Mengen eingesetzt: vor der Aussaat, um Unkraut auf dem Feld zu vernichten, und dann oft noch einmal kurz vor der Ernte. Das führt zu einem gleichmäßigen Abtrocknen der Halme und erleichtert das Einbringen des Getreides. Doch so gelangen Rückstände des Gifts auch in die Nahrungskette. Für die Sicherheitsbewertung von Glyphosat in ganz Europa ist eine deutsche Behörde zuständig: das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin. Dort hat man Bedenken jahrelang zurückgewiesen. So wie auf diesem öffentlichen Symposium im vergangenen Jahr: O-Ton Lars Niemann, Bundesinstitut für Risikobewertung: Der Wirkstoff Glyphosat ist nicht mutagen, er ist nicht kanzerogen, er ist nicht reproduktionstoxisch, er ist nicht fruchtschädigend und er ist nicht neurotoxisch. Die Behörde hält Glyphosat also für völlig unbedenklich. Keine Missbildungen, kein Krebs. Und so ist es nicht überraschend, dass in Tierfutter und Lebensmitteln offiziell relativ hohe Rückstände des Pflanzengifts zulässig sind. Besonders viel Glyphosat findet sich im Kraftfutter für Nutztiere. Das kommt per Schiff vor allem aus Südamerika nach Europa. Der größte Teil des Futters besteht aus genverändertem Soja. Die Pflanzen wurden resistent gegen Glyphosat gemacht. In vielen Ländern Südamerikas setzt die Landwirtschaft auf dieses Pflanzengift. Seit Einführung gentechnisch veränderter Sojapflanzen ist die Menge der versprühten Pestizide in Argentinien geradezu explodiert. In der Provinz Entre Rios treffen wir den Schweinezüchter Julio

3 Boari. Der Mann ist verzweifelt. Durch die Pestizidsprüherei habe er in den vergangenen Jahren hunderte Schweine verloren. Und immer wieder gab es auch bei seinen Ferkeln Missbildungen. O-Ton Julio Boari, Schweinezüchter: Es gab Ferkel, die kamen mit verkürzten Gliedmaßen zur Welt, nur bis zum Sprunggelenk und danach nichts! Andere hatten das komplette Bein, aber nur einen Huf. Und die Augen, die Augen, bei einigen waren die Augen winzig und andere hatten drei Augen. Unproportionierte Gesichter, nur ein Nasenloch es war eine Katastrophe. Am Rand vieler Felder künden tote Bäume vom permanenten Gifteinsatz. Und der hat auch Folgen für die Menschen. Die Familie der kleinen Nadja wohnt mitten in einem Landwirtschaftsgebiet mit Sojaanbau. Nadja ist seit ihrer Geburt geistig und körperlich behindert. Die Eltern glauben, dass die Behinderung mit den Pestiziden zu tun hat. O-Ton Viviana Perez, Mutter: Als ich mit ihr schwanger war, gab es sehr viel Gift um uns herum. Flugzeuge, sie haben mit Flugzeugen gespritzt, sehr viel, sehr viel. Nur 200 Kilometer weiter östlich liegt die Ortschaft La Leonesa. In dieser Region untersuchte im Jahr 2010 eine staatliche Kommission Häufungen von Krankheitsfällen. Vermutete Ursache: die Pestizide. Zuvor hatte es zahlreiche Klagen aus der Bevölkerung gegeben. Die Studie kommt zu einem erschreckenden Ergebnis: Die Krebsfälle bei Kindern unter 15 Jahren hatten sich verdreifacht und die Missbildungen von Neugeborenen sogar vervierfacht. Und ganz wesentlich: Der Effekt wurde deutlich kleiner, je weiter die Ortschaften von den gespritzten Feldern weg lagen. Das sind Fotos von Neugeborenen aus verschiedenen Kliniken Argentiniens. Viele Mediziner sehen einen klaren Zusammenhang zu dem enormen Pestizideinsatz. O-Ton Dr. Medardo Avila-Vazquez, Klinikarzt: In den Abteilungen der Neonatologie, hier, wie an anderen Universitäten, und überall in den Gebieten, wo mit Agrargiften produziert wird, wo Soja und Mais angebaut wird, beobachten wir eine Zunahme an Neugeborenen, die Missbildungen aufweisen. Es gibt Zeiten im Jahr, in denen sich die Intensivstationen füllen wo alle Betten mit missgebildeten Kindern belegt sind. In manchen Kliniken erreicht die Rate der Anomalien und Missbildungen fünf, sechs, manchmal sogar bis zu sieben

4 Prozent erreicht. Ärzte der Region machen vor allem das Pflanzengift Glyphosat verantwortlich. O-Ton Dr. Medardo Avila Vazquez, Klinikarzt: Glyphosat ist der Schlüssel zu den Gesundheitsproblemen, die wir hier haben. Und wer dieses Korn von hier kauft, ist auch nicht unschuldig, wissend, dass Menschen getötet werden. Offensichtlich töten wir hier Menschen. Dieses Agrarsystem produziert das Doppelte an Krebsfällen, die es in Argentinien eigentlich geben dürfte - und zwar als Konsequenz des Gifteinsatzes. Gift, um das Korn zu produzieren, das von anderen Ländern gekauft wird, um ihre Ferkel und Hühner zu füttern. Jetzt schlägt erstmals auch die WHO Alarm. Experten der Weltgesundheitsorganisation warnen: Glyphosat könnte Krebs auslösen. Ein Zusammenhang, der bisher stets von Herstellern und Zulassungsbehörden dementiert wurde. Trotzdem hält das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung an seiner bisherigen Einschätzung fest. In einer Stellungnahme heißt es, die Einstufung der WHO sei wissenschaftlich schlecht nachvollziehbar. Und man liest weiterhin: Es gäbe, Zitat:... keine Anhaltspunkte für eine krebserzeugende Wirkung von Glyphosat. Manchester, Großbritannien. Bei einer Diskussion zum Thema Glyphosat im Jahr 2013 treffen wir hier Claire Robinson. Sie ist Mitautorin einer Studie, die europaweit für Aufsehen sorgte. Der Vorwurf: Die Zulassungsbehörden hätten sich in Sachen Glyphosat weit von der wissenschaftlichen Evidenz entfernt. Robinson sieht das Problem in zu großer Nähe der Behörden zur Industrie. O-Ton Claire Robinson, Earth Open Source: Ich denke, diese Art der Nähe der Zulassungsbehörden zur Industrie in Deutschland, aber auch in Europa insgesamt, gefährdet die Gesundheit der Menschen. Es werden Wirtschaftsinteressen über die Belange der öffentlichen Gesundheit gestellt - und das ist unverzeihlich. Es ist auch unwissenschaftlich. Tatsächlich findet sich unter den Mitgliedern der wichtigen Pflanzenschutzmittel-Kommission des Bundesinstituts für Risikobewertung auch ein Angestellter des Industriekonzerns Bayer. Und gleich noch zwei des BASF-Konzerns. Große Agrarunternehmen, die Geld mit Glyphosat verdienen. Auf unsere Anfrage an das Bundesinstitut, wie sich das mit der

5 behaupteten Unabhängigkeit vertrage, bekommen wir zu den Industrievertretern überhaupt keine Auskunft. Ganz allgemein heißt es nur, Zitat:... dass die verschiedenen Maßnahmen im Bewertungsprozess ausreichend geeignet sind, um eine Einflussnahme zu verhindern. Ib Pedersen hat das Vertrauen in die Zulassungsbehörden längst verloren. Er macht sich große Sorgen um die Folgen. O-Ton Ib Pedersen, Schweinezüchter: Es berührt mich tief. Ständig geht mir im Kopf herum, dass es bereits ein Problem für die menschliche Gesundheit ist. Und es wird schlimmer. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.