Managerhaftung auf dem Prüfstand wie IKB-Beschluss und Neubürger-Urteil zu einer Reform der Organhaftung führen. 29. Januar 2015
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- Maya Schumacher
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1 Managerhaftung auf dem Prüfstand wie IKB-Beschluss und Neubürger-Urteil zu einer Reform der Organhaftung führen 29. Januar 2015
2 Einführung Nach öffentlichkeitswirksamen Entscheidungen (z.b. Neubürger-Entscheidung des LG München I, IKB-Beschluss des OLG Düsseldorf) ist die "Managerhaftung" und ihre gesetzliche Ausgestaltung erneut im Fokus "Managerhaftung" ist dabei vor allem Vorstands(innen)haftung in der AG Nach gewichtigen Stimmen in Wissenschaft und Praxis besteht erheblicher Korrekturbedarf, u.a. bzgl. der im Nachfolgenden näher beleuchteten Problemkreise: Anwendung der Business Judgment Rule auf rechtlich vorgeprägte Entscheidungen bzw. Einführung einer Legal Judgment Rule Anforderungen an eine ordnungsgemäße Compliance-Organisation Angemessenheit der gesetzlichen Beweislastverteilung Sinnhaftigkeit der Einführung von gesetzlichen/satzungsmäßigen Haftungsbeschränkungen 2
3 Vorstandsinnenhaftung Die wesentlichen Aussagen des AktG (1) Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zu handeln [ ]. (2) Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast. [ ] 3
4 Begrenzung der BJR auf unternehmerische Entscheidungen Nach 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Information zu handeln Abgrenzung zwischen unternehmerischen und sonstigen Entscheidungen des Vorstands ist damit zentraler Punkt der Vorstandsinnenhaftung gegenüber der Gesellschaft 4
5 Begrenzung der BJR auf unternehmerische Entscheidungen (Forts.) Traditionell wird wie folgt unterschieden: Maßnahme Unternehmerische Entscheidung Grundsätzlich Anwendungsbereich der BJR eröffnet Gebundene Entscheidung Durch das Gesetz vorgegeben Verstoß stellt stets beachtliche Sorgfaltspflichtverletzung dar Hohe Exkulpationsanforderungen (Verbotsirrtum) 5
6 Begrenzung der BJR auf unternehmerische Entscheidungen (Forts.) Traditionelle Lesart: unternehmerische Entscheidung durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens etc. gekennzeichnet, etwa Investitionsentscheidungen (Abgrenzungsmerkmal: Unsicherheit); Gebundene Entscheidung: Handlung durch das Gesetz vorgegeben; kein Spielraum für ein Ermessen des Vorstands ("Legalitätspflicht") Aber: Vielzahl gebundener Entscheidungen gleichfalls durch erhebliche Unsicherheit und Entscheidungsspielräume gekennzeichnet, z.b.: Organisationspflichten, insbesondere Compliance-Organisation (Neubürger) Beurteilung von kartellrechtlichen Sachverhalten im Wege der Eigeneinschätzung Überschreitung des Satzungsgegenstandes durch zu großen Umfang von "Hilfsgeschäften" (IKB) Entscheidung über die Geltendmachung / Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen Dogmatik: Richtige Abgrenzung zum Verbotsirrtum 6
7 Exkurs: Anforderungen an Compliance-Organisation nach Siemens-Neubürger Siemens-Neubürger-Entscheidung des LG München I Jedes Vorstandsmitglied verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass keine Gesetzesverstöße erfolgen; Erforderlich soll eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation sein, deren Umfang sich nach den Umständen des Einzelfalls (Art, Größe, Organisation des Unternehmens etc.) richtet, d.h. Kein Ermessen bzgl. des Ob der Einrichtung einer entsprechenden Organisationsstruktur "Richtige" Ausgestaltung demgegenüber stark einzelfallabhängig ( Ermessen ); Compliance-Verantwortung fällt in die Gesamtverantwortung des Vorstands; Aufgrund Vergleichs der beteiligten Parteien keine höchstrichterliche Klärung der zu Grunde liegenden Rechtsfragen durch BGH. 7
8 Exkurs: Compliance nach Siemens-Neubürger die "richtige" Compliance- Organisation? Nach Lesart des LG München I und h.l. ordnungsgemäße Compliance damit durch Vielzahl von Variablen (und ihr Zusammenspiel) bestimmt, insbesondere: Art, Größe und Organisation des Unternehmens; die durch das Unternehmen zu beachtenden Rechtsvorschriften; geografische Präsenz; Verdachtsfälle aus der Vergangenheit. Vielzahl der Variablen und ihrer Kombinationsmöglichkeiten machen eindeutigen gesetzlichen Handlungsbefehl ("die richtige Compliance-Organisation") praktisch unmöglich. Die zahlreichen durch die Praxis angebotenen Best-Practice-Lösungen und "Tools" besitzen keine Rechtsverbindlichkeit. Insbesondere mit Blick auf teilweise exorbitante Haftungsbeträge aus Vorstandsbzw. Unternehmenssicht mehr Ermessensspielraum erforderlich. 8
9 Exkurs: Compliance nach Siemens-Neubürger Compliance und Gesamtverantwortung LG München I und wohl herrschendes Schrifttum: Compliance Bestandteil der Gesamtverantwortung, also Teil des herausgehobenen Teils der Vorstandspflichten ("Leitung"). Als Leitungsaufgabe kann Compliance-Verantwortung weder horizontal noch vertikal mit vollständig haftungsbefreiender Wirkung für einzelne Vorstandsmitglieder delegiert werden. Horizontal: nach Ansicht der Rechtsprechung muss ressortverantwortliches Vorstandsmitglied durch die Vorstandskollegen überwacht werden, die bei Anhaltspunkten für Fehlentwicklungen eingreifen müssen (Lit.: Vertrauensgrundsatz : Vorstandsmitglieder dürfen grundsätzlich auf ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung durch Ressortverantwortlichen vertrauen) Vertikal: auch gegenüber mit Compliance-Aufgaben betrauten subalternen Mitarbeitern besteht Überwachungspflicht. Problem: theoretisch trennscharfe Abgrenzung der Pflichtenkreise und der daraus abzuleitenden Handlungspflichten praktisch kaum zu leisten. 9
10 Exkurs. Compliance nach Siemens-Neubürger Praktische Hinweise zur Organisation einer Compliance-Funktion Ermessen im Hinblick auf Ausgestaltung (Grundsatz der Organisationsfreiheit) Compliance-Funktion darf nicht mit Compliance-Organisation verwechselt werden Je nach Größe/Komplexität/Industriezweig: integrierte Compliance-Funktion oder getrennte Organisationseinheit? Prinzipien zur Ausgestaltung der Compliance-Funktion: Festlegung der konkreten Compliance-Aufgaben Klare Zuteilung der Compliance-Aufgaben und Festlegung der Funktionsverantwortlichkeit (function owner) Unabhängigkeit in der Ausübung der Compliance-Funktion Direkte Berichtslinie zum Vorstand Fit & Proper-Kriterien für Chief Compliance Officer 10
11 Exkurs: Auswirkungen der D&O in der Praxis Besonderheiten der D&O als Risikoabsicherung Vermögenschadenhaftpflichtversicherung für fremde Rechnung versus aktienrechtliche Strukturen (Binnenhaftung: VN (Unternehmen) nimmt versicherte Person (Organmitglied) in Anspruch Zuständigkeit für Abschluss der D&O Tücken des Claims-made-Prinzips Zurechnungsfragen 11
12 Exkurs: Auswirkungen der D&O in der Praxis Praktische Hinweise zur D&O Vermeidung eines geldwerten Vorteils (Erlass Finanzministerium Niedersachen vom , DB 2002, 399ff) Ausreichende Nachversicherung für ausscheidende Organmitglieder Ausreichende Höchstdeckung für Gruppe der Versicherten Deckung der Verteidigungskosten; Verteilung einer nicht ausreichenden Versicherungssumme Befugnis zum Vergleichsabschluss im Haftungs- und im Deckungsverfahren Empfiehlt sich dienstvertragliche Regelung zur D&O? 12
13 Begrenzung der BJR auf unternehmerische Entscheidungen (Forts.) Bsp. der Siemens-Neubürger-Entscheidung zeigt, dass gebundene Entscheidungen, insbesondere im Bereich der Organisationspflichten, durch erhebliche Unsicherheiten, Ermessen etc. gekennzeichnet sind, die Dichotomie zwischen unternehmerischer und gebundener Entscheidung in der Rechtswirklichkeit also nicht überzeugen kann. Zu Recht fordern deshalb zahlreiche Stimmen im Schrifttum eine legal judgment rule bzw. ein vergleichbares Instrument, um Unsicherheiten bei rechtlich gebundenen Entscheidungen Rechnung zu tragen. Die Kardinalpflicht Legalitätspflicht wird durch Ausdehnung von 93 Abs.1 S. 2 AktG bei Licht besehen nicht eingeschränkt: Problematisch allein Fallkonstellationen, in denen die Rechtslage oder die konkreten Erfordernisse zur Rechtseinhaltung unklar sind. 13
14 Begrenzung der BJR auf unternehmerische Entscheidungen (Forts.) These I: Das Kriterium "unternehmerische Entscheidung" soll ersatzlos gestrichen werden. Es gibt keinen Grund unterschiedliche Haftungsvoraussetzungen an Entscheidungen zu knüpfen, bei denen es rechtliche (Vor-)Fragen gibt. 70. DJT: Entsprechender Vorschlag wurde abgelehnt 14
15 Beweislastregelung des 93 Abs. 2 Satz 2 AktG "Ist streitig, ob sie [die Vorstandsmitglieder] die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast". Einhaltung der gebotenen Sorgfalt durch Geschäftsleiter zu beweisen Vorliegen der Voraussetzungen der BJR durch Geschäftsleiter zu beweisen Dahinterstehende Überlegung: verklagte Vorstandsmitglieder verfügen über die besseren Einsichtsrechte in den umstrittenen Sachverhalt als der nicht in die Geschäftsleitung involvierte Aufsichtsrat. Rechtswirklichkeit: Vorstandsmitglieder werden nicht während ihrer Amtszeit, sondern nach Ausscheiden durch den Aufsichtsrat in Anspruch genommen, d.h. Kein Zugang zu relevanten Informationen (mehr), um sich zu verteidigen ( 810 BGB schwacher Anspruch) Verlängerung der Verjährungsfrist auf 10 Jahre = Sachverhalte lassen sich ohne Zugang zu relevanten Dokumenten nicht sinnvoll rekonstruieren 15
16 Beweislastregelung des 93 Abs. 2 Satz 2 AktG (Forts.) Problem der Beweislast ist die Frage nach dem Vorhandensein hinreichender Dokumentation für die in Frage stehende Entscheidung und Zugang zu der Dokumentation Sachgerecht erscheint es, die Darlegungslast, dass keine hinreichende Dokumentation vorliegt, die das Kriterium "auf Grundlage angemessener Information" erfüllt, dem Unternehmen aufzuerlegen. 16
17 Beweislastregelung des 93 Abs. 2 Satz 2 AktG (Forts.) Bisherige Reformvorschläge: Beweislast vollständig auf die Gesellschaft übertragen Beweislast abhängig davon, ob Vorstand im Zeitpunkt der Klage noch Vorstandsmitglied der Gesellschaft ist, d.h. ausgeschiedene Vorstandsmitglieder tragen nicht die Beweislast These II: 70. DJT: Die Beweislast dafür, dass ein Vorstandsmitglied nicht auf Grundlage angemessener Information gehandelt hat und deshalb nicht in den Anwendungsbereich des 93 Abs. 1 Satz 2 AktG fällt, trägt die Gesellschaft. Soweit der sichere Hafen der BJR/LJR nicht eröffnet ist, bleibt es bei der bisherigen Beweislastverteilung. Bisherige Beweislastregelung soll gestrichen werden 17
18 Gesetzliche bzw. satzungsmäßige Haftungsbeschränkungen Insbesondere aufgrund Haftung für leicht fahrlässige Organisationspflichtverletzungen im Bereich gebundener Entscheidungen (Kartellrecht, Korruption) Missverhältnis zwischen unternehmerischen Chancen und Risiken, da Business Jugdment Rule nach verbreiteter Lesart nicht einschlägig ist, im Einzelfall existenzvernichtende Haftungsbeträge im Raum stehen und kein ausreichender Schutz durch D&O (Gruppenversicherung, Deckelung der Deckungssumme etc.) besteht Unter unterschiedlichen Vorzeichen Forderungen nach Beschränkungen der Haftungsbeträge Einschränkungen somit denkbar auf Tatbestandsebene und bei der Rechtsfolgenseite (Haftungshöhe) 18
19 Haftungsbeschränkung auf Tatbestandsebene Im Anwendungsbereich der BJR (wie bisher vertreten auch für LJR) besteht kein Bedürfnis den Haftungsmaßstab zu lockern. Der jetzige Haftungsmaßstab "vertrauen durfte" erscheint jedenfalls von dem Maßstab einer groben Fahrlässigkeit nicht weit entfernt zu sein. Die Diskussion bzw. die Existenz von etwaigen Haftungserleichterungen in der Satzung (nach einer Gesetzesänderung) würde das Haftungsprivileg der BJR in Frage stellen 19
20 Haftungsbeschränkung auf der Rechtsfolgeseite Vorschläge des 17. Deutschen Juristentags 2014 Gesetzliche Haftungshöchstgrenzen für Fahrlässigkeit, eine gesetzliche Regelung zur Herabsetzung der Haftung nach billigem Ermessen durch das Gericht und die Zulassung rechtmäßigen Alternativverhaltens wurde abgelehnt; Möglichkeit des satzungsmäßigen Ausschlusses für einfache Fahrlässigkeit (ggf. ab bestimmter Schadenssumme) wurde angenommen; satzungsmäßige Möglichkeit für Haftungshöchstgrenzen wurde angenommen, ebenfalls Vorschlag, im Gegenzug die Versicherbarkeit des Selbstbehalts auszuschließen; satzungsmäßige Möglichkeit einer Befristung von 5 Jahren wurde angenommen; Satzungsermächtigung für Begrenzung der Vorstandshaftung durch den Aufsichtsrat wurde abgelehnt. 20
21 Gesetzliche bzw. satzungsmäßige Haftungsbeschränkungen These III: Es erscheint nicht sinnvoll im Rahmen der BJR den Haftungsmaßstab auf der Tatbestandsseite zu lockern. Zu bedenken wäre Lockerung des Haftungsmaßstabes außerhalb des Anwendungsbereichs der BJR. 70. DJT: Satzung sollte Haftungserleichterung ermöglichen. These IV: Es erscheint sinnvoll, für einfache Fahrlässigkeit die Haftung auf das Mehrfache der Bruttojahres(ziel)vergütung zu beschränken. Dies würde die Voraussetzungen für eine konsequente Haftungsdurchsetzung und die Rahmenbedingungen für eine D&O-Deckung verbessern. Zu diesem Zweck würde sich eine einheitliche gesetzliche Regelung empfehlen. 70. DJT: Die Satzung sollte Haftungshöchstgrenzen einführen können. 21 FRDOCS01-#
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