Übersicht. Literalisierung Erwachsener Von der Schrift zum Text
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- Lisa Vogt
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1 Übersicht Literalisierung Erwachsener Von der Schrift zum Text Mündlichkeit und Schriftlichkeit Alphabetisieren und Literalisieren Kinder und Erwachsene als Lerner Illetrismus - Bern, Prof. Michael Becker-Mrotzek, Köln Orthographie als Regelsystem Literale Praxis im Kursunterricht Universität zu Köln 2 Mündlichkeit - Schriftlichkeit (1) Gespräche zeichnen sich aus durch: die gleichzeitige Anwesenheit von Sprecher und Hörer in einem Raum regelmäßige Sprecherwechsel Flüchtigkeit des Produkt Beteiligung aller an der Herstellung Texte zeichnen sich dagegen durch eine Zerdehnung der Sprechsituation über Raum und Zeit hinweg aus: Mündlichkeit - Schriftlichkeit (2) Begrifflich zu unterscheiden sind also Diskurse von Texten, nicht gleichzusetzen mit gesprochen und geschrieben, weil Diskurse im Chat auch mit Schrift realisiert und weil Texte mit Boten, Anrufbeantwortern etc. auch mündlich übermittelt werden können. Der zentrale Zweck von Gesprächen besteht in der Verständigung im Hier-und-Jetzt (face-to-face). Der zentrale Zweck von Texten besteht in der Überwindung von Raum und Zeit = der Speicherung bzw. Zerdehnung sprachlicher Handlungen
2 Sprachliche Funktionen Sprache hat drei zentrale Funktionsbereiche (= Zwecke): Interaktion: auf Handlung bezogen = mit anderen handeln» Anweisen, Planen, Bitten, Auffordern,... Kognition: auf Wissen bezogen = Wissen bearbeiten und weitergeben» Lehr-Lern-Diskurse, Diskussionen, Frage-Antwort-Sequenzen,... Kommunion: auf Gemeinschaft bezogen = Gemeinschaft herstellen» Grüßen, Vorwurf-Rechtfertigung / Entschuldigung, Danken Ontogenetisch wie phylogenetisch werden diese Funktionen zunächst mündlich realisiert, d.h. in der direkten Interaktion von Angesicht zu Angesicht, und erst später schriftlich. Neue Optionen der Schriftlichkeit Schriftlichkeit eröffnet neue Möglichkeiten: Verständigen mit abwesenden Partnern, auch in der Zukunft Denken in neuen Dimensionen:» Trennung von Form und Inhalt (Experimente von Bosch)» Abstrakt-logisches Denken (Ong)» Wissensspeicherung und -verarbeitung außerhalb des Gedächtnisses» Grammatikschreibung,... Gemeinschaftsbildung durch Nationalsprachen, Literatur (Ästhetik) Sprachverwendung in diesen neuen Dimensionen verlangt jedoch auch neue, erst zu erwerbende Fähigkeiten. Nicht zuletzt deshalb hat die Schule - aktuell wie historisch - ihren Ausgangspunkt in der Schrift. 5 6 Literacy Literalisierung Erwachsener (1) Wir sprechen von Literacy und von Literalisierung anstelle von Alphabetisierung, um auf diese besonderen Funktionen von Schrift und Schriftlichkeit hinzuweisen. In diesem Sinne kann man Alphabetisierung als einen notwendigen Teil der Literalisierung begreifen. Praktisch kann man für die Produktion zwischen Vertexten (Verfassen von Texten - Literacy) und Verschriften (= Äußerungen mittels Schrift festhalten - Alphabetisierung) unterscheiden. Für das Lesen habe wir eine solche begriffliche Unterscheidung m.w. nicht, vielleicht Lesen vs. Textverstehen In der Unterscheidung stecken für die Literalisierung Erwachsener erhebliche didaktische Potentiale. Anders als Kinder haben Erwachsene in der Regel lange, oft leidvolle Erfahrungen mit Schrift und Schriftlichkeit, und zwar in Schule Alltag Beruf Offen ist, was das genau für die Literalisierung bedeutet? Können sie etwa Texte mündlich (Diktat) besser produzieren als Kinder? Haben sie genauere Vorstellung davon, was Wörter sind und wie sie verschriftet werden? Können sie sich besser als Kinder in den Leser hineinversetzen? Verstehen sie Hörtexte anders als Kinder? 7 8 2
3 Literalisierung Erwachsener (2) Didaktisch bietet die Unterscheidung von Verschriften und Vertexten zahlreiche Möglichkeiten für den Unterricht, um auch ohne detaillierte Schriftkenntnisse Schriftlichkeit zu nutzen: Texte auf Tonband sprechen Texte diktieren Texte in den PC sprechen Hörtexte Texte vom PC vorlesen lassen Das scheint mir wichtig, um eine Infantilisierung Erwachsener bei der Literalisierung zu vermeiden - dazu später mehr... Des Weiteren scheint es wichtig, die Regelhaftigkeit der Orthographie angemessen zu erarbeiten... Alphabetisierung Erwachsener Unsere Schrift und Orthographie sind systematisch, das bedeutet, sie folgen Regeln, die man lernen und die man für das Verschriften nutzen kann. Die Linguistik ist die Wissenschaft, die die sprachlichen Regeln rekonstruiert. In ähnlicher Weise können erwachsene Lerner die Regeln der Schrift für sich erforschen - das ist eine motivierende Herausforderung. Dazu ein kleines Experiment für Sie - ein Didaktik mit Kunstwörtern Testdiktat Die orthographischen Prinzipien 1. Das phonographische Prinzip Die Schreibung ist in der Lautung fundiert, bildet sie aber nicht ab (Maas). Das gilt insbesondere für den Anfangsrand. 2. Das silbische Prinzip Die Binnenwortschreibung orientiert sich im Wesentlichen am Silbenaufbau, nicht an einzelnen Lauten. 3. Das grammatische Prinzip Die Stammschreibung (Morphemkonstanz), die Großschreibung und die Zeichensetzung enthalten grammatische Informationen
4 Traditionelle Regel Großschreibung Substantive werden groß geschrieben. Aber Was ist ein Substantiv? Ist /LIEBE/ ein Substantiv? Ich liebe gute Beispielsätze. Die Liebe hatte sie beide ergriffen. Die liebe Tante kommt zu Besuch. Sie hatten liebe Genossen in Moskau. Sie hatten Liebe genossen in Moskau. Nominale Kerne die Liebe die große Liebe die erste große Liebe Großgeschrieben werden nicht Substantive, sondern Wörter, die in einem Satz als Substantiv fungieren, d.h. Kerne von nominalen Gruppen sind (Maas 1992, Eisenberg 1998). Die Großschreibung dient dem schnellen Erfassen der syntaktischen Struktur beim Lesen, weil so die wichtigen Satzglieder leichter zu erkennen sind Ermitteln der Nominalgruppe Der nette Mann gibt dem kleinen Hund eine große Wurst. Eine große Wurst gibt der nette Mann dem kleinen Hund. Dem kleinen Hund gibt der nette Mann eine große Wurst Er gibt ihm etwas. Er gibt etwas. Nominalgruppen können nur als Ganzes verschoben, ersetzt oder getilgt werden. Solche Operationen oder Sprachproben ermöglichen die selbständige Einsicht in das Schriftsystem - und stärken das Treppengedichte das schnelle Auto Didaktische Umsetzung mit der großen Beule an der rechten Seitentür fuhr auf der nassen Straße nach: Nünke/Wilhelmus (2001) Praxis Deutsch sprachbezogene Selbstkonzept oder Selbstwertgefühl. 16 4
5 Orthographie Die Schrift liefert also mehr Informationen als nur Hinweise auf die Lautung, etwa auch über Wortgrenzen und Wortformen: Diesersatzistohneleerzeichenundgroßundkleinschreibunggeschrie benundfastnichtzulesen. Dieser satz ist ohne leerzeichen und groß und kleinschreibung geschrieben und fast nicht zu lesen. Dieser Satz ist mit Leerzeichen und Groß- und Kleinschreibung geschrieben und viel besser zu lesen. 17 Funktion von Aufgaben Lern- und Übungsaufgaben sind - bildlich gesprochen - die Spitze eines Eisbergs, darunter verbergen sich zahlreiche theoretische Annahmen über Orthographie, Texte und Lernprozesse. Aufgaben sind immer Ausdruck einer bestimmten Vorstellung darüber, wie wir z.b. Lesen und Schreiben lernen. Für den Bereich der Alphabetisierung gilt, dass vor allem die Systematik der Schrift verstanden werden muss, das meint aber nicht, Regeln auswendig lernen. Aus diesem Grund ist es nicht statthaft, unsystematisch Aufgaben aus unterschiedlichen Lehrwerken zusammenzustellen. Für den Bereich der Literalisierung gilt, dass hier eine motivierende, herausfordernde literale Praxis aufzubauen ist Literale Praxis Schreiben und Lesen lernt man in der literalen Praxis, d.h. durch Lesen und Schreiben in sozialen Zusammenhängen. Ausgangspunkt des Unterrichts und seiner Planung ist die literale Praxis der TN, und sei sie noch so minimal - in keinem Fall aber die Orthographie, die ist Mittel zum Zweck. Die Praxis knüpft an das Schon-Gekonnte an: Zeigen, was gekonnt wird - nicht, was noch nicht gekonnt wird. Die literale Praxis im Unterricht macht den Schreibprozess bewusst, indem er besprochen wird - das führt zur Bewusstwerdung und Ausbildung von Schreibstrategien. Eine moderne literale Praxis schließt kooperatives Schreiben ein. Methoden der literalen Praxis Kreative Schreibaufgaben mit genauen Vorgaben garantieren Schreib- und Leseerfolge. Kooperative Schreibaufgaben, d.h. das gemeinsame Verfassen von Texten entlasten den Einzelnen motivieren führen zu besseren Ergebnissen. Eigene Texte (im Kurs) öffentlich machen durch Vortragen, Ausstellen, Publizieren,... Die Phasen des Schreibprozesses (Planen, Formulieren und Verschriften, Überarbeiten) auch einzelnen behandeln. Hier hat dann die Orthographie ihren Ort
6 Ergebnisse aus Köln Adaptiver Test zur Einschätzung der individuellen Literalisierung Portfolio als Lernhilfe Didaktische Konzepte zum Schrifterwerb Erwachsener Kontrastive Alphabetisierung - Schreibenlernen in einer zweiten Sprache Satz vervollständigen Wenn ich schreibe,... Wenn ich schreibe,... Wenn ich schreibe, Rondell Schneeballgedicht In die erste Zeile einen Satz schreiben, der einem gerade durch den Kopf geht - oder der einem gut gefallen hat. Diesen dann assoziativ ergänzen. Gleiche Symbole = gleiche Sätze. Michael Becker-Mrotzek & Rainer Peek (2009) Universität zu Köln 23 Michael Becker-Mrotzek & Rainer Peek (2009) Universität zu Köln 24 6
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