SchiedsamtsZeitung 77. Jahrgang 2006, Heft 12 Online-Archiv Seite Organ des BDS
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- Pamela Grosser
- vor 7 Jahren
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1 Konflikt, Aggression und trotzdem nur Gewinner Über die eigentliche Konfliktlösung von Eva Maria Bacso, Schiedsfrau in Bielefeld-Gadderbaum Unser Alltag ist voller Konflikte, der Andere will immer etwas anderes als ich. Er hat andere Interessen, Vorlieben, Geschmack und einen eigenen Blickwinkel auf unsere gemeinsamen Dinge. Und jeder von uns möchte die eigene Art und Weise zum Ausdruck bringen und den Anderen dafür gewinnen, dass er auf seine Vorstellung verzichtet. Der Verkäufer will verkaufen, und der Andere will aber nichts kaufen. Dieser Konflikt geht noch friedlich auseinander, der eine lässt nach und geht auf Abstand, verlässt die Szene. Wenn aber der Käufer reklamiert und der Verkäufer davon nichts hören will, geschweige denn die Ware zurücknehmen und den Kaufpreis zurückgeben will, dann eskaliert der Konflikt leicht. Käufer und Verkäufer sind ein Standardmuster der Konflikte. Friedrich Glasl entwarf ein Modell für die Konflikteskalation. Das Modell beschreibt die Eigendynamik des Konfliktes, wie sich zwei Konfliktparteien verhalten, wenn sie mit ihrem Problem allein gelassen werden. Lösungen zur Deeskalation werden in diesem Modell nicht angeboten. Bei diesen Konflikten erscheint es für beide Konfliktparteien unmöglich, die Situation zu verlassen. Die Konflikteskalation nach Friedrich Glasl stellt ein Modell zur Verfügung, das eine große Hilfe im Schiedsamt ist, um Konflikte besser verstehen und während ihres Verlaufes schlichtend eingreifen zu können. Das Modell hat neun Stufen, die sich in drei Ebenen mit jeweils drei Abstufungen teilen. Ebenenmodell In der ersten Ebene können beide Konfliktparteien noch gewinnen (Win- Win). In der zweiten Ebene verliert eine Partei, während die andere gewinnt (Win-Lose) und in der dritten Ebene verlieren beide Parteien (Lose- Lose). Interessanterweise ist dieser Ablauf den unterschiedlichsten Konflikten eigen: Rosenkriege, Konflikte zwischen Nachbarn und aber auch zwischen Staaten. 1. Ebene Gewinner-Gewinner (Win- Win) Stufe 1: Spannung, Verhärtung Konflikte beginnen mit Spannungen, z. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 1/6
2 B. gelegentliches Aufeinanderprallen von Meinungen. Es ist alltäglich und wird nicht als Beginn eines Konflikts wahrgenommen. Wenn daraus doch ein Konflikt entsteht, werden die Meinungen fundamentaler und verhärten sich. Der Konflikt könnte tiefere Ursachen haben. Stufe 2: Debatte Ab hier überlegen sich die Konfliktpartner Strategien, um den Anderen von seinen Argumenten zu überzeugen. Meinungsverschiedenheiten führen zu einem Streit. Man will den Anderen unter Druck setzen. Stufe 3: Taten statt Worte Die Konfliktpartner erhöhen den Druck auf den Anderen, um sich oder die eigene Meinung durchzusetzen. Gespräche werden z. B. abgebrochen. Es findet keine Kommunikation mehr statt, und der Konflikt verschärft sich immer schneller. 2. Ebene Gewinner-Verlierer (Win- Lose) Stufe 4: Koalitionen Der Konflikt verschärft sich dadurch, dass man Gleichgesinnte sucht. Da man sich im Recht fühlt, will man die eigene Position noch weiter verstärken. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern darum, die Konfliktsituation für sich zu entscheiden, damit der Gegner verliert. Stufe 5: Gesichtsverlust Der Gegner soll in seiner Identität vernichtet werden durch alle möglichen Unterstellungen oder ähnliche Handlungen. Hier ist der Vertrauensverlust vollständig. Gesichtsverlust bedeutet in diesem Sinne Verlust der moralischen Glaubwürdigkeit. Stufe 6: Drohungsstrategien Mit Drohungen versuchen die Konfliktparteien, die Situation absolut zu kontrollieren, die eigene Macht zu veranschaulichen und erst dadurch entgleitet denen sämtliche Kontrolle. Man droht z. B. mit einer großen Forderung und verschärft die Situation. Hier entscheiden die Proportionen über die Glaubwürdigkeit der Drohung. 3. Ebene Verlierer-Verlierer (Lose- Lose) Stufe 7: Begrenzte Vernichtung Hier soll dem Gegner mit allen Tricks empfindlich geschadet werden. Der Gegner wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen. Ab hier wird ein begrenzter eigener Schaden schon als Gewinn angesehen, sollte der des Gegners größer sein. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 2/6
3 Stufe 8: Zersplitterung Der Gegner soll mit Vernichtungsaktionen zerstört werden. Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund Ab hier kalkuliert man die eigene Vernichtung mit ein, um den Gegner zu besiegen. Eine Win-Win-Strategie (win: englisch gewinnen, lose: englisch verlieren), auch als Doppelsieg-Strategie bekannt, ist eine Konfliktlösung, bei der beide Beteiligten einen Nutzen erzielen. Ähnliche Interessen der Konfliktbeteiligten sind eine notwendige Voraussetzung für diese Form der Konfliktlösung. Die Methode des sachgerechten Verhandelns wurde als Harvard- Konzept bekannt und liegt vielen Ansätzen zur Konfliktlösung in der Mediation und sogar immer öfter im Schiedsamt zugrunde. Konfliktlösung ohne Verlierer Win-Win lässt sich nur dann erzielen, wenn 1. kein Interessengegensatz vorliegt und 2. es gelingt, die Interessen klar zu artikulieren. Die persönlichen Forderungen und Meinungen sind meist hart umkämpft, da sie mit Emotionen verknüpft sind und die Beteiligten sich mit ihren Positionen identifizieren. Im Extremfall steht Meinung gegen Meinung und Forderung gegen Forderung. Dahinter verbergen sich die eigentlichen Interessen, das, was mit den Positionen erreicht werden soll. Sobald es gelingt, herauszufiltern, was hinter den Forderungen und Äußerungen steckt, (statt sich mit Vordergründigem zu beschäftigen), kann eine sachliche Diskussion darüber geführt werden, welche Lösungsvariante die Interessen aller Beteiligten abdeckt. Konflikte werden üblicherweise anders»gelöst«: 1. setzt sich eine Partei mit ihren Vorstellungen durch, der andere soll seine zurückstellen oder 2. die Beteiligten finden einen Kompromiss. Beide Fälle stellen Lösungen nach dem Gewinner-Verlierer-Modell dar. Im ersten Fall gibt es einen offensichtlichen Verlierer, im Kompromissfall verliert jeder die Hälfte seines als berechtigt empfundenen Anspruches. Demzufolge sind Kompromisse in der weiteren Entwicklung auch wenig verlässlich und führen meistens zu Folgekonflikten, verdeckten Gegenangriffen sowie Einbrüchen in der Nachdruck und Vervielfältigung Seite 3/6
4 Motivation bei den Beteiligten. Daneben gibt es noch den Konfliktausgang, in dem beide Kontrahenten scheitern, Verlierer- Verlierer-Modell, welches nicht selten begrüßt wird,»damit wenigstens auch der andere nichts davon hat«. Die Wiederaufnahme des Streites bei der nächsten kritischen Gelegenheit erfolgt bestimmt, um den»faulen Kompromiss«endlich für sich zu entscheiden. Bei der Win-Win-Strategie geht es nicht darum, die eigene Position durchzusetzen, sondern eine dauerhafte Lösung zu finden, die von allen Beteiligten getragen und akzeptiert wird. Hier wird eine Situation geschaffen werden, in der jeder die Wahrnehmung und auch das Gefühl hat, durch diese Lösung etwas zu gewinnen und nicht zu verlieren, so wird eine Win-Win-Entscheidung als entlastender Schlusspunkt, als Befriedigung erlebt. Vorgehensweise Kernelement der Win-Win- Verhandlung ist die Auseinandersetzung über Interessen und nicht über Personen. Diese Methode trennt Person und Thema strikt (»Weich zum Menschen und hart in der Sache«). Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Konfliktbeteiligten eine Diskussion auf der Sachebene führen müssen und sich nicht in ihren Ängsten und Befürchtungen, den gegenseitigen Kränkungen und Schuldzuweisungen verwickeln sollten. Gleichzeitig sollen die Erwartungen, das Vertrauen und die Befürchtungen der Beteiligten gewürdigt werden. Die Konfliktbeteiligten müssen den Konflikt oder das zu lösende Problem gemeinsam möglichst ohne Vorurteile angehen und sich nicht gegenseitig bekämpfen. Die Rolle der Schiedsperson als Moderator bei Konfliktentschärfung ist eindeutig. Mitunter wird auf diesem Wege deutlicher, dass die besonderen Eigenschaften eines jeden Menschen es selten erforderlich machen, gegeneinander zu arbeiten, um sein Ziel zu erreichen bzw. glücklich zu sein. Der Andere stört ganz selten beim Erreichen des eigenen Ziels. Zur Anwendung der Win-Win-Strategie ist daher sehr förderlich, eine Reihe von Kommunikationstechniken zu erlernen, um die typischen Missverständnisse sich bewusst zu machen und damit diese zu verhindern. Ein wesentliches Element dabei ist z. B. das Vermeiden von verbalen Angriffen, Schuldzuweisungen und Verurteilen der Gegenseite. Eine faire Auseinandersetzung kann durchaus die Bewertung von Argumenten enthalten. Es ist allerdings unbedingt erforderlich, sich dabei in den Nachdruck und Vervielfältigung Seite 4/6
5 Standpunkt der Konfliktpartner hineinzuversetzen, um Abstand zur eigenen Position zu gewinnen, unnötige Konfrontationen zu vermeiden und die Diskussion immer wieder auf eine Auseinandersetzung um die Interessen zu lenken sowie gezielt nachzufragen und Ich- Botschaften zu geben. Die eigenen Interessen darzustellen gehört ebenso zu diesen Techniken, wie die Trennung von Problemanalyse und Problemlösung und die Gestaltung des Umfeldes der Konfliktgespräche im Ablauf der Gesamtsituation und die Vorgehensweise bei der Annäherung des Grundkonfliktes. Bei der Abschlussbetrachtung ist ganz wichtig, die emotionalen Elemente zu betonen, nämlich den Gewinn bei beiden Seiten lobend hervorzuheben. Grenzen der Win-Win-Strategie Eine Konfliktlösung gemäß der Win- WinStrategie ist nicht möglich, wenn Interessengegensätze vorliegen. Auch wenn die Macht zwischen den Verhandlungspartnern sehr unproportional verteilt ist und die schwächere Seite in einer eindeutigen Verlierer-Position ist. Gegner der Win-Win-Strategie werden mit der gefühlten Ungerechtigkeit argumentieren, nämlich, es kann nicht gerecht sein, dass beide gewinnen.»die Ordnung in der Welt sei nun mal, dass einer gewinnt und der Andere verliert»! Hier schwingt die kultiviert verdeckte Feindseligkeit und große Freude am Gewinner-Verlierer-Prinzip mit. Verkürzt könnte man auch sagen: Das Win-Win-Prinzip erfordert das Mitdenken und Mitfühlen für den Gegner, so dass auch dieser ein Feld findet, auf dem er gewinnen kann. Dazu sind die meisten Menschen nicht bereit oder in der Lage. Konflikte können eskalieren, auch wenn man um diese Gefahren weiß und entsprechend vorsichtig agiert. Mitunter sind Abbruch der Kommunikation, Rückfall in das Gewinner-Verlierer-Modell, sowie mehr oder minder gewaltsame»lösungen«möglichkeiten, durch welche die Verlierer erst zu ihren eigentlichen Stärken finden. Um in einem sozialen Zusammenhang, beispielsweise einer Familie oder Nachbarschaft, zu einer dauerhaft verbesserten Konfliktlösungskultur zu kommen, bedarf es der Übung, Ausdauer und der Bereitschaft, sich immer wieder auf ein gemeinsames Ziel auszurichten und schlimmstenfalls von vorn zu beginnen oder die gesteckten Ziele zu überdenken. Selten in der Geschichte haben rein egoistische Motive zu dauerhaften oder überragenden Erfolgen geführt. Nachdruck und Vervielfältigung Seite 5/6
6 Das Win-Win-Modell führt laut J. F. Nash stets zum wahrscheinlichsten Maximalgewinn beider Parteien. Literatur Glast, Friedrich: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. Bern/Stuttgart, Freies Geistesleben. 6. erg. Auflage 1999 Fisher, Roger/Ury, William/Patton, Bruce: Das Harvard-Konzept. Sachgerecht verhandeln erfolgreich verhandeln. Frankfurt/New York, Campus. 19. Auflage 2000 Nachdruck und Vervielfältigung Seite 6/6
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