Was ist eigentlich gute Pflege?
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- Inken Lichtenberg
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1 Was ist eigentlich gute Pflege? 3. Berliner Runde zur Zukunft der Pflege Prof. Dr. Sabine Bartholomeyczik Universität Witten/Herdecke Department für Pflegewissenschaft Bartholomeyczik
2 Pflegebedürftigkeit Pflegebedürftigkeit im Alter beginnt oft schleichend Außenwelt Haushalt Selbstpflegefähigkeit z.b. Einkaufen z.b. Ordnung, Finanzen z.b. Unterkörper waschen Je früher Hilfen einsetzen, desto besser können weitere Stufen gemildert oder vermieden werden Person Dennoch: Alltagsleben in gewohntem Umfeld aufrecht erhalten (und dort sterben) Aber: mit zunehmender Pflegebedürftigkeit muss sich Umfeld immer mehr ändern!
3 Übergeordnete Ziele sind folglich: Pflege Mobilität und Kognition fördern, wo es geht (warum bemessen sich Pflegezeiten in den alten Begutachtungsrichtlinien nach vollständiger Übernahme?) Risiken für weitere Beeinträchtigungen erkennen und entsprechend vorbeugen (Dekubitus, Sturz, Pneumonie, Kontrakturen, Mangelernährung ) Fehlende Vorbeugung führt zu weiteren Gesundheitsschäden und reduziert Selbstpflegefähigkeiten weiterhin (wichtige Rolle Kurzzeitpflege nach Krhs!) Gute Pflege fördert Selbständigkeit, erkennt/ diagnostiziert vorausschauend und handelt präventiv
4 Beispiel Patientin wird aus Altenheim wegen akuter Verwirrtheit in Krankenhaus über Notarzt eingewiesen: Kaum Infos zur Patientin (nächtlicher Notfall) Ärztlicher Befund: Erhebliche Exsikkose und Mangelernährung, Desorientierung (Demenz?), Reizhusten Ärztliche Anordnung: Infusion und nasale Magensonde als vorübergehende Maßnahme, Hustenmedikation Nach 2 Tagen Entlassung ins Altenheim mit verbesserter Orientierung Altenheim Patientin im Mittelpunkt Krankenhaus 4 Wochen später fast gleicher nächtlicher Notfall
5 Bsp.: Warum? Fachkenntnisse fehlen offenbar sowohl im Altenheim als auch im Krankenhaus Unterschätzung der Bedeutung von Mangelernährung, Flüssigkeitsverlust Unkenntnis über die Bedeutung der subjektiven Perspektive der Patientin und damit verbundene potentielle Gründe für mangelnde Nahrungsaufnahme (z.b. Ablehnung von Speisen, Angst vor Unbekömmlichem, Medikamente) Unkenntnis über Anzeichen von Schluckstörungen (die hier zu unangenehmen Hustenreizen führten, dadurch Vermeidung von Trinken, Ansätze einer unerkannten Aspirationspneumonie) Vor allem: Personalmangel (quantitativ und qualitativ) ABER Geld für Krankenhauseinweisung und behandlung vorhanden! Benötigen Fragen der Ernährung professionelle Kompetenz??
6 Professionelle Pflege Wissenschaftliche Kompetenz Regelwissen Hermeneutische Kompetenz Fall perspektive einnehmen Verstehen des Falles in der Sprache des Falles selbst Situative Kompetenz Gemeins. Anwendung obiger Kompetenzen Achtsamkeit, Einlassung, Mitgefühl, Ermutigung, Berührung Nach Oevermann1978 Bartholomeyczik
7 Nochmal Ernährung Praxisfrage: darf Unterstützung bei Nahrungsaufnahme an Hilfskräfte delegiert werden? ja, natürlich je nach Situation Wer beurteilt Risiken und sorgt für Schlussfolgerungen? Pflegediagnostik: Dysphagie? Demenz? Mundgesundheit? Mangelernährung? Ernährungsorganisation: Interdisziplinarität Monitoring Bartholomeyczik
8 Beispiel: Schmerz 1 Altenheim mit eingeführtem Expertenstandard zu Schmerz: Pflegende setzen 10-stufige NRS-Ratingskala zur Schmerzintensität routinemäßig ein Wie erfassen Pflegende Schmerz bei Menschen mit mittelschwerer Demenz: - Verbale Äußerungen möglich - Aber nicht klar, ob Gesagtes auch gemeint ist In Anlehnung an Diss. Erika Sirsch, 2014, ab 2016 als Buch
9 Schmerz und Demenz Schmerz: eine oft übersehene Ursache für Herausforderndes Verhalten Bekannt ist, Dass MmD weniger über Schmerzen klagen als andere Klagen mit fortschreitender Krankheit abnehmen MmD bekommen weniger Analgetika als andere Hinweise vorhanden, dass MmD mehr Schmerzen haben als andere Analgetika wirken bei Herausforderndem Verhalten besser als Neuroleptika Bartholomeyczik
10 Beispiel: Schmerz 2 (Sirsch) Pflegesituation: 1. Sprache Auf Frage nach Schmerz wird dieser oft verneint Bei pflegebedingten Bewegungen kommt aua, schmerzverzerrtes Gesicht Pflegende haben Schwierigkeiten sich auf Sprache der Bew. einzulassen Können widersprüchliche Signale nicht interpretieren 2. Nebensache Kommunikation Kommunikation zu Schmerz begleitet körperorientierte Pflegemaßnahme Kommunikation wird (evtl. ohne Sinn) beendet, wenn körperorientierte Pflege beendet ist Ist Pflege nur handwerkliches Tun? (immer noch?)
11 Alte Menschen und Pflege Demenz = Horror am Lebensende?
12 Prävalenz von Demenz nach Altersgruppen Rothgang et al. 2010, S. 160
13 Neuere Erkenntnisse Britische Studie (2013): A two decade comparison of dementia in individuals 65 years and older from three geographical areas of England (Cognitive Function and Ageing Study, CFAS) in 3 ausgewählten Regionen alle >65 Jährige untersucht in denselben Regionen, dasselbe Design Inhalte: Prävalenz von Demenz Alter Bildungsstand
14 Prävalenz von Demenz nach Altersgruppen CFAS I: CFAS II: Prävalenz von Demenz um 24 % niedriger als erwartet Nach Risikoadjustierung der Gruppen (Alter, Bildung) Geringe absolute Zunahme Matthews et al. 2013, S. 39
15 Herausforderung Demenz Dennoch bleibt Pflege von Menschen mit Demenz große Herausforderung Bleibt wichtigste Versorgungsmethode, da heilende Therapie nicht abzusehen ist Pflege basiert vor allem auf Haltung im Umgang/ Interaktion mit Person mit Demenz in allem pflegerischen Tun Größte Herausforderung an Pflegende ist einfühlendes Verstehen in das, was nicht gleich zu verstehen ist, weil übliche Kommunikationsmittel versagen Normalisierungsprinzip (Behindertenhilfe): So leben können wie üblich Gratwanderung zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge
16 Besonders: Herausforderndes Verhalten z.b. Aggression, Agitation, Wandering, Schreien, Apathie Führt zu großen Belastungen bei Pflegenden und Angehörigen Stellt verbreiteten Anlass zum Umzug in Altenheim Verbunden mit herausforderndem Verhalten sind: erhöhte Anzahl von Stürzen Schlafstörungen Fluktuation im Tagesverlauf Verstärkung durch altersbedingte Fähigkeitseinschränkungen: Seh- und Hörfähigkeit, Mobilität Inkontinenz Herausforderndes Verhalten ist kein Symptom, sondern Ausdruck nicht verstandener Bedürfnisse
17 Gute Pflege: Teufelskreis durchbrechen Pflegende Weitere Versorgende Bedürfnis bei MmD unverstanden Herausforderndes Verhalten Gründe verstehen, um handeln zu können Fallbesprechungen Unangemessene Reaktion durch Umgebung Umgebung fühlt sich herausgefordert, Ärger, Angst
18 Fallbesprechung Voraussetzungen für Fallbesprechungen: Gute Kenntnisse von der Bewohnerin Gute Fähigkeiten zur Beschreibung von Beobachtetem Vertrauensvolle Zusammenarbeit im Team Vorbereitung und Struktur Keine Zeit für Fallbesprechungen? Aber Zeit und Nerven für Erzwungene Annahme von Hilfeleistungen Ertragen sich ständig wiederholender Fragen Für Ertragen von Aggressivität Einnahme von ungeeigneten Medikamenten (incl. Nebenwirkungen)
19 Herausforderung Pflege alter Menschen Dennoch bleibt Pflege von Menschen mit Demenz große Herausforderung Bleibt wichtigste Versorgungsmethode, da heilende Therapie nicht abzusehen ist Pflege basiert vor allem auf Haltung im Umgang/ Interaktion mit Person mit Demenz in allem pflegerischen Tun Größte Herausforderung an Pflegende ist einfühlendes Verstehen in das, was nicht gleich zu verstehen ist Normalisierungsprinzip (Behindertenhilfe): So leben können wie üblich Nur bei Menschen mit Demenz?? Derzeit gefährliche Teilung bei der Pflege alter Menschen: in solche MIT und OHNE Demenz
20 Altenpflege als Haldenberuf Trotz aller Sonntagsreden wird Altenpflege völlig unterschätzt: Altenpflege als Haldenberuf (für Frauen, die sonst nirgendwo ankommen) Quantitativer und qualitativer Mangel an Pflegeressourcen, Strategien: Geringe Bildungsvoraussetzungen Teilweise: Verweigerung generalistischer Erstausbildung Hände + Füße statt Köpfe, die Hände und Füße lenken Mit dieser Politik werden gut Qualifizierte vertrieben (Abwärtsspirale)
21 Wenn Altenpflege so einfach ist, warum gibt es so große Qualitäts-Skandale - auch wenn das nicht die Mehrheit sein sollte (z.b. Vernachlässigung, Vereinsamung, Stürze, in die Inkontinenz pflegen, Mangelernährung) Widersprüche Unterversorgung von Menschen mit kognitiven Einschränkungen Gleichzeitig werden Expertenstandards als utopisch dargestellt, weil sie angeblich zu hohe Anforderungen stellen
22 Pflege und Systeme Je schwieriger die personellen Ressourcen zu bekommen sind, desto wichtiger Sind hochqualifizierte Kompetenzen der Vorhandenen Ist die interdisziplinäre Kooperation (wie sinnvoll ist freie Arztwahl im Altenheim? Warum handeln Professionelle nur nebeneinander her?) Ist die Vernetzung von Versorgungsangeboten Sind fließendere Übergänge zwischen Häuslichkeit und stationärer Versorgung und zurück (z.b. Kurzzeitpflege mit rehabilitativen Zielen) Ist die Einbeziehung des Umfeldes des Kranken/ Pflegebedürftigen
23 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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