SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Leben - Manuskriptdienst. Innere Freiheit oder: Die Möglichkeiten zwischen Reiz und Reaktion

Transkript

1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Leben - Manuskriptdienst Innere Freiheit oder: Die Möglichkeiten zwischen Reiz und Reaktion Autorin: Redaktion: Petra Mallwitz Rudolf Linßen Sendung: Donnerstag, um Uhr in SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Leben (Montag bis Freitag bis Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/ Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem kostenlosen Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de SWR2 Leben können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: 1

2 MANUSKRIPT Das erste Wort hat der Philosoph Emanuel Kant. Innere Freiheit bedeutet für ihn. Über sich selbst Herr zu sein, seine Affekte zu zähmen und seine Leidenschaften zu beherrschen. Menschen die keine Philosophen sind beschreiben es so: Atmo Umfrage: Innere Freiheit, innere Freiheit die hatte ich als Kind, weil da konnte ich mir eben alles ausdenken und ausmalen was ich wollte. Für mich ist innere Freiheit wenn ich das Gefühl habe nicht irgendwelchen Zwängen zu folgen bei dem was ich tue sondern das Gefühl zu haben dass ich wirklich das tue was ich möchte. Innere Freiheit würde ich ganz kurz auf den Nenner bringen: Nicht müssen müssen. Innere Freiheit das ist für mich dass ich mich in Entscheidungen nur nach meinem eigenen Gewissen richten muss. Innere Freiheit, scheint oft mit Entscheidungsfreiheit gleich gesetzt zu werden. Aber mit dem Gefühl, sich frei entscheiden zu können, ist das so eine Sache. (Zitat von Gerhard Roth) Das Gefühl, bei der Willensbildung und der Handlungsentscheidung frei zu sein ist eine Illusion. Schreibt Gerhard Roth. Er und andere Hirnforscher haben in den vergangenen Jahren viel Aufsehen damit erregt, dass der Mensch viel weniger frei sei, als er meine. Die Gene und die Erfahrungen, besonders die Erfahrungen in Kindheit und Jugend, hätten ihn so geprägt, dass er aktuell nicht mehr wirklich frei entscheiden könne. Experimente zeigen, dass jeder Entscheidung, und halten wir sie noch so sehr für unseren eigenen Willen, zuvor wichtige Vorentscheidungen vorausgegangen sind - und zwar unbewusst. Wir bekommen davon überhaupt nicht mit. (Zitat aus Spiegelgespräch - Das Hirn trixt das Ich aus.) Was bedeutet das für unseren Alltag? Wenn unser Gehirn Entscheidungen trifft, die wir nicht steuern können, würde das letztlich heißen, dass wir für unser Handeln nicht verantwortlich sind. Ein Gedanke, der Viktor Frankl, dem Arzt und Begründer der Logotherapie, vermutlich kräftig gegen den Strich gegangen wäre. 2

3 Victor Frankl: Während meiner Professur in Kalifornien hatte ich Gelegenheit einen Vortrag zu halten, für die dort einsitzenden Häftlinge. (Viktor Frankl 1994) Dieser Vortrag hatte die Häftlinge offenbar zum ersten Mal zum Nachdenken über ihre innere Freiheit gebracht. Denn sie erzählten einem Kollegen von Viktor Frankl anschließend: Victor Frankl: Wissens, jeden Monat schickt man uns einen Psychologen oder einen Psychiater aus San Francisco herüber, der soll uns einen Vortrag halten, hier in der Kapelle dieses Gefängnisses. Und das geht uns bis daher schon, was die uns erzählen. Die sagen: Schuld an eurem Unglück und an euren Untaten und eurer Kriminalität sind die Eltern, die haben euch schon so erzogen. In der Kindheit ist das festgelegt worden. Ihr könnt nichts dafür. Ihr könnt kaum was ändern, aber ihr müsst euch halt bemühen, und so weiter und so weiter. Das ist deprementel, verstehen Sie, rächt sich, das macht alles kausal. Aber eigentlich nimmt man ja den Menschen die Würde, diesen Häftlingen, indem man sie so hinstellt wie: nach solchen Ursachen festgelegt in der Kindheit bleibt euch natürlich nichts anderes übrig als kriminell zu sein. Als ob der Mensch nicht die Freiheit hätte auch nein zu sagen, zu den Terminanten seiner Jugend. Als ob alles psychomechanisch festgelegt wäre, vor allem für sein ganzes Leben womöglich. Und dann sagten sie dem und da kommt einer daher und sagt: Ihr seid Menschen, das habe ich wirklich gesagt Ihr seid Menschen wie ich, genauso. Das heißt mit anderen Worten: Ihr habt dieselbe Freiheit gehabt und habt sie auch heute noch und werdet sie haben so einen Blödsinn anzustellen, so eine Untat zu setzen, wie jeder andere Mensch. Macht nun aber gefälligst, wenn ihr dann herauskommt, Gebrauch von dieser Freiheit und zwar im Sinne der Verantwortung, denn es gibt keine Freiheit an sich. Freiheit ist die negative Seite eines Komplexes und die positive Hälfte heißt: die ganze Story, die ganze Wahrheit ist Verantwortung. Ihr seid frei, um Verantwortung zu übernehmen. Victor Frankl, der hier in einem Vortrag aus dem Jahr 1994 so engagiert und ohne Manuskript spricht, betonte immer wieder, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, sich gegen das scheinbar naheliegende zu entscheiden. Frankl hatte als Jude die Konzentrationslager überlebt und seine Gedanken in dem berühmt gewordenen Buch Trotzdem ja zum Leben sagen festgehalten. Eindringlich schreibt er über seine Erfahrungen im KZ, erzählt, wie er die Möglichkeit zur Flucht hatte und dann doch bei den kranken Mithäftlingen geblieben ist, erzählt von KZ Wächtern, die es trotz des Systems geschafft haben, menschlich zu bleiben. Er wurde nicht müde, die Verantwortung des Menschen für seinen Umgang mit sich und der Welt zu betonen. Frankl: Jetzt verstehen Sie warum ich in Amerika speziell immer wieder sage: Ich empfehle euch Amerikanern, dass ihr als Gegenstück für eure Stature of Liberty, eure Statue der Freiheit an der Ostküste, dass ihr nun in Kalifornien an eurer Westküste eine Statue of Responsibility setzt. Verantwortungsstatue! 3

4 Wer Frankls zuhört und seine Texte liest, wird dazu aufgerufen, inne zu halten und zu entdecken, dass es immer - selbst in scheinbar aussichtlosen Lagen - eine Möglichkeit gibt, sein Leben zu gestalten. Deshalb ordnen ihm viele auch den Satz zu: Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit. Tatsächlich scheint der Gedanke jedoch schon viel älter zu sein und geht auf den persischen Mystiker Rumi zurück. Er lebte im 13. Jahrhundert und schrieb: Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum: Nur dort kann Begegnung stattfinden. Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum: Nur dort findet Heilung und Entwicklung statt. Zwischen Richtig und Falsch gibt es einen Ort. Dort werden wir uns begegnen." Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. Nur dort kann Begegnung stattfinden. Was bedeutet das für das Nachdenken über innere Freiheit? Man könnte sagen, innere Freiheit ist die Fähigkeit innere Muster zu durchbrechen. Sagt Prof Rolf Arnold. Der Pädagoge und Emotionsforscher hat sich viel mit dem Konstruktivismus und systemischen Denkansätzen beschäftigt. Diese gehen davon aus, dass die Erfahrungen, die jeder Mensch macht, zu einer bestimmten Sichtweise der Welt führen. Diese Sichtweise wiederum wirkt wie ein Wahrnehmungsfilter, so dass nur das ins Bewusstsein dringt, was dieser Sichtweise entspricht. Einer der Hauptgründe für Konflikte ist demnach, dass jeder davon ausgeht, dass seine Konstruktion der Wirklichkeit, die einzig wahre Wirklichkeit sei. So schrieb Paul Watzlawick, der den Konstruktivismus auf die Kommunikation anwendete: "Der Glaube, dass die eigene Sicht der Realität die einzige Realität sei, ist die gefährlichste aller Täuschungen." Paul Watzlawik Das heißt wir müssen uns ein Stück lösen, von dieser Theorie, dass wir die Realität wahrnehmen können, sondern die Realität ist nur in der Form bei uns wirksam, (deshalb sprechen wir auch von der Wirklichkeit) dass sie das, was schon in uns drin ist, in Schwingung bringt. 4

5 In diesem Sinne argumentiert er also ganz ähnlich, wie Gerhard Roth: Aufgrund unserer Erfahrungen haben sich Wahrnehmungsmuster heraus gebildet, die nun dafür sorgen, dass wir die Welt in einer ganz bestimmten subjektiven Weise sehen und entsprechend dieser Sichtweise auch handeln. Aus diesem Grund gibt es Philosophen und Systemiker, die schlagen vor, den Begriff der Wahrnehmung zu ersetzen durch den Begriff der Wahrgebung. Wie gebe ich mir meinen schwierigen Schüler wahr, wie gebe ich mir meine Ehefrau wahr, wie gebe ich mir meinen Mitarbeiter wahr. Es geht darum, bei allem, was man für gewiss hält, immer zu wissen, dass es nur meine Art ist, das für Gewiss zu halten. Doch nun geht Rolf Arnold einen entscheidenden Schritt weiter als Gerhard Roth. Während Roth betont, wie schwierig es sei, sich von den Vorerfahrungen zu lösen, interessiert sich Arnold gerade dafür, wie Veränderung möglich ist. Und sie ist möglich - das erlebt er beispielsweise auf Fortbildungen mit Pädagogen, die er dazu einlädt, neue Perspektiven einzunehmen. Ich geb Ihnen gern ein Beispiel aus unserem Bereich. Man kann Lehrer an den Punkt führen - und das ist oft auch erschütternd für die Lehrer - wo sie erkennen, dass dieses Muster, oder auch die Gefühle, die sie haben gegenüber einem Schüler, die über Tisch und Bänke gehen, dass mit diesem Schüler nur indirekt etwas zu tun hat mit, weil es alte Gefühle sind. Gefühle der Enttäuschung, der Verbitterung, des Gestresstseins und dann kann man gezielt mit ihnen arbeiten an der Frage: Komm, wir erfinden mal diesen Schüler neu. Wir stellen uns mal zehn Fragen, die uns näher an diesen Schüler ranbringen. Fragen, die wir uns noch nie gestellt haben und plötzlich merken wir, wenn wir so fragend auf diesen Schüler blicken, der verändert sich. Er verändert sich tatsächlich im Außen, weil wir ihn anders konzipieren und er daraufhin anders reagieren kann. Das Idee dahinter ist: Man kann ein System, wie beispielsweise eine Schulklasse oder eine Familie nicht analysieren und dann von außen für das Problem eine Lösung finden. Sondern: Jede kleine Veränderung, jede neue Perspektive, jede neue Wahrnehmung eines einzelnen hat eine Wirkung im Ganzen. - Das beschreibt Rolf Arnold am Beispiel Daniel. An ihm waren die Lehrer schon fast verzweifelt, doch alleine durch die neue Perspektive auf ihn während der Fortbildung, passierte etwas. Daniel merkt, wenn die Lehrer sein inneres Bild von ihm erweitert haben. Sie sehen dann nicht nur den Störer, sondern sie sehen vielleicht auch den überlasteten multikulturellen Schüler, der nicht nur diese Lebenswelt hat, sondern auch andere, sie sehen vielleicht seine Talente in anderen Bereichen, sie sehen vielleicht seine Solidarität gegenüber den Geschwistern und dann entsteht ein anderes Bild und da müssen wir auch gar nichts sagen, sondern plötzlich begegnen sie ihm anders und das gibt Daniel die Möglichkeit, anders sich in Erscheinung treten zu lassen. 5

6 Zusammenfassend könnte man sagen: Für Rolf Arnold ist innere Freiheit die Fähigkeit, immer wieder neue Perspektiven einnehmen zu können und dadurch einen offeneren und auch liebevolleren Blick für die Welt des anderen zu gewinnen. So können Begegnungen reicher werden. Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum: Nur dort kann Begegnung stattfinden. Spezialist für zwischenmenschliche Begegnungen ist der Paartherapeut Hans Jellouschek. In seinem Buch Achtsamkeit in der Partnerschaft widmet auch er sich der Frage, wie man lernen kann, nicht in die immer gleichen Beziehungskonflikte zu geraten, nicht auf einen bestimmten Reiz in der immer gleichen Weise zu reagieren. In den letzten Jahren beschäftigt mich bei meiner Arbeit immer wieder die Beobachtung, dass das meiste, womit sich Partner verletzen, nicht aus bösem Willen, oft auch nicht aus Mangel an Zuneigung geschieht, sondern einfach aus Unachtsamkeit. Atmo: Szene Frank: Doris, hast du irgendwo meine Schuhe gesehen? Doris: Bin ich deine Mutter? Schau gefälligst selbst nach deinen Sachen. Und der Arme (in Anführungszeichen) ist völlig von den Socken, dass seine (in Anführungsstrichen) harmlose Frage, so einen Ärger ausgelöst hat und fühlt sich ungerecht behandelt. Und ist sauer. Und der Abend ist im Eimer. Die beiden, Doris und Frank, an deren Beispiel Hans Jellouschek seine Gedanken in dem Buch erläutert, wollten nämlich einen schönen gemeinsamen Abend im Restaurant verbringen. Deshalb hatte Doris die Kinder extra zu ihrer Mutter gebracht. Da ist die Frage: Was passiert da? Also vielleicht kommt die Gedankenlosigkeit bei Frank davon, dass er gerade den Kopf noch voll hat mit Sachen aus seinem Beruf. Und vielleicht kommt die ärgerliche Reaktion von Doris daher, dass ihre Mutter, als sie das Kind abgegeben hat, ihr irgendwelche Vorhalten gemacht hat, dass sie sich nicht genug ums Kind kümmert und dass sie ja unbedingt arbeiten müsse, und jetzt ist sie schon Ärger geladen, was das Thema Mutter angeht und in der Frage von Frank trifft sie so ein Ansinnen, sie soll eine gute Mutter sein und sie denkt: Schon wieder! Immer werde ich verfolgt mit diesem Scheiß Mutter sein. Ich will aber nicht nur Mutter sein - und das kriegt der Frank ab. Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit. 6

7 Diesen Satz versucht Hans Jellouschek auf das Beispiel von Doris und Frank zu übertragen. Der Reiz ist für Doris die Frage von Frank. Frank: Doris, hast Du irgendwo meine Schuhe gesehen? Die Reaktion kennen wir bereits: Doris: Schau gefälligst selbst nach deinen Sachen. Was könnte also Doris tun, in diesem Moment. Sie spürt den Ärger in sich hochsteigen. Und dann? Also das erste ist mal: Sie müsste sich dessen bewusst werden, dass zwischen der inneren Reaktion und der äußeren Reaktion sie die Freiheit hat. Sie muss nicht den Ärger über Frank ausschütten. Sie kann auch eine andere Reaktion wählen. Dass ihr das bewusst wird. Schritt eins. Schritt zwei: Dass sie sich bewusst macht: In welchen Situationen, wenn wir beide zusammen kommen, passiert so was ganz leicht, dass ich auf eine Frage oder ein Ansinnen von ihm so ärgerlich reagiere? Und wann, Drittens, wann wird die nächste solche Situation vermutlich sein? Und dann ist sie schon mal ein stückweit gewappnet. Wenn dann die Situation auftaucht wird sie sagen: Hoppla, Achtung, jetzt wird s gefährlich. Und dann gewinnt sie auch die Freiheit. Also die Fachleute sagen, sie gewinnt dann gewissermaßen eine Beobachterposition. Eine Beobachterposition, die ihr die Freiheit gibt sich in ihrem äußeren Verhalten auch anders zu verhalten als ärgerlich. Also ein Plädoyer gegen Spontanität. Ja, das ist eben dann oft die große Schwierigkeit, dass viele Menschen, gerade auch in unserer Zeit, die Idee haben: Spontanität ist immer gut. Aber das ist nicht so. Der Lehrer in der Schule will spontan dem Schüler eine Ohrfeige geben. Da sagen wir auch nicht: Spontanität ist gut, der soll ihm doch eine Ohrfeige geben. Da sagen wir: er soll sich so im Griff haben, dass er in der Situation nicht mit einer Ohrfeige reagieren soll. Das heißt, da verlangen wir es. Und unserem Partner gegenüber oder unserer Partnerin gegenüber haben wir plötzlich den Anspruch: es muss alles spontan sein. Das ist ein ausgesprochener Mist. In diesem Sinne meint Am schwersten ist es, aus dem Reiz- Reaktionsmuster auszusteigen, wenn die Emotionen schon hochgekocht sind. Damit man nicht vom alten Reiz-Reaktionsmuster überrumpelt wird, ist es sinnvoll, schon vorher etwas zu tun. Zum Beispiel ein liebevolleres Beziehungsklima zu schaffen. 7

8 Zitator (für Hans Jellouschek): Eine erste Übung in der Wahrnehmung der ganzen Realität unserer Beziehung besteht darin, dass wir uns für einige Zeit vornehmen, bewusst darauf zu achten, was uns heute den Tag über am Partner positiv auffällt. Es geht dabei nicht nur ums Bemerken, sondern es geht als zweites dann auch darum, es dem Partner gegenüber deutlich zu äußern. Denn in der Beziehung wird nur das real und wirklich, was auch zum Ausdruck gebracht wird. Genauso wie destruktive Beziehungsabläufe eingeübt worden sind, genauso können - so Jellouschek - auch konstruktive Beziehungsabläufe eingeübt werden. Denn Veränderung braucht ein wohlwollendes Klima. Und wenn es dann doch wieder einmal passiert, dass ein altbekannter Reiz eine altbekannte Reaktion auszulösen droht, dann hilft es, Dass ich mir richtig angewöhne einmal, wenn ich merke jetzt taucht so wieder eine gefährliche Situation auf: So, jetzt atme einmal durch, bevor du reagierst. Also sich anzugewöhnen nicht sofort wie aus der Pistole geschossen zu antworten, sondern sich erst mal vor allem dann, wenn ich merke, sofort wäre meine Reaktion da, dann erst mal sagen: Moment, Moment. Und dann bin ich in Kontakt damit und dann erhöhe ich meine Chance frei zu wählen wie ich reagieren will. Wie war das noch mal? Die Freiheit liegt zwischen Reiz und Reaktion. Doch zurück zum Beispiel von Doris und Frank. Was Doris tun könnte, um das Reiz Reaktions- Schema zu durchbrechen haben wir gehört. Was könnte Frank tun? Wenn er achtsam wäre, ja, dann wüsste er: Jetzt bin ich noch von meinem Beruf vollkommen ausgefüllt, jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht einfach Doris für mich einspanne. Oder vielleicht auch noch weitergehen, dass Thema ist vielleicht schon öfter auf dem Tablett gewesen, und solche Fragen, da weiß der Frank eigentlich schon von früher, dass die er weiß vielleicht die Gründe nicht, aber er weiß, dass sie da sauer reagiert hat. Und darum will auch er den Abend nicht gefährden und hält seine spontane, unter Anführungszeichen, Frage zurück, sondern denkt sich nur: Hoppla, halt den Mund. Suche jetzt einen Augenblick selber nach deinen Schuhen. Also, es ist ganz sicher, dass auch der sogenannte Reiz bei Frank eine Reaktion ist auf etwas, was bei ihm ist und was mit der Doris unter Umständen überhaupt nichts zu tun hat, sondern damit, dass er zum Beispiel in seinem Job irgendeine unangenehme Auseinandersetzung hat, in der er noch gefangen ist, und die bewirkt, dass er auf die Hier-und-Jetzt-Situation nicht achtsam reagiert. 8

9 Viele Paare, sagt Hans Jellouschek haben sich allerdings in ihrer Unachtsamkeit eingerichtet, gegenseitige Schuldzuschreibungen und Abwertungen sind für sie Alltag geworden. Um aus den gleichen und auf die Dauer zermürbenden Mustern auszusteigen, müssen sich beide dafür bewusst entscheiden. Sie müssen wirklich etwas verändern wollen und darüber reden. Und wenn sie das ausgetauscht haben, dann könnten sie zum Beispiel auch miteinander wieder fragen: Was sind denn so typische Situationen, wo wir da immer wieder reinkommen? Sie könnten also etwas machen was im NLP, Future Pace genannt wird, das heißt, die Zukunft mal vorweg nehmen und sich da überlegen: Wie könnten wir uns denn da verhalten, dass wir uns da nicht mehr in dieses Muster verwickeln? Interviewerin: Welche Rolle spielt dabei das gegenseitige Verstehen von Kindheitsmustern, aus denen ja viel gegenwärtiges Verhalten entspringt? Das kann eine zusätzliche Hilfe sein, ganz sicher. Man könnte fantasieren, jetzt in dem Fall von Frank und Doris, dass bei Doris etwas dahintersteht, dass sie von ihrer Mutter nie wirklich als eigenständige Person gesehen wurde, sondern eben als eine, die in das alte Frauenmuster passen muss, nachdem sie selber auch gelebt hat, nämlich: Frauen sind nur dann richtig, wenn sie Mütter sind und Hausfrauen und sonst nichts. Und dass sie sich deshalb, die Doris, nie wirklich als eigenständiges Individuum erlebt hat. Und dass sie auf dem Bereich, wenn so was wieder auftaucht, dass sie so was vermuten könnte, besonders empfindlich ist. Und so was zu sehen hilft ja in die Beobachterposition zu gehen. Und bei Frank ähnliches. Die Beispiele, die der Paartherapeut Hans Jellouschek, der Emotionsforscher Rolf Arnold und der 1997 verstorbene Arzt und Logotherapeut Victor Frankl geben, zeigen alle: Innere Freiheit zu erlangen, geht nicht einfach von heute auf morgen. Es ist ein lebenslanger Weg. Manch einer macht sich gemeinsam mit dem Partner auf diesen Weg, andere versuchen es über Meditation oder mit Hilfe eines Coaches. Sehr hilfreich scheint dabei aber immer die Fähigkeit zu sein, ein paar Schritte zurück zu treten und sich zu fragen: In was für einer Welt möchte ich gerne leben und was kann ich dazu beitragen? Oder: Was für gute Gründe hat der andere für sein Verhalten. Und wie können wir gegenseitig unsere Sicht der Wirklichkeit bereichern? Also sich selbst zu einer Art Forschungsobjekt machen, das ist ein total spannender Prozess. Ich habe das in meinem Buch genannt: wir brauchen so eine Art Selbstarchäologie, vor allen Dingen dann, wenn wir als Manager oder Lehrer oder Menschen unterwegs sind, die für andere eine verantwortliche Rolle spielen. Wenn sie das nicht reflektieren, wenn sie darüber nicht Bescheid wissen, dann torkeln sie in diese Klassen, in diese Szenarien rein und muten sich anderen so zu wie sie gerade sind, weil das halten sie für wirklich und gewiss. 9

10 Also, die Aussage: Ja ist musste ja so reagieren, weil nämlich du das und das und das ist einfach falsch. Ich muss nicht so reagieren. Ich habe immer die Freiheit meine Reaktion zu wählen. Es geht vielleicht darum, um es noch mal konstruktivistisch zu sagen, wie das Heinz von Förster mal gesagt hat: Handle stets so, dass die Zahl deiner Möglichkeiten wächst. Und das ist, denke ich, das, worum es geht, dass wir uns gezielt darum bemühen die Zahl der Möglichkeiten zu erhöhen. Das ist ein Reifungsprozess und es ist auch ein Trainingsprozess, also ich muss es lernen. Ich achte darauf was passiert zwischen Reiz und Reaktion, was passiert zwischen innerer Reaktion und äußerer Reaktion? Und das gibt mir diese Freiheit mich für meine äußere Reaktion, für man Handeln, für mein Verhalten zu entscheiden. Und nicht zu meinen ich würde einfach davon überrumpelt. Ich kann mich entscheiden. Atmo: Szene Frank: Doris, hast du irgendwo meine Schuhe gesehen? Doris: Nee, verflixt, wo könnten die bloß sein? Schuhe, wo seid ihr? Frank: Doris, hast du irgendwo meine Schuhe gesehen? Doris: Ich glaube, die wollten mal frische Luft schnappen und sind zu den Nachbarn rüber. Frank: Fast hätte ich Dich jetzt gefragt, wo meine Schuhe sind. Doris: Und fast hätte ich gesagt, dass ich sie im Schlafzimmer gesehen habe. Frank: Weißt Du was, ich freue mich sehr auf unseren gemeinsamen Theaterabend. Doris: Ich auch. Und falls Du heute abend wieder Deine Schuhe suchst: Ich nehme Dich auch auf Socken mit. Buchtipp: Rolf Arnold Seit wann haben Sie das? Grundlinien eines emotionalen Konstruktivismus Carl-Auer-Systeme Verlag broschiert 232 Seiten für 24,95 Euro ISBN-13: Victor E. Frankl Trotzdem ja zum Leben sagen Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. Deutscher Taschenbuchverlag Taschenbuch 208 Seiten für 17,95 Euro ISBN-13:

11 Hans Jellouschek Achtsamkeit in der Partnerschaft Was dem Zusammenleben Tiefe gibt. Kreuz Verlag gebunden 160 Seiten für 16,95 Euro ISBN-13: Gerhard Roth Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern Klett-Cotta Verlag broschiert 349 Seiten für 19,95 Euro ISBN-13: Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung Vandenhoeck und Ruprecht Taschenbuch 333 Seiten für 29,95 Euro ISBN-13: