Maxim Gorki. Kinder der Sonne. (Originaltitel: Deti solnca) Schauspiel. Aus dem Russischen von Werner Buhss

Transkript

1 Maxim Gorki Kinder der Sonne (Originaltitel: Deti solnca) Schauspiel Aus dem Russischen von Werner Buhss 1

2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2007 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2

3 Pawel Fjodorowitsch PROTASSOW LISA, seine Schwester JELENA Nikolajewna, seine Frau Dmitri Sergejewitsch WAGIN Boris Nikolajewitsch TSCHEPURNOI MELANIJA, seine Schwester NASAR Awdejewitsch MISCHA, sein Sohn JEGOR, Schlosser AWDOTJA, seine Frau Jakow TROSCHIN ANTONOWNA, Kinderfrau (Grauchen 1 ) FIMA, Dienstmädchen LUSCHA, Dienstmädchen ROMAN ARZT ERSTER, ZWEITER; DRITTER 1 Verkleinerungsform von: Grau(haarig)e. 3

4 Erster Akt Ein altes Herrenhaus. Ein großes halbdunkles Zimmer. Links Fenster und Tür zur Terrasse. In der Ecke eine Treppe nach oben, wo wohnt. Hinten ein Rundbogen, dahinter das Eßzimmer. Rechts Türen zu Jelenas Räumen. Bücherschränke, schwere antike Möbel, auf den Tischen teure Buchausgaben, an den Wänden Porträts von Naturwissenschaftlern. Auf einem Schrank leuchtend eine Büste. Am Fenster links ein großer runder Tisch. An ihm sitzt, blättert in einer Broschüre und sieht zu, wie über einem Spirituskocher (Bunsenbrenner) in einem Kolben eine Flüssigkeit erhitzt wird. Auf der Terrasse hinter dem Fenster arbeitet und singt mit brüchiger Stimme trostlos ein Lied. Das Gesinge geht auf die Nerven. Hörn Sie mal, Sie. (Durchs Fenster.) Is was. Können Sie nicht woanders, oder. Wo. Wo auch immer. Sie stören mich etwas. Der Hausbesitzer hat aber angeordnet. Bring das in Ordnung, hat er gesagt. Aus dem Eßzimmer. Du Dreckbeutel, hier hast du dich verkrochen. Halt den Mund. Bei dir reicht dir wohl der Platz nicht. Geh da ja nicht rein. Ich hab alles verräuchert. Und jetzt qualmst du hier alles voll. Darf ich die Tür aufmachen. (Heftig.) Das ist nicht nötig. Ach du, Grauchen. Hab ich dich etwa gebeten. Sieh lieber zu, daß der Kollege da ne Mücke macht. Er lallt. (Durchs Fenster.) Was fummelst du da. Mach ne Mücke. Wieso, der Hausbesitzer hats angeordnet. Hau ab. Kannst du später machen. Von mir aus. (Ab mit Krach.) (Grummlig.) Du wirst noch mal ersticken. Es heißt, die Cholera grassiert. Ein Generalssohn willst du sein, und beschäftigst dich mit weiß ich was, du veranstaltest nur eine einzige Stinkerei. Wart ab, Grauchen. Ich werde auch mal General. Ein Penner wirst du. Das Haus hast du schon verballert mit deiner Chemie mitsamt der Physis. Physik heißt das, nicht Physis. Laß mich jetzt bitte in Ruhe. 5

5 Der Dingsbums ist gekommen, der ka. Hol ihn rein. Paschenka. Mach diesem Verbrecher klar, was er da anstellt. Na was denn, gestern hat er seine Frau wieder fast totgeschlagen. In Ordnung, ich werde es ihm sagen. kommt unhörbar die Treppe herunter. Sie bleibt vor einem Schrank stehen und öffnet ihn leise. Droh ihm. Sag nur: Dir werd ich Feuer unterm Arsch machen. Den werde ich schon zusammenstauchen. Bleib ganz ruhig. Geh jetzt. Du mußt hart bleiben. Du redest mit allen Leuten wie mit deinesgleichen. Ich mach das schon. Ist Jelena da. Noch nicht. Seit sie nach dem Frühstück zu Wagin ist, ist sie noch nicht wieder aufgetaucht. Paß auf, plötzlich ist die Frau weg. Red keinen Blödsinn. Ich werde böse. Grauchen. Du störst Pawel bei der Arbeit. Ach. Du bist unten. Was ist. Nichts. Du mußt deine Milch trinken, lein. Ich weiß. Zu Jelena Nikolajewna nur soviel. Ich an ihrer Stelle würde so schnell es geht mit irgendeinem Kerl was losmachen. Nimmt sie doch keiner als Frau wahr. Den Wein getrunken, den Kelch versenkt. Nicht mal Kinder. Was hat eine Frau dann noch. Da muß sie sich schon mal Grauchen. Ich werde langsam böse. Verzieh dich. So ein Teereimer. Achte auf deinen Blutdruck. Vergiß nicht. (Geht.) Die Milch steht im Eßzimmer, lein. Hast du deine Tropfen genommen. Ja. Na dann. (Geht ins Eßzimmer.) (Sieht ihr nach.) Grauchen ist schon bemerkenswert. Unsterblich wie die Dummheit. Und genauso aufdringlich. Wie gehts dir,. Gut. 6

6 Das ist wunderbar. (Singt leise.) Wunderbar, wunderbar Grauchen hat recht. Das bezweifle ich. Die Alten haben selten recht. Die Wahrheit ist immer bei den Jungen. Sieh mal,, ich habe hier einfache Hefe. Grauchen hat recht, du kümmerst dich zu wenig um Jelena. (Verärgert, aber weich.) Ihr geht mir auf die Nerven, du und Grauchen. Ist Lena etwa stumm. Sie kann mir selbst sagen, wenn ich da irgendwas, wenn was nicht so ist, wie es sein soll, und überhaupt. Aber sie schweigt. Was ist eigentlich los. Aus dem Eßzimmer kommt, angetrunken. Da ist ja. Seien Sie gegrüßt,. Wünsche Wohlergehen., es geht um folgendes. Sie müssen mir einen kleinen Tiegel herstellen, mit einem Deckel, so einem konusförmigen Deckel, der oben eine runde Öffnung hat, auf die ein Rohr paßt, verstehen Sie. Verstehe. Läßt sich machen. Ich habe eine Skizze gemacht, wo hab ich sie nur. Kommen Sie. Er führt ins Eßzimmer. An die Terrassentür klopft. öffnet ihm. Aha, zu Hause. Guten Tag. Ich grüße Sie. (Schnüffelt.) Der Kollege ist auch da. Man riechts. Wo kommen Sie her. Von einer Behandlung. Die Aufwartefrau von der Frau des Kammerpräsidenten hat deren Schoßhund in der Zimmertür den Schwanz eingeklemmt. Ich habe jenen Hundeschwanz restauriert, und man gab mir dafür drei Silberlinge. Hier sind sie. Ich wollte Ihnen ursprünglich dafür Konfekt kaufen, aber ich habs mir anders überlegt. Wie kann ich, sagte ich mir, Ihnen für Hundegeld so was, nein. Ich habs sein lassen. Gut gemacht. Setzen Sie sich. Der Geruch dieser Brühe allerdings ist von bestreitbarer Annehmlichkeit. Es kocht, Kollege. kommt schnell. Das sollte es nicht. Was soll das. Warum sagt mir das keiner, Herrschaften. 7

7 Ich habe laut und deutlich gesagt, es kocht. (Verärgert.) Schreiben Sie sich das hinter die Ohren. Es lag mir daran, daß es nicht kocht.. Wer konnte das ahnen, Pawel. Verdammt. Jetzt muß ich alles noch mal Pawel Fjodorowitsch, geben Sie mir einen Rubel. Einen Rubel. Selbstverständlich, sofort. (Wühlt in seinen Taschen.), hast du nicht einen Rubel. Nein. Grauchen hat. Ich hab auch, sogar drei. Drei? Bitte geben Sie mir die drei. Hier,, drei Rubel. Reicht das. Reicht. Ich rechne alles ab. Danke. Dann auf Wiedersehen. Pawel. Grauchen hatte dich doch gebeten, ihm zu sagen Hast du vergessen. Was zu sagen. Ach das. Hmm, ja., Sie setzen Sie sich bitte. Also. Besser, du sagst es ihm,. schüttelt den Kopf. Schauen Sie mal,. Ich muß Ihnen sagen. Genaugenommen hat mich Grau unsere Kinderfrau gebeten. Es geht darum, daß Sie. Daß man sagt, Sie würden Ihre Frau schlagen. Entschuldigen Sie,. (Steht auf.) Ich schlage sie. Wirklich. Aber, wissen Sie, das ist doch nicht schön. Ich bitte Sie. (Finster.) Was ist schon schön. Na also. Warum prügeln Sie sie dann. Das ist bestialisch,. Sie müssen damit aufhören. Sie sind ein Mensch, ein vernunftbegabtes Wesen, das Leuchtendste, das Herrlichste, was die Welt zu bieten hat. Ich. Aber ja. Sie sollten zuerst mal fragen, warum ich sie schlage. Verstehen Sie doch. Man darf nicht schlagen. Ein Mensch darf, kann einen Menschen nicht schlagen. Das versteht sich doch von selbst,. 8

8 (Grinsend.) Mich hat man auch verprügelt, und das nicht zu knapp. Was meine Frau betrifft, vielleicht ist sie gar kein Mensch, sondern ein Teufel. Blödsinn. Was für ein Teufel denn. (Entschlossen.) Auf Wiedersehen. Aber schlagen werde ich sie. Solange sie sich vor mir nicht beugt wie das Gras im Wind, werde ich sie verdreschen. (Ab durchs Eßzimmer.) Sie haben doch selbst gesagt, Weg ist er. Er scheint beleidigt zu sein. Dumm gelaufen. Grauchen verleitet einen auch immer zu irgendwelchem Unsinn. (Verärgert ab hinter die Portiere.) Sehr überzeugend argumentiert, der Herr Kollege. Pawel, der liebe, er ist und bleibt ein Komiker. Bei mir kriegte dieser ein Dutzend auf den Nackten. Boris Nikolajewitsch. Was denn. Verzeihen Sie, wenn das ungehobelt war. Er argumentiert schlüssig. Man hat ihn verprügelt, also darf er auch prügeln. Ich füge hinzu, dafür gehört er verdroschen. Ich bitte Sie, warum reden Sie so. Warum. Auf diese Logik gründen sich doch alle Strafgesetze. Sie wissen, wie ich alles Grobe hasse, mich davor fürchte. Und immer reizen Sie mich, wie mit Absicht. Warten Sie. Dieser Schlosser, er macht mir Angst. Er ist so. Düster. Und diese riesigen gekränkten Augen. Mir ist, ich hätte sie damals gesehen, damals in der Menge. Denken Sie nicht daran. Soll er sich Kann man so was vergessen. Was solls. Wo Blut vergossen wurde, werden niemals Blumen blühen. Doch, und wie. (Steht auf und geht hin und her.) Dort wächst nur Haß. Wenn ich etwas Gemeines, Gewalttätiges höre, etwas Rotes sehe, überkommt mich ein bedrückendes Grauen, und ich sehe wieder diese vertierte schwarze Masse, die blutüberströmten Gesichter, die Pfützen von warmem rotem Blut. Sie reden sich wieder in einen Anfall rein. 9