Schätzung der Auftragswerte

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1 Saarländischer Vergabetag 5. Oktober 2016, Saarbrücken Schätzung der Auftragswerte Dr. iur. Berthold Kohl Rechtsanwalt, Rechtsanwalt am Barreau d Avocats de Luxembourg Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Steuerrecht Baumediator, Bauschlichter (SOBau) und Bauschiedsrichter (SOBau)

2 Disclaimer 2016 Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieser Unterlagen darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung von kohl rechtsanwälte reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Haftung für Inhalte Die Inhalte unserer Unterlagen wurden mit größter Sorgfalt erstellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. 2

3 Schätzung der Auftragswerte Inhalt: I. 3 VgV als zentrale Norm II. III. IV. Bedeutung der Schätzung des Auftragswertes Regeln zum Schätzen des Auftragswertes Gemischte Verträge V. Zusammenfassung 3

4 Begriff geschätzter Auftragswert Landesrecht: 1 Abs. 5 STTG (Saarländisches Tariftreuegesetz) vom : Dieses Gesetz gilt für Vergabeverfahren ab einem geschätzten Auftragswert (Schwellenwert) von Die Berechnung des Auftragswertes bestimmt sich nach 3 der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) 4

5 Folge der Anwendbarkeit des STTG: Vergabegrundsätze Gleichbehandlungsgebot, Diskriminierungsverbot, Transparenzgebot ( 2 Abs. 2 STTG) Tariftreuepflicht der Bieter ( 3 STTG) Mindestlohn ( 3 STTG) Kontrollmöglichkeit des AG in Entgeltabrechnung des AN ( 9 des STTG) ILO-Kernarbeitsnormen 5

6 Bundesrecht: 3 Abs. 1 VgV (Vergabeverordnung) vom : Bei der Schätzung des Auftragswerts ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Zudem sind etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen 6

7 Maßgeblich also: geschätzter Netto- Auftragswert. Optionen sind zu berücksichtigen: Beispiele: Ausschreibung von Abfall- Entsorgungsleistungen für 4 Jahre mit optionaler Verlängerung um ein fünftes Jahr. Ausschreibung von Bauleistungen mit Bedarfspositionen ( Eventualpositionen ). 7

8 I. 3 VgV als zentrale Norm Wert der Leistung ist vor Beginn des Vergabeverfahrens mit allen relevanten Faktoren zu schätzen Prognoseentscheidung des Auftraggebers mit Beurteilungsspielraum: Die Schätzung hat nach objektiven Kriterien, transparent und nachprüfbar zu erfolgen. 8

9 Möglich ist Einschaltung eines sachverständigen Dritten (Architektur-, Ingenieurbüros etc.) Relevante Schwellenwerte seit dem 1. Januar 2016 Bauaufträge: Liefer- und Dienstleistungsaufträge:

10 II. Bedeutung der Schätzung des Auftragswerts 1.Schwellenwert a. Wahl des richtigen Vergabeverfahrens Unterhalb der Schwellenwerte nationale Ausschreibung Oberhalb der Schwellenwerte europaweite Ausschreibung 10

11 b. Rechtsschutz bei falscher Berechnung nationale Ausschreibungen (Unterschwellenwertverfahren): Rechtsschutz vor den Landgerichten Erwirkung einstweiliger Verfügung möglich Problem: Die Voraussetzungen für das Erwirken eines Zuschlagsverbots im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sind sehr hoch. 11

12 europaweite Ausschreibungen: Rechtsschutz vor den Vergabekammern Erwirkung eines vorläufigen Zuschlagsverbots. Substantiierter Antrag genügt. Zuständigkeit der Vergabekammern nur bei Überschreitung des Schwellenwertes. Achtung: Keine Vk-Zuständigkeit bei europaweiter Ausschreibung aufgrund Binnenmarktrelevanz! 12

13 Folgen: Folge einer zu hohen Schätzung: (europaweite Ausschreibung aufgrund überhöhter Schätzung): Unzulässigkeit des Nachprüfungsverfahrens vor den Vergabekammern Rechtsweg vor den Landgerichten ist eröffnet Folge einer zu niedrigen Schätzung: (nationale Ausschreibung aufgrund untersetzter Schätzung): nur das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern ist zulässig. Landgerichte sind unzuständig. 13

14 2. Aufhebungsentscheidung der Ausschreibung bei fehlerhafter Schätzung? 17 Abs. 1 Nr. 3 (EU) VOB/A: Die Ausschreibung kann aufgehoben werden, wenn schwerwiegende Gründe bestehen. Beispiel: Budgetierte Finanzmittel reichen nicht aus Wirtschaftliche, insbesondere haushalterische Umstände können einen schwerwiegenden Grund im Sinne des 17 Abs. 1 Nr. 3 (EU) VOB/A zur Aufhebung darstellen. 14

15 ABER: kein schwerwiegender Grund, wenn fehlende Mittel auf eine falsche Kostenschätzung zurückzuführen sind Aufhebung (wirksam aber) rechtswidrig. Dem öffentlichen AG drohen Schadensersatzansprüche auf positives Interesse. Soweit der öffentliche Auftraggeber einen Planer mit der Schätzung der Kosten beauftragt, hat AG im Verhältnis zu den Bietern für fehlerhafte Schätzung einzustehen, 278 BGB. Also: Regressansprüche des AG gegen Planer 15

16 3. Regressansprüche Voraussetzungen für Schadenersatzanspruch des AG gegen den Planer: Pflichtverletzung: falsche Kostenermittlung ist auf Verschulden des Planers zurückzuführen Schaden: grundsätzlich in Höhe des vom Auftraggeber an den Bieter zu zahlenden Schadensersatzes 16

17 Nicht jede unzutreffende Schätzung führt zur Haftung: Dem Planer ist ein Toleranzrahmen für Unvorhersehbarkeiten zuzusprechen Grundsatz: eine erste Kostenschätzung darf weniger genau ausfallen, als spätere Kostenermittlungen bei fortgeschrittenem Bauvorhaben Der zulässige Toleranzrahmen ist immer einzelfallabhängig. In der Rechtsprechung finden sich Toleranzen von max. +/- 30 % im Rahmen der Auftragswertschätzung. 17

18 4. Verstoß gegen Allgemeine Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P) Fördermittelbestimmungen können die Beachtung des Vergaberechts vorschreiben, z. B. ANBest-P bei schwerwiegenden Verstößen gegen Vergaberecht kann der Zuwendungsbescheid aufgehoben werden Fehlerhafte Kostenschätzung ist ein schwerwiegender Verstoß gegen das Vergaberecht 18

19 Folge: Zuwendungsbescheid wird aufgehoben Auftraggeber muss die gewährten Mittel zurückzahlen Regress des AG beim Planer wegen falscher Kostenermittlung in Höhe der zurückzuzahlenden Zuwendungen! 19

20 Fall: Der öffentliche AG will auf einem ihm gehörenden Grundstück zwei Gebäude errichten. Das erste Gebäude wird als Kita genutzt, das zweite als Wohnheim mit Verwaltungstrakt. Beide Gebäude stehen ab Oberkante UG getrennt voneinander. Sie sind, was von außen nicht sichtbar erkennbar ist, unterirdisch durch ein gemeinsames UG (Keller) verbunden und werden durch eine darin befindliche gemeinsame Heizzentrale beheizt. Für beide Gebäude steht ein gemeinsamer PKW-Parkplatz auf dem Gelände zur Verfügung. Der Betrieb der Kita und des Wohnheims sind unabhängig voneinander. 20

21 Der geschätzte Auftragswert für den Rohbau der Kita beläuft sich netto (einschließlich der Anteile an Keller) auf 2,5 Mio, derjenige des Wohnheims auf 3,0 Mio. Der vom AG beauftragte Architekt schreibt beide Gebäude national als Unterschwellenwertverfahren aus ( öffentliche Ausschreibung, kein offenes Verfahren ). Seine (zutreffende) Kostenschätzung für die Kita beläuft sich auf 2,5 Mio und für das Wohnheim auf 3,0 Mio. 21

22 Für die Kita nimmt der AG öffentliche Fördermittel in 7-stelliger Höhe in Anspruch. Die Bescheide unterliegen den Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P). Nach Fertigstellung der Kita fordert das zuständige Ministerium den AG auf, die Fördermittel zurück zu zahlen, da Vergaberecht verletzt worden sei. Zu Recht? 22

23 Antwort: Ja. Einheitliche Nutzung der Heizzentrale sowie unterirdische Verbindung des Kellergeschosses sind für den funktionalen Zusammenhang ausreichend, 3 Abs. 2 VgV. Einheitlicher Vergabewille des AG für Gesamtprojekt Also zwei Teilaufträge, deren Auftragswerte zu addieren sind. 5,5 Mio (2,5 + 3,0 Mio ) netto übersteigen Schwellenwert (5,225 Mio ). Europaweite Ausschreibung erforderlich. 23

24 Ergebnis: Die nationale Ausschreibung stellt einen schweren Vergabeverstoß dar. Die ANBest-P sind verletzt. Die Fördermittel sind zurück zu bezahlen. Das Verschulden des Architekten hat der AG sich zurechnen zu lassen ( Haftung für Erfüllungsgehilfen, 278 BGB). 24

25 Achtung: Der Architekt hat die Grundsätze des deutschen und europäischen Vergaberechts zu kennen und den AG darin zu beraten bzw. den AG darauf hinzuweisen, frühzeitig entsprechenden Rechtsrat einzuholen. 25

26 III. Regeln zur Schätzung des Auftragswertes gem. 3 VgV 1.Gesamte Vergütung, 3 Abs. 1 VgV Bei der Schätzung des Auftragswerts ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung auszugehen die geschätzte Gesamtvergütung 26

27 Optionen, Vertragsverlängerungen sowie Prämien an den Bieter sind zu berücksichtigen Die Umsatzsteuer ist außer Acht zu lassen Ausgangspunkt: Festlegung der vorgesehenen Leistung, 3 Abs. 1 Satz 1 VgV 27

28 Fall: Der öffentliche AG will auf einem ihm gehörenden Grundstück in X-Stadt eine Schulgebäude errichten. Er beauftragt seinen Architekten mit der Erstellung einer Kostenschätzung zur Schätzung des Auftragswertes. Der Architekt legt für die Schule die von ihm festgestellten Kosten eines kürzlich von ihm abgeschlossenen Schul-Neubaus in Z- Stadt vor. Da beide Schulen in etwa miteinander vergleichbar seien, sei auch in etwa mit vergleichbaren Kosten zu rechnen. Die Aufsichtsbehörde moniert gegenüber dem AG, dies sei keine vergaberechtskonforme Schätzung des Auftragswertes. 28

29 Zu Recht? Antwort: Ja. Die Schule in Z-Stadt stellt nicht die vorgesehene Leistung in X- Stadt dar. Es ist auch nicht ausreichend, ein in etwa vergleichbares Bauvorhaben zu referenzieren, sondern exakt die vorgesehene Leistung. Daher liegt nicht etwa eine fehlerhafte, sondern gar keine Schätzung des Auftragswertes vor. Damit ist auch die Dokumentationspflicht des AG verletzt, da über die Schätzung des Auftragswertes ein förmlicher Vergabevermerk in die Vergabeakte aufzunehmen ist, 8 VgV. Merksatz: Die Auftragswertschätzung ist als Vergabevermerk in Textform (schriftlich oder elektronisch) zu dokumentieren 29

30 2.Umgehungsverbot, 3 Abs. 2 VgV Schätzung oder Aufteilung des Auftragswertes darf nicht in der Absicht erfolgen, die vergaberechtlichen Vorschriften zu umgehen, sog. Umgehungsverbot. 30

31 Eine Aufteilung der Leistung ist nicht gerechtfertigt, wenn sie im Hinblick auf ihre technische und wirtschaftliche Funktion einen einheitlichen Charakter aufweist, sog. funktionelle Betrachtungsweise. Dabei sind organisatorische, inhaltliche, wirtschaftliche und technische Zusammenhänge zu berücksichtigen. So ist zu beantworten, ob Teilaufträge so verbunden sind, dass sie als einheitlicher Auftrag zu sehen sind. Die Werte derart miteinander verknüpfter Leistungen sind zusammenzurechnen (vgl. KiTa-Wohnheim -Beispiel). 31

32 3. Maßgeblicher Zeitpunkt, 3 Abs. 3 VgV Maßgeblicher Zeitpunkt der Schätzung: Tag der Absendung der Auftragsbekanntmachung oder sonstiger Weise der Verfahrenseinleitung Sonstige Verfahrenseinleitung: Der Auftraggeber hat sich zu Beschaffung von Waren, Bauleistungen etc. entschlossen und beginnt dies mit organisatorischen/planerischen Schritten zu regeln. 32

33 4. Rahmenvereinbarungen, 3 Abs. 4 VgV Rahmenvereinbarungen und dynamische Beschaffungssysteme: Wert wird auf der Grundlage des geschätzten Gesamtwertes aller geplanten Einzelaufträge berechnet 33

34 5. Innovationspartnerschaften, 3 Abs. 5 VgV Innovationspartnerschaften: umfassende Berücksichtigung der Vergütung aller Forschungs- und Entwicklungsleistungen, die während der geplanten Partnerschaft stattfinden sollen, einschließlich der durch den öffentlichen Auftraggeber nach Abschluss der Innovationspartnerschaft zu entwickelnden und zu beschaffenden Leistungen 34

35 6. Bauleistungen, 3 Abs. 6 VgV Bauleistungen: Auftragswert der Bauaufträge zuzüglich geschätzter Gesamtwert aller Liefer- und Dienstleistungen, die unmittelbar für die Ausführung der Bauleistungen erforderlich sind. Vorschrift bezweckt nicht die gemeinsame Vergabe von Bau- und Planungsleistungen! D. h.: Planungsleistungen sind in den Auftragswert der Bauaufträge einzurechnen, aber getrennt auszuschreiben. 35

36 7.Lose, 3 Abs. 7 VgV Losweise Vergabe von Bauleistungen oder Dienstleistungen: geschätzter Gesamtwert sämtlicher Lose addieren 36

37 Losweise Vergabe von Planungsleistungen: Zusammenrechnung des Gesamtwerts der Lose nur bei gleichartigen Leistungen. Bestimmung der Gleichartigkeit unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen oder technischen Funktion der Leistung. Nicht gleichartig sind nach deutscher Auffassung Leistungen von Architekten und Fachplanern (a.a.: EuGH). Wenn geschätzter Gesamtwert aller Lose den maßgeblichen Schwellenwerte erreicht, gelten vergaberechtliche Vorschriften für jedes Los. 37

38 8. Lose bei Lieferungen, 3 Abs. 8 VgV Losweise Vergabe zum Zweck des Erwerbs gleichartiger Lieferungen: Zusammenrechnung des geschätzten Gesamtwerts aller Lose Gleichartige Lieferungen: Lieferleistungen, die für gleichartige Verwendungszwecke vorgesehen sind (Beispiel: Erstausstattung einer KiTa) 38

39 9. Bagatellgrenze, 3 Abs. 9 VgV Bei Losvergabe dürfen nach der sog. 80/20-Regel Lose bis zu einer bestimmten Höhe national vergeben werden, obwohl nach dem geschätzten Gesamtwert des Auftrages der EU- Schwellenwert erreicht ist. Voraussetzung: Nettowert des Loses liegt bei Liefer- und Dienstleistungen unter bei Bauleistungen unter 1 Mio - und der kumulierte Auftragswert dieser Lose übersteigt 20 % des Gesamtwerts aller Lose nicht. 39

40 Beispiel für 80/20-Regel - Vergabe von Bauleistungen. Geschätzter Gesamtwert: 10 Mio. Zulässige Aufteilung auf insgesamt 6 Lose Los 1: Los 2: Lose unterhalb der Bagatellgrenze von 1 Mio. : Los 1 - Los 3 Los 3: Summe dieser Lose: 1,9 Mio. Los 4: 2.7 Mio. Los 5: 2.7 Mio. 40

41 Folge: Los 1, Los 2 und Los 3 werden nicht von der VgV erfasst und können national vergeben werden, denn: 1. Voraussetzung: Geschätzter Nettowert der einzelnen Lose liegt unter 1 Mio. 2. Voraussetzung: Die Summe der Nettowerte dieser Lose liegt bei insgesamt 1,9 Mio, mithin unter 20 % des Gesamtwertes aller Lose (10 Mio x 20 % = 2 Mio. ) 41

42 10.Postdienstleistungen, 3 Abs. 10 VgV Dies sind regelmäßige Aufträge und Daueraufträge, soweit diese innerhalb eines bestimmten Zeitraums verlängert werden sollen: Schätzung auf rückblickender oder zukünftiger Basis Rückblickend: Der tatsächlichen Gesamtwert entsprechender aufeinanderfolgender Aufträge aus dem vorangegangenem Haushaltjahr oder Geschäftsjahr ist zugrunde zu legen oder 42

43 Zukünftig: Geschätzter Gesamtwert aufeinanderfolgender Aufträge, die im Zeitraum von zwölf Monaten nach der ersten Lieferung vergeben werden oder im Zeitraum des auf die erste Lieferung folgenden Haushalts- oder Geschäftsjahr vergeben werden Regelmäßige Aufträge: ständig wiederkehrende sich wiederholende Leistungen, z. B. Postdienstleistungen Daueraufträge: Dauerschuldverhältnisse (Miete, Leasing o. ä.) 43

44 Monatsregel, 3 Abs. 11 VgV Zeitlich begrenzte Aufträge bis zu 48 Monate: Auftragswert ergibt sich aus dem Gesamtwert für die tatsächliche Laufzeit der Aufträge Zeitlich unbegrenzte Aufträge oder Aufträge über mehr als 48 Monate (z. B. Abfallentsorgung): Auftragswert ergibt sich aus dem Wert der geschätzten monatlichen Zahlung, der dann mit 48 zu multiplizieren ist (Monatswert x 48) 44

45 12. Planungswettbewerbe, 3 Abs. 12 VgV Planungswettbewerb (Dienstleistungsauftrag): Wert des Dienstleistungsauftrag zuzüglich Preisgelder und Zahlungen an die Teilnehmer Planungswettbewerb (andere Aufträge): Auftragswert entspricht der Summe der Preisgelder und Zahlungen an die Teilnehmer einschließlich des Werts eines möglicherweise zu vergebenden Dienstleistungsauftrag, soweit dies nicht ausgeschlossen ist 45

46 IV. Gemischte Verträge Zwei Haupt-Fallgruppen: 1. Bauauftrag oder Liefer- /Dienstleistungsauftrag? 2. Bauauftrag oder Mietvertrag? 46

47 Definitionen: 103 GWB: - Abs. 2: Lieferaufträge sind Verträge zur Beschaffung von Waren [ ]. - Abs. 3: Bauaufträge sind Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen [ ] oder eines Bauwerkes für den öffentlichen Auftraggeber [ ]. - Abs. 4: Als Dienstleistungsaufträge gelten die Verträge über die Erbringung von Leistungen, die nicht unter die Absätze 2 und 3 fallen. 47

48 Richtige Einordnung insbesondere wichtig für die Anwendung der EU-Schwellenwerte. Nur bei korrekter Festlegung der zu vergebenden Leistung kann der maßgebliche Schwellenwert bestimmt und der Auftragswerte richtig geschätzt werden Bauaufträge: Liefer- und Dienstleistungsaufträge:

49 Besondere Schwierigkeiten: Qualifizierung gemischter Verträge 110 GWB Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die verschiedene Leistungen zum Gegenstand haben Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU, neu eingefügt mit Wirkung vom 18. April

50 Abs. 1 Abstellen auf den Hauptgegenstand Abs. 2 Hauptgegenstand öffentlicher Aufträge, die teilweise aus Lieferleistungen und aus Dienstleistungen bestehen bestimmt sich nach dem geschätzten Wert der jeweiligen Leistungen. Bauleistungen in Abs. 2 und in der Gesetzesbegründung zu Abs. 2 nicht erwähnt. Problem: Wie bestimmt sich der Hauptgegenstand bei Aufträgen, die Bau- und Lieferleistungen betreffen? 50

51 1. Sanierung der Straßenbeleuchtung einschließlich Lieferung und Montage neuer LED-Leuchten (VK Baden-Württemberg, Beschluss v , Az.: - 1 VK 21/14 -) Auftrag enthält Liefer- und Bauleistungsmerkmale, sog. Typengemischter Vertrag Rechtsnatur bestimmt sich nach dem Hauptgegenstand des Vertrages (so im neuen 110 GWB) 51

52 Für einen Bauauftrag maßgebend, ob Bauleistungen den Hauptgegenstand bilden oder im Verhältnis zum Hauptgegenstand nur Nebenleistungen darstellen Sanierung der Straßenbeleuchtung erfordert ein nicht unerhebliches Eingreifen in die Substanz der Baukörper Substanzeingriff = Bauleistung weitere Teilleistung bestand in der Lieferung von neuen Laternen (= Lieferleistung) Kriterium zur Bestimmung: welche Teilleistungen überwiegen im Verhältnis zum Auftragswert? 52

53 Hier: Bauleistung hat im Verhältnis des Lieferwerts einen geringeren Anteil. Aber: Ein typengemischter Auftrag, der Elemente aus Bau-, aber auch Liefer- und Dienstleistung aufweist, kann insgesamt als Bauauftrag qualifiziert werden, selbst wenn das Auftragsvolumen des Liefer- und Dienstleistungsanteils gegenüber der Bauleistung überwiegt. 53

54 Qualifizierung als Bauauftrag, wenn die Bauleistungen einen für die Vertragserfüllung prägenden Charakter haben. Die Liefer- und Dienstleistungsarbeiten werden trotz ihres höheren Volumens zu Nebenarbeiten, wenn die Bauleistung die ordnungsgemäße Vertragserfüllung prägt. Auftrag ist insgesamt Bauauftrag 54

55 2. Bestellbau zur Anmietung vergaberechtsfreier Mietvertrag oder öffentlicher Bauauftrag? Beispiel: Öffentlicher AG mietet Gebäude an, das nach seinen Vorgaben für ihn errichtet oder umgebaut wird (EuGH, Urteil vom , Az.: - C 213/13 -): Bei Verträgen, die Elemente eines öffentlichen Bauauftrags und eines Auftrages anderer Art aufweisen, ist auf den Hauptgegenstand abzustellen. 55

56 Bei einem Vertrag, der die Errichtung eines Gebäudes und die Verpflichtung zur späteren Vermietung zum Gegenstand hat, ist der Hauptgegenstand des Vertrages die Errichtung des Gebäudes und damit öffentlicher Bauauftrag. Erforderlich ist, dass die Errichtung den Anforderungen des Auftraggebers genügt. Dies ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber auf die Ausführung zumindest entscheidenden Einfluss ausüben kann. 56

57 Im Umkehrschluss: Hat der Auftraggeber keinen Einfluss auf die Ausführung der Bauleistung, dann unterliegt ein Mietvertrag über ein noch zu errichtendes Gebäude nicht dem Vergaberecht, 107 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Es kommt auf die vertragliche Gestaltung ( inhaltliche Schwerpunktsetzung ) an. 57

58 Beispielfall: Kommune K benötigt dringend eine weitere Kita in Zentrumsnähe. Ursprünglich wollte K selbst ein Grundstück erwerben und bebauen. Dies war jedoch nicht zu finanzieren, da die Baukosten rund 5,5 Mio netto betrugen. Daher entscheidet K sich um und möchte jetzt einen Investor finden, der entweder einen nach Ihren Anforderungen zu errichtenden Neubau oder einen entsprechend umgebauten Altbau für die Dauer von 20 Jahren an die Kommune vermietet. 58

59 Der zukünftige Investor soll auch die vollständige Erstausstattung der Kita mit vollständig eingerichteter Küche, allen Möbeln und dem gesamten Spielzeug liefern. Außerdem soll der Investor auch die Außenanlagen mit Spielgeräten (Schaukeln etc.) herstellen und liefern. Alles dies soll in den Mietpreis umgelegt werden. Der Investor hat die gesetzlichen Normen für Kitas zu beachten. Bauliche Anforderungen, Einrichtung und Ausstattung der Kita gibt K anhand eines LV exakt vor. 59

60 Kommune K geht davon aus, dass der Mietpreis für die Dauer von 48 Monaten oberhalb des Schwellenwertes von netto liegen wird. Sie stellt jedoch fest, dass öffentliche Aufträge über die Anmietung von Grundstücken gemäß 107 Abs. 1 Ziffer 2 GWB oberhalb der Schwellenwerte nicht ausschreibungspflichtig ist. Dort heißt es: Dieser Teil (über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen) ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen für die Miete von Grundstücken, vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichem Vermögen. 60

61 K erspart sich daher die Erstellung einer Kostenschätzung und nimmt Gespräche mit dem ihr bekannten Investor I über die Herrichtung und Vermietung einer geeigneten Immobilie zum Betrieb der Kita auf. Unternehmer U möchte der Kommune dagegen seine eigene Immobilie vermieten und wundert sich, als K ihm mitteilt, man beabsichtige, sich anderweitig zu entscheiden. 61

62 Öffentliche Auftraggeber? Kommune = Gebietskörperschaft (+) Öffentlicher Auftrag? Liefervertrag wegen Lieferung von Einrichtung, Spielzeug, etc.? Sonstiger (vergabefreier) Vertrag wegen Vermietung (Mietvertrag)? Bauvertrag wegen Neu- oder Umbau? 62

63 Antwort: Es liegt ein Bestellbau vor (Mietvertrag einer nach genauen Vorgaben des AG zu errichtenden oder herzurichtenden Immobilien). Bestellbau gilt als Bauvertrag Also: Ausschreibungspflichtig (europaweit) Es gilt also 3 VgV: Schätzung des Auftragswertes ist erforderlich. Daran fehlt es. Folge: Vertragsschluss mit Investor I ist eine unzulässige defacto-vergabe und damit rechtswidrig. 63

64 V. Zusammenfassung Auftragswert-Schätzung ist zentrale Stellschraube des Vergaberechts entscheidet über anzuwendende Rechtsvorschriften unterhalb Schwellenwert: VOB/A, VOL/A oberhalb Schwellenwert: EU VOB/A, VgV, GWB ist als Vergabevermerk förmlich in der Vergabeakte zu dokumentieren 64

65 Auftragswert-Schätzung kann in einem Nachprüfungsverfahren durch einen Sachverständigen auf Antrag eines Bieters überprüft werden entscheidet über Art und Umfang von Rechtschutzmöglichkeiten der Bieter unterhalb Schwellenwert: einstweilige Verfügung vor Landgericht oberhalb Schwellenwert: Nachprüfungsverfahren vor Vergabekammer und OLG 65

66 Auftragswert-Schätzung kann bei fehlerhafter Schätzung zur Schadensersatzpflicht des AG führen kann bei fehlerhafter Schätzung zu Schadensersatzansprüchen des AG gegen Planer führen kann bei fehlerhafter Schätzung zum Wegfall von Fördermitteln führen sollte daher mit größter Sorgfalt durchgeführt werden. 66

67 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 67