Kurzgutachten zur Erweiterung des Antragsrechts für die abstrakte Normenkontrolle durch einfaches Bundesgesetz nach Art. 93 Abs.
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- Helmut Junge
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1 Prof. Dr. Markus Krajewski Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Kurzgutachten zur Erweiterung des Antragsrechts für die abstrakte Normenkontrolle durch einfaches Bundesgesetz nach Art. 93 Abs. 3 GG I. Problembeschreibung Nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD am kann angenommen werden, dass von den vier im 18. Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen zwei als Regierungsfraktionen handeln werden und beiden anderen beiden Fraktionen die Opposition bilden werden. Nach dem vom Bundeswahlleiter festgestellten endgültigen Ergebnis der Bundestagswahl werden in dieser Konstellation 504 Abgeordnete den Regierungsfraktionen und 127 Abgeordnete der Opposition angehören. 1 Letztere umfasst dann 20,1% der Mitglieder des Bundestages. Damit erreichen die Oppositionsfraktionen nicht das nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 Abs. 1 BVerfGG vorgesehene Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages für die Beantragung einer abstrakten Normenkontrolle. Da bei einer großen Koalition auch die Landesregierungen aus politischen Gründen eher keine abstrakte Normenkontrolle gegen ein Bundesgesetz anstrengen werden und die Bundesregierung dies ohnehin kaum tun wird, könnte eine Situation entstehen, in der das Instrument der abstrakten Normenkontrolle faktisch nicht eingesetzt werden kann. Wegen der Bedeutung dieses Verfahrens für die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen 2 und aufgrund seiner Funktion als Instrument auch des Minderheitenschutzes 3, ist dies ein verfassungspolitisch nicht gewünschter Zustand. Das Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Bundestages könnte wie bereits 2008 durch eine Änderung des Grundgesetzes weiter abgesenkt werden, z. B. auf ein Fünftel. 4 Auf gleichem Wege könnte die Antragsberechtigung generell erweitert und ausgedehnt werden. Aufgrund der höheren rechtlichen und politischen Hürden einer Verfassungsänderung stellt sich jedoch die Frage, ob die Antragsberechtigung auch durch eine einfachgesetzliche Regelung auf der Grundlage von Artikel 93 Abs. 3 GG geändert werden kann. So könnte das Antragsrecht auf beide Oppositionsfraktionen gemeinsam übertragen werden, wobei dies zeitlich auf die 18. Legislaturperiode begrenzt oder generell auf den Fall beschränkt werden könnte, dass die parlamentarische Opposition das Quorum von einem Viertel nicht erreicht. Im Folgenden soll untersucht werden, ob eine derartige Erweiterung der Antragsberechtigung durch einfaches Bundesgesetz zulässig wäre. 1 Bundeswahlleiter, Endgültiges Ergebnis der Bundestagswahl 2013, Sitzverteilung, ze_99.html. 2 Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG Kommentar, 12.Auflage (2011), Art. 93 Rn Dimroth, Antragsberechtigung beim Normenkontrollverfahren - Wächterfunktion oder Minderheitenschutz?, ZRP 2006, 51 mit Nachweisen aus den Protokollen des Parlamentarischen Rats. 4 Allerdings würde bereits der Verlust eines Mandats durch Austritt oder Ausschluss aus einer der beiden Oppositionsfraktion dazu führen, dass diese im 18. Deutschen Bundestag auch ein Quorum von einem Fünftel nicht mehr erreichen würden. 1
2 II. Voraussetzungen des Art. 93 Abs. 3 GG Nach Artikel 93 Abs. 3 GG wird das Bundesverfassungsgericht ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig. Die Vorschrift überträgt dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz, dem Bundesverfassungsgericht weitere, d. h. nicht bereits in Art. 93 Abs. 1 und 2 GG vorgesehene Fälle, zuzuweisen. Diese Ermächtigungsgrundlage macht deutlich, dass das GG die dem Bundesverfassungsgericht zugewiesenen Fälle nicht abschließend regelt, sondern dem Bundesgesetzgeber die Möglichkeit einräumt, über die im GG genannten Fälle hinaus, dem BVerfG weitere Fälle zuzuweisen. 5 Systematisch ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Art. 93 Abs. 1 und Abs. 2 GG auf der einen sowie Art. 93 Abs. 3 GG auf der anderen Seite, dass das GG selbst nur ein Mindestmaß an verfassungsprozessualen Zuständigkeitsregeln enthält. Der Gesetzgeber kann über Art. 93 Abs. 1 und Abs. 2 GG hinausgehen, in dem er weitere Fälle an das BVerfG überweist. Er besitzt somit die Kompetenz, den im GG festgelegten Mindeststandard zu erweitern, nicht jedoch, ihn zu reduzieren. Der verfassungsrechtspolitische Hintergrund dieser Konstruktion liegt darin, dass die Verfassung ein von der jeweiligen politischen Mehrheit nicht zu veränderndes Mindestmaß garantieren will, ihr jedoch nicht verbieten will, den verfassungsgerichtlichen Schutz durch Zuständigkeitserweiterungen auszudehnen. 1. sonst zugewiesene Fälle Fraglich ist, was unter dem Begriff sonst zugewiesene Fälle zu verstehen ist. In der Verfassungspraxis wurden dem BVerfG auf der Grundlage von Art. 93 Abs. 3 GG in erster Linie Zuständigkeiten übertragen, die von den im GG geregelten Verfahren verschieden waren. Dazu zählen z. B. die Überprüfung der Wahlen zum Europäischen Parlament nach 26 Abs. 3 EuWG, die Prüfung von Volksentscheiden und Volksbegehren nach 24 Abs. 5 S. 3 G zur Ausführung von Art. 29 Abs. 6 GG, die Überprüfung der Einsetzung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nach 13 Nr. 11a BVerfGG oder Verfahren über die Versetzung von Richtern des BVerfG in den Ruhestand nach 105 BVerfGG. 6 Hierbei handelt es sich um Verfahrensarten, die Problemkreise betreffen, die das GG als solche nicht regelt. Auf der Grundlage des Art. 93 Abs. 3 GG wurden jedoch auch Verfahren an das BVerfG überwiesen, die eine gewisse Nähe zu bestehenden Verfahren aufwiesen. Dies betrifft die Feststellung einer Ersatzorganisation einer verbotenen Partei nach 33 Abs. 2 PartG, welche eine Modifikation des allgemeinen Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG, 33 Abs. 1 PartG ist. Allerdings besteht die einzige Modifikation darin, dass die verbotene Ersatzorganisation bereits vor dem Verbot der ursprünglichen Partei bestanden hat und keine Nachfolgeorganisation im engeren Sinne ist. 33 Abs. 2 PartG erklärt auf dieses vom ursprünglichen Verbotsverfahren getrennte Verfahren die Normen der 38, 41, 43, 44 und 46 Abs. 3 BVerfGG und 32 PartG für anwendbar. Hieraus folgt, dass Art. 93 Abs. 3 GG auch genutzt wurde (und werden kann), um im GG bereits angelegte Verfahren zu erweitern oder zu ergänzen. 5 Sachs-Sturm/Detterbeck, GG, 6. Aufl. Art. 93 Rn Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG Kommentar (12.A), Art. 93, Rn. 215 a. E. 2
3 Soweit ersichtlich wurde Art. 93 Abs. 3 GG jedoch noch nicht genutzt, um die im GG festgelegten Zulässigkeitsvoraussetzungen bestehender Verfahrensarten zu modifizieren. Indes spricht der Wortlaut des Art. 93 Abs. 3 GG nicht gegen eine solche Möglichkeit. Der Begriff Fall ist sprachlich offen. Er erfasst im allgemeinen Sprachgebrauch eine sich in einer bestimmten Weise darstellende Angelegenheit, Sache, Erscheinung. 7 Als Synonyme gelten u.a. Frage, Phänomen, Problem, Sachverhalt, Begebenheit sowie umgangssprachlich auch Geschichte. 8 Im GG wird der Begriff Fälle an verschiedenen Stellen genutzt und bezieht sich sowohl auf rechtlich geregelte Situationen (z. B. in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz, Art. 93 Abs. 2 GG) als auch auf tatsächliche Situationen (z. B. in Fällen von besonderer Bedeutung, Art. 35 Abs. 1 GG; in Fällen überregionaler Bedeutung, Art. 91b Abs. 1 GG; Fällen der Dringlichkeit, Art. 120a Abs. 1 GG). Hieraus kann geschlossen werden, dass das GG den Begriff Fälle eher weit und unspezifisch verwendet. Eine Verwendung des Begriffs, die mit der in Art. 93 Abs. 3 GG genutzten Formulierung vergleichbar ist, findet sich in Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG. Danach bestimmt ein Gesetz, in welchen Fällen die Entscheidungen des BVerfG Gesetzeskraft haben. Die entsprechende gesetzliche Regelung in 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG spricht von den Fällen des 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 BVerfGG. In diesem Kontext ist aber zu beachten, dass das BVerfGG den Begriff Fall nicht mit verfassungsgerichtlicher Verfahrensart gleichsetzt, denn es spricht auch von den Fällen des 13 Nr. 8a ( 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, Unterstreichung vom Verf.). Damit bezieht sich der Begriff Fälle in der Verwendung durch das BVerfGG auch auf das jeweilige konkrete Verfahren und nicht nur auf die Verfahrensart im Allgemeinen. Versteht man das BVerfGG als weiteren Kontext und Konkretisierung des Art. 93 GG, folgt hieraus, dass eine Gleichsetzung von Fällen mit Verfahrensarten in Art. 93 Abs. 3 GG nicht zwingend ist. Insgesamt lässt sich jedenfalls feststellen, dass sich aus dem Wortlaut und Kontext der Formulierung in den sonst zugewiesenen Fällen in Art. 93 Abs. 3 GG kein so klar bestimmbaren Inhalt ableiten lässt, dass die Erweiterung der Antragsbefugnisse einer bestehenden Verfahrensart nicht als sonstiger Fall angesehen werden könnte. 2. Argumentum a maiore ad minus Die Frage, ob eine Erweiterung der Antragsbefugnisse bei einem bestehenden Verfahren auf Art. 93 Abs. 3 GG gestützt werden kann, lässt sich auch mit Hilfe eines erst-recht -Schlusses (argumentum a maiore ad minus) beantworten. Dieser Schluss setzt voraus, dass eine weitreichendere Regelung eine weniger weitreichende mitumfasst, so dass das steigerungsfähige Merkmal die Rechtsfolge begrenzt. Auf diese Weise eröffnet sich die Möglichkeit eines Schlusses von weiterreichenden auf engere Gegebenheiten 9 Da Art. 93 Abs. 3 GG es dem Bundesgesetzgeber gestattet, dem BVerfG gänzlich neue und im GG nicht vorgesehene Fälle zuzuweisen, muss ihm auch gestattet sein, die Zugangsvoraussetzungen zu bestehenden Verfahren zu erweitern. Die Übertragung einer ganz 7 Duden, Fall, der, 8 Ebenda. 9 Beaucamp/Treder, Methoden und Technik der Rechtsanwendung, 2.Aufl. (2011), S.83, Rn
4 neuen Verfahrensart an das BVerfG dürfte regelmäßig ein Mehr an verfassungsgerichtlichen Zuständigkeiten bedeuten als die Ausdehnung der Antragsbefugnisse bei bestehenden Verfahren. Dies gilt jedenfalls für die hier zu begutachtende Frage der Erweiterung der Antragsberechtigung bei der abstrakten Normenkontrolle, zumal in dem hier zu begutachtenden Umfang. Es kann dem Gesetzgeber nicht verwehrt sein, verfassungsgerichtliche Zuständigkeiten bestehender Verfahren zu erweitern und damit in einem geringeren Umfang auszudehnen als dies bei der Zuweisung gänzlich neuer Verfahren der Fall wäre. Zur Klarstellung sei betont, dass dieser Schluss nur gilt, wenn der Gesetzgeber, die Mindestanforderungen des GG nicht unterschreitet. Art. 93 Abs. 3 GG gestattet dem Gesetzgeber nämlich nur die Übertragung neuer Verfahrensarten an das BVerfG, nicht den Entzug verfassungsrechtlich vorgesehener Verfahren. Entsprechend kann Art. 93 Abs. 3 GG auch nicht herangezogen werden, um die im GG vorgesehenen Antragsberechtigungen bei bestehenden Verfahren zu reduzieren. 3. Grenzen Art. 93 Abs. 3 GG ermöglicht keine grenzenlose Erweiterung der Zuständigkeiten des BVerfG und damit auch keine grenzlose Erweiterung der Antragsberechtigung im Fall der abstrakten Normenkontrolle. Es ist allgemein anerkannt, dass zum einen nur Verfahren übertragen werden dürfen, die verfassungsrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinne betreffen 10 und zum anderen, dass die Funktionsfähigkeit des BVerfG geschützt werden muss. 11 Die erstgenannte Voraussetzung dürfte unstreitig erfüllt sein, da bei der abstrakten Normenkontrolle über Fragen des materiellen Verfassungsrechts entschieden wird. Die zweite Voraussetzung dürfte ebenfalls erfüllt sein: Die Funktionsfähigkeit des BVerfG bleibt gewahrt, wenn sich durch die in Rede stehende Gesetzesänderung die Zahl der zu erwartenden Verfahren nicht signifikant erhöht. Hiervon ist nicht auszugehen. Erfahrungsgemäß geht die Zahl der Normenkontrollverfahren während einer großen Koalition ohnehin zurück. So wurden in den Jahren 2006 bis 2009 nur vier derartige Verfahren angestrengt. Zwischen 2010 und 2012 wurden dagegen schon zehn und zwischen 2003 und 2005 sogar dreizehn abstrakte Normenkontrollverfahren eingeleitet. 12 Damit kann prognostiziert werden, dass sich durch eine Ausdehnung der Antragsberechtigung auf die voraussichtlichen Oppositionsparteien im 18. Deutschen Bundestag die Zahl der Normenkontrollverfahren im Vergleich zu vergangenen Jahren nicht deutlich erhöhen wird, sondern eher sogar trotz einer derartigen Änderung hinter den Eingangszahlen der Vorjahre zurückbleiben wird. III. Entgegensteher Charakter der Regelung des Art. 93 Absatz 1 Nr. 2 GG? Fraglich ist weiter, ob unabhängig von der Interpretation des Art. 93 Abs. 3 GG der Bundesgesetzgeber die Antragsbefugnisse der abstrakten Normenkontrolle jedenfalls deshalb 10 Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG Kommentar, 12.Aufl, Art. 93, Rn. 215; Sachs, GG Kommentar, 6. Aufl., Art. 93 Rn Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl., Art. 93, Rn. 1; Von Münch/Kunig-Meyer, GG, 6. Aufl., Art. 93, Rn BVerfG, Statistik für das Geschäftsjahr 2012, Eingänge nach Verfahrensarten, 4
5 nicht ändern kann, weil die Regelung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG einen abschließenden Charakter hat und damit eine Sperrwirkung gegenüber einfachem Bundesrecht entfaltet. 1. Abschließender Katalog? Dabei ist der Gemeinplatz, dass ein Viertel nicht etwa ein Fünftel bedeutet, nicht entscheidend. Vielmehr ist zu fragen, ob in bestimmten Fällen neben den in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG genannten Antragsberechtigten weitere Personen oder Institutionen zur Beantragung einer abstrakten Normenkontrolle berechtigt werden können. Diese Frage wird in der Literatur soweit ersichtlich nicht vertieft untersucht. Soweit sich die Autoren zur Frage der Ausschließlichkeit überhaupt verhalten, beziehen sie sich überwiegend auf die Erweiterung der Antragsberechtigung durch das BVerfG. So hält Voßkuhle Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG für abschließend, belegt dies aber mit Verweisen auf die Entscheidungen des BVerfG, in denen das Gericht eine Erweiterung der Antragsberechtigung ablehnte. 13 Tatsächlich hat das BVerfG festgestellt, dass sich der Katalog der Antragsberechtigten der abstrakten Normenkontrolle richterrechtlich weder durch Analogie noch durch Auslegung erweitern lässt. 14 Auch Dimroth, der den Katalog ebenfalls für abschließend hält, bezieht sich ebenfalls auf eine Erweiterung durch Auslegung und nicht durch einfaches Bundesgesetz. 15 Lediglich Ipsen stellt ausdrücklich fest, dass der Katalog des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG durch einfaches Gesetz nicht erweiterbar sei, allerdings ohne hierfür eine Begründung oder einen Nachweis zu liefern. 16 Der Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG schließt eine Erweiterung der Antragsberechtigten durch Bundesgesetz indes nicht aus. Ihm lässt sich nämlich nur entnehmen, dass die dort Genannten in jedem Fall antragsbefugt sind. 2. Kontext Vergleicht man die Formulierung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG mit anderen Nummern des gleichen Absatzes, zeigt sich, dass die Frage der Antragsberechtigung unterschiedlich geregelt wird: In einigen Nummern wird diese Frage ganz offen gelassen und damit in das Konkretisierungsermessen des Gesetzgebers gestellt (z. B. Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG). In anderen Nummern wird die Antragsberechtigung geregelt, ist aber ausdrücklich erweiterbar (z. B. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG durch die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans). In wieder anderen Fällen wird die Antragsberechtigung geregelt und erscheint zunächst nicht ausdrücklich erweiterbar. Hierzu zählen Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 2a, 4a, 4b und 4c GG sowie Art. 93 Abs. 2 GG. Vergleicht man diese Nummern untereinander, stellt man fest, dass die 13 Voßkuhle in v.mangoldt/klein/stark, GG, Bd. 3, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Rn In BVerfGE 21, 52 verlangte eine nicht im Bundestag vertretenen Partei die Antragsberechtigung mit dem Argument, dass die abstrakte Normenkontrolle als Oppositionsrecht dahingehend auszulegen sei, dass im Falle, dass eine Opposition im antragsberechtigten Umfang nicht bestünde, auch die politischen Parteien antragsberechtigt sein müssten. Das BVerfG verneint die Zulassung unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut. In BVerfGE 68, 346 wurde die selbständige Antragsberechtigung von acht Bundestagsabgeordneten der Fraktion Die Grünen verneint. Dies ergebe sich daraus, dass Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, 13 Nr. 6, 76 BVerfGG den Kreis der Antragsteller abschließend festlege. 15 Dimroth, ZRP 2006, Ipsen, Staatsrecht I, 24. Aufl., Rn
6 Antragsberechtigung bei den Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a, 4b und 4c GG ein konstitutives Element der Verfahrensart ist. So begründet Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG die Verfassungsbeschwerde, die von jedermann erhoben werden kann. Hierin ist ein Wesensmerkmal der Verfassungsbeschwerde zu sehen. Ähnliches gilt für Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b und 4c GG ( Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden bzw. Beschwerden von Vereinigungen ). Dagegen definieren Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 2a sowie Art. 93 Abs. 2 GG die dort genannten Verfahrensarten nicht über diejenigen, die sie einleiten können. Bemerkenswerterweise enthalten auch nur diese Vorschriften die Formulierung auf Antrag. Damit wird deutlich, dass die Antragsberechtigung jedenfalls kein konstitutives Element der abstrakten Normenkontrolle ist. Dieser Befund wird durch den objektiv-rechtlichen Charakter des Verfahrens 17 unterstützt. Die Antragsberechtigten machen keine Verletzung eigener Rechte geltend, sondern rügen die Verletzung objektiven Verfassungsrechts. 18 Durch die Erweiterung des Kreises der Antragsberechtigten verlöre die abstrakte Normenkontrolle auch nicht ihren Charakter als objektives Überprüfungsverfahren. Auch die ohnehin Antragsberechtigten würden dadurch nicht in subjektiven Rechten beeinträchtigt. 3. Entstehungsgeschichte Das ursprünglich in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG vorgesehene Quorum wurde durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom auf ein Viertel abgesenkt. Das Gesetz beruhte seinerzeit auf einem fraktionsübergreifenden Entwurf, in dessen Zentrum die Umsetzung und Konkretisierung der durch den Vertrag von Lissabon erweiterten Beteiligungsrechte der nationalen Parlamente am EU-Entscheidungsprozess, insbesondere im Rahmen der sog. Subsidiaritätskontrolle standen. 20 Die Absenkung des Quorums in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG wurde mit der Anpassung dieses Quorums an das für die Erhebung der Subsidiaritätsklage vor dem Europäischen Gerichtshof vorgesehene Quorum begründet. 21 Auch aus den weiteren Gesetzesmaterialien lässt sich keine darüber hinausgehende Begründung oder der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers entnehmen, mit diesem Quorum auch eine verfassungsrechtliche Grenze nach unten festzulegen. Vielmehr wurde über diese Frage nicht weiter beraten. 22 In den 16. Deutschen Bundestag waren jedoch bereits zuvor Gesetzesentwürfe und andere Initiativen eingebracht worden, die eine Absenkung des Quorums in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG zum Ziel hatten. 23 Dabei wurde in allen Zusammenhängen darauf verwiesen, dass nur so die Opposition das Instrument der abstrakten Normenkontrolle ausüben kann. Versteht man diese Initiativen als Teil der Gesetzgebungsgeschichte der Absenkung des Quorums in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG kann man folgern, dass hinter der Norm in ihrer aktuellen Fassung der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers steht, der parlamentarischen Opposition auch im Fall einer großer Koalition Antragsrechte einzuräumen. Damit würde eine Ergänzung der 17 Voßkuhle in v.mangoldt/klein/stark, GG, Bd. 3, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Rn Dimroth, ZRP 2006, BGBl. I, BT-Drs. 16/8488 v , Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 21 BT-Drs. 16/8488, S. 4 f. 22 BT-Drs. 16/8912 v , Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss). 23 BT.Drs. 16/126 v (FDP), BT-Drs. 16/581 v (BÜNDNIS 90/GRÜNE), BT-Drs. 16/4119 v (LINKE). 6
7 Antragsberechtigung durch einfaches Recht auch nicht dem Willen des Verfassungsgesetzgebers zuwider laufen, sondern ihm entsprechen. 4. Ziel und Zweck Mit einer Ergänzung der Antragsberechtigung bei der abstrakten Normenkontrolle durch einfaches Bundesgesetz würde auch nicht gegen Ziel und Zweck des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG verstoßen. Vielmehr würde eine derartige Erweiterung sogar gerade dem Ziel des Schutzes der parlamentarischen Minderheit entsprechen. So wie Regierung und Parlamentsmehrheit als natürliche Antragsgegner der abstrakten Normenkontrolle gesehen werden 24, so kann man in der jeweiligen parlamentarischen Opposition die natürlichen Antragsteller der abstrakten Normenkontrolle sehen. 25 Ein Gesetz, mit dem die Antragsberechtigung erweiterte würde, würde somit im Fall einer großen Koalition der parlamentarischen Opposition im Bundestag als der natürlichen Antragstellerin einer abstrakten Normenkontrolle dieses Recht einzuräumen. IV. Ergebnis Wortlaut, Kontext, Ziel und Entstehungsgeschichte der Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 93 Abs. 3 GG stehen einer Erweiterung der Antragsberechtigung bei der abstrakten Normenkontrolle durch einfaches Bundesgesetz nicht entgegen. Erlangen, den Dimroth, ZRP 2006, Anders wohl Schwarz, Unkontrollierbare Regierung Die Rechte der Opposition bei der Bildung einer Großen Koalition im Deutschen Bundestag, ZRP 2013, 28, der die derzeitige Konstellation als Ausdruck des Wählerwillens ansieht, die nicht korrigiert werden sollte. 7
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