Übung im Öffentlichen Recht für Anfängerinnen und Anfänger. Lösung Besprechungsfall 1
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- Rüdiger Böhme
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1 Prof. Dr. Alexander Proelß WS 2007/2008 Übung im Öffentlichen Recht für Anfängerinnen und Anfänger Lösung Besprechungsfall 1 Aufgabe 1: A kann sich mit Erfolg gegen den Beschluss des Bundestages wehren, wenn ein verfassungsgerichtliches Verfahren zulässig und begründet ist (Fallfrage: Aussicht auf Erfolg verlangt immer die Prüfung beider Ebenen). A. Zulässigkeit A könnte sich vorliegend im Wege eines Organstreitverfahrens gegen den Beschluss des Bundestages wehren. Ein Organstreitverfahren müsste dazu zulässig sein. 1. Rechtsweg Der Rechtsweg zum BVerfG ist eröffnet, da das Bundesverfassungsgericht für Organstreitverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.v.m 13 Nr. 5 BVerfGG zuständig ist. 2. Streitgegenstand Gemäß 64 Abs. 1 BVerfGG ist zulässiger Streitgegenstand eines Organstreitverfahrens jede rechtserhebliche (nicht ausdrücklich in 64 Abs. 1 BVerfGG genannt) Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners. Ausweislich des Sachverhaltes ist Streitgegenstand des vorliegenden Falles die Frage, ob eine Beschränkung der Redezeit von Abgeordneten des Bundestages in personeller Hinsicht einerseits und in zeitlicher Hinsicht andererseits zulässig ist. Diese Frage ist rechtserheblich, denn sie verletzt möglicherweise die sich aus Art. 38 GG ergebenden Rechte der Bundestagsabgeordneten. Demnach liegt ein zulässiger Streitgegenstand vor. 3. Parteifähigkeit A müsste ein zulässiger Antragsteller eines Organstreitverfahrens sein, was sich nach 63 BVerfGG beurteilt. Hiernach könnte der Bundestagsabgeordnete A ein mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des obersten Bundesorgans Bundestag i.s.v. 63 BVerfGG sein. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG gewährt jedem Bundestagsabgeordneten bestimmte, im einzelnen noch zu konkretisierende Rechte. Bundestagsabgeordnete, mithin auch der A, sind daher zulässige Antragsteller eines Organstreitverfahrens (siehe dazu etwa BVerfGE 2, 143 [166], 62, 1 [32]). Als oberstes Bundesorgan ist der Bundestag, wie im Übrigen ausdrücklich von 63
2 BVerfGG bestimmt, zulässiger Antragsgegner. Die Parteien des vorliegenden Falles sind daher parteifähig. 4. Antragsbefugnis A müsste des Weiteren antragsbefugt sein. Das wäre gemäß 64 Abs. 1 BVerfGG der Fall, wenn er geltend machen könnte, in seinen ihm durch das GG übertragenen Rechten und Pflichten als Organ verletzt worden zu sein. Eine Rechtsverletzung des A darf demnach nicht offenkundig ausgeschlossen sein darf (Möglichkeitstheorie). A macht geltend, er dürfe bei der Bundestagsdebatte weder als Redner übergangen noch in seiner Redezeit zeitlich beschränkt werden; insofern beruft er sich auf ein Rederecht. Ein Rederecht von Bundestagsabgeordneten ist zwar weder in Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG noch in anderen Vorschriften des GG ausdrücklich genannt. Sein Bestand ergibt sich aber zwingend aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG i.v.m. Art. 42 Abs. 1 GG. Andernfalls könnten die Abgeordneten des Bundestages ihre Aufgabe als Vertreter des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) nicht wahrnehmen. Demzufolge gehört das Rederecht zu den parlamentarischen Rechten der Abgeordneten. Angesichts der per Beschluss angeordneten Redezeitverkürzung und personellen Redebeschränkung ist eine Verletzung der sich aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ergebenden Rechte des A jedenfalls nicht offenkundig ausgeschlossen. Darum ist A antragsbefugt. 5. Rechtsschutzbedürfnis Es sind keine Anhaltpunkte dafür erkennbar, dass A nicht rechtsschutzbedürftig ist. 6. Form und Frist Von der Wahrung der Form- und Fristerfordernisse des 64 Abs. 2 und 3 BVerfGG ist auszugehen. Zwischenergebnis: Ein Organstreitverfahren ist zulässig. B. Begründetheit Das zulässige Organstreitverfahren ist begründet, wenn A durch den Beschluss des Bundestages in seinen aus dem Grundgesetz folgenden Rechten verletzt wurde. In diesem Sinne könnte der Beschluss des Bundestages gegen das Rederecht sowie die Repräsentationsfunktion des A verstoßen. 1. Bestand der Rechte des A a. Bestand eines Rederechts Wie bereits im Rahmen der Antragsbefugnis dargelegt, verfügt jeder Abgeordnete im Hinblick auf die ihm durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben über ein Rederecht, das aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG folgt. Ein solches Rederecht existiert auch für Abgeordnete mit 2
3 als eigenwillig eingestuften Ansichten. A ist als Bundestagsabgeordneter Inhaber eines Rederechts. b. Repräsentationsfunktion des A A macht des Weiteren geltend, er schulde es seinen Wählern, sich zu politisch bedeutsamen Fragen zu äußern. Nach dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG sind die Abgeordneten allerdings Vertreter des ganzen Volkes. Aus der Verwendung des Plurals folgt, dass nicht der einzelne Abgeordnete bereits Vertreter des ganzen Volkes ist, sondern erst die Gesamtheit der Abgeordneten das Volk als Ganzes vertritt. Die Abgeordneten sind insofern nicht Vertreter partikulärer Gruppen und ebenfalls nicht der Bürger ihres Wahlkreises oder gar ihrer Wähler. Daher schuldet A seinen Wählern entgegen seiner Einlassung nichts. 2. Rechtsverletzung durch den Beschluss a. Personelle Einschränkung Die Einschränkung, dass bei der Debatte nur ein Abgeordneter pro Fraktion sprechen darf, könnte gegen das Rederecht des A verstoßen, da es ihm verwehrt wird, in der Debatte das Wort zu ergreifen. Mit Bezug auf das Rederecht als auch auf sonstige Rechte der Abgeordneten ist indes festzustellen, dass diese Rechte ihrerseits durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden (keine absolute Rechtsinhaberschaft). Diesbezüglich ist vorliegend an den Grundsatz der Funktionsfähigkeit des Parlaments zu denken. Denn würde die Grundsatzdebatte über den Sinn militärischer Friedenseinsätze zu diesem Zeitpunkt zeitlich nicht begrenzt, könnte daraus die außenpolitische Handlungsunfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland folgen (Grundsatzdebatten können eben auch zu einem anderen Zeitpunkt geführt werden). Kein Sachthema könnte durch Rednerbeiträge sämtlicher Mitglieder des Bundestages effektiv zur Entscheidung aufbereitet werden. Grenze der zulässigen Beschränkung ist das Verbot der missbräuchlichen Verteilung des Rederechts (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz). Gegen einen Missbrauch lässt sich hier aber schon der Umstand anführen, dass bei der Debatte ein Abgeordneter jeder Fraktion sprechen darf. Ein Verstoß gegen das Rederecht ist daher abzulehnen. Der Beschluss des Bundestages in Ausformung der personellen Beschränkung ist somit verfassungsgemäß. b. Beschränkung der Redezeit auf jeweils zehn Minuten Trotz grundsätzlich bestehenden Rederechts ergibt sich aus Art. 39 Abs. 3 S. 1 GG, dass der Bundestag Beginn und Ende der Sitzungen und auch Debatten zu einzelnen Punkten selbst festlegen kann. Dies kann, wie sich 35 Abs. 1 GO BT als Konkretisierung von Art. 39 GG entnehmen lässt, auch eine Festlegung der Redezeit beinhalten ( Gestaltung der Aussprache ) und sogar im Vorhinein geschehen. Ebenso wenig wie die personelle Redebegrenzung darf die Redezeitbegrenzung jedoch missbräuchlich gehandhabt werden (Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als verfassungsrechtliche Schranken Schranke); denn alle Abgeordneten des Bundestages verfügen grundsätzlich über die gleichen Mitgliedschaftsrechte. Für eine missbräuchliche 3
4 Begrenzung des Rederechts sind vorliegend aber keine Anhaltspunkte erkennbar. Der Umstand, dass der Beschluss mit den Stimmen der Regierungsfraktionen getroffen wurde, reicht hierfür nicht aus, sondern ist Ausdruck der ganz alltäglichen Abstimmungsmodalitäten. Weiterhin ist nicht ersichtlich, dass die Redezeitverkürzung ausschließlich oder insbesondere auf Kosten der Oppositionsfraktionen rechnen soll, da eine Redezeitbegrenzung auf jeweils zehn Minuten beschlossen wurde. Auch die Begrenzung der Redezeit auf jeweils zehn Minuten war daher verfassungsgemäß. Nach alledem wurde A durch den Beschluss des Bundestages nicht in seinen durch die Verfassung übertragenen Rechten verletzt. Das Organstreitverfahren ist daher unbegründet. Ergebnis zu Aufgabe 1: Mangels Begründetheit hätte das Organstreitverfahren keine Aussicht auf Erfolg. Aufgabe 2: Das Verhalten des F ist mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn sich die Androhung eines Strafgeldes sowie des Fraktionsausschlusses gegenüber B als verfassungsgemäß darstellt. 1. Strafgeldandrohung Die Androhung eines Strafgeldes für den Fall eines Bruches der Fraktionsdisziplin ist nur dann mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn sie auf einer verfassungsmäßigen Grundlage beruht. Als Grundlage für die Strafgeldandrohung kommt die entsprechende Regel der Parteisatzung in Betracht. Mangels näherer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Regel erfüllt sind. Allerdings wäre sie gemäß 134 BGB (privatrechtliche Vereinbarung!) im Falle einer Verletzung des GG nichtig. Zu denken ist hier an eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG. Die Vorschrift ist nicht nur Grundlage einzelner Rechte und Pflichten der Abgeordneten, sondern normiert den Grundsatz des freien und unentziehbaren Mandates. Angesichts dessen kann der hier relevante Fall der Fraktionsdisziplin nur politisch, nicht hingegen rechtlich binden. Politische Sanktionen wie etwa die Androhung eines Strafgeldes sind daher zulässig und stehen grundsätzlich im Ermessen der Partei bzw. Fraktion, so lange sie nicht den Rahmen der Verhältnismäßigkeit überschreiten und insofern einer rechtlichen Bindung gleichkommen. Andernfalls ließe sich das hinter dem Zusammenschluss als Fraktion stehende Bedürfnis nach einem möglichst geschlossenen Auftreten im Bundestag nicht gewährleisten. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Androhung und im Ernstfall Verhängung eines Strafgeldes als noch verhältnismäßig, da kein milderes Mittel der Abstimmungsdisziplin ersichtlich ist. Die entsprechende Regel der Parteisatzung ist mithin gültig, die Androhung eines Strafgeldes durch F gegenüber B verfassungsgemäß. 2. Androhung des Fraktionsausschlusses Gleiches gilt grundsätzlich für den Fraktionsausschluss. Als politische Sanktion ist er weitgehend der politischen Opportunität überlassen. Wiederum sind freilich die 4
5 verfassungsrechtlichen Grenzen zu beachten. Im Hinblick auf den Grundsatz des freien und unentziehbaren Mandates erscheint es bei besonders einschneidenden Sanktionen wie dem Fraktionsausschluss geboten, Gründe von erheblichem Gewicht für den Ausschluss zu fordern. Ob ein einmaliges Ausscheren aus der Abstimmungsdisziplin ausreichend ist, erscheint fraglich. Insbesondere der Umstand, dass es sich bei den Fraktionen um die wesentlichen Arbeitsgremien des Bundestages handelt, spricht ebenso wie die politische Bedeutung der anstehenden Grundsatzdebatte gegen die Verhältnismäßigkeit eines Fraktionsausschlusses. Mit Blick auf die Androhung des Fraktionsausschlusses war das Verhalten von F daher nicht mit dem GG vereinbar. 5
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