Sozialpolitik per Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung Ursachen und Folgen. PD Dr. Thilo Fehmel
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- Gert Heinrich
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1 Sozialpolitik per Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung Ursachen und Folgen PD Dr. Thilo Fehmel Soziale Ungleichheiten: Was tun gegen die Spaltung der Gesellschaft? WSI Herbstforum 2015, Berlin, 26. und 27. November 2015
2 Ausgangspunkt: Entstaatlichung sozialer Sicherung Wandel staatlicher Verantwortung im Bereich sozialer Sicherung: weg von Erfüllensverantwortung hin zu Gewährleistungsverantwortung Erscheinungsformen des Verantwortungswandels z.b.: Privatisierung sozialer Sicherung Vermarktlichung sozialer Sicherung Vertariflichung und Verbetrieblichung sozialer Sicherung
3 Bedeutungszunahme von Tarifsozialpolitik zunehmende Vertariflichung sozialer Sicherung als Überantwortung der Wohlfahrtsproduktion an die Tarifvertragsparteien Neu: Tarifsozialpolitik vermehrt substitutiv statt komplementär zu sozialstaatlichen Leistungen: Vertariflichung = Entstaatlichung
4 Verhältnis von staatlicher und tariflicher Sozialpolitik Sozialpolitik ermöglicht / flankiert funktionale Differenzierung: ökonomisches System: Effizienz und Rentabilität System sozialer Sicherung: Sicherheit und Gerechtigkeit substitutive Tarifsozialpolitik = funktionale Entdifferenzierung: Re-Integration der Konflikt- und Verteilungsarenen Arbeitsmarkt und Sozialpolitik Folge: neue Aushandlungs- und Konfliktkonstellationen innerhalb des ökonomischen Systems
5 Folgen der Bedeutungszunahme von Tarifsozialpolitik Vertariflichung sozialer Sicherung: Ausweitung des tarifpolitischen Themenspektrums und Bedeutungsverschiebung innerhalb des Themenkatalogs aber: keine Verschärfung der Verteilungskonflikte zwischen Arbeit und Kapital, sondern Volumen-Dilemma (a) und Re-Strukturierung der Umverteilungs- und Solidaritätsbeziehungen innerhalb des Arbeitnehmerlagers (b)
6 (a) Volumen-Dilemma im Kontext von Tarifsozialpolitik Tarifeinigung oft als Paketlösung, d.h. als aus mehreren Komponenten zusammensetzte Tarifeinigung und als a priori-festsetzung des Gesamtverteilungsvolumens (zb 5%) nach Festsetzung des Gesamtverteilungsvolumens: Aufteilung der Einzelkomponenten auf das Gesamtvolumen Gesamtverteilungsvolumen 5,00% 5,00% - Entgelterhöhung 4,00% 2,75% - Weiterbildung 0,25% 0,25% - Azubi-Übernahme 0,25% 0,25% - Altersteilzeit 0,50% 0,75% - Demographie-Fonds 0,50% - tarifliche Altersvorsorge 0,50%
7 (a) Volumen-Dilemma im Kontext von Tarifsozialpolitik unterschiedliche Bedürfnisse und Präferenzen der AN Interessenheterogenität steigt Wahrscheinlichkeit von Interessenkollisionen steigt, z.b.: Akteursgruppen Bedürfnis tarifpol. Interesse Bezieher niedriger / Bezieher mittlerer / ältere vs. mittlerer Einkommen hoher Einkommen Beschäftigte vs. Konsum- Spar- Reduzierung der Präferenz Präferenz Arbeitsbelastungen Entgelt- tav/bav- Entlastungsmaßn. / Erhöhung Erhöhung flexibler Ausstieg jüngere Beschäftigte Einkommenszuwachs (Konsum/Vorsorge) Entgelt-Erhöhung tav/bav-erhöhung Zeithorizont kurz lang kurz kurz/lang Reichweite d. Regelung begrenzt groß
8 (b) Spaltung und Entsolidarisierung im Kontext von Tarifsozialpolitik Elemente von Solidarität - Gleichartigkeit von Interessen und Bedürfnissen - Zusammengehörigkeit, Verbundenheit, Gruppenidentität - Umverteilungsbereitschaft innerhalb der Gruppe Solidarverhalten als - reziproke Umverteilungsbereitschaft - spezifische Form der individuellen Interessenverfolgung - eigennütziges Handeln mit langem Zeithorizont
9 (b) Spaltung und Entsolidarisierung im Kontext von Tarifsozialpolitik Entsolidarisierung als - Infragestellung des Prinzips der reziproken Umverteilung - Umschalten auf kurzfristige Interessenverfolgung mögliche Folgen: - individualisierte Interessenverfolgung oder - Re-Definition von Gruppenzugehörigkeit entlang re-definierter gemeinsamer Interessen Ergebnis: - die Vertariflichung sozialer Sicherung erhöht die Relevanz von Interessenunterschieden, - das begünstigt Spaltungs- und Entsolidarisierungsprozesse
10 Schlußfolgerungen Empirische Befunde: in Tarif- und Betriebsverhandlungen - Dominanz von Entgelt- und Arbeitszeitfragen und - in der Regel Zurückstellung sozialpolitischer Themen Verteilungspolitische Konsequenz: - Bedeutungszunahme einzelbetrieblicher Bedingungen und - Bedeutungszunahme individueller Ressourcen der Beschäftigten
11 Schlußfolgerungen Im Ergebnis führt die Vertariflichung sozialer Sicherung zu zunehmend ungleich verteilten Chancen der Beschäftigten auf den Zugang zu sozialer Absicherung, dadurch zu zunehmend ungleichen nicht-staatlichen Sozialleistungen selbst, dadurch à la longue zu einem Anstieg der (sozialstaatlich relevanten) sozialen Ungleichheit Gewährleistungsverantwortung des Staates (?)
12 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! PD Dr. Thilo Fehmel Universität Bamberg Fachgruppe Soziologie, Professur für Arbeitswissenschaft
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