Maßgeblichkeitsprinzip und grundsåtzliche Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz*
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- Joachim Bäcker
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1 Maßgeblichkeitsprinzip und grundsåtzliche Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz* O Sachverhalt H und W sind Gesellschafter einer OHG, die einen Großhandel mit Motorrad-Ersatzteilen betreibt. Jedes Geschäftsjahr schließen sie mit einer Handelsbilanz und einer Steuerbilanz ab. Bei einer Betriebsprüfung stellt der Betriebsprüfer u. a. Folgendes fest: a) Ein zu Wohnzwecken vermietetes Wohngebäude, am , mehrere Jahre nach Fertigstellung, zum Preis von Euro angeschafft, schreiben die beiden Gesellschafter bei einer geschätzten tatsächlichen Lebensdauer von 80 Jahren sowohl in der Handelsals auch in der Steuerbilanz jährlich mit 1,25 % ab. b) Die OHG hat am einen Konkurrenzbetrieb aufgekauft und dabei für den Firmenwert Euro bezahlt. Den Firmenwert schreiben die Gesellschafter in der Handels- und in der Steuerbilanz auf zehn Jahre mit jeweils Euro jährlich ab. Dieser Zeitraum entspricht der voraussichtlichen betrieblichen Nutzungsdauer. c) Aus optischen Gründen schreiben sie in den Handelsbilanzen die geringwertigen Wirtschaftsgüter (GWG) normal auf die tatsächliche Nutzungsdauer ab, während sie in den Steuerbilanzen vom Wahlrecht des 6 Abs. 2 EStG Gebrauch machen. So haben sie z. B. eine am für 400 Euro (ohne USt) angeschaffte Schreibmaschine in der Handelsbilanz zum noch mit 300 Euro ausgewiesen, während sie in der Steuerbilanz zum nicht mehr erfasst ist. d) Aus Versehen ist ein am für 400 Euro (ohne USt) angeschaffter Kleincomputer in der Handelsbilanz zum nicht mehr ausgewiesen, während er in der Steuerbilanz zum noch mit 300 Euro zu Buche steht. e) Ein Geschenk an einen Geschäftsfreund mit einem Anschaffungswert von 50 Euro ist sowohl in der handelsrechtlichen als auch in der steuerlichen Gewinn-und-Verlust-Rechnung (GuV) als Betriebsausgabe abgezogen. O Frage 1. Ist die Handelsbilanz mit der Steuerbilanz identisch? 2. Ist der Begriff Handelsbilanzgewinn mit dem steuerlichen Gewinn identisch? * Dieser Fall ist eine Vorabveræffentlichung aus dem Band Praxisfålle Bilanzsteuerrecht, der in der 13. Auflage Mitte 2011 erscheinen wird (Nåheres dazu unter
2 3. Was versteht man unter dem Maßgeblichkeitsprinzip der Handelsbilanz für die Steuerbilanz? Gibt es auch ein umgekehrtes Maßgeblichkeitsprinzip? 4. Sind die Wertansätze in den Sachverhalten a) bis e) in den jeweiligen Handels- und Steuerbilanzen zureffend? O Antwort 1. Die Handelsbilanz ist mit der Steuerbilanz nicht identisch. 2. Der Begriff Handelsbilanzgewinn hat mit dem steuerlichen Gewinn wenig gemeinsam, während der Begriff Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag sich mit dem steuerlichen Gewinn vergleichen lässt. 3. Vom Maßgeblichkeitsprinzip der Handelsbilanz für die Steuerbilanz spricht man, wenn die Wertansätze der Handelsbilanz für die Steuerbilanz bindend sind. Für Geschäftsjahre ab dem gibt es das umgekehrte Maßgeblichkeitsprinzip nicht mehr. Vom umgekehrten Maßgeblichkeitsprinzip sprach man, wenn Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte in der Handelsbilanz nach steuerlichen Gesichtspunkten ausgeübt wurden. 4. In der Handelsbilanz sind die Wertansätze mit Ausnahme der Alternative d) richtig, in der Steuerbilanz sind die Wertansätze in den Alternativen a), b) und e) falsch, ansonsten, also bei c) und d), zutreffend. Der Betriebsprüfer wird daher in der Steuerbilanz das Grundstück a) und den Firmenwert b) berichtigen. Außerdem wird er in der steuerlichen GuV oder außerhalb der Buchführung das gem. 4 Abs. 5 EStG nichtabzugsfähige Geschenk e) gewinnerhöhend berücksichtigen. O Begründung Zu 1: Die Handelsbilanz stellt das Vermögen und die Schulden nach bürgerlich-rechtlichen, insbesondere handelsrechtlichen Vorschriften bzw. Grundsätzen zu einem bestimmten Stichtag dar, während die Steuerbilanz nach steuerlichen Vorschriften ausgerichtet ist. Gesetzliche Grundlage für die Handelsbilanz sind die 242 ff. i. V. m. den 264 ff. HGB. Die Handelsbilanz wird unter Berücksichtigung der handelsrechtlichen Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften sowie der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, die sich heute im Wesentlichen aus den erwähnten Vorschriften des HGB ergeben, erstellt. Privatvermögen wird in den Handelsbilanzen heute nicht mehr erfasst. Hauptzielrichtung ist bei der Erstellung der Handelsbilanz der Schutz der Gläubiger. Die Steuerbilanz ist aus der Handelsbilanz abgeleitet, sie ist eine aufgrund steuerlicher Vorschriften korrigierte Handelsbilanz. Gesetzliche Grundlagen sind im Wesentlichen die 4 bis 7 EStG. Die Steuerbilanz
3 dient primär der Ermittlung des steuerlichen Gewinns, ihre Zielrichtung ist daher anders als die der Handelsbilanz. Zu 2: Das Handelsrecht unterscheidet zwischen dem Jahresüberschuss/ Jahresfehlbetrag und dem Handelsbilanzgewinn. Während der Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag handelsrechtlich den erwirtschafteten Nettoertrag des Unternehmens darstellt (vgl. 275 Abs. 2 Nr. 20 und Abs. 3 Nr. 19 HGB sowie 266 Abs. 3 A. V. HGB), ist der Handelsbilanzgewinn der Betrag, der zur Verteilung unter den Gesellschaftern bereitsteht. Beim Einzelkaufmann gibt es den Begriff Handelsbilanzgewinn nicht (vgl. 242 und 275 Abs. 4 HGB allgemein; 120 HGB für OHG und KG; 231 HGB für die stille Beteiligung; 174 AktG für die AG und 29 GmbHG für die GmbH). Der steuerliche Gewinn ist der Ertrag des Unternehmens unter steuerlichen Gesichtspunkten ( 4 Abs. 1 EStG) und soweit überhaupt vergleichbar, dann nicht mit dem Handelsbilanzgewinn, sondern mit dem Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag. Zu 3: Steuerpflichtige, die ihren steuerlichen Gewinn nach 5 EStG ermitteln, haben grundsätzlich in der Steuerbilanz das Betriebsvermögen mit den Werten anzusetzen, die nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung in der Handelsbilanz ausgewiesen sind. Dies bedeutet, dass in allen Fällen, in denen für den Ansatz eines Bilanzpostens und seiner Bewertung keine eigenen steuerlichen Regeln existieren, die handelsrechtlichen Ansätze, auch hinsichtlich des Wertansatzes, für die steuerliche Gewinnermittlung gelten und in einer Steuerbilanz anzusetzen sind. Daraus ergibt sich eine Bindung der Steuerbilanz an die Handelsbilanz. Man spricht von der Steuerbilanz als einer abgeleiteten Handelsbilanz oder vom Maßgeblichkeitsgrundsatz oder -prinzip der Handelsbilanz für die Steuerbilanz. Die handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätze in Form von Geboten, Verboten oder Wahlrechten sind daher für die steuerliche Bilanz grundsätzlich zwingend. Dies gilt auch dann, wenn nur eine Steuerbilanz erstellt wird, die gleichzeitig Handelsbilanz ist. Ist die Handelsbilanz allerdings falsch, kann sie insoweit auch keine Bindungswirkung für die Steuerbilanz entfalten. Das Steuerrecht kennt wie ausgeführt eigene Gebote und Verbote, d. h. vom Handelsrecht abweichende Regelungen. Dieser Grundsatz wird als Bewertungsvorbehalt bezeichnet. Insoweit wird das Maßgeblichkeitsprinzip durchbrochen ( 5 Abs. 6 EStG). Lange Jahre galt auch der umgekehrte Maßgeblichkeitsgrundsatz des 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a. F.; dieser wurde durch das BilMoG 1 abgeschafft. Das neue Recht gilt grundsätzlich für Geschäftsjahre ab dem (Art. 66 Abs. 3 EGHGB). Von einer Umkehrung des Maßgeblichkeits- 1 Vom (BGBl 2009 I S. 1102).
4 grundsatzes sprach man, wenn Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte in der Handelsbilanz nach steuerlichen Gesichtspunkten ausgeübt wurden. Dies war dann der Fall, wenn z. B. eine steuerliche Begünstigungsvorschrift wie 6b EStG gem. 254 HGB a. F. nur deswegen in der Handelsbilanz in Anspruch genommen wurde, um Steuern zu sparen. Ab können somit steuerliche Wahlrechte in der Steuerbilanz unabhängig vom Bilanzansatz in der Handelsbilanz in Anspruch genommen werden. Zu 4: Wendet man diese Grundsätze auf die einzelnen Sachverhalte an, ist wie folgt vorzugehen: Ist der Wertansatz in der Handelsbilanz falsch, ist er zunächst zu berichtigen. Ist der Wertansatz in der Handelsbilanz richtig oder berichtigt, ist er in die Steuerbilanz zu übernehmen, es sei denn, eine zwingende steuerliche Vorschrift, steuerliche Wahlrechte oder steuerliche Rechtsprechungsgrundsätze stehen dem entgegen. a) Die OHG hat das Mietwohngrundstück in der Handelsbilanz mit 1,25 % jährlich abgeschrieben. Dies ist im Handelsrecht zulässig, da die Abschreibung auf die tatsächliche Lebensdauer eigentlich der Normalfall ist ( 253 Abs. 3 HGB). Damit ist der Ansatz in der Handelsbilanz richtig. Das Steuerrecht lässt als längste Nutzungsdauer bei Gebäuden nur eine Abschreibung auf 50 Jahre zu. Im vorliegenden Fall ist das Gebäude, weil es Wohnzwecken dient, gem. 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zwingend mit 2 % abzuschreiben. Dabei wird unterstellt, dass das Gebäude nicht vor dem fertiggestellt worden ist (vgl. 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG). Eine höhere Abschreibung gem. 7 Abs. 5 EStG ist, da mehrere Jahre nach Fertigstellung angeschafft, nicht möglich. Damit ist das Maßgeblichkeitsprinzip durchbrochen ( 5 Abs. 6 EStG, Bewertungsvorbehalt). Wenn die OHG den Ansatz in der Handelsbilanz nicht entsprechend der Steuerbilanz ändert, was möglich wäre, muss sie weiterhin zwei Bilanzen erstellen. Der Betriebsprüfer wird daher die Steuerbilanz berichtigen. b) In der Handelsbilanz muss der entgeltlich erworbene Firmenwert gem. 246 Abs. 1 Satz 4 HGB aktiviert werden. Gemäß 253 Abs. 3 HGB ist er auf die Zeit der voraussichtlichen Nutzung abzuschreiben. Die Abschreibung auf zehn Jahre ist daher in der Handelsbilanz zulässig, d. h., die jeweiligen Wertansätze sind richtig. In der Steuerbilanz muss der entgeltlich erworbene Firmenwert auch bilanziert werden ( 5 Abs. 2 EStG). Gemäß 7 Abs. 1 Satz 3 EStG ist er auf einen Zeitraum von 15 Jahren abzuschreiben. Diese Vorschriften sind zwingend. Das Maßgeblichkeitsprinzip ist auch in diesem Fall durchbrochen.
5 c) Die GWGs in der Handelsbilanz auf ihre tatsächliche Nutzungsdauer abzuschreiben, ist zulässig ( 253 Abs. 3 HGB). Damit ist der Wertansatz in der Handelsbilanz richtig. In der Steuerbilanz ist die Sofort-Abschreibung nicht zwingend. 6 Abs. 2 EStG ist eine Kann-Vorschrift, d. h., es besteht ein Wahlrecht. Dieses Wahlrecht kann für Geschäftsjahre ab dem in der Steuerbilanz unabhängig vom Bilanzansatz in der Handelsbilanz in Anspruch genommen werden, d. h., auch die Steuerbilanz ist im vorliegenden Fall richtig. d) Über 254 HGB a. F. ist es in der Handelsbilanz nicht mehr möglich, steuerliche Abschreibungen, wozu auch 6 Abs. 2 EStG gehört, vorzunehmen. Der Ansatz in der Handelsbilanz ist daher falsch. Der Kleincomputer ist in der Handelsbilanz abzuschreiben, z. B. mit einer AfA von 100 Euro im Jahr 05. Den Kleincomputer in der Steuerbilanz nicht sofort, sondern gem. 7 Abs. 1 EStG auf die Nutzungszeit abzuschreiben, ist zulässig. Es hätte die Möglichkeit bestanden, das Wahlrecht gem. 6 Abs. 2 EStG in Anspruch zu nehmen. Dass die OHG es nicht ausübte, spielt keine Rolle. e) Die handelsrechtliche GuV ist richtig. Es liegt eine abzugsfähige Betriebsausgabe vor, wenn aus betrieblichem Anlass ein Geschenk an einen Geschäftsfreund gegeben wird. Ertragsteuerlich liegt ebenfalls eine Betriebsausgabe vor. Diese ist aber aufgrund 4 Abs. 5 Nr. 1 EStG nicht abzugsfähig; die Anschaffungskosten sind höher als 35 Euro. Sie darf den steuerlichen Gewinn nicht mindern. Daraus ergeben sich zwei Folgerungen. Einmal kann man die Grundsätze der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz auch auf die GuV anwenden. Alle z. B. in 4 Abs. 5 EStG erwähnten Betriebsausgaben sind steuerlich nicht oder nicht voll abzugsfähig. Es liegt damit eine Durchbrechung des Maßgeblichkeitsprinzips der handelsrechtlichen GuV für die steuerliche GuV vor. Zum anderen sind und bleiben dies auch steuerlich Betriebsausgaben sie sind nur nicht abzugsfähig, auch wenn in der Praxis bei Einzelbetrieben und Personengesellschaften diese Betriebsausgaben oft über das Entnahmekonto gebucht werden. Systematisch besser ist es, diese nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben in der Buchführung als Betriebsausgaben zu belassen und dann dem steuerlichen Gewinn außerhalb der Buchführung zuzuschlagen. Bei den juristischen Personen, z. B. einer GmbH oder einer AG, ist dies anders überhaupt nicht möglich, weil diese keine Privatkonten führen können. Verfasser: Prof. Reimar Zimmermann, Steuerberater und Rechtsanwalt, Ludwigsburg
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