Wissenswert. Bier Wie der Deutschen liebstes Getränk sich verändert Die Craft-Beer-Bewegung. von Karin Trappe. Sendung:

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1 Hessischer Rundfunk hr-info Redaktion: Heike Ließmann Wissenswert Bier Wie der Deutschen liebstes Getränk sich verändert Die Craft-Beer-Bewegung von Karin Trappe Karin Trappe Sendung: , hr-info Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Seite 1 von 10

2 O-Ton Geräusch Deutschland gilt als das Bierland schlechthin. Mit Bier wird man in Deutschland sozialisiert, für fast jeden Jugendlichen ist Bier das erste alkoholische Getränk. Die Deutschen und das Bier sie gehören einfach zusammen. Doch die Liebe hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Trank im Jahr 1976 im Schnitt jeder Deutsche noch 151 Liter Bier pro Jahr sind es heute, 40 Jahre später, nur noch etwas mehr als 100 Liter. Diesen Rückgang spüren vor allem die großen Brauereien. Ihre Biere würden alle gleich schmecken, heißt es. Es seien Industriebiere, Massenware, oft billig verramscht der Kasten für unter zehn Euro. Was daran stimmt: das mit großem Abstand beliebteste deutsche Bier, das Pils, unterscheidet sich je nach Brauerei geschmacklich kaum. Das heißt aber nicht, dass dieses Bier qualitativ minderwertig ist. Sondern nur, dass die Brauereien eben das brauen, was die meisten mögen. Der Bierkonsum geht in Deutschland zwar kontinuierlich zurück, aber ist das ein Grund zur Klage? Denn eine gegenläufige Entwicklung lässt aufhorchen: Fast monatlich steigt in Deutschland die Zahl der Braustätten. Das liegt an einem Trend, der seit Jahren auch in Deutschland an Fahrt aufnimmt: die Craft-Bier-Bewegung. Diese Entwicklung stammt aus den USA. Craft bedeutet Handwerk, und in den USA war und ist die Craft-Bier-Entwicklung tatsächlich ein

3 Aufbegehren gegen die Großkonzerne gewesen. Überträgt man allerdings die Definition von Craft-Bier, die von produzierten Hektolitern ausgeht, auf deutsche Verhältnisse, so ist jede deutsche Brauerei, selbst die größte, eine Craft-Bier-Brauerei. In Deutschland ist es noch eine kleine Bewegung: sie hat etwas Wildes, fast Rebellisches an sich und dabei doch höchst Fachkundiges: Man will Bier und seine Rohstoffe wieder mehr wertschätzen, Bier wird hier nicht neu erfunden, aber anders gebraut. Man kann es schon hören, wenn Craft-Bier-Brauer ihre Produkte beschreiben: India Pale Ale, hier eine Kombination aus deutschem und amerikanischen Hopfen, deutsche Hallertau mittelfrüh, die Landsorte Hallertau, kombiniert mit dem amerikanischen Zitra, mit den Zitrus-, Grapefruit-, Orangennoten. Dazu Holunderblüte, Aprikose von dem deutschen Hopfen. Pale Ale hat Zitrusaromen, schmeckt ein bisschen nach Grapefruit, das ist ein sehr erfrischendes Bier. Und das IPA, das extrem fruchtig riecht. Also, wenn Sie da die Nase reinhalten, dann haben Sie so Mangoaromen und Zitrusfrüchte. Craft-Bier verbreitete sich in Deutschland zunächst in größeren Städten. Die Szene sieht sich als jung und innovativ, man feilt ständig an neuen Rezepten, probiert neue Hopfensorten und Seite 3 von 10

4 trifft sich auf kleinen Craft-Bier-Messen. Die meisten Craft- Bier-Brauereien sind sehr klein, sogenannte Mikro-Brauereien. Sie brauen nicht mehr als Hektoliter im Jahr, das entspricht ungefähr Bierkästen. In dieser Szene gibt es ganz unterschiedliche Ausprägungen. Zum Beispiel in Frankfurt: Marc Rauschmann war als promovierter Brautechnologe in der Frankfurter Radeberger-Gruppe zuständig für die Rohstoffe, begeisterte sich dann immer mehr für die Craft-Biere und gründete schließlich ein Tochterunternehmen: Braufactum. Dort ist er jetzt Craft-Bier-Brauer und Geschäftsführer: O-Ton Ich liebe Bier und ich liebe die Rohstoffe, und von daher mochte ich auch immer den Hopfen, die Gerste, also nicht angefangen vom Malz, sondern ich reise immer auch zur Ernte in die entsprechenden Gebiete, schau mir die Gerste an und bin unglaublich viel zur Ernte in den Hopfenfeldern, und sich dann auch inspirieren zu lassen, was man mit den Rohstoffen tut, das ist ein Teil von mir, und ich wollte immer schauen, immer gucken, was man Neues mit diesen tollen Rohstoffen machen kann. Und Craft ist Tradition und Innovation, nicht Tradition der Tradition wegen. Craft bedeutet, mit dem Stand der Technik gehen, nämlich alte Rezepte, also hier die Tradition, alte Ideen, alte Rohstoffe, alte Gerstensorten werden wieder angebaut, das zu nehmen, was man auch schon früher mal ausprobiert hat, Seite 4 von 10

5 wo man Erfahrung hat, aber immer mit dem Wissen von heute, in der bestmöglichen Qualität herstellen. Ganz anders ist der Wiesbadener Informatiker Holger Erbe zum Craft-Bier-Brauer geworden. Ihm hat Bier einfach nicht geschmeckt und er hat sich gedacht, dass man es besser machen könnte. Ohne jede biertechnologische Vorbildung hat er sich ans Bierbrauen gemacht, erst zuhause als Hobby, dann hat er immer mehr gelesen, immer mehr gelernt, immer mehr ausprobiert. Und Anfang 2015 schließlich zusammen mit einem Kollegen die Wiesbadener Braumanufaktur gegründet. Aus der Idee raus ist dann entstanden, so, jetzt müssen wir mal ein bisschen mehr Bier brauen. Und wenn man mehr Bier braut, dann muss man es auch verkaufen, weil sonst, so viel kann man nicht trinken, also, wenn man so Liter macht, die schafft man nicht alleine, und dann muss man es verkaufen, und daraus ist die Idee eigentlich entstanden. Das ist eine alte Schlachterei hier, das ist natürlich ideal für Lebensmittelherstellung, geflieste Wände, gefliester Boden, Bodenauslauf, also alles, was wir so brauchen. Das Veterinäramt war auch damit zufrieden, und keine Investition für uns, was die Räumlichkeiten anbelangt, nur für unsere Anlage und für unser Equipment, und das war es dann. Seite 5 von 10

6 In der Wiesbadener Braumanufaktur wird jeden Samstag gebraut von morgens bis abends Liter pro Monat entstehen hier, in der ehemaligen Schlachterei im Wiesbadener Stadtteil Medenbach, und alles wird per Hand gemacht: jede Flasche wird einzeln abgefüllt So, ist voll, Korken drauf und am Ende auch, Flasche für Flasche, etikettiert. Das sind selbstklebende Etiketten, weil wir sie ja von Hand draufkleben. Und dann stempeln wir hier unser Mindesthaltbarkeitsdatum rein von Hand auf jedem Etikett, und dann wird es halt draufgeklebt. Holger Erbe und sein Brau-Kollege können die Nachfrage gar nicht befriedigen. Regionales, hopfenbetontes Bier, also das, was die meisten Craft-Biere ausmacht, ist beliebt und erfolgreich: Seite 6 von 10

7 Wir distanzieren uns aber auch ein bisschen, wir machen jetzt nicht die total wilden Etiketten. Wenn man heute so durchs Craft-Bier-Regal geht, das sind oftmals Kunstwerke, die man da auf den Etiketten sieht, das wollten wir halt nicht machen, gerade, weil wir unser Bier halt regional verkaufen, fast ausschließlich in Wiesbaden und Umgebung, und der Wiesbadener ist ja nicht so der hippe, da muss man eher so ein bisschen gediegen sein. Und dementsprechend haben wir unser Bier und unser Etikett so angepasst. Natürlich hilft das jetzt, dass Craft-Bier im Bewusstsein ist, und wir brauen Craft- Biere, aber wir brauen jetzt nicht Craft-Biere, weil es momentan modern ist, sondern weil wir es halt schon immer gemacht haben. Die Menschen wieder für Bier begeistern davon sind fast alle Craft-Bier-Brauer beseelt. Einige fühlen sich sogar als Missionare, sie wollen mit ihren Produkten beweisen, dass Bier anders schmecken kann, neu, ungewohnt, überraschend. Dabei ist auch ein neuer Typus von Bier-Liebhabern entstanden, hat Marc Rauschmann von Braufactum erlebt. Wenn wir auf den ganzen Festivals die Leute anschauen, die dort hinkommen, dann sind das jüngere Menschen als im Seite 7 von 10

8 normalen Bierkonsum, also jung heißt 25 bis 40, Männer wie Frauen, halbe-halbe, auch anders als im klassischen Bierkonsum, und die Menschen sind extrem interessiert, sie trinken weniger, dafür aber gezielt. Man sieht auf diesen Veranstaltungen auch so gut wie keine, die zu viel getrunken haben, was ja auch schön ist, und von daher: ja, wir trinken weniger, aber es ist schön zu sehen, wie wir konsumieren, wie bewusst wir Bier trinken, dadurch kostet natürlich der Schluck mehr, aber das ganze Erlebnis ist nachhaltiger und hat am Ende auch nicht wesentlich mehr gekostet, weil man wiederum auch weniger trinkt. O-Ton Geräusch: Bier einschenken Was aber ist Bier genau? Ein niedrig-alkoholisches Getränk, bestehend aus Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. In Deutschland gibt es fast Braustätten und die brauen mehrere tausend verschiedene Biere, die alle unterschiedlich schmecken, riechen und aussehen. Prof. Bernd Lindemann, Getränketechnologe an der Hochschule Geisenheim: Die unterscheiden sich in der Farbe, das kann ich beeinflussen durch das Mälzen. Die unterscheiden sich im Geschmack, das kann ich beeinflussen durch das Mälzen und die Fermentation. Seite 8 von 10

9 Die unterscheiden sich durch die Trübung, das kann ich durch verfahrenstechnische Dinge während der Bierherstellung machen. Die unterscheiden sich im Kohlensäuregehalt, das ist eine Frage der Technik, wie ich die Fermentation lenke. Die unterscheiden sich im Alkoholgehalt, das ist eine Frage, wie viel Malz ich verwende und welche Hefe ich verwende. Und auf die Art und Weise krieg ich eine Vielfalt von Möglichkeiten: ein dunkles Bier, was eine charakteristische Kaffeebittere hat. Wir kriegen das Pils, also aus hellem Malz mit einem weichen Wasser hergestellt und viel Hopfen, also schlank und bitter. Ich krieg das Export, sehr vollmundig, das Malz hat eine leichte Karamellnote mit reingebracht, wenig Hopfen, wenig bitter, trotzdem ist es relativ hell. Und nicht zuletzt das Wasser spielt beim Bierbrauen eine elementare Rolle: Sie kriegen eine Farbveränderung sogar, wenn Sie eine bestimmte Wasserhärte verwenden. Also, das Bier Pilsener Art ist nur deshalb so schlank und bitter möglich, weil in der Stadt Pilsen weiches Wasser war, in Dortmund hatten wir härteres Wasser, also brauchte man zum Kompensieren der Härte mehr Malz, deshalb hat es auch mehr Alkohol. Also, Sie merken Seite 9 von 10

10 schon, von der Wasserzusammensetzung über die Auswahl von Spezialmalzen kriegen Sie eine unglaubliche Vielfalt. Und jetzt kommt noch das Besondere der Craft-Biere dazu: der Hopfen, der die Vielfalt der Biere noch einmal vergrößert, so Prof. Bernd Lindemann von der Hochschule Geisenheim im Rheingau Und wenn Sie jetzt, was noch modern ist, unterschiedliche Hopfen einsetzen mit unterschiedlicher Aromatik, also Hopfen nicht nur zum Bittermachen von Bier, sondern Hopfen zum Aromatisieren von Bier, dann ist die Vielfalt so groß, das werden wir beide in unserem Leben nicht mehr ausschöpfen. Seite 10 von 10