Was ist Wahrheit? 759
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- Miriam Reuter
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1 Was ist Wahrheit? 759
2 760
3 Eigenschaften der Wahrheit 761
4 Objektivität Wahr-Sein vs. Für-Wahr-Halten 762
5 Zeitlosigkeit Wahrheit hat keine Geschichte, Glauben und Wissen hingegen schon. 763
6 Spachunabhängigkeit Übersetzung ändert die Wahrheit/Falschheit nicht 764
7 Transzendenz (Realismus) Es ist möglich, dass es Wahrheiten gibt, die wir prinzipiell nicht erkennen können 765
8 Immanenz (Anti-Realismus) Wahrheit und Erkenntnis sind untrennbar miteinander verbunden. 766
9 Wahrheitsträger 767
10 Sätze (abstrakte sprachliche Formen) Äußerungen (konkrete sprachliche Handlungen) Wahrheit ist sprachübergreifend 768
11 Urteile (konkrete psychische Ereignisse) Überzeugungen (konkrete psychische Zustände) Wahrheit ist objektiv und zeitlos. 769
12 Propositionen (abstrakte semantische Objekte) Wie können wir Propositionen erfassen? 770
13 Wahrheitstheorien 771
14 Korrespondenztheorie (Realismus) Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt übereinstimmt. 772
15 Epistemische Theorie (Antirealismus) Wahr werden diejenigen Erkenntnisse genannt, die perfekt sind. 773
16 Deflationismus Das Prädikat ist wahr hat keine Bedeutung und lässt sich eliminieren. 774
17 Korrespondenztheorie 775
18 Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt im Einklang steht. Eine Satz ist wahr, wenn es eine Tatsache gibt, mit der er übereinstimmt. 776
19 Wittgensteins Bildtheorie der Wahrheit 777
20 Ein Satz ist ein Bild einer Tatsache. 778
21 Semantische Bedingung Die Teile eines Satzes stehen für Teile von Tatsachen. 779
22 Bedingung der Strukturgleichheit Die Teile eines Satzes sind genauso angeordnet wie die Teile der Tatsache. 780
23 die Katze sitzt auf der Matte 781
24 Probleme der Bildtheorie 782
25 Universalienproblem Gibt es Eigenschaften oder Relationen? 783
26 Das Problem fehlender korrespondierender Tatsachen 784
27 Die Katze sitzt nicht auf der Matte. negative, wahre Sätze 785
28 Es gibt eine Katze, die auf der Matte sitzt. Existenzsätze 786
29 Die Katze könnte auf der Matte sitzen. kontrafaktische Sätze 787
30 Höchstwahrscheinlich sitzt die Katze auf der Matte. probabilistische Sätze 788
31 Eine Katze ist eine Katze. Tautologien und mathematische Sätze 789
32 Das Slingshot Argument Frege, Church, Quine, Davidson 790
33 Alonzo Church ( ) Einflussreicher amerikanischer Mathematiker und Logiker, der wichtige Grundlagen für die mathematische Logik, wie das Lambda Kalkül oder das Church-Turing Theorem, und die Informatik gelegt hat. An Unsolvable Problem of Elementary Number Theory (1936); Introduction to Mathematical Logic (1944/56); The Calculi of Lambda Conversion (1941) 791
34 Synonymie Wenn zwei Sätze dasselbe bedeuten, dann korrespondieren sie mit derselben Tatsache. 792
35 Substitution Wenn man einen Teilausdruck eines Satzes durch einen anderen ersetzt, der für dasselbe steht, dann korrespondiert der Satz, der sich daraus ergibt, mit derselben Tatsache wie der ursprüngliche Satz. 793
36 Scott ist der Autor von Waverly. Scott ist der, der 29 Waverly-Novellen geschrieben hat. Substitution 794
37 Scott ist der, der 29 Waverly-Novellen geschrieben hat. Die Anzahl von Scotts Waverly-Novellen ist 29. Synonymie 795
38 Die Anzahl von Scotts Waverly-Novellen ist 29. Die Anzahl der Verwaltungsbezirke in Utah ist 29. Substitution 796
39 Die Anzahl der Verwaltungsbezirke in Utah ist 29. Utah hat 29 Verwaltungsbezirke. Synonymie 797
40 Scott ist der Autor von Waverly. Utah hat 29 Verwaltungsbezirke. bringen dieselbe Tatsache zum Ausdruck 798
41 Fazit Jeder wahre Satz korrespondiert mit derselben Tatsache. Es gibt daher nur eine große Tatsache, die mit jedem wahren Satz korrespondiert. 799
42 Tarskis semantische Theorie der Wahrheit 800
43 Alfred Tarski ( ) Tarski ist ein polnisch-amerikanischer Logiker. Er gilt als der Begründer der formalen Semantik ( Modelltheorie ). Seine Arbeiten zum Problem der Definition der Wahrheit waren bahnbrechend und hatten einen großen Einfluss auf die Philosophie. Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen (1936); The Semantic Conception of Truth and the Foundations of Semantics (1944) 801
44 Etwas ist wahr, wenn es mit der Welt im Einklang steht. Eine Satz ist wahr, wenn es sich so verhält, wie er sagt. x ist wahr in L genau dann, wenn p. 802
45 T-Sätze x ist wahr in L gdw. p Grass is green ist wahr im Englischen gdw. Gras grün ist. Neapel liegt südlich von Rom ist wahr im Deutschen gdw. Neapel südlich von Rom liegt. 803
46 Wir können nur sagen, daß jede Äquivalenz der Form (T), die wir nach Ersetzung von p durch eine partikuläre Aussage und von x durch den Namen dieser Aussage erhalten, als eine partielle Definition der Wahrheit betrachtet werden kann, die erklärt, worin die Wahrheit dieser einen individuellen Aussage besteht. Tarski, Die semantische Definition der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik 804
47 Die Konvention T 805
48 (T-1) Gras ist grün ist wahr im Deutschen gdw. Schnee weiß ist. 806
49 Konvention T (Adäquatheitskriterium) Eine Wahrheitsdefinition für eine Sprache L impliziert alle korrekten Sätze des Schemas (T) x ist wahr in L gdw. p so dass x ein Satz der Objektsprache L und p eine Übersetzung von x in die Theoriesprache ist. 807
50 (T-2) Gras ist grün ist wahr im Deutschen gdw. Gras grün ist. Dieser T-Satz stellt eine adäquate Definition der Wahrheit für den deutschen Satz Gras ist grün dar, denn Gras ist grün (p) ist eine Übersetzung von Gras ist grün (x). 808
51 Das ist aber noch nicht das, was wir eigentlich haben wollen: eine allgemeine Definition des Wahrheitsbegriffs für alle Sätze der untersuchten Sprache. 809
52 Die allgemeine Definition muß in einem gewissen Sinne die logische Konjunktion all dieser partiellen Definitionen sein. Tarski, Die semantische Definition der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik 810
53 Rekursive Definitionen 811
54 Atomare Sätze (Rekusionsanfang) Falls S ein Satz der Form F(a) in L ist, dann ist S in L wahr gdw. das Individuum, welches a denotiert, Element der Klasse von Individuen ist, welche F denotieren. 812
55 Komplexe Sätze (Rekursionsschritt) Falls S ein Satz der Form G und H in L ist, dann ist S in L wahr gdw. G wahr ist und H wahr ist. Falls S ein Satz der Form G oder H in L ist, dann ist S in L wahr gdw. G wahr ist oder H wahr ist. Falls S ein Satz der Form Für alle x, Fx in L ist, dann ist S in L wahr gdw. F(i) für alle Belegungen i für die Variable x wahr ist. 813
56 Abschluss (Rekursionsabschluss) Nichts sonst ist wahr in L. 814
57 Zusammenfassung 815
58 Welche Form muss eine Theorie der Wahrheit haben? Sie muss Sätze der Form T liefern. 816
59 Wann ist eine Definition von ist wahr in L adäquat? Wenn die Konvention T erfüllt ist. 817
60 Wie kann man eine allgemeine Definition dieser Art aufstellen? Durch eine induktive Definition, in der zuerst die Wahrheitsbedingungen für die Basissätze einer Sprache und danach aufbauend für alle anderen, komplexen Sätze formuliert werden. 818
61 Epistemische Wahrheitstheorien (Antirealismus) 819
62 Wahrheit gibt es nicht außerhalb unserer Erkenntnis. Es gilt daher ein Kriterium für die Wahrheit unserer Überzeugungen zu finden. 820
63 Rationale Akzeptierbarkeit Eine Proposition ist wahr, wenn sie unter idealen Bedingungen von einer vollständig rationalen Person akzeptiert werden würde. Charles Sanders Peirce 821
64 Wahr ist demzufolge das, was vollständig vernünftige Menschen nach ausreichender Nachforschung für wahr halten. 822
65 Wahrheit übersteigt die Perspektive rationaler Personen grundsätzlich nicht. 823
66 Wahrheit ist eine immanente Eigenschaft unserer Erkenntnispraxis. 824
67 Konsenstheorie Eine Proposition ist wahr, wenn sie unter idealen Bedingungen für alle Mitglieder einer Sprechergemeinschaft rational akzeptierbar ist. Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas 825
68 Wahrheit ist nicht nur eine immanente, sondern auch eine soziale Eigenschaft unserer Erkenntnispraxis. 826
69 Probleme 827
70 Idealisierungen Wir sind keine vollständig rationalen Personen. Auch die Bedingungen sind niemals ideal. 828
71 Akzeptanz Man kann etwas aus unterschiedlichen Gründen akzeptieren (Authentizität, Vernünftigkeit, Autorität). Der relevante Begriff der Akzeptanz muss hier lauten: Etwas als wahr akzeptieren. 829
72 Rationalität Eine Person ist rational, wenn sie in ihrem Denken und Handeln Prinzipien folgt, die Wahrheit erhalten bzw. zur Wahrheit führen. Man kann also den Begriff der Rationalität nicht explizieren, ohne dabei den Begriff der Wahrheit zu verwenden. 830
73 Konsens Bestätigt Konsens nicht bestenfalls manchmal (und bestimmt nicht immer) eine Wahrheit, anstatt sie allererst zu begründen? 831
74 Kohärenztheorie Eine Überzeugung ist wahr, wenn sie ein Element in einem kohärenten System von Überzeugungen ist. Blanshard, Neurath, Davidson 832
75 Wenn wir uns fragen, ob ein Satz oder eine Überzeugung wahr ist, haben wir dann nicht immer nur andere Sätze oder Überzeugungen, auf die wir uns dabei stützen können? 833
76 Kohärenz (1) Die Überzeugungen müssen zueinander logisch konsistent sein und dürfen sich nicht widersprechen. (2) Die Überzeugungen müssen untereinander in einem Schlussfolgerungs-, Rechtfertigungs- und Erklärungszusammenhang stehen. 834
77 Probleme 835
78 Alternativsysteme Zu jedem kohärenten System von Überzeugungen gibt es mindestens ein anderes, ebenfalls kohärentes System von Überzeugungen derart, dass beide Systeme sich gegenseitig logisch ausschließen. 836
79 Märchen und Geschichten Man kann kohärente Märchen erzählen. Man kann überhaupt irgendein beliebiges kohärentes System von Überzeugungen konstruieren, das nichts mit unserer Wirklichkeit gemein haben muss. 837
80 Holismus Eine Überzeugung kann nur in Bezug auf ein System von Überzeugungen auf ihre Wahrheit/Falschheit beurteilt werden. kontraintuitiv 838
81 Zirkel Wie kann man erklären, was mit logischer Konsistenz, Schlussfolgerung oder Erklärung gemeint ist, ohne dabei schon den Begriff der Wahrheit in Anspruch zu nehmen? 839
82 Wahrheitsdeflationismus 840
83 Das Wort wahr liefert durch seinen Sinn keinen wesentlichen Beitrag zum Gedanken. Wenn ich behaupte es ist wahr, daß das Meerwasser salzig ist, so behaupte ich dasselbe wie wenn ich behaupte das Meerwasser ist salzig. Hierin ist zu erkennen, daß die Behauptung nicht in dem Worte wahr liegt, sondern in der behauptenden Kraft, mit der der Satz ausgesprochen wird. Danach könnte man meinen, das Wort wahr habe überhaupt keinen Sinn. Frege: Nachgelassene Schriften 841
84 Wenn wir von einem Satz sagen, er sei wahr, dann sprechen wir ihm nicht die Eigenschaft der Wahrheit zu. 842
85 Redundanztheorie Das Prädikat ist wahr ist überflüssig und trägt nichts zur Satzbedeutung bei. Es lässt sich in allen Aussagen eliminieren, ohne deren Inhalt zu verändern. Frege, Ramsey, Ayer 843
86 Es ist wahr, dass Caesar ermordet wurde. = Caesar wurde ermordet. 844
87 Es ist falsch, dass Caesar ermordet wurde. = Caesar wurde nicht ermordet. 845
88 Caesar wurde ermordet ist wahr. = Caesar wurde ermordet. 846
89 Caesar wurde ermordet ist falsch. = Caesar wurde nicht ermordet. 847
90 Performative Theorie Das Wahrheitsprädikat ist kein eigenständiges Prädikat, sondern ein performativer Operator, mit dem wir so etwas wie Zustimmung ausdrücken. Strawson 848
91 Mit dem Satz Caesar wurde ermordet ist wahr sagen wir nicht mehr, als mit dem Satz Caesar wurde ermordet. 849
92 Darüber hinaus signalisieren wir unsere Zustimmung zu diesem Satz. Die Wahrheitszuschreibung ist ein performativer Akt. 850
93 Disquotationale Theorie Das Prädikat ist wahr stellt den Realitätsbezug von zitierten Sätzen wieder her. Quine 851
94 Wenn wir in einer Theorie etwas über sprachliche Ausdrucke (Sätze) sagen wollen, dann müssen wir sie zitieren. 852
95 Caesar wurde ermordet. Hier benutzen wir den Satz, um etwas über die Welt zu sagen. 853
96 Caesar wurde ermordet. enthält 3 Worte. Hier erwähnen wir den Satz und sprechen über eine Eigenschaft, die er selbst besitzt. 854
97 Syntax Caesar wurde ermordet. ist ein wohlgeformter Satz. 855
98 Semantik Besondere Schwierigkeit: Zwar sprechen wir auch hier z.b. über einen Satz und dessen Eigenschaften, aber dabei geht es nicht um Eigenschaften des Satzes selbst, sondern um seine Bedeutung, d.h. seinen Bezug zur Welt. 856
99 Caesar wurde ermordet. ist wahr. Hier erwähnen wir den Satz und sagen zugleich etwas darüber aus, welchen Bezug er zur Welt hat. Wir müssen die Anführungszeichen setzen und zugleich eliminieren. 857
100 Wir brauchen das Wahrheitsprädikat, um den Realitätsbezug von zitierten Sätzen herzustellen. semantischer Aufstieg 858
101 Minimalismus Wenn man aus einem oder mehreren Sätzen Nominalausdrücke macht, dient "ist wahr" einzig dazu, daraus wieder ganze Sätze zu machen. Paul Horwich 859
102 Caesar wurde ermordet. Nominalausdruck die Aussage, dass Caesar ermordet wurde 860
103 E = m x c 2, Nichts ist schneller als das Licht., Nominalausdruck Einsteins Theorie 861
104 Die Aussage, dass Caesar ermordet wurde, ist wahr. Einsteins Theorie ist wahr. 862
105 Probleme 863
106 Verallgemeinerungen Alles, was der Papst sagt, ist wahr. ist wahr ist nicht redundant 864
107 Sätze Der Satz Caesar wurde ermordet ist wahr. = Caesar wurde ermordet. Nicht wirklich korrekt wegen der Relativität auf eine Sprache. 865
108 Propositionen Die Proposition Caesar wurde ermordet ist wahr. = Caesar wurde ermordet. Trivial, da die Wahrheit einer Proposition genau so definiert wird. 866
109 Worin besteht Rechtfertigung? 867
110 In aller Regel sind gerechtfertigte Überzeugungen eher wahr als ungerechtfertigte. 868
111 Aber es gibt Überzeugungen, die gerechtfertigt und trotzdem falsch sind. 869
112 Und es gibt Überzeugungen, die ungerechtfertigt und trotzdem wahr sind! 870
113 Rechtfertigung ist ein geeignetes Mittel zur Erzielung wahrer Überzeugungen. fallibilistische Auffassung der Rechtfertigung 871
114 Eigenschaften der Rechtfertigung 872
115 Eine gerechtfertigte Überzeugung kann durch den Erwerb zusätzlicher Informationen zu einem späteren Zeitpunkt aufgehoben werden. Rechtfertigung ist zeitrelativ 873
116 Zwei Personen können zwar dieselbe Überzeugung besitzen, es ist aber nicht (noch nicht einmal meistens) so, dass beider Überzeugung gleichermaßen gerechtfertigt ist! Rechtfertigung ist personenrelativ 874
117 Gerechtfertigt ist jemand, wenn er gute Gründe für seine Überzeugungen besitzt. Rechtfertigung ist evaluativ 875
118 Eine Meinung kann mehr oder weniger gerechtfertigt sein. Sie kann durch zusätzliche Belege verstärkt oder abgeschwächt werden. Rechtfertigung ist graduell 876
119 Definition der Rechtfertigung 877
120 (1) Die Rechtfertigung einer Überzeugung setzt voraus, dass es Rechtfertiger für diese Überzeugung, d. h. Gründe für sie gibt. 878
121 (2) Überzeugungen und Gründe dürfen in keinem beliebigen Verhältnis zueinander stehen, d.h. die Gründe müssen die Überzeugung tatsächlich stützen. 879
122 (3) Gründe können eine Überzeugung nur dann stützen, wenn es gute Gründe sind. 880
123 Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, genau dann, wenn: (1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) diese Gründe adäquat sind. 881
124 Die Definition der Rechtfertigung ist nicht hinreichend. 882
125 Irene glaubt, dass es regnet. 883
126 Sie hört, wie der Regen auf das Vordach ihrer Veranda tropft. Sie hätte damit einen exzellenten (adäquaten) Grund für ihre Meinung. 884
127 Allerdings ist Irene unaufmerksam. Sie glaubt, dass es regnet, weil sie es in der lokalen Wettervorhersage gehört hat, die in ihren Breiten sehr unzuverlässig ist. 885
128 Irene hat einen Grund für ihre Überzeugung: sie hört, wie die Regentropfen auf das Verandadach trommeln. 886
129 Der Grund ist adäquat und stützt auch ihre Meinung: Das Hören von Regengeräuschen ist ein guter Indikator für die betreffende Überzeugung. 887
130 Irene kommt jedoch nicht zu der Überzeugung, dass es regnet, weil sie diesen guten Grund hat, sondern weil sie die Wettervorhersage gehört hat, die ein schlechter Grund für ihre Überzeugung ist. 888
131 Damit eine Meinung gerechtfertigt ist, reicht es nicht aus, dass man für diese Meinung gute und stützende Gründe hat. Die Gründe und die Meinung müssen richtig aufeinander bezogen sein. 889
132 Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, genau dann, wenn: (1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) die Gründe adäquat sind;und (4) S gerechtfertigt ist zu glauben, dass die Stützungsbeziehung besteht. 890
133 Die kausale Theorie der Rechtfertigung Alvin I. Goldman, William P. Alston 891
134 Eine Person S ist gerechtfertigt zu glauben, dass p, genau dann, wenn: (1) S Gründe für seine Meinung hat; (2) die Gründe seine Meinung stützen; (3) die Gründe adäquat sind; und (4) die Gründe die Überzeugung verursachen. 892
135 Externalismus Rechtfertigung muss einer Person selbst nicht kognitiv zugänglich sein. Eine Überzeugung kann gerechtfertigt sein, ohne dass die Person die Überzeugung rechtfertigen bzw. begründen kann. Epistemische Rechte ohne epistemische Pflichten sind möglich. Internalismus Rechtfertigung setzt kognitive Zugänglichkeit voraus. Eine Überzeugung ist nur dann gerechtfertigt, wenn man sie tatsächlich rechtfertigen bzw. begründen kann. Keine epistemischen Rechte ohne epistemische Pflichten. 893
136 Welche Gründe sind adäquat (angemessen, gut)? 894
137 Ein Kommissar ist mit der Untersuchung eines Mordfalls beschäftigt. Er glaubt, dass der Gärtner den Grafen umgebracht hat. Er begründet das so: Es gibt nur drei weitere mögliche Täter: den Fahrer, den Butler und den Koch. Alle drei haben handfeste Alibis und es besteht kein Zweifel daran, dass der Graf tatsächlich umgebracht worden ist und nicht Selbstmord beging oder eines natürlichen Todes starb. 895
138 Sind diese Gründe gute Gründe für die Überzeugung, dass der Gärtner den Grafen umgebracht hat? 896
139 Ist die Annahme, dass es nur drei weitere mögliche Täter gibt, gerechtfertigt? 897
140 Ist die Annahme, dass die Alibis der anderen wasserdicht sind, selbst wasserdicht? 898
141 Sind die Annahmen, dass der Gärtner kein gutes Alibi hat und der Graf tatsächlich umgebracht worden ist, gut begründet? 899
142 Rechtfertigungstrilemma 900
143 Eine gerechtfertigte Überzeugung setzt voraus, dass es für diese Überzeugung einen Grund G 1 gibt. Überzeugung Grund 1 901
144 Ob dieser Grund G 1 adäquat (gut) ist, hängt davon ab, ob sich dieser selbst rechtfertigen lässt. Grund 1 Grund 2 902
145 Welche Implikationen hat das? 903
146 Dogmatischer Abbruch Ü G 1 G 2 G 3 Es ist dogmatisch, an einer bestimmten Stelle mit dem Begründen aufzuhören. 904
147 Circulus Vitiosus Ü G 1 G 2 G 3 Ü Eine sich selbst begründende Meinung macht das Rechtfertigen überflüssig. 905
148 Infiniter Regress Ü G 1 G 2 G 3 Menschen sind endliche Wesen und können keine unendliche Anzahl von Überzeugungen haben. 906
149 Positionen 907
150 Fundamentalismus Es gibt bestimmte Überzeugungen (Regress-Stopper), die keiner weiteren Begründung bedürfen. Dogmen sind nicht immer schlecht. 908
151 Kohärentismus Ein Rechtfertigungszirkel kann vermieden werden, wenn wir unsere Überzeugungen und ihre Gründe vor dem Hintergrund eines ganzen Systems von Überzeugungen vor dem Hintergrund einer Theorie betrachten. Ein Rechtfertigungszirkel ist nicht immer schlecht. 909
152 Kontextualismus Es gibt keinen wirklichen infiniten Regress des Rechtfertigens. In der Praxis hängt es vom Kontext und unseren Konventionen ab, welche Gründe wir für adäquat halten. Praktisch gibt es keinen infiniten Regress. 910
153 Fundamentalismus 911
154 Gewissheitsargument Wissen kann nur dann infallibel sein, wenn es auf einer unfehlbaren Rechtfertigung beruht. Unfehlbare Rechtfertigung ist jedoch nur möglich, wenn es unfehlbare basale Meinungen gibt. 912
155 Regressargument Da es Rechtfertigung wirklich gibt und diese weder durch einen Zirkel, noch durch einen infiniten Regress möglich wäre, muss es basale Meinungen geben. 913
156 Isolationsargument Wir besitzen empirisches Wissen. Nur wenn es unmittelbar durch die Erfahrung gerechtfertigte, basale Meinungen gibt, kann man dieses überhaupt erlangen. 914
157 Typen des Fundamentalismus 915
158 Intuitionistischer Fundamentalismus Die Basis der Rechtfertigung bilden selbstevidente Meinungen, die unmittelbar einleuchtend und nicht sinnvoll anzweifelbar sind. Platon, Pythagoras, Euklid 916
159 Die Wissenschaftsgeschichte liefert jede Menge Beispielmaterial dafür, dass auch scheinbar selbstevidente Meinungen falsch sein können. Die Sonne bewegt sich um die Erde. Euklidische Geometrie 917
160 Doxastischer Fundamentalismus Die Basis der Rechtfertigung bilden Meinungen über die eigenen mentalen Zustände. Descartes 918
161 Lernen wir nicht zuerst, über die Welt zu urteilen, und dann erst über unser Erleben der Welt? Überzeugungen über die eigenen mentalen Zustände allein können keine Überzeugungen über etwas anderes (die Welt) rechtfertigen. Es entsteht ein Außenwelt-Problem. 919
162 Empiristischer Fundamentalimus Die Rechtfertigung hat ihr Fundament im Gegebenen, d.h. den unmittelbaren Erfahrungen, die wir machen. Klassischer und Logischer Empirismus 920
163 Das Gegebene ist keine Überzeugung, sondern eine Art unmittelbares Erlebnis. Ein Erlebnis als solches aber kann nichts rechtfertigen. Nur die Überzeugungen, die ich mir aufgrund eines Erlebnisses bilde, können Gründe für Meinungen sein. 921
164 Kohärentismus 922
165 Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können. (Otto Neurath, 1932/33) 923
166 Eigenschaften der Kohärenz Logische Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) Inferentielle Beziehungen (Prämissen Konklusionen) Explanatorische Beziehungen (Annahmen Begründungen) 924
167 Probleme 925
168 Relativismuseinwand Wer es ernst meint mit der Kohärenz als alleiniges Kriterium der Wahrheit, muss beliebig erdichtete Märchen für ebenso wahr halten wie einen historischen Bericht oder Sätze in einem Lehrbuch der Chemie, wenn nur die Märchen so gut erfunden sind, dass nirgends ein Widerspruch auftritt. Moritz Schlick,
169 Isolationseinwand Die anderen können... nicht etwa einwenden, dass dieses Verfahren den Beobachtungen widerstreite, denn nach der Kohärenzlehre kommt es auf irgendwelche Beobachtungen gar nicht an, sondern allein auf die Verträglichkeit der Aussagen. Moritz Schlick,
170 Konsistenz zu stark In der Regel sind die meisten realen und reichhaltigen Wissenssysteme oder Datenbanken an irgendeiner Stelle inkonsistent. 928
171 Komplexität Die Kohärenz eines umfangreichen Meinungssystems ist eine so komplexe Eigenschaft, dass wir sie in der Regel gar nicht erfassen, geschweige denn beweisen können. 929
172 Kontextualismus 930
173 Kurt ist Hobby-Archäologe und findet einen alten Krug. Mehrere Anzeichen sprechen dafür, dass es sich um einen spätmittelalterlichen Krug handelt und Kurts Handbuch bestätigt diesen Eindruck. Kurt hat gute Gründe für die Annahme, dass es sich um einen spätmittelalterlichen Krug handelt. In seiner Situation gibt es keine besseren Gründe. 931
174 Maria ist professionelle Archäologin. Für sie sind Kurts Gründe allenfalls Indizien. Um zu einer begründeten Meinung zu gelangen, muss sie einige raffinierte Methoden anwenden. Kurts Indizien zählen für sie nicht. Sie sind inadäquat. Ihre Standards der Begründung sind in dieser Situation viel höher. 932
175 Ob ein Grund eine Überzeugung rechtfertigt und wie stark diese Rechtfertigung ist, hängt vom Kontext ab und variiert mit dem Kontext. 933
176 Wer von einem Kontext in einen anderen wechselt, kann plötzlich Rechtfertigung erwerben oder verlieren. 934
177 Gegen die Kugelform der Erde spricht, dass die Antipoden auf der jeweils anderen Seite des Globus mit dem Kopf nach unten hängen würden. 935
178 Dies ist nur solange ein gutes Argument, wie es die von uns heute akzeptierte Gravitationstheorie und Astronomie nicht gibt. 936
179 Gründe sind nicht absolut gut oder schlecht. 937
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