15.3 ESBL-bildende Bakterien und andere multiresistente gram-negative Erreger (MRGN)
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1 .3 ESBL-bildende Bakterien und andere multiresistente gram-negative Erreger (MRGN) Molekularer Baustein und antibakteriell aktives Zentrum einer Reihe von Antibiotika (z. B. Penicillin, Cepholosporin, Monobactam) ist der β-lactam-ring. Mittels des von zahlreichen Bakterien gebildeten Enzyms β-lactamase kann dieser Baustein hydrolisiert werden. Hierauf beruht die Resistenz gegen sog. Betalaktamantibiotika. Die genetische Information zur Synthese dieses Enzyms kann sowohl chromosomal vererbt wie auch horizontal über Plasmid vermittelt werden. Die den Antibiotika zugeführten β-lactamase-inhibitoren wie bspw. Clavulansäure, Sulbactam oder Tazobactam ermöglichen, β-lactamase-produzierende Bakterien dennoch bekämpfen zu können. Extended Spectrum β-lactamasen (ESBL) Extended Spectrum β-lactamasen (ESBL) können ein erweitertes Spektrum an β-lactam-haltigen Antibiotika spalten. ESBL steht als Abkürzung für eine bestimmte Form der erweiterten Resistenz gram-negativer Keime (Enterobakterien), die originär im menschlichen Darm als Normalflora angesiedelt sind. In der Hauptsache tragen das ESBL-Gen gram-negative Stäbchen wie E.coli und Klebsiella spp., aber auch Pseudomonas spp., Serratia spp., Enterobacter spp., Acinetobacter spp., Citrobacter spp., Morganella. Das erweiterte Resistenzvermögen beruht auf einer Punktmutation. Dieses kann Plasmid-vermittelt von einem auf andere Bakterien übertragen werden. ESBL-Bakterien sind gegen Penicilline und Cephalosporine der ersten bis vierten Generation einschließlich gegen Breitspektrum-Cephalosporine sowie Monobactame (Aztreonam) resistent. Wie MRSA und VRE sind auch sie keine obligaten Infektionserreger. Abb..6: E. coli-rate mit Resistenz gegen Cephalosporine der dritten Generation in Europa im Jahr 2010 nach den Daten der ECDC ( Ambulantes Operieren Praktische Hygiene 317
2 Abb..7: Klebsiella pneumoniae-rate mit Resistenz gegen Cephalosporine der dritten Generation in Europa im Jahr 2010 nach den Daten der ECDC ( MEMO Patienten, die mit multiresistenten Erregern (MRE) wie MRSA, ESBL, VRE besiedelt sind, sollten ebenso wie ihre Angehörigen stets ausführlich aufgeklärt und belehrt werden, v. a. über den Unterschied zwischen Besiedlung und Infektion. Ausserdem ist die zentrale Bedeutung der Händehygiene hervorzuheben. Anteil an ESBL-bildenden gram-negativen Bakterien In den letzten Jahren hat die Zahl nosokomialer Enterobacteriaceae, wie Escherichia coli (Abb..6) und Klebsiella pneumoniae (Abb..7), mit Resistenzen gegenüber Cephalosporinen der dritten und vierten Generation weltweit zugenommen. In Deutschland war ein Anstieg des Anteils an E. coli von 6% (2008) auf 9,4 % (2010) zu verzeichnen, während der Anteil cefotaximresistenter K. pneumoniae im gleichen Zeitraum stabil bei 11 bis 12 % (hoch) blieb ( stieg auch der Anteil carbapenemresistenter Enterobacteriaceae auf über 1% (Mielke et al. 2010). Auch in Schweizer Kliniken steigt die Zahl der ESBL-Fälle in den letzten Jahren deutlich an. Laut dem Jahresbericht der Swiss Paediatric Surveillance Unit (SPSU) hat allerdings die Zahl der ESBL-Fälle in den Schweizer Kinderspitälern im Vergleich von 2010 zu 2011 nicht im gleichen Maß wie die Jahre zuvor zugenommen (Zingg 2012). Hygienemaßnahmen Multiresistente gram-negative Erreger verteilen sich weniger diffus in der Umgebung und sind deutlich seltener im Umfeld des Patienten nachweisbar als beispielsweise MRSA, VRE und C. difficile. Auch ist die Umweltpersistenz geringer ausgeprägt (Ausnahme: Acinetobacter baumannii). Sie werden auch nicht so leicht auf andere Personen übertragen wie bspw. MRSA. Je nach Art des Erregers, Ort der Infektion, individuellem Streupotential, dem Grad der Antibiotikaresistenz 318 Verlag für medizinische Praxis
3 und Risikoklassifizierung (bspw. von Mitpatienten einer Tagesklinik oder MVZ) können die erforderlichen Hygienemaßnahmen unterschiedlich sein. Beim Auftreten multiresistenter gram-negativer Erreger sollte in jedem Fall Rücksprache mit einem Krankenhaushygieniker gehalten werden. Eine Übersicht über Maßnahmen zur Prävention der Verbreitung von MRGN ist in Tabelle.1 zu finden. Folgende Maßnahmen müssen jedoch beim Nachweis multiresistenter gram-negativer Erreger grundsätzlich durchgeführt werden: Maßnahmen beim Personal Händedesinfektion: Immer äußerst sorgfältig durchführen (mindestens 30 Sekunden) Vor infektionsgefährdenden Tätigkeiten und nach möglicher Kontamination Nach jeder Manipulation an der/den kolonisierten bzw. infizierten Körperstelle(n) vor weiteren Tätigkeiten am Patienten, um nach Möglichkeit eine Ausdehnung der Besiedelung auf andere Körperstellen zu verhindern, z. B. bei Verbandswechsel, beim endotrachealen Absaugen, bei der Mundpflege, bei Manipulationen am Blasenkatheter Bei zu erwartendem Kontakt mit erregerhaltigem Material, Schleimhäuten usw. Benutzung von Einmalhandschuhen. Wenn die Tätigkeit beendet ist, Ausziehen der Handschuhe. Danach Händedesinfektion. Um eine Ausbreitung des Erregers zu verhindern, dürfen keinesfalls mit den Handschuhen andere Tätigkeiten (z. B. Eintragungen in die Patientenakte, Aufräumarbeiten) durchgeführt werden Bevor der Behandlungsraum/das Patientenzimmer verlassen wird, und zwar unabhängig davon, ob Patientenkontakt stattgefunden hat oder nicht, muss ebenfalls immer eine hygienische Händedesinfektion durchgeführt werden Schürzen und Schutzkittel: Wenn mit Kontamination der Arbeitskleidung mit infektiösem Material gerechnet werden kann, muss ein Schutzkittel angelegt werden Bei pflegerischen Tätigkeiten, bei denen die Gefahr der Durchfeuchtung der Arbeitskleidung besteht, immer flüssigkeitsdichte Schürzen verwenden Mund-Nasen-Schutz (chirurgische Maske): Beim endotrachealen Absaugen (wenn Erreger im Tracheal- oder Bronchialsekret nachweisbar sind ggf. auch Schutzbrille) Bei Aerosolbildung und wenn Gefahr des Verspritzens von infektiösem Material besteht (evtl. auch Schutzbrille) Maßnahmen beim Patienten: Kontakt zu anderen Patienten ist zu vermeiden. Bei über Nacht verbleibenden und stationären Patienten ist nach Einschätzung des Verbreitungspotenzials (Tracheostoma, Husten, Inkontinenz, Durchfall, Lokalisation, Compliance des Patienten usw.) und nach Art des Erregers und seiner Resistenz der Patient im Einzelzimmer unterzubringen. In jedem Fall jedoch ist für den Indexpatienten eine eigene, separate Toilette vorzusehen, da der Darm das Hauptreservoir für MRGN ist. Der Patient ist über die Bedeutung der Händehygiene zu unterrichten und einzuweisen. Ambulantes Operieren Praktische Hygiene 319
4 Besucher: Besucher mit normalem Immunstatus können den Patienten besuchen. Wichtig ist eine gründliche Händedesinfektion (Einweisung durch das Praxispersonal) bei Verlassen des Patienten. Wäsche: Wäscheablage im Behandlungszimmer (patientennah), übliche Waschverfahren (keine infektiöse Wäsche), zusätzlicher Plastiksack nur, wenn der Stoffsack durchfeuchten könnte Nach Entsorgung der geschlossenen Wäschesäcke sofortige Händedesinfektion Abfall: Sämtlicher Abfall (z. B. auch Verbandsmaterial) zum Hausmüll (AS , sog. B-Müll; nicht infektiös) Nach Entsorgung der geschlossenen Abfallsäcke sofortige Händedesinfektion Flächendesinfektion: Information des Reinigungspersonals Immer sofortige gezielte Desinfektion bei sichtbarer und vermutlicher Kontamination Übliche Flächendesinfektionsverfahren mit den üblichen Mitteln und Konzentrationen (siehe Kap. 4.4 Reinigung und Desinfektion) Wischdesinfektion der patientennahen Flächen nach jedem Patienten Übrige Flächen und Fußböden werden wie üblich gereinigt resp. nach Entlassung des Patienten erfolgt die Schlussdesinfektion Praxistipp Eine aktuelle Empfehlung zur Klassifizierung multiresistenter gram-negativer Erreger (MRGN) für besonders Interessierte findet sich im Anhang dieses Kapitels. Die Einteilung der MRGN und die Empfehlungen zu den Hygienemaßnahmen entsprechen den KRINKO-Vorgaben Hygienemaßnahmen bei Infektionen und Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen (KRINKO 2012 DOI /s ). 320 Verlag für medizinische Praxis
5 Aktives Screening und präemptive Präventionsmaßnahmen Sanierung Isolierung 1 Normalbereich Risikobereich 2 3MRGN nein Standardhygiene Isolierung* Nicht empfohlen E. coli 4MRGN Risikopopulation 3 Isolierung* Isolierung* Nicht empfohlen E. coli (Rektal, Urin, ggf. Wunden) 3MRGN nein Standardhygiene Isolierung* Nicht empfohlen Klebsiella spp. 4MRGN Risikopopulation 3 Standardhygiene Isolierung* Nicht empfohlen Klebsiella spp. (Rektal, Urin, ggf. Wunden) 3MRGN nein Standardhygiene Standardhygiene Nicht empfohlen Enterobacter spp. 4MRGN Risikopopulation 3 Isolierung* Isolierung* Nicht empfohlen Enterobacter spp. (Rektal) Andere 3MRGN nein Standardhygiene Standardhygiene Nicht empfohlen Enterobacteriaceae Andere 4MRGN Risikopopulation 3 Isolierung* Isolierung* Nicht empfohlen Enterobacteriaceae 3MRGN nein Standardhygiene Isolierung* Nicht empfohlen P. aeruginosa 4MRGN Risikopopulation 3 Isolierung* Isolierung* Nicht empfohlen P. aeruginosa (Rektal, Rachen) 3MRGN nein Standardhygiene Isolierung* Ungeklärt A. baumannii 4MRGN Risikopopulation 3 Isolierung* Isolierung* Ungeklärt A. baumannii (Mund-Rachen-Raum, Haut) 1 Unter präemptiver Isolierung ist die Isolierung des Patienten im Einzelzimmer mindestens bis zum Vorliegen des Screeningergebnisses zu verstehen. 2 Zu Risikobereichen gehören Bereiche, in denen Patienten mit Risikofaktoren für Infektionen gepflegt und behandelt werden, z. B. Intensivstationen, Hämatologisch-Onkologische Stationen, Neonatologien u. Ä. In der Neonatologie kann bereits eine alleinige Resistenz gegenüber 3. Generations-Cephalosporinen bei bestimmten Erregern (bspw. K. pneumoniae, E. cloacae, S. mercescens, P. aeruginosa, Acinetobacter spp., C. koseri) interdisziplinäre Überlegungen zur Notwendigkeit einer krankenhaushygienischen Intervention nach sich ziehen. 3 Als Risikopopulation gelten Patienten, die kürzlich Kontakt zum Gesundheitssystem in Ländern mit endemischem Auftreten hatten sowie Patienten, die zu 4MRGN-positiven Patienten Kontakt hatten, d. h. im gleichen Zimmer gepflegt wurden. * Zusatzmaßnahmen für Patienten, bei denen eine Isolierung durchgeführt wird. Zusätzlich zu den Maßnahmen der Standardhygiene werden folgende Maßnahmen durchgeführt: Unterbringung im Einzelzimmer mit eigener Nasszelle oder Kohortierung mit Patienten mit einem MRGN derselben Spezies und gleichem Resistenzphänotyp Tragen eines langärmeligen Schutzkittels bei allen direkten Patientenkontakten Zuordnung von unkritischen Geräten/Instrumenten zum Patienten während der Dauer des Aufenthalts Zuordnung einer eigenen Nasszelle bzw. Sicherstellen von Flächendesinfektion der Nasszelle nach Benutzung durch den Patienten Benachrichtigung der durchführenden oder aufnehmenden Abteilung bei Durchführung von diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen oder Verlegung des Patienten Schlussdesinfektion das Bettplatzes und der Nasszelle nach Entlassung oder Verlegung Tab..1: Übersicht über Maßnahmen zur Prävention der Verbreitung von MRGN Ambulantes Operieren Praktische Hygiene 321
6 Klassifizierung multiresistenter gram-negativer Erreger (MRGN) Nicht alle krankenhaushygienisch bedeutsamen multiresistenten gram-negativen Erreger werden durch die Aufzeichnungspflicht nach 23 IfSG erfasst. Das RKI schlägt daher eine Klassifizierung aufgrund der Resistenzeigenschaften gegenüber mehreren Antibiotikaklassen vor (Epidemiologisches Bulletin Nr. 36, ). Die Inhalte der bei Drucklegung dieses Buches veröffentlichten KRINKO Empfehlung Hygienemaßnahmen bei Infektionen und Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen und ihre Einteilung der multiresistenten gramnegativen Stäbchen werden im Folgenden zugrunde gelegt (KRINKO 2012 DOI /s ). Auch wenn der chirurgisch tätige Arzt weiterhin vom beauftragten Labor fertig interpretierte Befunde erhält (als Dienstleistung eines mikrobiologischen Labors), soll im Nachfolgenden diese neue Klassifizierung für den Interessierten dargestellt werden. Leitsubstanz Antibiotikagruppe Enterobacteriaceae 3 4 MRGN 1 MRGN 2 Pseudomonas aeruginosa 3 4 MRGN 1 MRGN 2 Nur eine der 4 Antibiotikagruppen wirksam (sensibel) Acinebavter spp. 3 4 MRGN 1 MRGN 2 Acylureido- Piperacillin R R R R R penicilline 3./4. Generations- Cefotaxim R R R R R Cephalosporine und/oder Ceftazidim Carbapeneme Imipenem S R R S R und/oder Meropenem Fluorchinolone Ciprofloxacin R R R R R 1 3MRGN (Multiresistente gram-negative Stäbchen mit Resistenz gegen 3 der 4 Antibiotikagruppen) 2 4MRGN (Multiresistente gram-negative Stäbchen mit Resistenz gegen 4 der 4 Antibiotikagruppen) Tab..2: Klassifizierung multiresistenter gram-negativer Erreger (MRGN) auf Basis ihrer phänotypischen Resistenzeigenschaften (R = resistent oder intermediär sensibel, S = sensibel) Spezies Resistenzeigenschaft Bewertung Bemerkung A. baumannii Piperacillin R 3MRGN-A. baumannii Cefotaxim R Imipenem S Meropenem S Ciprofloxacin R A. baumannii Piperacillin R 4MRGN-A. baumannii Cefotaxim R Imipenem R Meropenem R Ciprofloxacin R A. baumannii Piperacillin R 4MRGN-A. baumannii Sulbactam S Cefotaxim R Imipenem R Meropenem R Ciprofloxacin R Sulbactam geht nicht in die Multiresistenz- Definition ein 322 Verlag für medizinische Praxis
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