Missbrauch marktbeherrschender Stellungen (Art. 102 AEUV) durch Patentinhaber
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- Inge Lorenz
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1 Missbrauch marktbeherrschender Stellungen (Art. 102 AEUV) durch Patentinhaber Orangebook, und was die Instanzgerichte daraus gemacht haben GRUR-Jahrestagung Fachausschuss Kartellrecht Erfurt, 26. September 2013 Clemens-August Heusch Head of European Litigation Nokia Corporation
2 Nokia Fakten Nokia wurde 1865 in Tampere von Fredrik Idestam gegründet und war ursprünglich eine Papiermühle. Das Produktportfolio entwickelte sich dann von Gummistiefeln über Reifen und Fernseher hin zu Mobiltelefonen und künftig Netzwerkstationen Weltweit nutzen derzeit etwa 1,5 Mrd. Menschen Nokia-Handys mehr als irgendein anderer Hersteller Nokia stellt jährlich etwa 400 Mio. Handys in neun Fabriken her Mitarbeiter weltweit Forschungs- und Entwicklungskosten seit 1990: ca. 45 Mrd. Patentportfolio: ca Patentfamilien (ca Patente), jährlich etwa Neuanmeldungen Ausblick: Die Handysparte wird an Microsoft verkauft; NSN, HERE, das IP-Portfolio und R&D bleiben bei Nokia Nokia wird auch weiter ein forschendes und produzierendes Unternehmen sein
3 Art. 102 AEUV (ehem. Art. 82 EG; Art. 86 EGV) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Dieser Missbrauch kann insbesondere in Folgendem bestehen: a) der unmittelbaren oder mittelbaren Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen; b) der Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher; c) der Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; d) der an den Abschluss von Verträgen geknüpften Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.
4 Patentgesetz 9 PatG Das Patent hat die Wirkung, dass allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen. Jedem Dritten ist es verboten, ohne seine Zustimmung [ ] 139 PatG (1) Wer entgegen den 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. (2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. [ ] (3) [ ] => Das Spannungsverhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht ist immanent, insbesondere bei standardessentiellen Patenten (SEPs).
5 Rechtsprechung vor Orangebook (1/2) Gegen Zulassung des FRAND-Einwands: BGH, Spiegel CD-Rom vom 5. Juli 2001 (1 ZR 311/98) allerdings unter Heranziehung urheberrechtlicher Spezialvorschriften OLG Düsseldorf, Spundfass vom 28. Juni 2002 (VI-U (Kart) 18/01) Rn. 67: Lizenz hätte zuerst durch Kartellbehörde oder Kartellgericht ausgesprochen werden müssen Offengelassen: LG Mannheim, Sisvel./. Blaupunkt ( CD-R ) vom 20. April 2007 (7 O 287/02) in der das LG eine eigenwillige Marktabgrenzung vornimmt LG Mannheim, MP3 vom 9. November 2007 (7 O 115/05) Rn. 271
6 Rechtsprechung vor Orangebook (2/2) Für Zulassung des FRAND-Einwands: BGH, Standard-Spundfaß vom 13. Juli 2004 (KZR 40/02) allerdings ging es hier nur noch um den Schadensersatzanspruch LG Düsseldorf, Siemens./. Amoi vom 13. Februar 2007 (4a O 124/05) LG Düsseldorf, Videosignal-Codierung vom 11. September 2008 (4a O 81/07) OLG Karlsruhe, Orangebook vom 13.Dezember 2006 (6 U 174/02) OLG Karlsruhe, UMTS-Standard vom 11. Mai 2009 (6 U 38/09) im Rahmen eines Vollstreckungsschutzantrags
7 Die Orangebook-Entscheidung des BGH BGH, Orange Book Standard vom 6. Mai 2009 (KZR 39/06): Der kartellrechtliche Einwand ist unter zwei Bedingungen möglich (Rn. 32) Zum einen muss der Lizenzsucher ihm ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrages gemacht haben, das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne den Lizenzsucher unbillig zu behindern oder gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen, und sich an dieses Angebot gebunden halten. BGH, Orange Book Standard vom 6. Mai 2009 (KZR 39/06): Der kartellrechtliche Einwand ist unter zwei Bedingungen möglich (Rn. 32) Zum anderen muss der Lizenzsucher, wenn er den Gegenstand des Patents bereits benutzt, bevor der Patentinhaber sein Angebot angenommen hat, diejenigen Verpflichtungen einhalten, die der abzuschließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstandes knüpft. Dies bedeutet insbesondere, dass der Lizenzsucher die sich aus dem Vertrag ergebenden Lizenzgebühren zahlen oder die Zahlung sicherstellen muss.
8 1. Kriterium: unbedingtes Angebot anders: Justice Roth, High Court London, Nokia./. IPCom, 18. Mai 2012 (HC10 C01233). Demnach ist es legitim, erst Verletzung und Rechtsbestand feststellen zu lassen, und erst danach Lizenzbedingungen festzulegen. Dagegen spricht das Argument, dass Patentbenutzer grundsätzlich abwarteten, bis sie erwischt würden Dafür sprechen Fairnesserwägungen: Wenn gegen ein Produkt eine Vielzahl an Patenten geltend gemacht wird, soll derjenige unterlassen müssen, der vielleicht in einem einzigen Fall mit seiner Prognose falsch lag? Darf der Rechtsbestand gleichzeitig angegriffen werden? OLG Karlsruhe, Motorola./. Apple (6 U 136/11): Das Angebot muss Verpflichtung zur Rücknahme des Validitätsangriffs sowie Sonderkündigungsrecht für den Fall eines erneuten Validitätsangriffs enthalten. In LG Düsseldorf, UMTS Mobiltelefon vom 24. April 2012 (4b O 273/10) S. 76, lit. ee) offen gelassen Dagegen scheint Art. 5 (1) c) i.v.m. Art. 3 (2) der VO (EG) 772/2004 (TT-GVO) im Umkehrschluss nahezulegen, dass ein Sonderkündigunsrecht kartellrechtswidrig ist. Meier-Beck, ETSI IPR Special Commitee, 20. Juni 2013, Folie 14: wohl ja Trennungsprinzip: Aussetzung gemäß 148 ZPO Ermessensentscheidung, also unsicher Lizenzen an unwirksamen Patenten behindert Wettbewerb
9 2. Kriterium: Verhalten wie ein Lizenznehmer Hinterlegung eines jedenfalls ausreichende[n] Betrags (Rn. 40) Der korrekte Betrag kann für den Lizenzsuchenden schwer zu bestimmen sein, zumal er nicht weiß, was andere Lizenznehmer bezahlen und was daher nicht-diskriminierend ist. Hinterlegt er sicherheitshalber einen höheren Betrag, ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit schnell überfordert, was ihn in überhöhte Lizenzen treiben könnte. Es scheint unbillig, ihm den gesamten Einwand abzuschneiden, nur weil seine Hinterlegung vielleicht nur unwesentlich zu gering war => evtl. richterlicher Hinweis? OLG Karlsruhe, IPCom./. Nokia (6 U 128/10), Anmerkung in der mdl. Verh. am 14. März 2012: Gesamtlizenzbelastung geteilt durch alle angeblichen SEPs kann erste Anknüpfungspunkt sein, dann müsste der Patentinhaber substantiiert vortragen. Praktische Probleme bei einer Hinterlegung gemäß HintO / HintG Abrechnung BGH (Rn. 33) verlangt, dass der Lizenzersuchende sich so verhält, als ob der Patentinhaber sein Angebot bereits angenommen hätte. => Abrechnung, wie dies bei Lizenzverträten üblich, also meist Stück- und Umsatzzahlen a. A.: LG Düsseldorf, UMTS Mobiltelefon vom 24. April 2012 (4b O 273/10) S. 79, lit. bbb): nach 259 BGB wie bei einer Rechnungslegung für den Schadensersatz
10 Anwendbarkeit auf vereinbarte Standards? Bei Orange-Book-Standard handelte es sich um einen de-facto-standard, so dass es keine IPR-Regeln oder FRAND-Erklärungen gab => nur kartellrechtliche Anspruchsgrundlagen Bei Standarisierungsorganisationen hingegen verpflichten sich die Mitglieder i.d.r., ihre SEPs zu FRAND-Konditionen zu lizenzieren => zusätzlicher vertraglicher Anspruch (so LG Düsseldorf, Siemens./. Amoi vom 13. Februar 2007 (4a O 124/05) S. 18 lit b)) Dies könnte den Schluss zulassen, dass bei vereinbarten Standards keine Vorleistung erforderlich ist. a.a. LG Mannheim, UMTS-fähiges Mobiltelefon II vom 18. Februar 2011 (7 O 100/10) S. 41, lit a); LG Düsseldorf, UMTS Mobilstation vom 24. April 2012 (4b O 273/10) S. 72 lit. b)
11 Offene Fragen Nur Streitpatent oder Portfoliolizenz? Streitgegenstand ist i.d.r. nur der deutsche Teil des jeweiligen Klagepatents => regelmäßig nur das Klagepatent, es sei denn, eine Lizenznahme nur an diesem ist rechtsmissbräuchlich (LG Mannheim, Philips./. SonyEricsson vom 27. Mai 2010 (7 O 65/10) Allerdings wird häufig der Wert einer Portfoliolizenz der eigentliche Hintergrund der Auseinandersetzung sein. Muss der Lizenzsuchende seine Schadensersatzpflicht anerkennen? In LG Mannheim, Philips./. SonyEricsson vom 27. Mai 2010 (7 O 65/10) griff der Einwand, obwohl das Lizenzangebot kein Anerkenntnis enthielt In LG Mannheim, Motorola./. Apple judgment vom 9. Dezember 2011 (7 O 122/11) ließ die selbe Kammer den Einwand hieran scheitern Erlaubt Art. 102 AEUV eine Diskriminierung für die Vergangenheit?
12 Ausblick Vorlagebeschluss des LG Düsseldorf, Huawei./. ZTE vom 21. März 2013 (4b O 104/12) Kommission, Pressemitteilung im Fall Samsung (IP/12/1448) vom 21. Dezember 2012: in diesem Fall, in dem Samsung zugesagt hat, Lizenzen für seine SEPs zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, und der potenzielle Lizenznehmer (hier Apple) sich bereit gezeigt hat, eine FRAND-Lizenz für die SEPs zu verhandeln, der Antrag auf eine Unterlassungsverfügung dem Wettbewerb abträglich ist. besteht bei [Unterlassungsanordnungen] die Gefahr, dass Produkte ohne Grund vom Markt ausgeschlossen werden und die Lizenzverhandlungen ungerechtfertigterweise zugunsten des SEP-Inhabers ausfallen. Kommission, Pressemitteilung im Fall Motorola (IP/13/406) vom 6. Mai 2013 in diesem Fall, bei dem [ ] Apple akzeptiert hatte, die von einem Dritten festgelegte FRAND-Lizenzgebühr für SEPs zu zahlen, ein Antrag auf Unterlassungsverfügung dem Wettbewerb abträglich ist. Risiko einer Unterlassungsverfügung die Lizenzverhandlungen verzerren und zu Lizenzbedingungen führen könnte, die der Lizenznehmer ohne die drohende Unterlassungsverfügung nicht akzeptiert hätte. Dies würde die Produktauswahl für den Verbraucher einschränken.
13 Lösungsansätze Schiedsklauseln in IPR-Regeln der Standarisierungsorganisationen? Ausgewogenes System, das einerseits Erfindern eine faire Belohnung zusichert, andererseits anderen Marktteilnehmern Zugang zu SEPs zu angemessenen Bedingungen ermöglicht. Unterlassungstitel sollten nicht gegen Lizenzwillige verfügbar sein. Dabei ist zu hoffen, dass die Kommission und der EuGH hinreichend klar festlegen, wann ein Unterlassungstitel beantragt werden kann, ohne sich kartellrechtswidrig zu verhalten. Wann ist ein Beklagter lizenzwillig? Gemeinsamer Vorschlag von USDOJ und USPTO vom 8. Januar 2013 Policy Statement on Remedies for Standard-essential Patents subject to Voluntary F/RAND Commitments erscheint recht ausgewogen. Gesamtbetrachtung aller Faktoren bei den Lizenzverhandlungen
14 Vielen Dank! Dr. Clemens-August Heusch, LL.M. Rechtsanwalt, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz Head of European Litigation Nokia GmbH T +49 (0) Balcke-Dürr-Allee 2 F +49 (0) Ratingen E clemens.heusch@nokia.com Germany W
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