Eine partizipative Workshopreihe für Fahrpersonal
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- Paula Roth
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1 S. Schade Fahrdiensttauglich bis zur Rente. Fahrer reflektieren die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes. * Eine partizipative Workshopreihe für Fahrpersonal Obere Turnstrasse Nürnberg Tel: (09 11) Fax: (09 11) Die Altersstruktur im ÖPNV Deutschland altert und damit auch das Personal der der Unternehmen des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV). Die Statistiken des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) von 2005 belegen, dass die generelle Prognose für das Jahr 2020 bereits heute nahezu erreicht ist: Beinahe 30 Prozent der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind älter als 50. Abb.1: Altersstruktur im ÖPNV (VDV, 2005) In der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg wird die Gruppe der 50- bis 59-Jährigen bei gleich bleibender Einstellungspolitik von 30 Prozent im Jahr 2005 bis auf 42 Prozent im Jahr 2010 und die Gruppe der über 60-Jährigen von zwei Prozent auf elf Prozent im Jahr 2010 anwachsen (VAG 2006). Die derzeitige Altersstruktur in den ÖPNV-Betrieben nimmt damit * erschienen unter dem Titel Alternsgerechte Arbeitsgestaltung durch selbstgesteuerte Lernarrangements in: Ludwig, J./ Moldaschl, M./ Schmauder, M./ Schmierl, K. (2007). Arbeitsforschung und Innovationsfähigkeit in Deutschland. München. gehört der Entwicklungspartnerschaft FAIRplus in der Region Nürnberg an. Es wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus Mitteln der EU-Gemeinschaftsinitiative EQUAL gefördert. plus gefördert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds
2 Fahrer reflektieren die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes Seite 2 von 7 Zukunftsszenarien des Jahres 2020 vorweg, nicht zuletzt aufgrund der für einen Großteil der Belegschaft geltenden arbeitsvertraglichen Regelungen des öffentlichen Dienstes. Zudem werden sich die Bedingungen in den kommenden Jahren für die ÖPNV-Betriebe durch die bevorstehende Ausweitung einer regulierten Marktliberalisierung, die sich an der EU Rechtsverordnung Nr. 1191/ 69 orientiert, verändern. Für die ÖPNV-Betriebe gilt es daher mehr als für andere Unternehmen, eine zukunftsorientierte Personalstrategie zu entwerfen, die den demografischen Trend berücksichtigt und gleichzeitig auf eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit abzielt. Neben der Veränderung von Rechtsformen für Verkehrsdienstleister und der Aufhebung von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes wird der Erhöhung der Leistungsfähigkeit sowie dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit der überwiegend älteren Belegschaft eine hohe Bedeutung zukommen. Insbesondere hat dabei die Entwicklung von Strategien zur betrieblichen Gesundheitsförderung eine Schlüsselrolle in diesem Prozess. Gesundheitliche Risiken und Ressourcen Die Berufsgruppe der Bus- und Bahnfahrer und -fahrerinnen sind vergleichsweise hohen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt wie eine Vielzahl von Studien zur physischen und psychischen Gesundheit belegen (vgl. Karazman/ Kloimüller/ Geissler/ Karazman-Morawetz 2000a u. 2000b; Kompier 1996; Kompier/ Aust/ van den Berg/ Siegrist 2000; Meijman/ Kompier 1998; Stadler/ Silo 2004): Demnach entstehen relativ hohe physische und psychische Belastungen u.a. durch eine ungünstige Ergonomie der Fahrersitze, ungünstige Temperaturverhältnisse und Lärm sowie geringer Aufgabenvielfalt, einem hohen Zeitdruck, geringer Kontrolle, geringer sozialer Unterstützung, einem hohen Maß an Verantwortung und geringer Anerkennung. Diese ungünstigen Tätigkeitsbedingungen und -merkmale und die relativ geringen Ressourcen können zu einer Reihe von gesundheitlichen Problemen führen. Zu den häufigsten negativen Beanspruchungsfolgen des Bus- und Bahnfahrens zählen: Muskel-Skelett-Erkrankungen (Low back pain, Nacken-, Schulter- und Knieschmerzen) psychische Erkrankungen (Ermüdung, Überforderung) Schlafstörungen, gastro-intestinale Erkrankungen relativ hoher Blutdruck, relativ hohe Urin-Adrenalin-Werte relativ hohe Kortisolwerte frühzeitige Fahruntauglichkeit (vgl. Kompier 1996, S. 5 ff.) In der arbeitspsychologischen Literatur gibt es vielfältige Modelle zur Klärung der Einflussfaktoren auf das gesundheitliche Wohlbefinden: Nach dem Gratifikationskrisen-Modell von Siegrist 1996 spielt dabei das Gleichgewicht zwischen Verausgabung und Belohnung in der Tätigkeit die Hauptrolle. Im Konzept des Psychologischen Arbeitsvertrages von Robinson und Rousseau 1994 sind es die impliziten Erwartungen sowohl der Führungskräfte als auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Ressourcen-Modell schließlich verweist auf die Bedeutsamkeit der Arbeitsgestaltung im Sinne von hohen Tätigkeitsspielräumen, Aufgabenvielfalt, hohe Lernanforderungen der Arbeitstätigkeit bis hin zur sozialen Unterstützung durch Kollegen oder Führungskräfte und Bewältigungsstilen (Richter 2006).
3 Fahrer reflektieren die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes Seite 3 von 7 Ressourcen-Modell Abb. 2: Ressourcen-Modell (Richter 2006) Das Modell stellt drei Formen von Ressourcen in den Mittelpunkt: organisationale, soziale und personale, die das Wohlbefinden der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beeinflussen: Bezogen auf die Tätigkeiten im öffentlichen Personennahverkehr wirkt sich beispielsweise positiv auf die Gesundheit aus, wenn die Fahrer und Fahrerinnen neben der Fahrtätigkeit auch andere Tätigkeiten wie die Weiterbildung von Kollegen oder die Reinigung von Fahrzeugen ausführen oder in Planungsprozesse einbezogen werden. Neben der Unterstützung durch andere Fahrer und Fahrerinnen und von Führungskräften hat die Fähigkeit, mit kritischen Situationen umzugehen (beispielsweise mit schwierigen Kunden), einen positiven Einfluss auf die Gesundheit. Ideen für den Erhalt der Leistungsfähigkeit Selbstgesteuertes Lernen Das Trainingsmodell EQUA erfahrungsbasierte Qualifizierung, das bei dem Öffentlichen Personennahverkehr in Nürnberg umgesetzt wird, zielt auf die Stärkung der organisationalen, sozialen und personalen Ressourcen und auf die Förderung der Eigenverantwortung für Gesundheit sowie für Erhalt und Erweiterung der eigenen beruflichen Kompetenzen unter anderem der Fahrtauglichkeit ab. Das Lernarrangement EQUA ermöglicht eine Struktur, in der Lernen sinnvoll stattfinden kann, d.h. dass die Ziele des Lernens von den Lernenden selbst erarbeitet werden, für sie klar sind und auch von ihnen mitgetragen werden. Zudem werden bisherige Erfahrungen im Erwerbsleben der Lernenden aufgegriffen und genutzt. Die Beteiligten erleben sich selbst als Experten und erfahren eine Wertschätzung ihrer Meinung im Unternehmen. Durch den offenen Charakter der Lernarchitektur können möglichst individuelle und vielfältige Lernstile und -präferenzen Berücksichtigung finden (vgl. Hörwick 2003).
4 Fahrer reflektieren die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes Seite 4 von 7 Bei der Implementierung des EQUA-Trainings * wie bei der VAG Nürnberg geschehen wurden Vertreter verschiedener Ebenen einbezogen: Führungskräfte, Geschäftsbereichsleiter, Betriebshofsleiter und Fahrer und Fahrerinnen. Die Führungskräfte fungieren als Multiplikatoren und können die Konsequenzen für ihren Bereich abschätzen. Sie lernen wesentliche Einflussfaktoren für die Leistungsfähigkeit von Erfahrenen insbesondere der erfahrenen Fahrer und Fahrerinnen kennen. Auch werden sie angeregt, organisatorische Veränderungen zu durchdenken, Kompetenzen ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu übertragen und Arbeitsplätze zu optimieren. Abb. 3: Ebenen im Change Management Prozess Die Geschäftsbereichsleiter schließlich stellen die Einbindung der Themenstellung wie der Vorgehensweise in die neue strategische Ausrichtung des Unternehmens sicher. Sie befürworten die Ziele und verantworten die Zielerreichung und schaffen Kommunikationsstrukturen, die bei der Umsetzung innovativer Maßnahmen die Grundlage bilden. Die Betriebshofsleiter und Fahrer und Fahrerinnen lernen bisherige Abläufe im Unternehmen in Fragezustellen und entwickeln ausgehend von ihrer Expertise der konkreten Bedingungen und Probleme ihrer Arbeitsplatzes neue Ideen zum Erhalt ihrer eigenen Gesundheit und damit ihrer Beschäftigungsfähigkeit. Die Implementation Die Aufgabe, den ÖPNV-Betrieb demografiefest zu gestalten, fordert von den Führungskräften die Auseinandersetzung mit neuen Themenfeldern, die Aneignung von Kenntnissen und neuen Sichtweisen insbesondere im Hinblick auf ihre Personalführung. * EQUA steht für erfahrungsbasierte Qualifizierung. Dieses Modell wird im Rahmen des f-bb-projekts AQUA alternsgerechte Qualifizierung für betriebliche Lerngruppen eingesetzt. Durch die Bezeichnung EQUA wird innerbetrieblich der Verweis auf Alter vermieden und die Wertigkeit von Erfahrung für das Lernen betont.
5 Fahrer reflektieren die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes Seite 5 von 7 Abb. 4: Ebenen des Change Management Prozesses Die Übernahme dieser Aufgabe ist deshalb mit einem Lernprozess verbunden. Dieser wird durch ein gestaltungsoffenes Lernarrangement systematisiert und begleitet (vgl. Hammer 2006; Geldermann/ Severing/ Stahl 2006). Die Ebene der Führungskräfte Ziel des Trainings ist die Begleitung der Führungskräfte bei der Entwicklung von Ideen und Maßnahmen, die dazu beitragen, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aller Altersgruppen ihre Beschäftigungsfähigkeit bis zum Rentenalter erhalten. Die Führungskräfte sollen außerdem dazu befähigt werden, selbstgesteuerte Projektgruppen ihrer Mitarbeiter zu initiieren, zu beraten und zu unterstützen, damit diese nachhaltig für die Erhaltung ihrer Leistungsfähigkeit aktiv sind. Die Ebene der ausführenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Das Training wird von externem Trainingspersonal durchgeführt. Die Systematik folgt ebenfalls dem EQUA-Modell. Die Inhalte beziehen sich auf die Gestaltungsmöglichkeiten am eigenen Arbeitsplatz, im konkreten Arbeitsumfeld sowie dem persönlichen Verhalten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lernen, wie sie ihr Arbeitsfeld als Lernfeld erschließen und wie sie die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen nutzen können (vgl. Hörwick 2003). Als Gruppen, die mit dem späteren Renteneintritt absehbar massive Probleme haben, sind zuallererst Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Fahrdienstes hier wiederum besonders bei der U-Bahn ins Auge gefasst. Kreative Möglichkeiten der Reduzierung der Monotonie, des Umgangs mit psychischen wie physischen Belastungen sowie die Mobilisierung sozialer und persönlicher Ressourcen beziehen sich einerseits auf Arbeitsorganisation und -bedingungen.
6 Fahrer reflektieren die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes Seite 6 von 7 Andererseits sind auch auf der individuellen Ebene Veränderungsprozesse anzustreben, die sich sowohl auf Haltungen als auch auf das Verhalten beziehen. Ausblick Nicht nur aufgrund der Notwendigkeit, die sich aus dem verlängerten Erwerbsleben ergibt, wird lebenslanges Lernen von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in möglichst individualisierter und kontextbezogener Form gefordert sein, sondern auch durch steigende Lernanforderungen, die aus den Veränderungen in der Arbeitswelt resultieren. Formen des selbstgesteuerten Lernens zu fördern und Arbeitstätigkeiten lernförderlich zu gestalten werden damit zunehmend in den Mittelpunkt von Personalentwicklungsstrategien rücken. Zum einen stellt selbstgesteuertes Lernen oftmals eine kostengünstige Alternative gegenüber vielen stark strukturierten und formalisierten Lernarrangements dar, zum anderen verlangt eine stärker prozessorientierte Arbeitgestaltung und eine stetige Verkürzung der Halbwertszeit des Wissens nach Handlungsmustern der Mitarbeiter, die durch hohe Autonomie, starke Selbstkontrolle, Selbstrationalisierung und Selbstökonomisierung gekennzeichnet sind. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden sich zunehmend eigenständig weiterqualifizieren müssen. Damit diese Forderung nicht zu einer doppelten Privilegierung derjenigen führt, die ohnehin Zugang zu höherer Bildung hatten und diesem neuen Typus weitaus mehr entsprechen als diejenigen, die vergleichsweise wenig Zugang zu Bildung hatten, werden Unterstützungsstrukturen von Nöten sein, die Lernen für die Lernentwöhnten erst ermöglichen. Das Situated Peer to Peer Learning wie im EQUA-Training setzt genau dort an. Literatur Geldermann, B./ Severing, E./ Stahl, T.: Perspektiven des selbst gesteuerten Lernens in der betrieblichen Bildung. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (2006), Beiheft 20, S Hammer, V.: Der Lernort Unternehmen als relationaler Raum. Räume öffnen Erfahrungen austauschen. In: DIE Magazin Zeitschrift für Erwachsenenbildung 13 (2006), H. 4, S Hörwick, E.: Lernen Ältere anders? Bedingungen für Qualifizierung älterer Beschäftigter. In: Landesagentur für Struktur und Arbeit (LASA) Brandenburg GmbH (Hrsg.): Nutzung und Weiterentwicklung der Kompetenzen Älterer eine gesellschaftliche Herausforderung für die Gegenwart. Tagungsband zur Fachtagung der Akademie der zweiten Lebenshälfte. Potsdam 2003, S Karazman, R./ Kloimüller, I./ Geissler, H./ Karazman-Morawetz, K.: The relation of age, work ability index and stress-inducing factors among bus drivers. In: International Journal of Industrial ergonomics 25 (2000), S (=2000a) Karazman, R./ Kloimüller, I./ Geissler, H./ Karazman-Morawetz, K.: Effects of ergonomic and health training on work interests, work ability and health in elderly public urban transport drivers. In: International Journal of Industrial ergonomics 25 (2000), S (=2000b)
7 Fahrer reflektieren die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes Seite 7 von 7 Kompier, M. A. J.: Bus drivers: Occupational stress and stress prevention. Working Paper. International Labour Office, Geneva Kompier, M./ Aust, B., Van den Berg, A.-M./ Siegrist, J.: Stress prevention in bus drivers: Evaluation of 13 natural experiments. In: Journal of Occupational Health Psychology 5 (2000), H. 1, S Meijman, T. F./ Kompier, M. A. J.: Bussy business: How intra city bus drivers cope with time pressure, passengers and traffic safety. In: Journal of Occupational Health Psychology 3 (1998), H. 2, S Pongratz, H./ Voß, G.: Erwerbstätige als Arbeitskraftunternehmer Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft? SOFI Richter, P.: Occupational Health Psychology - Gegenstand, Modelle, Aufgaben. In: U. Wittchen/ Hoyer, J. Klinische Psychologie und Psychotherapie. Berlin, Springer Robinson, S. L./ Rousseau, D. M.: Violating the psychological contract: Not the exception but the norm. In: Journal of Organisational Behaviour 15 (1994), S Bergmann, B.: Alter und Leistung in der Erwerbsarbeit. In: Schöpf, N. et al: Demografischer Wandel und Weiterbildung. Strategien einer alterssensiblen Personalpolitik Ältere und Lernen. Bielefeld S Siegrist, J.: Soziale Krisen und Gesundheit. Eine Theorie der Gesundheitsförderung am Beispiel von Herz-Kreislaufrisiken im Erwerbsleben. Göttingen Stadler, P./ Silo, A.: Psychomentale Fehlbelastungen bei Busfahrern im Öffentlichen Personennahverkehr Eine Projektarbeit der bayerischen Gewerbeaufsicht. (2004) Im Internet abgerufen am unter: Verkehrsaktiengesellschaft Nürnberg [VAG]: Statistiken Verband Deutscher Verkehrsunternehmen [VDV]: Statistik 2005.
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