Manchmal, spätabends, wenn in der Backstube alles

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2 v V v v v v v v Manchmal, spätabends, wenn in der Backstube alles schläft, schleicht sich Peter Göbecke hinunter und fängt an zu backen: Mürbchen, Schweineöhrchen, Schwarz-Weiß-Gebäck, was halt so gebraucht wird. Bevor die ersten Bäcker kommen, ist Göbecke längst wieder weg. Heinzelmännchen nennen sie ihn manchmal, früher nannten sie ihn Chef. 33 Jahre lang führte Peter Göbecke, 71, die familieneigene Bäckerei in Leipzig; 2004 übergab er an seine beiden Kinder. Das Loslassen musste mein Vater erst lernen, sagt Tochter Christine und lacht, wenn sie den Papa mal wieder in der Backstube trifft. Zusammen mit ihrem älteren Bruder Matthias leitet die 35-Jährige den kleinen Betrieb, in dem seit hundert Jahren Brot gebacken wird. Vom Landbrot bis zur Streuselschnecke, seit jeher ist hier alles hausgemacht. Das Backen liegt den Göbeckes im Blut. Bereits 1912 gründete Hugo Köhler, der Urgroßvater von Matthias und Christine, mit seiner Frau Emma in der Mittelstraße eine Bäckerei. Hier, östlich vom Leipziger Hauptbahnhof, ist das Geschäft bis heute geblieben einzig die Straße wurde im Lauf der Zeit zur Hans-Poeche-Straße umbenannt. Köhlers Schwie-

3 v v V v v v v v gersohn, der Bäckermeister Kurt Göbecke, übernahm 1937 den Betrieb übergab er die Bäckerei Göbecke, wie sie seither heißt, an Sohn Peter und dessen Frau Sabine. Weltkrieg, Sozialismus, Wende, Wirtschaftskrise, nichts tat der Backtradition der Familie einen Abbruch. Dass die Bäckerei jetzt von seinen beiden Kindern weitergeführt wird, dafür sei er dem Herrgott dankbar, sagt Peter Göbecke. Eine Selbstverständlichkeit ist das heutzutage ja nicht, weiß der schmächtige, alte Herr mit den großen Händen. Ihre Eltern hätten ihnen immer offen gelassen, was sie im Leben werden wollen, erinnert sich Christine Göbecke. Wer aber schon als Baby im Laufgitter Backstubenluft schnuppern durfte, der sei natürlich vorgeprägt, sagt sie. Doch anders als ihr älterer Bruder, der eine Bäckerlehre machte, wollte Christine vom Backen zunächst nichts wissen. Nach dem Abitur studierte sie Betriebswirtschaftslehre und arbeitete anschließend fünf Jahre bei einem Energiekonzern in Leipzig. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mein Herz

4 v v v V v v v v noch immer an der Bäckerei hängt, sagt Göbecke. Sie kündigte, lernte Konditorin und stieg ins Familiengeschäft ein. Heute, in Zeiten von Selbstbedienungsketten wie Backfactory, Backwerk und Co., ist die Bäckerei Göbecke ein echtes Kleinod. Zwölf Brotsorten, 13 Brötchensorten, ein Dutzend Kuchen, Torten und Pralinen und etliches an Gebäck werden hier produziert und zwar täglich frisch, vor Ort und von Hand. Wer die Bäckerei, die ein paar Gehminuten abseits des Stadtzentrums liegt, erst einmal gefunden hat, staunt nicht schlecht. Schon zu früher Morgenstunde bilden sich lange Schlangen im kleinen Verkaufsraum. Ein Mehrkornbrot und ein Stück Bienenstich, bitte! Ich nehme zwei Kornknacker und vier Mohn-Cranberry-Brötchen. Haben Sie schon Schneewittchenkuchen? Eine Fettbemme, bitte. Drei Verkäuferinnen flitzen hinter dem üppig bestückten Tresen hin und her, um die Kundenwünsche zu erfüllen.

5 v v v v V v v v Wer warten muss, hat nicht nur Zeit, sich im Angesicht der appetitanregenden Auslage spontan für ein Linzer Törtchen zusätzlich zu entscheiden, sondern auch einen Blick in die Backstube zu erhaschen. Durch eine schmale Tür sieht man Bäcker, die Teig kneten, Brotregale schieben, Brötchenkisten schleppen und Backofentüren öffnen und ist beruhigt: Der Duft ofenfrischer Brötchen, der einem schon auf der Straße in die Nase stieg, ist tatsächlich echt. Das hier ist noch eine richtige Bäckerei, hier wird noch gebacken, freut sich auch Kunde Thomas Holonics, der ein reines Roggenbrot und zwei Pfannkuchen bestellt. Wir sind eine der letzten Handwerksbäckereien Leipzigs, bestätigt Christine Göbecke mit Stolz, aber auch mit Bedauern schließlich beweist es, dass das Bäckerhandwerk zusehends ausstirbt. Göbecke spricht von Nachwuchsmangel und davon, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 500 Bäckereien dicht machen. Gab es vor der Wende in Leipzig etwa 500 Bäckereien, sind es jetzt nur noch um die 50, bestätigt Vater Peter den bundesweiten Trend. Bis in den Bundestag kämpft Göbecke Senior daher für sein Handwerk. Wir Alten müssen die Spur schaffen, in der die Jungen weitermachen, sagt er. Das Bäckerhandwerk kann doch so rentabel sein. Zu Hause, in der Hans-Poeche-Straße 13, hat er seine Spur schon gelegt. Die Backstube der Göbeckes ist alles andere als ausgestorben, insgesamt 25 Mitarbeiter füllen den Betrieb mit Leben, teilweise schon ab zwei Uhr nachts. Das Backen liegt dabei klar in Männerhand: Matthias Göbecke, 39, und zehn Männer verantworten die 200 Laib Brot und 4000 Brötchen, die jeden Tag verkauft werden. Sie sind es auch,

6 v v v v v V v v die mehrere Leipziger Restaurants und Hotels wie das Radisson, das Westin, den Fürstenhof oder das Café Pilot mit kleinen Frühstücks- und Buffetbrötchen beliefern. Christine Göbecke und die Frauen des Teams kümmern sich hingegen um die Torten und Kuchen, das Gebäck und die 400 belegten Brötchen, die tagtäglich im Laden, im angrenzenden Bistro oder auf Bestellung geordert werden. Acht Mitarbeiterinnen arbeiten zudem im Verkauf. Ob Misch-, Mehrkorn-, Vollkorn- oder Spezialbrot, fast alle Brotsorten werden bei Göbeckes mit Sauerteig gebacken. Das machen heute nicht mehr viele, erklärt Christine Göbecke. Die meisten wollen schnell produzieren, der Sauerteig braucht zu lange. Fast 24 Stunden lang wird er gerührt, alle vier Stunden wird er gefüttert, in drei Stufen muss er reifen: Erst bilden sich Hefen, dann Essigsäuren, dann Milchsäuren, entscheidend ist die Temperatur, die in der Sauerteiganlage

7 v v v v v v V v herrscht. Wer gutes Brot backen will, darf den Aufwand nicht scheuen, sagt Göbecke: Ohne Sauerteig wäre Roggenmehl nicht backfähig. Das Brot würde nicht aufgehen, wäre glitschig und flach. Das könnte man nicht essen, sagt die zweifache Mutter. Anders das Sauerteigbrot, das mit seinem kräftigen Aroma nicht nur sehr gut schmeckt, sondern auch noch überaus gesund ist: Sauerteig ist gut für die Darmflora, fürs Herz und für den Kreislauf, zählt Göbecke ein paar Vorzüge auf. Vor allem aber ist es wie alle Backwaren aus dem Hause Göbecke frei von jeglichen künstlichen Geschmacks- und Konservierungsstoffen. Der Renner unter den Broten ist das klassische Roggen- Misch-Brot, doch auch Spezialbrote wie das Walnuss- oder das Feta-Oliven-Brot finden ihren Absatz, gerade bei Frauen. Als Menschen, die gerne, gut und bewusst essen, beschreibt Christine Göbecke ihre Kunden. Viele von ihnen sind Stammkunden, etliche stammen, der langen Anfahrt zum Trotz, aus ferneren Stadtgebieten oder Ortschaften. Ich komme jeden Tag, um Brot oder Kuchen zu kaufen, sagt Kerstin Sperling aus dem 13 Kilometer entfernten Rackwitz. Allein auf den Geruch des frischen Brotes im Auto möge sie nicht verzichten. Genauso wenig verzichten will die Kundschaft auf die sächsischen Blechkuchen, für die Familie Göbecke bekannt ist. Vor allem die Eierschecke, bestehend aus Hefeteig, Quarkschicht und Grießpudding, erfreut sich großer Beliebtheit. Eine weitere Spezialität des Hauses, die es allerdings nur im Oktober gibt, ist das Reformationsbrötchen. Es erinnert in seiner Gestalt an die Lutherrose, wird aus einem schweren Hefeteig (oder leichtem Stollenteig), Orangeat, Zitronat, Mandeln und Rosinen gebacken und mit einem Klecks Erdbeermarmelade verziert. Als heimlicher Kassenschlager gilt jedoch etwas, das einfacher

8 v v v v v v v V kaum sein könnte: die Herdsemmel, ein klassisches Weizenbrötchen, früher auch DDR-Brötchen genannt. Anders als das normale Schnittbrötchen wird es bei Oberund Unterhitze gebacken, wobei rundherum in der Mitte ein weißer Kragen entsteht. Innen ist es dadurch sehr viel saftiger, erklärt Peter Göbecke, der die Liebe zu den Herdsemmeln mit den Kunden teilt. Der 71-Jährige isst sie nicht nur gern mit Butter und Honig, er backt sie vor allem gern: Am liebsten samstags, in aller Früh, wenn seine Kinder noch schlafen. N Spezialitäten des Hauses: Roggen-Misch-Brot: 1 kg = 2,30 Euro Herdsemmeln: 0,25 Euro Sächsische Eierschecke: 1,10 Euro/Stück Leipziger Lerche: 1,20 Euro Kaffeeschüsseln: von 7 bis 15 Euro