II. Zufallsvariablen 5 Zufallsvariablen, Grundbegriffe Def. 12 Es seien (Ω 1, E 1,P 1 ) und (Ω 2, E 2,P 2 ) Wahrscheinlichkeitsräume. Eine Abbildung X : Ω 1 Ω 2 heißt E 1 E 2 meßbar, falls für alle Ereignisse A E 2 gilt: X 1 (A) = {ω Ω 1 : X(ω) A} E 1. Bem.: Oftmals wird die Menge B 1 der BOREL Mengen als Ereignisfeld E 2 betrachtet. 152 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Def. 13 Es sei (Ω, E, P) ein Wahrscheinlichkeitsraum. Eine E B 1 meßbare Abbildung X von Ω in R heißt (reellwertige) zufällige Variable oder Zufallsgröße. Bem.: (R, B 1,P ) bildet hier den zweiten Wahrscheinlichkeitsraum, wobei P eine Abbildung von B 1 in R ist, die den KOLMOGOROFF Axiomen genügt. Wir betrachten den Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, E, P). X : Ω R. sei eine zufällige (reellwertige) Variable. Den zweiten Wahrscheinlichkeitsraum bezeichnen wir mit (R, B 1,P X ). Es sei B B 1 ein zufälliges Ereignis, für das gilt: B =],x[, 153 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
wobei x eine beliebige, fest gewählte reelle Zahl ist. Mit {X < x} bezeichnen wir das zufällige Ereignis, für das gilt: {X < x} := {ω Ω: X(ω) < x}. Dann gilt für die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses: P(X < x) = P({ω: X(ω) < x}) = P({ω: X(ω) B}) = P(X 1 (B)) =: P X (B) Für alle zufälligen Ereignisse B B 1 bezeichnen wir also: P X (B) := P(X 1 (B)). Def. 14 Es sei X : Ω R eine zufällige Variable, (Ω, E,P) und (R, B 1,P X ) seien Wahrscheinlichkeitsräume. 154 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Dann heißt die Funktion F X (x) := P(X < x) = P X (],x[) Verteilungsfunktion von X. Bem.: Der Einfachheit halber werden wir die Funktion F X einfach nur mit F bezeichnen. Bem.: Manchmal wird die Verteilungsfunktion auch durch definiert (bei SAS z.b.) F X (x) = P(X x) 155 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Diskrete Zufallsvariablen Eine diskrete Zufallsgröße X nimmt höchstens abzählbar viele verschiedene Werte mit positiver Wahrscheinlichkeit an. Das heißt, X ist eine Abbildung der folgenden Form: X : Ω {x i : i N} =: W R. Wir notieren das in der Form: X : x 1 x 2... x n... p 1 p 2... p n... Dabei sind die x i R die Werte, die die Zufallsgröße annehmen kann. Die p i sind die Wahrscheinlichkeiten, mit 156 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
denen diese Werte angenommen werden. Es gilt: p i 0, p i = 1, p i = P(X = x i ). i=1 Wenn wir Mengen A i definieren durch so gilt offenbar: A i := {ω: X(ω) = x i }, i N, A i A j =, i,j N,i j. Allgemein gilt dann: p i, falls x = x i P(X = x) = x i W, i N. 0, falls x x i 157 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Das bedeutet für die Verteilungsfunktion: ( F(x) = P(X < x) = P = P(A i ) = i: x i <x i: x i <x i: x i <x p i A i ) D.h.: Eine diskrete Zufallsgröße, die die Werte {x i : i N} annimmt, wobei x 1 < x 2 < x 3 <... gilt, hat die folgende Verteilungsfunktion: F(x) = 0, falls x x 1 p i, falls x 1 < x i: x i <x 158 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Betrachten wir eine Menge B B 1, so können wir feststellen: P X (B) = P({ω: X(ω) B}) = p i. i: x i B Bsp. 31 Es sei X : x 1 x 2... x n 1 n 1 n... 1 n Die Zufallsvariable X heißt diskret gleichverteilt auf der Menge {x 1,...,x n }. 159 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Bsp. 32 Sei Xeine diskrete Zufallsgröße, X : 0 1... n p 0 p 1... p n mit P(X = i) = p i = ( ) n p i (1 p) n i > 0, mit 0 < p < 1. i 160 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Bez. 1 Die Zufallsvariable X heißt binomialverteilt, bez.: X B(p,n) oder X Bi(p,n). Wir haben oben gesehen, daß n n ( ) n p i = p i (1 p) n i = (p + 1 p) n = 1. i i=0 i=0 Bsp. 33 Es sei X eine diskrete Zufallsgröße, 0 1... n... X : p 0 p 1... p n... mit P(X = n) = p n = λn n! e λ, λ > 0. 161 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Bez. 2 Die Zufallsvariable X heißt POISSON verteilt, bez.: X Poi(λ). Wir haben oben gesehen, daß n=0 p n = n=0 λ n n! e λ = e λ λ n n! n=0 }{{} =e λ = 1 162 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Stetige Zufallsvariablen Def. 15 Eine Funktion f : R R heißt Dichtefunktion, falls sie die folgenden Eigenschaften hat: 1. Für alle x R gilt: f(x) 0. 2. Es gilt: R f(x)dx = 1. Def. 16 Eine zufällige Variable X heißt stetig, falls eine Dichtefunktion f existiert, so daß gilt: P(X < x) = F(x) = x f(t)dt. Falls die Funktion f stetig ist, gilt: F (x) = f(x). 163 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Bem.: Für die Wahrscheinlichkeit P(X = x) gilt P(X = x) = x x f(t)dt = 0, sogar wenn X den Wert x tatsächlich annehmen kann! Das heißt jedoch nichts anderes, als daß gilt: Außerdem gilt: P(X x) = P(X < x). P(a X b) = b a f(t)dt. 164 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Veranschaulichung: Es sei X eine stetige Zufallsgröße. Wir teilen den Wertebereich von X in Intervalle I j ein und beobachten für jeden der Versuche X i, in welches der Intervalle I j der Wert X i (i = 1,...,n) fällt. Es sei n j = #{X i I j }. Die Länge eines Intervalls I j bezeichnen wir mit (I j ) = j. Desweiteren sei 0 = max{ j }. Wir j definieren nun folgende Funktion: Dann gilt: f emp. (x) = f(x) = lim n 0 0 Dichtefunktion allg.sas n j n j, x I j. f emp. (x). 165 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Bsp. 34 Es sei die Zufallsvariable X auf dem Intervall [0, 1[ definiert mit der Verteilungsfunktion 0, falls x < 0 F(x) = x, falls 0 x < 1 1, falls x 1. Bez. 3 Die Zufallsvariable X heißt auf dem Intervall [0, 1[ gleichverteilt, bez. X R(0, 1) oder X U(0, 1). 166 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Die Dichtefunktion ist die Funktion f; 0, falls x < 0 f(x) = 1, falls 0 x < 1 0, falls x 1. 167 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Ist X gleichverteilt auf dem Intervall [a,b[, X R(a,b), so hat X die Dichtefunktion: 0, falls x < a f(x) = 1 b a, falls a x < b 0, falls x b Für 0 a < b < 1 gilt:. P({ω: X(ω) [a,b]) = P(a X b) = b a f(x)dx = 1 b a b a dx = 1 168 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Bsp. 35 Die Zufallsvariable X habe die Verteilungsfunktion 1 e λ x, falls x 0 F(x) = 0, falls x < 0. Bez. 4 Die Zufallsvariable X heißt exponentialverteilt, bez. X Exp(λ). Die Dichtefunktion ist f(x) = F (x) = λ e λ x, falls x 0 0, falls x < 0. 169 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Weiterhin gilt: lim F(x) = 0, lim x F(x) = 1. x + Bsp. 36 Sei die Zufallsvariable X : (Ω, E,P) (R 1, B 1,P X ) der Meßfehler bei Messung einer physikalischen Konstanten. Der W.raum (Ω, E,P) ist ein Modell eines im Hintergrund wirkenden Zufallsmechanismus, der nicht näher beschrieben werden kann, Fehler im Meßinstrument zufällige äußere Einflüsse. 170 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Er enthält alle nicht näher bestimmbaren zufälligen Effekte. Zur Beschreibung dient der Bildraum (R 1, B 1,P X ). Oft kann man annehmen, P X (B) = 1 2πσ B e 1 2( t µ σ ) 2 dt. Die Zufallsvariable X mit der Verteilungsfunktion F(x) = 1 2πσ x e 1 2( t µ σ ) 2 dt. heißt normalverteilt mit den Parametern (µ,σ 2 ), 171 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
bez. X N(µ,σ 2 ). Die zugehörige Dichtefunktion hat die Form: f(x) = 1 2πσ e 1 2( x µ σ ) 2, σ > 0. Ist f(x) wirklich eine Dichtefunktion? Offensichtlich ist f(x) 0 für alle Zahlen x R und σ > 0. Es bleibt zu untersuchen, ob gilt: lim F(x) = x + 1 2πσ e 1 2( t µ σ ) 2 dt = + f(t)dt = 1. 172 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Wir bezeichnen + 1 2πσ e 1 2( x µ σ ) 2 dx =: I. 173 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Wir betrachten zunächst: + I 2 = e 1 2( x µ σ 1 2πσ = 1 2πσ 2 = 1 2πσ 2 = 1 2πσ 2 + + e 1 2( x µ σ + + + e 1 2( x µ σ e 1 2( x µ σ ) 2 dx 2 ) 2 dx + e 1 2( y µ σ ) 2 dx e 1 2( y µ σ ) 2 dy ) 2 e 1 2( y µ σ ) 2 dxdy ) 2 dy 174 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Wir führen nun eine Substitution durch: s := x µ σ t := y µ σ. Dann gilt: x = sσ + µ y = tσ + µ, dx = σ ds dy = σ dt. 175 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Wir erhalten damit: I 2 = 1 2πσ 2 = 1 2π + + + + e 1 2 s2 e 1 2 t2 σ 2 dsdt e 1 2 (s2 +t 2) dsdt Wir führen eine weitere Substitution durch, Polarkoordinaten: s = r cos ϕ t = r sin ϕ. 176 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Dann gilt allgemein nach der Substitutionsregel: g(s,t)dsdt = g(r,ϕ) det J dr dϕ, 177 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
detj = J = s r t r s ϕ t ϕ = = r cos 2 ϕ + r sin 2 ϕ cos ϕ r sin ϕ sin ϕ = r(cos 2 ϕ + sin 2 ϕ) = r r cosϕ 178 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
I 2 = 1 2π = 1 2π = 1 2π = 1 2π 2π 0 0 2π 0 0 2π 0 2π 0 e 1 2 (r2 cos 2 ϕ+r 2 sin 2 ϕ) r dr dϕ e 1 2 r2 r dr dϕ [ e r2 2 ] 0 dϕ dϕ = 1 2π 2π = 1 (durch Differentiation leicht nachvollziehbar!) = I = 1, d.h. f ist eine Dichtefunktion. 179 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Zusammenfassung (Zufallsvariable). Eine (meßbare) Abbildung X : Ω R heißt Zufallsvariable. Jedem Element ω des Stichprobenraumes Ω wird eine reelle Zahl zugeordnet. Def.: Die Zufallsvariable X heißt diskret, wenn X nur endlich viele oder abzählbar unendlich viele Werte x i annehmen kann. Jeder dieser Werte kann mit einer gewissen Wkt. p i = P(X = x i ) auftreten. 180 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Bsp.: - geografische Lage (N,O,S,W) - Länge einer Warteschlange - Anzahl der erreichten Punkte in der Klausur. 181 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Def.: Die Zufallsvariable X heißt stetig, falls X beliebige Werte in einem Intervall (a, b), [a, b], (a, b], (a, b], (,a), (b, ), (,a], [b, ), (, ) annehmen kann. Bem.: Jeder einzelne Wert x i (a,b) (oder in einem der anderen Intervalle) hat die Wkt. Null. Die Verteilungsfunktion F wird dann durch die sogen. Dichtefunktion f beschrieben, F(x) = P(X x) = x f(t)dt 182 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
6 Allgemeine Eigenschaften einer Verteilungsfunktion Satz 8 Es sei X eine zufällige Variable mit der Verteilungsfunktion F(x) = P(X < x) = P({ω: X(ω) < x}) = P X (],x[). Dann gelten die folgenden Aussagen: 1. Die Funktion F(x) ist monoton wachsend. 2. lim F(x) = 0, lim x F(x) = 1. x + 3. Die Funktion F(x) ist linksseitig stetig. Es gilt also: 183 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
lim F(x) = F(x 0). x x 0 4. P(a X < b) = F(b) F(a). Beweis: 1. Es sei x 1 < x 2 < x. Wir definieren zwei Mengen: Dann gilt: A := {ω: X(ω) < x 1 }, B := {ω: X(ω) < x 2 }. F(x 1 ) = P({ω: X(ω) < x 1 }) = P(A), F(x 2 ) = P({ω: X(ω) < x 2 }) = P(B). 184 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Wegen A B folgt: P(A) P(B), d.h. F(x 1 ) F(x 2 ), d.h. die Funktion F(x) monoton wachsend. 2. Sei (x n ) eine monoton fallende Folge mit x n. Sei (y n ) eine monoton wachsende Folge mit y n. Wir definieren: A n := {ω: X(ω) < x n }, B n := {ω: X(ω) < y n }. Für die Folgen (A n ) und B n ) gilt: (A n ) ist monoton fallend (A n A n+1, n N), (B n ) monoton wachsend (B n B n+1, n N). 185 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Offensichtlich gilt: F(x n ) = P(A n ), F(y n ) = P(B n ). Wegen der Stetigkeit der Wkt. von oben und unten ist lim P(A n) = P( lim A n ) = P(X < ) = 0. n n lim P(B n) = P( lim B n ) = P(X < + ) = 1. n n Das bedeutet jedoch nichts anderes als: lim F(x) = lim F(x n) = 0, x n lim F(x) = lim F(y n) = 1. x + n (Das können wir schlußfolgern, da Grenzwerte von 186 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Funktionen von der Wahl der Folgen unabhängig sind.) 3. Wir definieren eine Menge und eine Folge von Mengen A = {ω: X(ω) < x 0 } A n = {ω: X(ω) < x n }, wobei (x n ) eine monotone Folge ist, die von links gegen x 0 konvergiert (x n x 0 0). Offenbar ist die Folge (A n ) monoton wachsend (A n A n+1 ). Außerdem gilt: lim A n = A. n 187 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
Dann können wir schlußfolgern: lim F(x n) = n Das bedeutet aber: lim P(X < x n ) n = lim P(A n ) n = P( lim A n ) n = P(A) = P(X < x 0 ) = F(x 0 ) lim F(x) = F(x 0). x x 0 188 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin
4. Es gilt: P(a X < b) = P({X < b} \ {X < a}) = P(X < b) P(X < a) (Subtraktivität (vgl. Folg = F(b) F(a) 189 W.Kössler, Humboldt-Universität zu Berlin