Deutscher Bundestag Drucksache 17/5857 17. Wahlperiode 16. 05. 2011 Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Brigitte Pothmer, Dr. Gerhard Schick, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Folgen des CGZP-Urteils und die Umsetzung der EU-Leiharbeitsrichtlinie DieSchutzbedürftigkeitderLeiharbeitskräfteistunbestritten.Sieergibtsich vorallemausdenoftnurkurzfristigenarbeitsverträgenunddeneinsätzenin wechselndenbetrieben.diegefahrendieseratypischenbeschäftigungsform zeigenauchdassog.cgzp-urteil,indemdasbundesarbeitsgerichtdietarifgemeinschaftchristlichergewerkschaftenfürzeitarbeitundpersonalserviceagenturen (CGZP)fürtarifunfähigerklärte,unddieinvielenFällenmissbräuchlichenGestaltungsformenvonLeiharbeit.MitdemUrteilsspruchdes BundesarbeitsgerichtsausdemDezembervergangenenJahresistdenGefälligkeitstarifverträgenderCGZPeinEndegesetzt.AlsFolgekönnendiebetroffenenLeiharbeitskräfterückwirkenddiegleichenwesentlichenArbeitsbedingungen,einschließlichdesArbeitsentgelts,wiedieStammbelegschaftbeanspruchen.ZudemmüssendieentsprechendenVerleiherdiezuniedrigentrichteten Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. DieRichtlinie2008/104/EGdesEuropäischenParlamentsunddesRatesüber Leiharbeit (EU-Leiharbeitsrichtlinie)fordertunmissverständlich,dassdie wesentlichenarbeits-undbeschäftigungsbedingungenvonleiharbeitskräften grundsätzlichmindestensdenarbeits-undbeschäftigungsbedingungenvergleichbarerstammarbeitskräfteentsprechenmüssen.nachaussagederbundesregierungsollmitdem ErstenGesetzzurÄnderungdesArbeitnehmerüberlassungsgesetzes dermissbräuchlichennutzungvonleiharbeiteinwirksamer RiegelvorgeschobenunddieEU-LeiharbeitsrichtlinieinnationalesRechtumgesetztwerden.InderAnhörungdesAusschussesfürArbeitundSozialesdes DeutschenBundestagesvom21.März2011zumGesetzentwurfderBundesregierungkonstatiertederVorsitzendeRichterdes9.SenatsamBundesarbeitsgericht,Prof.FranzJosefDüwell,dassdiesderBundesregierunginweiten Teilennichtgelungensei.DamitstelltsichdieFrage,obNachbesserungen notwendigwerden,umdasdeutscherechtderarbeitnehmerüberlassungrichtlinienkonformzugestalten,diearbeitsbedingungensowiedieentlohnungvon LeiharbeitskräftenzuverbessernundeinerschleichendenSubstitutionvon Stammbelegschaften vorzubeugen. Wir fragen die Bundesregierung: 1.WievieleBeschäftigtegibtesderzeitinderLeiharbeit,undwievieledieser BeschäftigtensindausdemBezugdesZweitenbzw.DrittenBuchesSozialgesetzbuch (SGBII,SGBIII)indieLeiharbeitvermitteltworden (bitteaufgeschlüsseltnachgeschlecht,qualifikation,berufs-bzw.schulabschluss und Alter)?
Drucksache 17/5857 2 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 2. In welchen Branchen werden wie viele Leiharbeitskräfte eingesetzt? 3.WievieleVerleihunternehmenhabenderzeiteinebefristetebzw.eineunbefristeteErlaubnisinderBundesrepublikDeutschland (bitteaufschlüsseln nach Bundesländern)? 4.BeiwievielenverschiedenenEntleihunternehmensindLeiharbeitskräftein einemjahrdurchschnittlichbeschäftigt (bitteaufschlüsselnfürdiejahre 2005 bis 2010)? Folgen des CGZP-Urteils: 5.WiehochschätztdieBundesregierungdieZahlderbetroffenenVerleihfirmenunddieSummederNachforderungenvonSozialversicherungsbeiträgenaufgrundderEntscheidungdesBundesarbeitsgerichtsimDezember 2010, in der der CGZP die Tariffähigkeit aberkannt wurde? 6.WiehochistlautErkenntnissenderBundesregierungdieSummeder Löhne,dieBeschäftigtevonVerleihunternehmennachfordernkönnen,bei denentarifverträgedercgzpzuranwendungkamen,undhatdiebundesregierungkenntnisdarüber,inwievielenfällenleiharbeitskräftebereits Löhne nachfordern? 7.ErwartetdieBundesregierungalsKonsequenzausdemUrteildesBundesarbeitsgerichtsunddendarausresultierendenForderungenderSozialversicherungsträgerundderLeiharbeitskräfteeineWelleanInsolvenzenvon Verleih- und Entleihunternehmen? Wie begründet die Bundesregierung ihre Einschätzung? 8.WievieleBetriebsprüfungensindvonderBundesregierunggeplant,wenn abjuli2011dierentenversicherungsträgerbetriebsprüfungenzurkontrolle der Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge durchführen? 9.WievielePrüfendestehendenRentenversicherungsträgernfürBetriebsprüfungeninsgesamtzurVerfügung,undwievielePrüfendewerdenfürdie PrüfungenbezüglichdesinFrage8angesprochenenSachverhaltsabgestellt? 10.NachwelchemSystemwerdendieRentenversicherungsträgerBetriebezur Betriebsprüfung auswählen? 11.WelcheHöhehabendie Säumniszuschläge,diezusätzlichzurNachzahlungderSozialversicherungsbeiträgeerhobenwerden,wennVerleihfirmen ihre Beitragsschuld nicht bis zum 31. Mai 2011 beglichen haben? 12.VonwievielenbetroffenenVerleihfirmenundinwelcherHöhewurden ausstehendesozialversicherungsbeiträgebereitsandiesozialversicherungsträger nachgezahlt? 13.WievieleVerleih-undEntleihunternehmenmusstenbereits,aufgrundder HöhederNachforderungenanLöhnenundSozialversicherungsbeiträgen, Insolvenz anmelden? 14.WievieleEntleihunternehmenmusstenbereitsgemäß 28eAbsatz2 Satz1SGBIVund 150Absatz3SGBVIIalsBürgefürdieEntrichtung der Sozialversicherungsbeiträge haften? 15.InwelcherHöhemusstenEntleihunternehmenbisheralsBürgefürinsolventeVerleiherhaften (bittegesamtsummeunddurchschnittlichehaftungssumme)? 16.InwelchenbeispielhaftenFällenwürdedieBundesregierungvoneinem unverhältnismäßigenaufwand zurermittlungderequal-pay-ansprüche ausgehen?
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 3 Drucksache 17/5857 17.Welche Vereinfachungslösungen sindindenangesprochenenfällenfür die Bundesregierung denkbar? 18.Wiewerdenbei Vereinfachungslösungen dierechtederleiharbeitnehmerinnenundleiharbeitnehmeraufbeispielsweiseeinerhöhtesarbeitslosengeld I und höhere Rentenansprüche berücksichtigt werden? 19.WiedefiniertdieBundesregierung ernsthaftezahlungsschwierigkeiten, unterdeneneinestundungdernachzuzahlendenbeiträgebeidenzuständigen Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften beantragt werden kann? 20.VonwievielenVerleih-undEntleihunternehmenwurdebisheuteeine StundungdernachzuzahlendenBeiträgebeantragt,undwelcheGesamthöhe habendiegestundetenbeiträge (bittedifferenzierennachverleih-undentleihunternehmen)? 21.WievielenLeiharbeitskräftenmussaufgrundderCGZP-Entscheidung nachträglichdurchdiebundesagenturfürarbeiteinhöheresarbeitslosengeld I berechnet und ausgezahlt werden? 22.UmwelchenBetragerhöhtsichdasArbeitslosengeldIbetroffenerLeiharbeitskräfte durchschnittlich und insgesamt? 23.WievieleLeiharbeitskräftemüssenaufgrundderCGZP-EntscheidungArbeitslosengeldIIzurückzahlen,dasieaufgrundeinesnachträglichhöher errechnetenerwerbseinkommenskeinenodereinenvermindertenanspruch auf Arbeitslosengeld II hatten? 24.WieentscheidendieJobcenterinFällen,indenenLeiharbeitskräfteaufgrundderCGZP-EntscheidungArbeitslosengeldIIzurückzahlenmüssen, aberihrehöherenlohnansprüchenichtgeltendmachenkönnen,daihrehemaliges Verleihunternehmen Insolvenz anmelden musste? 25.WiehochsindRückforderungenvonArbeitslosengeldIIan (ehemalige) Leiharbeitskräftedurchschnittlichundinsgesamt,dieaufgrundderCGZP- Entscheidung zustande kommen? 26.TeiltdieBundesregierungdieRechtsauffassung,dassdenmeistenindividuellenAnsprüchenvonLeiharbeitskräftenauf EqualPay,diesogenanntenAusschlussklauselnimArbeitsvertragentgegenstehenunddiemöglichen Nachforderungen hierdurch auf drei Monate begrenzt sind? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? 27.WieschätztdieBundesregierungdendurchdenhäufigenBetriebswechsel entstehendenmehraufwandzurermittlungdergenauenequalpay-ansprücheunddendarausresultierendennachzuzahlendensozialversicherungsabgaben ein? 28.BefindensichdieRentenversicherungsträgerinVerhandlungenmitVerleihunternehmen,umeinenpauschalenSummenbescheidbezüglichdernachzuzahlendenSozialversicherungsbeiträgezuerlassenoderbeabsichtigen sie diesbezüglich in Verhandlungen mit Verleihunternehmen zu treten? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? 29.WelcheHöhekönnteeinsolcherpauschalerSummenbescheidhaben,und aufwelcherberechnungsgrundlagewürdediehöheeinessolchenbescheids festgelegt werden?
Drucksache 17/5857 4 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 30.WärederErlasseinespauschalenSummenbescheidsvordemHintergrund, dasseinepersonenbezogenebeitragsbemessungfüreinzelnebetroffene LeiharbeitnehmerinnenundLeiharbeitnehmerversicherungsrechtlicheine großebedeutunghätte,aussichtderbundesregierungüberhauptrechtmäßig? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? 31.WiekönntedurchdieBundesagenturfürArbeitdieAnspruchshöhevor demhintergrund,dasseinzelnenleiharbeitskräfteaufgrunddercgzp- EntscheidungeinhöhererAnspruchaufArbeitslosengeldIzusteht,berechnetwerden,wennbeidenVerleihunternehmenkeinepersonenbezogene Beitragsbemessung durch die Rentenversicherungsträger erfolgt? 32.SiehtdieBundesregierungdieGefahr,dassesdurcheinenSummenbescheid denbeschäftigtenoderehemalsbeschäftigteninderleiharbeiterschwert wird,ihredurchdiecgzp-entscheidungdesbundesarbeitsgerichtsentstandenen höheren Lohnansprüche vor Gericht einzuklagen? 33.GibtesÜberlegungenimFalleeinesSummenbescheidesaucheineBerechnungsgrundlagefürhöhereLohnansprüchezuschaffen,dievondenBetroffenenvorGerichteingeklagtwerdenkönnen,undwerdendieBetroffenenvonderDeutschenRentenversicherungüberdieeingezogeneSumme sowieüberihrrechtaufhöherelohnansprücheindervergangenheitinformiert werden? 34.WelchegrundlegendenKonsequenzenziehtdieBundesregierungausden großenwirtschaftlichenundsozialenauswirkungen,diedasurteilmitsich bringt? Gibtesz.B.Überlegungen,dieVoraussetzungenfürdieTariffähigkeitvon Verbänden und Gewerkschaften zu konkretisieren? Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes 35.WiedefiniertdieBundesregierungdenBegriff vorübergehend,welcher demarbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)durchdas ErsteGesetzzur ÄnderungdesArbeitnehmerüberlassungsgesetzes hinzugefügtwurde,und hält sie ihn für justiziabel durch die Gerichte? 36.WarumbeinhaltetdieDefinitionvon vorübergehend keinehöchstüberlassungsfrist, um ihn durch die Gerichte justiziabel zu machen? 37.AuswelchemGrundhatdieBundesregierungeineunerlaubtenichtnur vorübergehende ArbeitnehmerüberlassungnichtmitderarbeitsrechtlichenRechtsfolgeaus 10Absatz1Satz1AÜGbewehrt,durchdieein Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert wird? 38.IstvondenTarifpartnernderLeiharbeitsbranchebereitseinAntragauf AllgemeinverbindlicherklärungeinesMindestlohntarifvertragseingereicht worden? Wennja,wannrechnetdieBundesregierungmitderEinführungeinesMindestlohns nach 3a AÜG? Wennnein,habendieTarifpartnerderBundesregierungbereitssignalisiert, wann sie einen Antrag einreichen werden?
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 5 Drucksache 17/5857 39.WelcheKonsequenzenwirddieinHinsichtaufdiebereitsabdem1.Mai 2011geltendevolleArbeitnehmerfreizügigkeitverspäteteEinführungdes MindestlohnsinderLeiharbeitfürdendeutschenArbeitsmarktinsgesamt unddiebranchederarbeitnehmerüberlassunghaben,undwirddieverspätungnachsichtderbundesregierungzueinemzeitweisen Druckaufdie Löhne führen? 40.WiewilldieBundesregierungeinauchbeiEinführungeinerLohnuntergrenzenach 3aAÜGmöglichesLohndumpingbeiqualifiziertenTätigkeiteninhöherenEntgeltgruppen,mitRücksichtaufdieabMai2011vollständig geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit, wirksam verhindern? 41.WieunddurchwelcheInstitutionensollenVerstößegegendieLohnuntergrenzeaus 3aAÜGwirksamkontrolliertwerden,undwieistdiepersonelle und finanzielle Ausstattung geplant? 42.WiebewertetdieBundesregierungdieinderStellungnahmederBundesagenturfürArbeitenthalteneForderung,dieKontrolledesArbeitnehmerüberlassungsgesetzesdurchdieFinanzkontrolleSchwarzarbeitdurchführenzulassen,undwiestehtdieBundesregierungzuderForderung,auch diezertifizierungunderteilungdererlaubniszumbetriebvonverleihunternehmendurchdiefinanzkontrolleschwarzarbeitdurchführenzulassen? 43.WirdnachAnsichtderBundesregierungdieEU-RichtlinieüberLeiharbeit durchdas ErsteGesetzzurÄnderungdesArbeitnehmerüberlassungsgesetzes vollständig umgesetzt? Wenn nein, in welchen Punkten besteht Nachbesserungsbedarf? Wennja,wiebewertetdieBundesregierungdieindenStellungnahmenin deranhörungdesausschussesfürarbeitundsozialesdesdeutschenbundestagesgeäußertenbedenkenanderrichtlinienkonformitätdesdeutschen Gewerkschaftsbunds,vonProf.FranzJosefDüwellundProf.Dr.Gerhard Bosch? 44.TeiltdieBundesregierungvordemHintergrund,dassProf.FranzJosef DüwelldemErstenGesetzzurÄnderungdesArbeitnehmerüberlassungsgesetzes grobehandwerklichemängel attestiertundvoneinernichtvollständigenumsetzungdereu-richtlinieüberleiharbeitspricht,dieauffassung,dasseinezeitderrechtsunsicherheitaufdiebranchederleiharbeit zukommt? Wie begründet sie ihre Auffassung? 45.TeiltdieBundesregierungdieAnsichtvonProf.FranzJosefDüwell,dass nachdereu-richtlinieüberleiharbeitnurvomgleichbehandlungsgrundsatzabgewichenwerdendarf,wenneineleiharbeitskrafteinenunbefristeten Vertrag abgeschlossen hat? Wenn nein, warum nicht? Berlin, den 13. Mai 2011 Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion
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