Medikationsfehler in der Onkologie - Patienten als wachsame Partner?

Ähnliche Dokumente
Fehlervermeidung in der Onkologie den Patienten zum Partner machen

Einbindung von Patienten in die Fehlerprävention

Workshop Schweizer Krebskongress. Bessere Patientensicherheit dank konkreter Massnahmen im Alltag

Speaking up PatientInnensicherheit in der Onkologie

Sicherheit und Qualität bei der Verabreichung antitumoraler Medikamente

Speaking up PatientInnensicherheit in der Onkologie

Wenn Schweigen gefährlich wird:

Medikationssicherheit Grenzen überschreiten

Patientensicherheit im Spitalalltag am Beispiel Medikamentensicherheit

Wenn Schweigen gefährlich ist:

Konstruktiver Umgang mit Fehlern im Fachgebiet Onkologie: 8 Thesen

Nahtlose Betreuung ein Weg um die Medikationssicherheit in der Schweiz zu verbessern?

Konzeptionelle Überlegungen und internationale Erfahrungen mit Qualitätsindikatoren

Evidenz in der Präventionsmedizin

Effektive Nutzung des CIRS- Potenzials: Beteiligung und Lernen gezielt fördern. Prof. Dr. Tanja Manser Institut für Patientensicherheit

KOGNITIVES PRETESTING ZUR PRÜFUNG VON KONSTRUKTVALIDITÄT AM BEISPIEL DER HLS-EU SKALA

Patientensicherheit. MEDSUPPLY Lieferantentagung «Partnering the future» Kantonsspital Aarau, 17. November PD Dr.

Andrea Kuhlmann Köln

Beeinflusst Short-Loop Rückmeldung die Händehygiene-Performance? Matthias Schlegel Infektiologie/Spitalhygiene Kantonsspital St.

Verknüpfung von Datenquellen zur Erfassung und Erklärung der Versorgungsqualität

Second victim Fehler und ihre Auswirkungen auf Fachpersonen Dr. med. Nicoletta von Laue

Thema 8 Patienten und Angehörige/ Bezugspersonen einbinden

Second Victim: Das Trauma des Arztes nach einem potentiellen Behandlungsfehler Jahrestagung der DGIM Mannheim

einfach offen und ehrlich sein

Patientensicherheit beim Dialyse-Patienten

Internationale Kooperation zur Erstellung von systematischen Reviews und Leitlinien: Erythropoietin in der Hämatologie/Onkologie.

Wie Worte wirken. Caroline Frauer Nathalie Primus Dr. Barbara Meyer

Wenn Schweigen gefährlich ist: Kommunikation von Sicherheitsbedenken

Präventionsmaßnahmen: Einführen ist leicht, umsetzen dagegen schwer

Wenn Schweigen gefährlich ist: Kommunikation von Sicherheitsbedenken in der Onkologie

Körperlich aktiv und fit bleiben pflegerische Unterstützung und Motivation

Kommunikation zwischen Arzt und Patient Patientenperspektive

Das Intensivtagebuch als Instrument der Angehörigenarbeit auf der Intensivstation

Kommunikation in der Onkologie: Was weiss man und was weiss man nicht?

Erfassung von Übelkeit und Erbrechen bei krebskranken Menschen unter Chemotherapie. Bachelorarbeit Ronja Stabenow SS 2013

Integrative Medizin in der Onkologie

Arzneimitteltherapiesicherheit an den Schnittstellen Praxis-Klinik-Praxis

neue Wege der Praxisentwicklung Mittendrin statt nur dabei Wir wollen besser werden! familiärer Charakter, ländliche Region

Assessment: Gemeinsame Einschätzung

Händedesinfektion und Compliance

Pa#entenzufriedenheit in der Notaufnahme: Der informierte Pa#ent ist der zufriedene Pa#ent

Klinische und akademische Laufbahnen miteinander verbinden Ist das wirklich möglich?

UNSERE VERANTWORTUNG FÜR DIE PATIENTENSICHERHEIT

Nebenwirkungsmanagement

Man kann nicht nicht evaluieren

Interprofessionelle Zusammenarbeit als Schlüssel zu mehr AMTS?

KAI EDV. Titelmasterformat durch Klicken bearbeiten. Arzneimittelversorgung an dem Universitätsklinikum Jena mit RFID-Lösung

Prof. Dr. Dr. Martin HärterH

Sicher im Krankenhaus

First und second victims: Umgang mit Fehlern

Sicher im Krankenhaus

Change management with empowerment of nursing staff to reduce urinary catheter use

Bezugspflege im Kurzaufenthalt

Patientensicherheit und Qualitätsmanagement

Warum ist der informierte Patient (in D) eine Chimäre geblieben? Dr. phil Anke Steckelberg

Psychoonkologie und Supportivtherapie

Christian Conrad, MPH

Kommunikationsbarrieren in der Arzneimittelberatung von fremdsprachigen Kunden in der Apotheke

Fakultät für Gesundheits- und Pflegewissenschaften Die Rolle der Patientenzufriedenheit im Krankenhaus

Patientensicherheit auf europäischer und internationaler Ebene aktuelle Entwicklungen und Lernen für die Praxis

Counseling Probleme des ärztlichen Gesprächs. R. Felder-Puig LBI-HTA

Studienwahl und Studienverlauf aktuelle Forschungsbefunde

Symposium anlässlich des DGHO 2005

Wege in die Suchthilfe? Eine kritische, studienbasierte Reflektion

Sicherheit-und Fehlermanagement

Einstellungen zu Gesundheitssystemen und Ungleichheiten in der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen im internationalen Vergleich

Der Umgang mit Fehlern im Gesundheitswesen

Pharmakovigilanz: Risiken erfassen und kontrollieren

Auf dem Weg zu mündigen Patienten - Möglichkeiten der Information und Orientierung

Hausärzte und Advanced Practice Nurses: Das Versorgungsnetz der Zukunft Erfahrungen aus dem Projekt SpitexPlus. Bild 28.

APN in der Praxis Herausforderungen und Zukunftstrends

Zwischen Schutz und Autonomie: das Aushandeln von Massnahmen

8. Übung Umgang mit zensierten Daten

Lernen aus unerwünschten Ereignissen mit dem Learning from defects-tool

6 Wie kann die Adhärenz gestützt und verbessert werden?

*Einführung *Fragestellung *Methodische Vorgehensweise *Ergebnisse *Persönliches Fazit

(Lebens-)Qualität in der Langzeitpflege Zur Diskrepanz zwischen Messung, Darstellung und Erwartungen

Georg K., 42 Jahre, Köln: Substitutionspatient mit HCV-Genotyp 3a

Vertrauenssache Kommunikation

Patient im Mittelpunkt: G-I-N Public und Evidenz zu Patientenzentrierten Interventionen Corinna Schaefer

Feedback in Unternehmen das Potential nutzen

Unrealistischer Optimismus bei Rauchenden

!!! Medikamente richtig einnehmen

Assessment des Bedarfs an

Interne Validität bei RCTs und Non-RCTs

Klinische Pflegeexpertise in der Thoraxchirurgie vom Generalisten zum Spezialisten. Elke Keinath, BSc (Hons)

Umsetzung der Handlungsempfehlung Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus Welchen Beitrag leistet closed-loop medication?

Evaluationsergebnisse

Vermittlung der Kenntnisse von unterstützenden Maßnahmen zur Medikamentenadhärenz

Von der Pflegewissenschaft in die Pflegepraxis und zurück

Demenz und Humor. Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe 16. November 2016

Konsequenzen der Medienberichterstattung über Pädophilie

Patienten-Empowerment Einbindung von Pflegebedürftigen, Patienten und Angehörigen in den Infektionsschutz

Apotheker als Partner in der Arzneimittelsicherheit Christian Hoffmann Apothekerkammer Hamburg

Unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds und der Robert Bosch-Stiftung Keine Interessenkonflikte

DGHO 2010 Geriatrische Onkologie

Kollektive Patientenbeteiligung auf europäischer Ebene

Janine Berg-Peer: Mit einer psychischen Krankheit im Alter selbständig bleiben eine Elternsicht Vortrag'DGPPN,' '

Patientensicherheit durch ehealth?

Transkript:

Medikationsfehler in der Onkologie - Patienten als wachsame Partner? PD Dr. David Schwappach, MPH Wissenschaftlicher Leiter Stiftung für Patientensicherheit Schweiz deso Seminar St. Gallen 02. September 2010 1 D. Schwappach

Epidemiologie von Medikationsfehlern Internationale Studienergebnisse: Bei ca. 1-4% der Chemotherapie-Verordnungen treten Fehler auf Bei ca. 5% der Patientenkontakte kommt es zu Medikationsfehlern, die das Potential für eine ernste Schädigung haben Bei ca. 0.1% der Verordnungen kommt es zu Medikationsfehlern mit Schädigung der Patienten Ein erheblicher Anteil der Fehler treten bei Abgabe auf Schwappach/Wernli. European Journal of Cancer Care 2010, 285 292 2 D. Schwappach

Typen von Fehlern in der Chemotherapie 3 D. Schwappach Walsh et al. (2009). Journal of clinical oncology 27; 891-896

Patienten fällt sehr viel auf Komisch, die Tabletten sind ja blau... Manchmal kommunizieren sie dies auch Es wird schon richtig sein Aber häufig leider zu spät Sie, gestern hatte ich ja andere Tabletten 4 D. Schwappach

Internationale Entwicklungen Ziel: Patienten sind informiert und wachsam und werden bei "Auffälligkeiten" aktiv, um Fehler rechtzeitig abzuwenden Interventionen: Information über "Signale", die andeuten, dass etwas falsch läuft Kooperation bei sicherheitsfördernden Massnahmen Motivation von Patienten, Mitarbeiter aktiv auf eventuelle Probleme hinzuweisen You CAN: Check Ask Notify 5 D. Schwappach

Machbarkeitsstudie: Design Ist die aktive Beteiligung von Patienten möglich und sinnvoll? 60 semi-strukturierte Interviews Chemotherapie-Patienten Baseline und follow up Wahrnehmung von Fehlern und Sicherheit Bereitschaft zur Partizipation 8 Fokusgruppen Onkologie-Pflegefachpersonen Baseline und follow up Einstellungen zur Beteiligung von Patienten an Fehlerprävention Erfahrungen mit Einbezug der Patienten Wie kann es funktionieren? Schriftliche Befragung Chemotherapie-Patienten n= 479 Bereitschaft zur Partizipation Realität des Einbezugs Determinanten der Beteiligung 6 D. Schwappach

Ergebnisse: Patienteninterviews Erheblicher Anteil Patienten beschreibt erlebte "Zwischenfälle" Patienten befürworten und wünschen die Beteiligung mehrheitlich, aber sind sich der Limitationen und der notwendigen Lernprozesse bewusst Starke Bedeutung der Instruktion durch Mitarbeitende, aber grosse Unterschiede in deren Interpretation (Wichtigkeit; Autorität; Arbeitserleichterung) "Ja, wenn sie mich instruieren, dann würde ich. Unbedingt. Es wird dann wichtig sein, denke ich." "Jetzt, seit ich die Medikamente prüfe, ist es ein gutes Gefühl des Vertrauens. Weil Jetzt weiss ich, dass ich Vertrauen haben kann, dass mein Vertrauen gerechtfertigt ist. Früher war es einfach 'blindes Vertrauen'." 7 D. Schwappach Schwappach et al. (2009). Quality & Safety in Health Care

Ergebnisse: Fokusgruppen mit Pflegefachpersonen Grosse Unterstützung für die Beteiligung von Patienten, aber es ist eine Herausforderung! "Wenn wir den richtigen Ton treffen [dann geht es]. Und ich bin immer wieder erstaunt, wie gut sie das dann umsetzen können." Pflegende wählen intuitiv aus einem feinen Set von Beziehungsmodellen und Sprachen, um verschiedene Patienten zu informieren und zu motivieren "Ich 'beauftrage' sie, immer zu sagen, wenn etwas nicht gut ist. Ich benutze dieses Wort, ihnen 'einen Auftrag geben' und das ist etwas, was sie verstehen und akzeptieren können." Frustrationspotential wenn trotz grosser Bemühung Patienten relevante Beobachtungen nicht oder zu spät äussern Verankerung bei allen Mitarbeitern und Berufsgruppen zentral! 8 D. Schwappach Schwappach et al. (2010). Oncology Nursing Forum

Ergebnisse Patientenbefragung 11% der Patienten sind sehr besorgt um ihre Sicherheit 77% glauben, dass Patienten helfen können, Fehler zu vermeiden Patienten schätzen das Risiko für konkrete Fehler relativ gering ein und unterschätzen das Schadenspotential einzelner Fehler deutlich (Überdosierung!) Jeweils 30% widersprechen stark, dass man sie informiert hat, auf was sie achten können, und sie instruiert hat, mögliche Fehler zu melden Patienten engagieren sich für ihre Sicherheit, aber mehrheitlich innerhalb des traditionellen Rollenverständnisses (Fragen stellen, Nebenwirkungen berichten) Übermässiges Vertrauen in die Mitarbeiter kollidiert mit Wachsamkeit Schwappach et al. Journal of Clinical Oncology 2010 9 D. Schwappach

Was erklärt, ob Patienten sich aktiv beteiligen? Patientenbeteiligung an der Sicherheit als Spezialfall gesundheitsfördernden Verhaltens Einstellungen (affektiv / instrumentell) Überzeugung, dass Beteiligung die Sicherheit verbessert und höhere Sicherheit einen hohen Wert hat. Wahrgenommene Normen Intentionen Verhalten Wahrnehmung von starken Erwartungen wichtiger Personen und eine hohe Motivation diese Erwartungen zu erfüllen. Absicht, sich zu verhalten. Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Wahrnehmung fördernder oder hemmender Faktoren und subjektive Stärke dieser Faktoren. Schwappach/Wernli The Oncologist, 2010. Schwappach/Wernli Annals of Oncology. 2010. 10 D. Schwappach

Determinanten der Patientenbeteiligung Einstellungen, Normen und Verhaltenskontrolle erklären über 60% der Varianz in den Absichten, sich an der Fehlerprävention zu beteiligen Verhaltenskontrolle ist der wichtigste Einflussfaktor: Wenn Patienten überzeugt sind, dass sie sich beteiligen können, dann werden sie es (eher) tun Instrumentelle Einstellungen sehr positiv: Patienten beurteilen Beteiligung an Fehlerprävention als nutzbringend und sinnvoll für sich Affektive Einstellungen eher negativ: Es ist unangenehm und ungewohnt! Schwappach/Wernli The Oncologist, 2010. Schwappach/Wernli Annals of Oncology. 2010. 11 D. Schwappach

Einstellungen zur Fehlerprävention Auf Fehler zu achten ist... instrumentell affektiv gut für mich sinnvoll zu meinem Nutzen leicht gewohnt angenehm 0 20 40 60 % Patienten 12 D. Schwappach

Determinanten der Patientenbeteiligung Einstellungen, Normen und Verhaltenskontrolle erklären über 60% der Varianz in den Absichten, sich an der Fehlerprävention zu beteiligen Verhaltenskontrolle ist der wichtigste Einflussfaktor: Wenn Patienten überzeugt sind, dass sie sich beteiligen können, dann werden sie es (eher) tun Instrumentelle Einstellungen sehr positiv: Patienten beurteilen Beteiligung an Fehlerprävention als nutzbringend und sinnvoll für sich Affektive Einstellungen eher negativ: Es ist unangenehm und ungewohnt! Normen beeinflussen Verhaltenskontrolle: Wenn Patienten den Eindruck haben, die Fachleute erwarten Wachsamkeit und Information über mögliche Fehler, dann erhöht dies deutlich Kontrollüberzeugungen und beeinflusst Verhalten Wahrgenommene Normen gegenüber Pflegefachleuten und Ärzten unterscheiden sich signifikant Schwappach/Wernli The Oncologist, 2010. Schwappach/Wernli Annals of Oncology. 2010. 13 D. Schwappach

Subjektive Normen... erwarten von mir, dass ich auf mögliche Fehler achte und diese melde % Patienten 0 10 20 30 40 50 Beeinflussen Verhaltenskontrolle Angehörige Pflegende Ärzte 14 D. Schwappach

Fazit Patienten sind mehrheitlich bereit, sich an der Vermeidung von Fehlern zu beteiligen, entsprechend ihrer Möglichkeiten Sie erkennen den potentiellen Nutzen, aber der Prozess muss regelmässig und natürlich in die klinischen Routinen integriert werden. Kommunikation mit Patienten sollte Verhaltenskontrolle und Normen fokusieren Kontinuierliches Arbeiten und Geduld mit der Veränderung von Normen Macht denn das überhaupt einen Unterschied, ob ich das sage?? Oberarzt Onkologie, CH 2010 15 D. Schwappach

Literatur Epidemiologie von Medikationsfehlern in der Onkologie: Schwappach D, Wernli M: Medication errors in chemotherapy: Incidence, types and involvement of patients in prevention. A systematic review. European Journal of Cancer Care 2010 (19): 285-292 Interviews mit Patienten: Schwappach D, Wernli M: Am I (un)safe here? Chemotherapy patients perspectives towards engaging in their safety. Quality & Safety in Health Care 2010, epub ahead of print Fokusgruppen mit Pflegefachpersonen: Schwappach D, Hochreutener MA, Wernli M: Oncology nurses perceptions about involving patients in the prevention of chemotherapy administration errors. Oncology Nursing Forum 2010 (37): E84-E91 Befragung von Patienten / Determinanten der Patientenbeteiligung: Schwappach D, Wernli M: Chemotherapy patients perceptions of drug administration safety. Journal of Clinical Oncology 2010 (28): 2896-901 Schwappach D, Wernli M: Barriers and facilitators to chemotherapy patients engagement in medical error prevention. Annals of Oncology 2010, epub ahead of print Schwappach D, Wernli M: Predictors of chemotherapy patients intentions to engage in medical error prevention. The Oncologist 2010 (15): 903-912 16 D. Schwappach