Kapitel 18 Numerisches Differenzieren und Integrieren



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Abb. 5.10: Funktion und Tangentialebene im Punkt ( ) ( ) ( ) 3.) Die Zahlenwerte und in Gleichung (Def. 5.11) berechnen sich durch ( ) ( )

Transkript:

Kapitel 8 Numerisches Differenzieren und Integrieren 8

8 8 Numerisches Differenzieren und Integrieren.......... 43 8. Numerische Differenziation... 43 8.. Differenzenformeln für die erste Ableitung... 43 8..2 Differenzenformeln für die zweite Ableitung... 49 8.2 Numerische Integration... 5 8.2. Die Rechteckregel... 52 8.2.2 Die Trapezregel... 53 8.2.3 Die Simpson-Regel... 54 8.3 Aufgaben zum numerischen Differenzieren und Integrieren 57

8 Numerisches Differenzieren und Integrieren Oftmals benötigt man in den Anwendungen insbesondere in der Datenverarbeitung von Messwerten die Ableitung bzw. das bestimmte Integral einer Funktion, die dann nicht in analytischer Form vorliegt, sondern nur durch diskrete Punkte (=gemessene Wertepaare) charakterisiert ist. Dann kann man nicht mit den Methoden der Differenzial- und Integralrechnung die Ableitung bzw. das bestimmte Integral exakt bestimmen. Zur Lösung des Problems benötigt man finite Differenzen und geeignete Partialsummen, um Ableitung und Integral näherungsweise berechnen zu können. Formeln für die numerische Differenziation sowie Integration werden in diesem Kapitel hergeleitet und deren Fehler exemplarisch untersucht. 8. Numerische Differenziation 8. 8.. Differenzenformeln für die erste Ableitung Um die Ableitung einer Funktion f an der Stelle x 0 auf einem Rechner numerisch berechnen zu können, geht man auf die Definition der Ableitung über den Differenzialquotienten zurück: f f (x 0 + h) f (x 0 ) (x 0 ) = lim. h 0 h Die Ableitung bedeutet geometrisch die Steigung der Tangente im Punkte f (x 0 ). Diese Tangentensteigung erhält man, indem man die Sekante durch die Funktionswerte an den Stellen x 0 und x 0 + h aufstellt, die Sekantensteigung f (x 0 + h) f (x 0 ) (x 0 + h) x 0 bestimmt und den Grenzübergang h 0 berechnet. Abb. 8.. Sekantensteigung Der Grenzübergang h 0 kann numerisch nicht durchgeführt werden, da dies sofort zu einem Overflow führen würde. Daher nähert man numerisch die

44 8. Numerisches Differenzieren und Integrieren Ableitung einer Funktion f im Punkte x 0 durch die Sekantensteigung D + f (x 0 ) = f (x 0 + h) f (x 0 ) h mit h > 0 an. Dies ist die sog. einseitige (rechtsseitige) Differenzenformel.! Achtung: Man beachte, dass im Gegensatz zu einer analytischen Rechnung numerisch nicht die Ableitung einer Funktion, sondern nur der Wert der Ableitung in einem speziell vorgegebenen Punkt x 0 berechnet wird! Diese einseitige Differenzenformel hat die folgenden Eigenschaften: () Für h 0 geht der numerische Wert gegen die exakte Ableitung, wenn Rundungsfehler vernachlässigt werden. (2) Polynome vom Grade n = (d.h. Geraden) werden exakt differenziert: Denn ist f(x) = m x + b, so gilt D + f (x) = h (f (x + h) f (x)) = h (m (x + h) + b (m x + b)) = m = f (x). Eine genauere Differenzenformel erhält man, wenn man den Mittelwert der rechtsseitigen und linksseitigen Differenzenformel nimmt: ( D f (x 0 ) = 2 D + f (x 0 ) + D f (x 0 ) ) D f (x) = 2 f (x 0 + h) f (x 0 h) h (Zentrale Differenzenformel) Abb. 8.2. Zentrale Differenz

8. Numerische Differenziation 45 Mit dieser Differenzenformel werden Polynome bis zum Grad 2 exakt differenziert: Ist f (x) = a + b x + c x 2, so gilt D f (x) = 2 h [a + b (x + h) + c (x + h)2 a b (x h) c (x h) 2 ] = 2 h [2 b h + 4 c x h] = b + 2 c x = f (x). Beispiel CD.20 (Mit Maple-Worksheet): Gesucht ist die Ableitung der Funktion f (x) = sin x ln x an der Stelle x 0 = 2. Die exakte Ableitung dieser Funktion lautet f (x) = cos x ln x + sin x x f (x 0 ) = 0.350557. In Tabelle 8. sind für unterschiedliche Schrittweiten h die Fehler der numerischen Differenziation betragsmäßig aufgelistet. In der zweiten Spalte steht die Abweichung der exakten Ableitung zum Wert der einseitigen Differenzenformel und in der dritten Spalte zum Wert der zentralen Differenzenformel. Tabelle 8.: Fehler für einseitige Formel Fehler für zentrale Differenzen h = 0 8.8 0 2 8.6 0 3 h = 0 2 9.5 0 3 8.5 0 5 h = 0 3 9.6 0 4 8.5 0 7 h = 0 4 9.6 0 5 8.5 0 9 h h 2 Man entnimmt Tabelle 8. das Fehlerverhalten der beiden Verfahren: Der Fehler bei der einseitigen Differenzenformel ist proportional zu h, während er bei der zentralen Differenzenformel proportional zu h 2. Dieses Verhalten spiegelt die sog. Ordnung des Verfahrens wider. Man nennt die einseitigen Differenzenformeln von. Ordnung und die zentralen Differenzenformeln von 2. Ordnung. Gesamtfehler-Verhalten. Die Aussagen über das Fehlerverhalten gelten allerdings nur, wenn man die Rundungsfehler vernachlässigt. Denn setzen wir Tabelle 8. für kleinere h- Werte fort, so erhält man für eine Rechengenauigkeit von 0 Stellen das folgende Verhalten.

46 8. Numerisches Differenzieren und Integrieren Tabelle 8.2: h Fehler für einseitige Formel Fehler für zentrale Differenzen 0 8.8 0 2 8.6 0 3 0 2 9.5 0 3 8.5 0 5 0 3 9.6 0 4 8.5 0 7 0 4 9.6 0 5 8.5 0 9 0 5 9.6 0 6.4 0 8 0 6. 0 6 3.0 0 8 0 7 2.9 0 6 7. 0 7 0 8 7.5 0 6.5 0 5 0 9 5.0 0 4 5.3 0 5 0 0 4. 0 3.8 0 3 0.3 0 2 9.4 0 3 0 2.0 0.2 0! Man erkennt, dass obwohl h sich verkleinert, der Fehler ab einem gewissen h wieder ansteigt. Obwohl der Verfahrensfehler (= Diskretisierungsfehler) gegen Null geht, steigt der Gesamtfehler an. Es gilt Gesamtfehler = Verfahrensfehler + Rundungsfehler. Der Verfahrensfehler tritt auf, da der Differenzialquotient für die Ableitung durch die Sekantensteigung mit h > 0 ersetzt wird. Der Rundungsfehler beruht auf der Tatsache, dass bei einer numerischen Rechnung die Zahlen nur näherungsweise dargestellt werden und mit endlicher Genauigkeit gerechnet wird. Abb. 8.3. Fehlerverhalten Der Diskretisierungsfehler geht für h 0 gegen Null, der Rundungsfehler geht für kleine h wie h, so dass der Gesamtfehler für sehr kleine h durch den Rundungsfehler bestimmt ist.

8. Numerische Differenziation 47 Interpretation des zentralen Differenzenquotienten. Gegeben sei ein Bewegungsvorgang s(t), wobei das Weg-Zeit-Gesetz nur zu diskreten Zeitpunkten t, t 2,..., t n bekannt ist: s (t ), s (t 2 ),..., s (t n ). Gesucht ist die Geschwindigkeit in den Zeitintervallen [t i, t i+ ]. Da von diesem Bewegungsvorgang kein funktionaler Zusammenhang vorliegt, können nur Abb. 8.4. Weg-Zeit-Gesetz die diskreten Größen s (t ),..., s (t n ) zur Berechnung der Geschwindigkeit herangezogen werden. Die mittlere Geschwindigkeit im Intervall [t i, t i+ ] ist v m = s (t i+) s (t i ) t i+ t i. Sie repräsentiert die Geschwindigkeit in der Mitte des Intervalls, also bei t = 2 (t i+ + t i ). Dies entspricht genau dem zentralen Differenzenquotienten. Ist die Funktion f an den diskreten Stellen (x, f (x )),...,(x n, f (x n )) bekannt, so wird die Ableitung der Funktion an diesen Stellen numerisch berechnet durch f (x i+ ) f (x i ) x i+ x i i =,..., n. Mit dem zentralen Differenzenquotient erhält man die Ableitung näherungsweise in der Mitte des Intervalls. Man kann die einseitigen Differenzenformeln aber auch erweitern, so dass der Wert der Ableitung am Rand von zweiter Ordnung berechnet wird, wenn man drei Messwerte berücksichtigt. Gegeben seien die Wertepaare (x i, f (x i )), (x i+, f (x i+ )), (x i+2, f (x i+2 )). Die folgenden Differenzenformeln berechnen näherungsweise f (x i ), f (x i+ ), f (x i+2 ): f i = 2 h ( 3 f i + 4 f i+ f i+2 ) f i+ = f i+2 = 2 h ( f i + f i+2 ) 2 h (f i 4 f i+ + 3 f i+2 ).

48 8. Numerisches Differenzieren und Integrieren Differenzenformeln bei nicht-äquidistanter Unterteilung. Obige Formeln liefern jedoch nur bei äquidistanter Unterteilung des Intervalls (h = x i+ x i = x i+2 x i+ ) Verfahren zweiter Ordnung. Bei nichtäquidistanter Unterteilung müssen diese Formeln verallgemeinert werden. Dazu lernen wir eine Vorgehensweise kennen, mit der man allgemein Differenzenformeln gewinnen kann. Zur Vereinfachung der Notation setzen wir i = 0. Die Differenzenformel für die erste Ableitung einer Funktion von Ordnung 2 kann man gewinnen, indem man durch die Punkte (x 0, f 0 ), (x, f ), (x 2, f 2 ) das Newtonsche Interpolationspolynom vom Grade 2 p 2 (x) bestimmt, anschließend dieses Polynom ableitet und an der gesuchten Zwischenstelle auswertet. Wir führen diese Vorgehensweise nur für die Ableitung an der Stelle x vor: Ansatz: f(x) = a 0 + a (x x 0 ) + a 2 (x x 0 ) (x x ) f (x) = a + a 2 (x x ) + a 2 (x x 0 ) f (x ) = a + a 2 (x x 0 ). Bestimmung der Koeffizienten: x f f f0 x x 0 x 2 f 2 f2 f x 2 x ( f2 f x 2 x f f0 x x 0 )/ (x 2 x 0 ) a 0 = f 0 a = f f 0 x x 0 a 2 = (x x 0 ) (f 2 f ) (x 2 x ) (f f 0 ). (x 2 x 0 ) (x 2 x ) (x x 0 ) Setzen wir diese Koeffizienten in f (x ) ein, folgt f = f f 0 + (x x 0 ) (f 2 f ) (x 2 x ) (f f 0 ). x x 0 (x 2 x 0 ) (x 2 x ) Speziell für eine äquidistante Unterteilung h = (x x 0 ) = (x 2 x ) folgt f = f f 0 h + h (f 2 f ) h (f f 0 ) 2 h h Dies ist wieder die zentrale Differenzenformel. = f 2 f 0 2 h.

8. Numerische Differenziation 49 Genauere Formeln erhält man, indem nicht durch 3 Punkte, sondern durch mehrere Punkte das Interpolationspolynom gelegt, dieses abgeleitet und an der gesuchten Stelle ausgewertet wird. Die Genauigkeit der so bestimmten Differenzenformeln berechnet man mit dem sog. Taylor-Abgleich. Wir führen diese Methode für den zentralen Differenzenquotienten bei einer äquidistanten Unterteilung vor. Berechnung der Ordnung der Differenzenformeln. Sei f eine 4-mal stetig differenzierbare Funktion, dann gilt nach dem Taylorschen Satz f (x) = f (x 0 ) + f (x 0 ) (x x 0 ) + 2! f (x 0 ) (x x 0 ) 2 + 3! f (x 0 ) (x x 0 ) 3 + R 3 (x). Wir setzen diesen Ausdruck in die zentrale Differenzenformel ein. Dazu bestimmen wir f (x 0 + h) = f (x 0 ) + f (x 0 ) h + 2! f (x 0 ) h 2 + 3! f (x 0 ) h 3 + R 3 (h) f (x 0 h) = f (x 0 ) f (x 0 ) h + 2! f (x 0 ) h 2 3! f (x 0 ) h 3 + R 3 ( h) f (x 0 + h) f (x 0 h) = 2 h f (x 0 ) + 3 f (x 0 ) h 3 + R 3 (h) R 3 ( h) 2 h (f (x 0 + h) f (x 0 h)) = f (x 0 ) + O ( h 2). Auf der linken Seite steht der zentrale Differenzenquotient und auf der rechten Seite die Ableitung der Funktion plus einem Term O ( h 2), der proportional zu h 2 ist. Bis auf diesen Term O ( h 2) stimmen Ableitung und zentraler Differenzenquotient überein. Man nennt den Exponenten die Ordnung des Verfahrens. Dies spiegelt genau unsere experimentelle Beobachtung aus Tabelle 8. wider, dass der zentrale Differenzenquotient von der Ordnung 2 ist. 8..2 Differenzenformeln für die zweite Ableitung Gegeben sei ein Bewegungsvorgang s(t), wobei das Weg-Zeit-Gesetz nur zu diskreten Zeitpunkten s (t ), s (t 2 ), s (t 3 ) bekannt ist. Gesucht ist die Beschleunigung zum Zeitpunkt t 2. Aufgrund der Werte s (t ), s (t 2 ) und s (t 2 ), s (t 3 ) können die mittleren Geschwindigkeiten v 3/2 und v 5/2 für die Intervalle [t, t 2 ] und [t 2, t 3 ] über die zentralen Differenzenquotienten berechnet werden: v 3/2 = s (t 2) s (t ) = s (t 2) s (t ) t 2 t t

50 8. Numerisches Differenzieren und Integrieren Abb. 8.5. Näherung an die zweite Ableitung v 5/2 = s (t 3) s (t 2 ) = s (t 3) s (t 2 ), t 3 t 2 t wenn wir von gleichen Zeitintervallen t 2 t = t 3 t 2 = t ausgehen. Die Beschleunigung ist die Ableitung der Geschwindigkeit: a (t) = v (t). Wir leiten daher mit dem zentralen Differenzenquotienten v(t) ab und erhalten die mittlere Beschleunigung a 2 im Intervall [ t 3/2, t 5/2 ] a 2 = v 5/2 v 3/2 t Setzen wir die Formeln für v 5/2 und v 3/2 ein, folgt. a 2 = s (t ) 2 s (t 2 ) + s (t 3 ) ( t) 2 s (t 2 ). Dies ist der zentrale Differenzenquotient für die zweite Ableitung. Dieser zentrale Differenzenquotient ist von der Ordnung 2. Bemerkungen: () Allgemeine Diskretisierungsformeln für die zweite Ableitung mit höherer Ordnung sowie bei nicht äquidistanter Unterteilung erhält man, indem durch vorgegebene Punkte s (t ), s (t 2 ),..., s (t n ) das Interpolationspolynom gelegt, dieses zweimal differenziert und anschließend die auszuwertende Stelle eingesetzt wird ( analoges Vorgehen wie bei den Differenzenformeln für die erste Ableitung). (2) Der Verfahrensfehler wird wie im Falle der ersten Ableitung durch Taylor- Abgleich berechnet. (3) Es zeigt sich das gleiche Gesamtfehlerverhalten wie bei der ersten Ableitung.

8.2 Numerische Integration 5 8.2 Numerische Integration 8.2 Schon verhältnismäßig einfache Funktionen lassen sich nicht mehr elementar integrieren. Beispiele sind z.b. e x2 oder sin x x. Man ist in diesen Fällen auf numerische Methoden angewiesen. Im Folgenden wird das bestimmte Integral I = b a f (x) dx einer stetigen Funktion näherungsweise bestimmt. Abb. 8.6. Numerische Integration Dazu zerlegen wir das Intervall [a, b] in n Teilintervalle [x i, x i+ ] mit der Intervall-Länge h := b a n und setzen x 0 = a ; x i+ = x i + h (i = 0,..., n ) ; x n = b. Die zugehörigen Funktionswerte seien f i = f (x i ), i = 0,..., n. Dann werden die Flächeninhalte der einzelnen Streifen näherungsweise berechnet und anschließend aufsummiert. Das Ergebnis wird bei hinreichend kleinen Schrittweiten h eine Näherung für I liefern. Im Folgenden stellen wir drei Verfahren mit steigender Ordnung vor: die Rechteckregel, die Trapezregel, die Simpson- Regel.

52 8. Numerisches Differenzieren und Integrieren 8.2. Die Rechteckregel Ersetzt man die zu integrierende Funktion f(x) in jedem Intervall [x i, x i+ ] durch eine konstante f (ξ i ), ξ i [x i, x i+ ], so wird das Integral durch die Zwischensumme Abb. 8.7. Rechteckregel n n n I A i = f (ξ i ) (x i+ x i ) = h f (ξ i ) i=0 i=0 i=0 approximiert. Somit erhält man als einfachste Näherung b a f (x) dx h (f (ξ 0 ) + f (ξ ) +... + f (ξ n )). Spezialfälle () Setzt man den Zwischenwert ξ i = x i (linke Intervallgrenze), so bezeichnet man I h n i=0 f (x i) als Linkssumme. (2) Setzt man den Zwischenwert ξ i = 2 (x i+ + x i ) (Intervallmitte), so bezeichnet man I h n i=0 f ( 2 (x i + x i+ ) ) als Mittelpunktsregel bzw. Mittelsumme. (3) Setzt man den Zwischenwert ξ i = x i+ (rechte Intervallgrenze), so bezeichnet man I h n i=0 f (x i+) als Rechtssumme. Beispiel CD.2 (Mit Maple-Visualisierung). Gesucht ist 3 x 2 dx: Wir wählen eine Unterteilung des Intervalls [, 3] in 0 Teilintervalle und wählen als Approximation für das bestimmte Integral die Linkssumme. Mit h = 2 0 ist 3 x 2 dx h (f (ξ 0 ) + f (ξ ) +... + f (ξ 9 )) 0.2 ( 2 +.2 2 +.4 2 +... + 2.8 2) 6.44. Der exakte Wert ergibt sich zu 26/3 8.66

8.2 Numerische Integration 53 8.2.2 Die Trapezregel Eine genauere Integrationsregel erhält man, indem die Funktion f in jedem Teilintervall [x i, x i+ ] durch die Sehne der Punkte (x i, f (x i )) und (x i+, f (x i+ )) ersetzt wird. Zur Vereinfachung der Notation setzen wir wieder f i := f(x i ). Anschließend berechnet man die Fläche des Trapezes und summiert über alle Trapeze zwischen a und b auf: Abb. 8.8. Trapezregel I n i=0 A i = n i=0 = f 0 + f 2 2 (f i+ + f i ) h h + f + f 2 2 h + f 2 + f 3 2 h +... + f n + f n 2 h b a f (x) dx 2 h (f 0 + 2 f +... + 2 f n + f n ). Beispiel CD.22. Berechnung des Integrals 0 e x2 dx = 0.7468 auf 4 Stellen genau. Mit der Schrittweite von h = 0. erhält man I 2 0. ( + 2 0.99 + 2 0.9608 + 2 0.939 + 2 0.852 + 2 0.7788 +2 0.6977 + 2 0.626 + 2 0.5273 + 2 0.4449 + 0.3679) = 0.7462 (Abweichung ca. 0.%). Bemerkungen: () Dieselbe Formel erhält man, wenn man auf jedem Intervall den Mittelwert der Funktion 2 (f i + f i+ ) bestimmt und dann zum zugehörigen Rechteck übergeht. (2) Dieselbe Formel erhält man auch, wenn man das Integral als Mittelwert zwischen Links- und Rechtssumme annähert.

54 8. Numerisches Differenzieren und Integrieren 8.2.3 Die Simpson-Regel Wir setzen voraus, dass die Anzahl der Unterteilungen n = 2 m eine gerade Zahl ist. Dann ersetzen wir die Funktion f(x) in jedem Intervall [x i, x i+ ] nicht durch eine Gerade, sondern in dem Doppelstreifen [x i, x i+2 ] durch eine Parabel. Abb. 8.9. Simpson-Regel Durch die 3 Punkte (x i, f i ), (x i+, f i+ ), (x i+2, f i+2 ) lautet das Newtonsche Interpolationspolynom vom Grade 2 mit a 0 = f i, p i (x) = a 0 + a (x x i ) + a 2 (x x i ) (x x i+ ) Setzt man h = (x i+ x i ), folgt p i (x) = f i + f i+ f i h a = f i+ f i x i+ x i und a 2 = f i+2 f i+ h fi+ fi h x i+2 x i. (x x i ) + f i+2 2 f i+ + f i 2 h 2 (x x i ) (x x i+ ). Das Integral über das Näherungspolynom im Intervall [x i, x i+2 ] ist dann x i+2 x i p i (x) dx = 3 h (f i + 4 f i+ + f i+2 ). Das Summieren über alle Doppelstreifen liefert eine Näherung für das bestimmte Integral: b a f (x) dx 4 3 h (f + f 3 +... + f 2m ) + 2 3 h (f 2 + f 4 +... + f 2m 2 ) + 3 h (f 0 + f 2m ).

2 dx Beispiel CD.23. = ln 2 = 0.69347 x a) Trapezregel mit n = 2: h = 2, f 0 =, f = 2 3, f 2 = 2 I T = ( + 4 4 3 + ) = 0.7083 2 b) Simpson-Regel mit n = 2 (d.h. m = ) I S = 2 3 2 3 + 6 ( + ) 2 8.2 Numerische Integration 55 = 0.6944 Bemerkungen: () Die Näherungen durch die Trapez- als auch Simpson-Regel sind um so besser, je feiner die Intervallunterteilung ist. Sie liefern für n den exakten Integralwert. (2) Beide Formeln gelten unabhängig von der geometrischen Interpretation für jede stetige Funktion. (3) Die Simpson-Regel ist bei gleicher Schrittweite h genauer als die Trapezregel. Beispiel CD.24 (Mit Maple-Worksheet): Berechnung des Integrals 2 + e 0.5x2 dx = 2.098835 : Die folgende Tabelle gibt Aufschluss über das Fehlerverhalten von Trapez- und Simpson-Regel. In Abhängigkeit der Schrittweite h wird die Betragsdifferenz aus dem numerischen und dem exakten Wert gebildet. m n h F Trapez F Simpson 2 0.5 4.2 0 2.7 0 3 2 4 0.25.0 0 2.2 0 4 4 8 0.25 2.6 0 3 7.6 0 6. 0 20 0.05 4.2 0 4 2.0 0 7 20 40 0.025.0 0 4.4 0 8 40 80 0.025 2.6 0 5 3.0 0 9 h 2 h 4 Man erkennt aus der Tabelle, dass der Fehler der Trapezregel h 2 und der Fehler der Simpson-Regel h 4. Bezeichnet man als die Ordnung der Verfahren das Verhalten des Fehlers in Abhängigkeit der Schrittweite, so ist die Trapezregel von zweiter Ordnung und die Simpson-Regel sogar vierter Ordnung.

56 8. Numerisches Differenzieren und Integrieren MAPLE-Worksheets zu Kapitel 8 Die folgenden elektronischen Arbeitsblätter stehen für Kapitel 8 mit Maple zur Verfügung. Im Lösungsteil der Aufgaben befinden sich die Prozeduren trap und sims, welche Algorithmen für die Trapezregel bzw. Simpson-Regel in Maple umsetzen. Numerische Differenziation Numerische Integration Lösungen zu den Aufgaben

8.3 Aufgaben zum numerischen Differenzieren und Integrieren 57 8.3 Aufgaben zum numerischen Differenzieren und Integrieren 8.3 8. Differenzieren Sie die Funktion f (x) = e x ln x numerisch an der Stelle x 0 = 3 mit dem zentralen Differenzenquotient für h = 0, 0 2, 0 3. Man vergleiche die Ergebnisse mit dem exakten Wert. 8.2 Bestimmen Sie numerisch die zweite Ableitung der Funktion f (x) = ln ( sin 2 ( x 2 + 4 x + ln x )) an der Stelle x 0 = 2 für h = 0, 0 2, 0 3. 8.3 Was passiert in Aufgaben 8. und 8.2, wenn h noch kleiner gewählt wird: h = 0 4, 0 5,..., 0 9? 8.4 Zeigen Sie, dass die numerische Differenzenformel f 0 = ( 3 f0 + 4 f f2) 2 h bei äquidistanter Unterteilung Polynome vom Grad 2 exakt differenziert. (h = x 2 x.) Welche Ordnung hat dieses Verfahren? 8.5 Man erstelle eine Differenzenformel für die zweite Ableitung einer Funktion an der Stelle x = x 2, wenn die Funktion an den Punkten (x 0, f 0), (x, f ), (x 2, f 2), (x 3, f 3), (x 4, f 4) vorliegt. Welche Formel gilt für den Spezialfall einer äquidistanten Unterteilung? 8.6 Man berechne numerisch die Ableitung der folgenden Funktionen an der Stelle x 0 = 2 bis auf 5 Dezimalstellen genau: a) f (x) = 5 3 exp( 5 (x + ) 3 ) x b) f2 = sin(ln(x 2 + 2) 2 ) c) f 3(x) = x 5 + x 4 d) f 4(x) = e 4x sin x cos x 8.7 Erstellen Sie eine Maple-Prozedur zur numerischen Integration mit der Trapezregel. 8.8 Erstellen Sie eine Maple-Prozedur zur numerischen Integration mit der Simpson-Regel. e 8.9 Berechnen Sie näherungsweise das Integral x dx a) nach der Trapezregel b) nach der Simpson-Regel für n = 4, 8, 6, 32, x 64. 8.0 Man berechne die folgenden Integrale näherungsweise nach Simpson a) 4 + 2 t2 dt (m = 0) b) x 3 dx (m = 5) e 2 x c) 3 e x dx (m = 5) x 2 8. Zeigen Sie durch die Methode des Taylor-Abgleichs, dass die Trapezregel von zweiter und die Simpson-Regel von vierter Ordnung ist. 8.2 Bestimmen Sie numerisch das bestimmte Integral I = 2 f (x) dx für die 0 Funktionen aus Aufgabe 8.6. 2 4.5 2.5 x 2 dx ( x 2 )(4 x 2 ) 8.3 Berechnen Sie mit Maple das bestimmte Integral mit der Mittelpunktsregel, der Trapezregel und der Simpson-Regel. Bestimmen Sie die Anzahl der Unterteilungen so, dass der Näherungswert <0.5% des exakten Wertes ist.