Wi ntersemester 2006/07 Zusammenfassung zur Vorlesung: "Soziales Handel n" PD Dr. habi l. Udo Thiedeke Die Rational ität sozialen Handel ns 23. 1 1.06
1 Vorlesung: "Soziales Handel n" Die Rational ität sozialen Handel ns 23. 1 1.06 Programm: 1 ) Vorbemerkung 2) Die Wertrational ität der "Protestantischen Ethi k" 3) Der zweckrationale "Geist" des Kapital ismus 4) Zusammenfassung - Angesichts der programmatischen Konzeption der Handlungstypen fäl lt auf, dass zweckrationales und wertrationales Handel n sich, aufgrund i hrer offenkundigen Kausal ität, besonders gut zur Idealtypisierung eignen. Rationales Handel n schei nt das soziologische 'Verstehen' von sozialem Handel n, sozialer Beziehungen und legiti mer Ordnungen zu begünstigen. - Max Weber diagnostiziert zudem ei nen historischen Prozess der Rational isierung, als Kennzeichen der gesel lschaftl ichen Modernisierung des ' Okzident'. - Die handel nden Subjekte treten i n diesem Prozess zugleich als Zwecke abwägende und als ethisch wertende Akteure, also als zweck- und wertrational Handel nde auf. - Die Wechselwi rkung von Zweck- und Wertrational ität i m historischen Prozess der Modernisierung hat Max Weber vor al lem i n sei nem modernisierungsanalyischen Hauptwerk: "Die Protestantische Ethi k und der Geist des Kapital ismus" aufgezeigt. - Weber stel lt fest, dass der Prozess der gesel lschaftl ichen Modernisierung, der sich u. a. an der Verwissenschaftl ichung, Technisierung, Bürokratisierung und Kapital isierung sozialer Beziehungen und Ordnungen zeigt, von rational istischen Handlungsorientierungen getragen und vorangetrieben wi rd. - Besonders die umfassende Ausprägung des modernen, rationalen Betriebskapital ismus fällt Weber hier auf. - Er wirft deshalb die Frage auf, wie es zu dieser okzidentalen Rationalisierung als gesel lschaftl ichem Sonderweg kommen konnte? - Da er ei ne (handlungs-)soziologische Deutung geben möchte, reichen i hm psychologische, ökonomische, material istische oder historische Deutungen nicht aus. Er fragt daher nach den ideel len Grundlagen, die zur Ausprägung der zweckrationalen ökonomischen und gesel lschaftl ichen Ordnung geführt haben. - Weber folgt hierzu ei nem dreigl iedrigen Beobachtungsansatz. [Siehe Fol ie: 1 ] - Dieser Ansatz wi rd i n ei ner dreistufigen Untersuchung entfaltet: [Siehe Fol ie: 2]
2 - Da Weber handlungssoziologisch davon ausgeht, dass der rationale Kapital ismus i m Okzident (Abendland: gemei nt ist hier Westeuropa) weder nur psychisch (Erwerbsgier), noch historisch-material istisch (Klasseni nteressen) oder rei n ökonmisch (Gewi nnstreben) zu erklären ist, sucht er nach ei ner Wertidee, die das kapital istische Handel n antrei bt. - Einerseits bedingt durch einen USA-Aufenthalt im Jahr 1 904, in dessen Verlauf Weber die Lebensweise von Angeörigen protestantischer Sekten studiert. Andererseits durch die Beobachtung der empi rischen Vertei lung von Unternehmern, Berufs- und Bi ldungsabschlüssen nach Konfessionen, fäl lt i hm auf, dass sich Kapital besitz, Unternehmertum und gewerbl ich/kaufmännische sowie technisch/wissenschaftl iche Bi l- dungsabschlüsse bei den Protestanten bündel n. - Besonders zieht er dazu die Untersuchung sei nes Schülers Marti n Offenbacher aus dem Jahr 1 900 "Konfession und soziale Schichtung. Eine Studie über die wirtschaftliche Lage der Katholiken und Protestanten in Baden, Tübingen und Leipzig" heran. Diese zeigt, dass die Protestanten, die z. B. in Baden im Jahr 1 895 37% der Bevölkerung stellen (61,3% Katholiken und 1,5% Juden) in fast allen Schultypen deutl ich überrepräsentiert si nd. [Siehe Offenbachers Statisti k Fol ie: 3] - Dieses Verhalten zeigen Protestanten sowohl, wenn sie die Mehrheit stel len, als auch wenn sie in der Minderheit sind. - Zudem fäl lt auf, dass die rel igiöse Wertorientierung der Protestanten, die ' protestantische Ethi k', gegenüber dem ritual isierten Kathol izismus sehr streng ist. Sie greift regulierend in alle weltlichen Lebensbereiche ein und vermittelt kein Ideal der asketischen Weltabgewandheit (wie das mönchische Ideal), sondern ei ne anti hedonistische Haltung zur Welt - kurz: eine ' innerweltliche Askese'. - Die göttl iche Denomi nation, also die Hei lserwähltheit (Prädesti nationslehre), zeigt sich danach daran, dass der Gläubige in seinem Beruf, der als göttliche ' Berufung' aufgefasst wi rd, arbeitet, die Früchte sei ner Arbeit aber nicht geniesst und konsumiert, sondern wiederum rei nvestiert um sei ne Arbeit voranzutrei ben. - Taugenichtse und Geniesser fal len damit aus dem göttl ichen Hei lsplan heraus. - Die wertrationale Handlungsorientung des protestantischen Glaubens zeigt so ei ne Verwandtschaft zur zweckrationalen kapital istischen Handlungsorientierung, so dass sie diese unbeabsichtigt legiti matorisch rechtfertigt und verstärkt. - Die protestantische Ethi k kann i n dieser "Wahlverwandtschaft" zum "Geist des Kapital ismus" werden. - Die göttl iche Hei lsgewissheit, welche die Protestanten i m Erwerbsstreben manifestiert sehen, ist für den zweckrationalen Betriebskaptal ismus i m Grunde i rrelevant. - Sie ' passt' i n i hrer ethischen Handlungsorientierung, die die Gläubigen auf das Pfl ichtpri nzi p der Lebensführung, den Prädesti nationsglaube, den Anti hedonismus und die Berufsethi k, als Ausdruck ei nes göttl ichen Hei lsplans festlegen, al lerdi ngs zur kapital istischen Zweckorientierung an Erwerbspfl icht, Gewi nnmaxi mierung, rationaler Kal kulation oder I nvestitionskonkurrenz. [Zur Verzahnung der beiden Handl ungsorientierungen siehe Fol ie 4]
3 - Dass dem rationalen Kapital ismus ei ne veränderte Wertrational ität zugrunde l iegt ist auch heute noch, z. B. anhand unserer al ltägl ichen Statuszuschrei bungen, zu erkennen: Den sozialen Status erhöht i m rationalen Kapital ismus die Erwerbsleistung der Einzelnen, nicht der Besitz von Kapital an sich (das könnte auch ' nur' ererbt oder gewonnen, also nicht ' erarbeitet' sei n). - Die protestantische Ethi k passt also völ l ig unbeabsichtigt so gut zur kapital istischen Lebensweise, dass sie soweit mit i hr verschmi lzt, dass rel igöse Bezugspunkte völ l ig entbehrl ich werden. - Das kapital istische Rational itätspri nz kann sich damit weltweit versel bständigen, i n- klusive des asketischen Zugs zum Erwerbsleben (siehe z. B. heute den fast kultischen Wert von Erwerbsarbeit und die soziale Abwertung von Arbeitslosigkeit), der jetzt aber als zweckrationale Sel bstverständl ichkeit gi lt. Weber hält dazu i n der "Protestantischen Ethi k" fest: "Die kapitalistische Wirtschaftsordnung braucht diese Hingabe an den 'Beruf' des Geldverdienens; sie ist eine Art des Sichverhaltens zu den äußeren Gütern, welche jener Struktur so sehr adäquat (...) ist, daß von einem notwendigen Zusammenmhangjener 'chrematistischen' Lebensführung mit irgendeiner eineitlichen 'Weltanschauung' heute in der Tat gar keine Rede mehr sein kann. Sie hat es namentlich nicht mehr nötig sich von der Billigung irgendwelcher religiöser Potenzen tragen zu lassen (...) ". (1 981 : 61 ) (chrematistisch = am Erwerbsstreben ausgerichtet) Literatur: Max Weber, 1 981 : Die protestantische Ethi k und der Geist des Kapital ismus, hrsg. v. J. Wi nckel mann. Ei ne Aufsatzsammlung. 6., durchgesehene Aufl. Tübi ngen. (1 904-06).
Vorlesung: "Soziales Handel n" Die Rational ität sozialen Handel ns Fol ie 1 Webers Untersuchungsperspektiven der modernen Rational isierung 1 ) Historische Grundlage Leitfragestel l ung: Warum hat nur der "Okzident" ei ne rational istische Kultur entwickelt? 2) Strukturel le Entfaltung Leitfragestel l ung: Auf welche Weise entwickel n sich der rationale Kapital ismus und die rationale Bürokratie? 3) Handl ungskonsequenzen Leitfragestel l ung: Welche Vortei le und welche Kosten resultieren aus dieser Entwicklung für einzelne Gruppen oder I ndividuen?
Vorlesung: "Soziales Handel n" Die Rational ität sozialen Handel ns Fol ie 2 Webers Untersuchungsmethode der I rrational itätsgrundlagen moderner Rational isierung 1 ) Untersuchung der sozio-ökonomischen Konstel lation, i n der sich ei ne rel igiöse Orientierung etabl iert; 2) Untersuchung der Trägerschichten, Wertorientierungen und Handl ungsstrukturen; 3) Untersuchung der Handl ungsorientierungen, besonders des ökonomisch ausgerichteten Handel ns.
Vorlesung: "Soziales Handel n" Die Rational ität sozialen Handel ns Fol ie 3 Untersuchungsergebnisse von Marti n Offenbachers Studie: "Konfession und soziale Schichtung. " (1 900) Besuch von Schultypen nach Konfessionen i n Baden 1 895 % 70 60 50 40 30 43 46 60 31 52 41 49 40 51 37 20 1 0 9 9 7 1 1 1 0 Gymn. Realgym. Oberrealsch. Realsch. höhere Bürgersch. Protestanten Durchschnitt über die Schultypen 48% Kathol i ken Durchschnitt über die Schultypen 42% Juden Durchschnitt über die Schultypen 1 0%
Vorlesung: "Soziales Handel n" Die Rational ität sozialen Handel ns Fol ie 4 Die "Wahlverwandtschaften" von ' protestantischer Ethi k' und 'Geist' des Kapital ismus ' Protestantische Ethi k' 'Geist' des Kapital ismus - Pflichtprinz innerweltliche Askese - Erwerbspfl icht Erwerb zum Lebensunterhalt - Prädesti nationsglaube Beruf als Berufung - Profitstreben Beruf u. Unternehmertum als Mittel zur Gewinnmaximierung - Anti hedonismus Verbot des Genusses von Besitz - I nvestitionskonkurrenz Reinvestitionen als Konkurrenzvorteil