Das erworbene von-willebrand-syndrom CHRISTOPH SUCKER, LABOMED GERINNUNGSZENTRUM BERLIN

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Transkript:

Das erworbene von-willebrand-syndrom CHRISTOPH SUCKER, LABOMED GERINNUNGSZENTRUM BERLIN Als Begleitphänomen bei hämatologischen Systemerkrankungen (myeloproliferative Erkrankungen, lymphoproliferative Erkrankungen), kardiovaskulären Erkrankungen mit hohen Scherkräften, malignen Tumoren, Hypothyreose und Autoimmunerkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes sowie unter Applikation verschiedener Medikamente kann es zu erworbenen Veränderungen des von-willebrand-faktors (vwf) kommen. Die Pathogenese ist heterogen und vielschichtig; bedeutsam sind insbesondere ein vermehrter Abbau und eine vermehrte Proteolyse des vwf, eine Adsorption des vwf und eine verminderte Synthese. Die in der Labordiagnostik beobachteten Veränderungen können klinisch symptomlos sein, so dass häufig eine erhebliche Diskrepanz zwischen auffälligem Laborbefund und fehlender Blutungsneigung besteht. In manchen Fällen können jedoch betroffene Patienten eine erhebliche Blutungsneigung aufweisen. Der Begriff des erworbenen von-willebrand-syndroms sollte nach Auffassung des Autors nur dann verwendet werden, wenn neben detektierbaren Funktionsstörungen des vwf auch eine relevant gesteigerte Blutungsneigung ohne alternative Erklärung vorliegt. Die Möglichkeit eines erworbenen von-willebrand- Syndroms (vws) sollte dann differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden, wenn bei Patienten mit prädisponierenden Grunderkrankungen eine erworbene Blutungsneigung beobachtet wird. Andererseits sollte bei Nachweis einer erworbenen vws nach einer möglicherweise assoziierten Grunderkrankung gefahndet werden.

Grundlagen Im Jahr 1926 berichtete der Internist ERIK ADOLF VON WILLEBRAND über die Blutungsneigung in einer Großfamilie auf den Åland-Inseln, einer Inselgruppe am Eingang des Bottnischen Meerbusens zwischen Schweden und Finnland. Über mehrere Generationen wiesen zahlreiche weibliche und männliche Familienmitglieder Zeichen einer gesteigerten Blutungsneigung auf [40]. Aufgrund seiner klinische Beobachtungen, insbesondere der im Gegensatz zur Hämophilie fehlenden Geschlechtsbindung und des unterschiedlichen Blutungstyps mit Überwiegen von Schleimhautblutungen, grenzte von Willebrand das beschriebene Krankheitsbild von der Hämophilie ab und bezeichnete es als hereditäre Pseudohämophilie. Gemeinsam mit dem Willebrand-Syndrom bezeichnete Krankheitsbild an; als Ursache vermuteten beide irrtümlich einen thrombozytären Defekt. Die tatsächliche Ursache des von- Willebrand-Syndroms blieb lange Zeit unklar. Erst in den 1970er Jahren wurde durch Entdeckung und Charakterisierung eines plasmatischen Adhäsivproteins, heute als von-willebrand-faktor (vwf) bezeichnet, die Grundlage zum Verständnis der durch von Willebrand beschriebenen Blutungserkrankung geschaffen. Beim von-willebrand- Faktor handelt es sich um ein aus identischen Monomeren aufgebautes Protein-Multimer. Die Monomere bestehen aus 2.050 Aminosäuren und weisen Bindungsstellen für Kollagen, Thrombozyten und Gerinnungsfaktor VIII auf (Abb. 1). Leipziger Hämatologen RUDOLF JÜR- GENS stellte VON WILLEBRAND weitere Untersuchungen über das später nach dem Erstbeschreiber als von-

Abbildung 1: Monomer des von-willebrand-faktors mit Bindungsstellen für Kollagen, thrombozytäre Rezeptoren für die Thrombozytenadhäsion (GP Ib-Bindungsstelle) sowie für die Thrombozytenaggregation (GP IIb- IIIa-Bindungsstelle). Die Monomere des vwf werden physiologischerweise zu großen Makromolekülen mit einem Molekulargewicht von 10-20 MegaDalton multimerisiert. Die großen Multimere des von-willebrand-faktors weisen durch eine Vielzahl von Bindungsstellen für Komponenten der Hämostase eine besonders große hämostatische Kompetenz auf und sind daher für die Funktion des vwf in der primären Hämostase entscheidend. Unter physiologischen Bedingungen initiiert der vwf bei einer Gefäßverletzung die Adhäsion von Thrombozyten: Durch die Gefäßverletzung kommt es zu einer Endothelläsion, was zu einer Exposition der subendothelialen Matrix gegenüber dem zirkulierenden Blut führt. Der vwf bindet an subendotheliales Kol-

lagen und erfährt hierdurch eine Konformationsänderung, was eine Bindung von Thrombozyten an vwf, vermittelt durch den thrombozytären Rezeptorkomplex Glykoprotein (GP) Ib-V-IX, ermöglicht. Durch Interaktion des vwf mit der Kollagenmatrix einerseits und mit der Bindungsdomäne auf dem thrombozytären Rezeptorkomplex Glykoprotein (GP) Ib- V-IX anderseits wird somit die Thrombozytenadhäsion am Ort der Endothelläsion initiiert. Die noch schwache initiale Adhäsion wird nachfolgend durch Interaktion weiterer thrombozytärer Rezeptoren, insbesondere der Kollagenrezeptoren GP Ia-IIa und GP VI, mit der subendothelialen Matrix stabilisiert. Neben seiner Bedeutung bei der Thrombozytenadhäsion kann der vwf durch Interaktion mit thrombozytären Aggregationsrezeptoren (GP IIb-IIIa) eine Aggregation von Thrombozyten vermitteln. Auch in der plasmatischen Hämostase kommt dem vwf eine wichtige Funktion zu: Er stellt den Carrier für Gerinnungsfaktor VIII dar, den er spezifisch über eine Faktor VIII- Bindungsregion bindet. Durch die Bindung an vwf wird Faktor VIII stabilisiert und vor einer vorzeitigen Proteolyse durch aktiviertes Protein C geschützt. Das nach seinem Erstbeschreiber benannte von-willebrand-syndrom (vws) ist durch Verminderung (Typ 1), ein großes Spektrum funktioneller Defekte (Typ 2) oder, in seltenen Fällen, Fehlen des vwf (Typ 3) bedingt [27]. Durch Beeinträchtigung von Thrombozytenadhäsion und Thrombozytenaggregation sowie Störung des Faktor VIII-Transportes mit konsekutiv reduzierter Faktor- VIII-Aktivität und gestörter Fibrinbildung kommt es bei betroffenen Patienten zu einer vermehrten Blutungsneigung oder erhöhten Blutungsgefährdung. Unter den Blutungssymptomen dominieren muko-

kutane Blutungen, insbesondere Epistaxis und Menorrhagie, außerdem treten Hautblutungen auf. Die Patienten sind zudem gefährdet durch Blutungskomplikationen bei operativen und zahnärztlichen Eingriffen sowie bei Traumata. Aufgrund der zahlreichen verschiedenen Defekte und deren unterschiedlicher Ausprägung ist die Blutungsneigung von Patienten äußerst variabel und interindividuell verschieden. Das genetisch bedingte vws wird heute als häufigster genetisch determinierter Gerinnungsdefekt angesehen. Trotz gewisser Unklarheiten über die Häufigkeit der Erkrankung wird heute davon ausgegangen, dass ca. 0,5 bis 1% der Bevölkerung ein vws aufweisen; somit ist alleine in Deutschland mit ca. 400.000 bis 500.000 Betroffenen zu rechnen. Im Jahr 1968 berichteten SIMONE et al. erstmalig über ein erworbenes vws bei einem Kind mit systemischem Lupus erythematodes [30]. Nach dieser Erstbeschreibung wurde seither über zahlreiche Fälle von erworbenem vws berichtet, die insbesondere bei Patienten mit prädisponierenden Grunderkrankungen auftreten. In dieser Arbeit soll ein aktueller Überblick über dieses klinisch und pathophysiologisch vielschichtige und heterogene Krankheitsbild vermittelt werden. Hierbei wird über das erworbene vws im Rahmen der verschiedenen zugrundeliegenden Krankheitsbilder berichtet und auf Pathogenese, Diagnostik und Therapie eingegangen. Das erworbene von-willebrand- Syndrom Das erworbene vws ist ein pathophysiologisch heterogenes Krankheitsbild, welches durch erworbene Defekte des vwf bei primär Gerinnungsgesunden hervorgerufen wird und mit einer erworbenen Blutungsneigung einhergeht [35].

Über die Inzidenz und Prävalenz der Erkrankung sind heute keine guten Daten verfügbar. Das erworbene von-willebrand-syndrom tritt in der Regel nicht bei Gesunden auf, sondern ist fast ausschließlich bei Individuen mit einer prädisponierenden Grunderkrankung oder einer Medikation, die zu einer Beeinträchtigung der Funktion des vwf führt, assoziiert. Aufgrund der Daten aus einem eingerichteten internationalen Register und aus der Literatur ist bekannt, dass das erworbene vws bevorzugt bei hämatologischen Systemerkrankungen (myeloproliferative Erkrankungen [MPS], lymphoproliferative Erkrankungen [LPS]), soliden Tumoren, kardialen Vitien und Autoimmunerkrankungen auftritt. Unter den sonstigen Ursachen des erworbenen vws dominieren medikamentösinduzierte Formen der Erkrankung, die inzwischen in Zusammenhang mit zahlreichen Medikamenten beschrieben wurden. Einen Überblick über die Häufigkeitsverteilung des erworbenen vws nach FEDERICI et al. [[11]) zeigt Abbildung 2.

Ätiologie des erworbenen von Willebrand Syndroms Häufigkeit (%) 60 50 40 30 20 10 0 Register Literatur Abbildung 2: Ätiologie des erworbenen von-willebrand-syndroms: Häufigkeitsverteilungen gemäß Internationalem Register (n = 186) und Literaturdaten (n = 266). Die Pathogenese des erworbenen vws ist heterogen und nicht zuletzt von der zugrundliegenden Erkrankung abhängig. Eine entscheidende Bedeutung haben vermehrte Proteolyse des vwf, funktionelle Beeinträchtigung des vwf, abnorme Adsorption des vwf an (maligne) Zellen und gestörte Synthese des vwf (Abb. 3). Betont werden muss, dass bei einem einzelnen Patienten verschiedene Pathomechanismen gleichzeitig vorliegen können, welche für die Entstehung des erworbenen vws ursächlich sind.

Abbildung 3: Pathogenese des erworbenen vws unter Berücksichtigung der Ätiologie. Nachfolgend wird auf das erworbene vws bei verschiedenen Krankheitsbildern, insbesondere hämatologischen Systemerkrankungen, kardialen Vitien, Autoimmunerkrankungen, malignen Tumoren und Hypothyreose eingegangen.

Erworbenes von-willebrand- Syndrom bei hämatologischen Systemerkrankungen Myeloproliferative Erkrankungen Unter dem Oberbegriff der myeloproliferativen Erkrankungen (MPS) werden Polyzythämia vera (PV), essenzielle Thrombozythämie (ET), Osteomyelofibrose (OMF) und chronisch-myeloische Leukämie (CML) subsumiert. Diese Erkrankungen sind durch die Proliferation verschiedener Zellreihen gekennzeichnet und können ineinander übergehen [38]. Gemäß Register- und Literaturdaten stellen myeloproliferative Erkrankungen die führende Ursache des erworbenen vws dar, 30 bis 48% aller Fälle des erworbenen vws finden sich somit in Assoziation mit der Gruppe dieser Erkrankungen [11]; besonders sind hierbei Patienten mit essenzieller Thrombozythämie (ET) und Polyzythämia vera (PV) betroffen. Pathophysiologisch steht das erworbene vws bei myeloproliferativen Erkrankungen fast immer im Zusammenhang mit einer ausgeprägten Thrombozytose [12]. Da die Thrombozytose insbesondere bei der essenziellen Thrombozythämie das Kardinalsymptom darstellt, ist diese die häufigste myeloproliferative Erkrankung, die mit einem erworbenen vws assoziiert ist. Die Pathophysiologie des erworbenen vws bei Thrombozythämie bzw. ausgeprägter Thrombozytose ist heute gut bekannt: Bereits unter physiologischen Bedingungen werden die Multimere des vwf durch thrombozytäre Proteasen, so genannte Calpaine, gespalten. Diese Spaltung wird bei normaler Thrombozytenzahl vollständig kompensiert, so dass kein Verlust der hochmolekularen Multimere nachgewiesen werden kann. Bei Auftre-

ten einer Thrombozytose läuft die Spaltung der großen Multimere des vwf verstärkt ab, so dass der Abbau nicht mehr kompensiert werden kann. Es resultiert dann ein Verlust der hochmolekularen Multimere, entsprechend einem erworbenen vws Typ 2A [19]. Patienten mit myeloproliferativen Erkrankungen sind insbesondere durch thrombotische Komplikationen gefährdet. Allerdings kann es bei einer starken Thrombozytose mit einer Thrombozytenzahl von über 1.000.000/µl zu einer so starken Spaltung des vwf kommen, dass die Thromboseneigung aufgrund des genannten Pathomechanismus in eine Blutungsneigung umschlägt [19]. Die Blutungsneigung der Patienten kann dann auch dadurch verstärkt werden, dass zur Basistherapie der myeloproliferativen Erkrankungen auch eine Hemmung der Thrombozytenfunktion mit Aspirin durchgeführt wird, was die Blutungsneigung bei erworbenem vws weiter fördern kann [38]. Daher sollte bei einer extremen Thrombozytose mit Blutungsneigung differenzialdiagnostisch an ein erworbenes vws gedacht und eine entsprechende Abklärung veranlasst werden; bei Nachweis eines entsprechenden Defekts ist unter Nutzen-Risiko- Abwägung über die Gabe bzw. Fortführung der Aspirinmedikation zu entscheiden. Bei Überwiegen einer Blutungsgefährdung ist zu überlegen, die Aspirinmedikation auszusetzen bzw. erst dann zu beginnen, wenn durch eine gewisse Reduktion der Thrombozytose das erworbene vws wieder effektiv therapiert und die Blutungsneigung bzw. Blutungsgefährdung somit minimiert wurde [22]. Entscheidende Maßnahme bei einem erworbenen vws mit Blutungsneigung im Rahmen einer myeloproliferativen Erkrankung ist die Kontrolle der erhöhten

Thrombozytenzahl. Hierzu wird eine zytoreduktive Therapie, in erster Linie mit Hydroxyharnstoff oder Annagrelide, durchgeführt [37, 38]. Lymphoproliferative Erkrankungen Lymphoproliferative Erkrankungen (LPS) sind durch eine abnorme klonale Proliferation von Lymphozyten gekennzeichnet. Hierzu zählen B-Zell- und T-Zell-Erkrankungen, insbesondere Lymphome und Leukämien. Das erworbene von-willebrand- Syndrom im Rahmen lymphoproliferativer Erkrankungen ist zumeist durch eine Störung der Funktion des vwf durch Immunglobuline bedingt, die im Rahmen der B-Zell- Erkrankungen häufig stark vermehrt gebildet werden [37]. Diese Antikörper können die Funktion des vwf stören und somit ein erworbenes von-willebrand-syndrom hervorrufen. Aufgrund dieses pathophysiologischen Mechanismus ist gut verständlich, dass bei myeloproliferativen Erkrankungen das erworbene vws zumeist beim multiplen Myelom (Plasmozytom), der monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) sowie bei lymphoplasmozytoiden Lymphomen (Morbus Waldenström) beobachtet wird [11]. Erworbenes von-willebrand- Syndrom bei kardialen Vitien Aortenklappenstenose Aufgrund der publizierten Daten und der Daten des internationalen Registers für das erworbene vws ist davon auszugehen, dass ca. 10 bis 20% der Fälle des erworbenen vws bei kardialen Vitien auftreten [11].

Prinzipiell kann diese Form des erworbenen vws bei allen kardialen Vitien, welche mit erhöhten Scherkräften einhergehen, vorkommen [35]. Allerdings wurde die ganz überwiegende Anzahl der Fälle des erworbenen vws bei kardialen Vitien mit der Aortenklappenstenose in Zusammenhang gebracht [34, 39]. Der pathophysiologische Mechanismus, durch den kardiale Vitien zu einem erworbenen vws führen, ist heute gut etabliert: Nach dem allgemein akzeptierten Konzept sind für die Entstehung des erworbenen vws hier die erhöhten Scherkräfte ursächlich, welche bei der Aortenklappenstenose mit zunehmender Reduktion der Klappenöffnungsfläche auftreten und welche durch den transvalvulären Druckgradienten erfasst und quantifiziert werden können [39]. Diese erhöhten Scherkräfte führen bei der Passage des vwf durch die stenosierte Aortenklappe zu einer Konformationsänderung des vwf von einer globulären in eine gestreckte Konformation. Dies wiederum bedingt die Exposition einer spezifischen physiologischen Spaltungsstelle in der A2-Domäne des vwf, was das Protein anfällig für eine proteolytische Spaltung durch die von-willebrand-faktor-cleaving- Protease, ADAMTS 13, macht. Die vermehrte Spaltung des vwf führt zu einem Verlust bzw. einer deutlichen Verminderung der hämostatisch entscheidenden hochmolekularen Multimere des vwf; diese erworbene Veränderung kann in etwa einem hereditären vws Typ 2A entsprechen, bei welchem die großen Multimere des vwf aufgrund eines genetischen Defektes vermindert sind. Wie wir in früheren Untersuchungen in Übereinstimmung mit anderen Autoren zeigen konnten, findet sich eine Verminderung der großen Multimere des vwf bei 80 bis 90% der Patienten mit hämodynamisch-

relevanter Aortenklappenstenose [34, 39]. Bemerkenswert ist, dass diese Veränderungen häufig nur durch die Multimeranalyse des vwf nachweisbar sind, aber durch die Bestimmung konventioneller von- Willebrand-Parameter (Konzentration, Aktivität, Ratio Aktivität/Konzentration) zumeist nicht erfasst werden [36]. Eine Verlängerung der Verschlusszeiten im Platelet Function Analyzer (PFA-100) findet sich bei Patienten mit Aortenklappenstenose häufig und kann in einer entsprechenden Konstellation auf eine Alteration der von- Willebrand-Faktor-Multimere hinweisen [36]. Bei der hohen Prävalenz der beschriebenen Multimerveränderungen des vwf bei hämodynamisch relevanter Aortenklappenstenose stellt sich die Frage, inwieweit dieser erworbene Scherkraft-induzierte Defekt zu einer gesteigerten Blutungsneigung führt. Bei betroffenen Patienten ist auffällig, dass nur selten eine vermehrte Blutungsneigung im Alltag besteht [34]. Auch im Rahmen operativer Eingriffe, insbesondere beim Aortenklappenersatz, weisen betroffene Patienten nicht regelhaft eine vermehrte Blutungsneigung auf. Somit ist eine deutliche Diskrepanz zwischen Prävalenz der Multimerveränderungen einerseits und Auftreten einer Blutungsneigung andererseits auffällig. Aus diesem Grund sind bei Patienten mit Aortenklappenstenose und Scherkraftinduzierten Veränderungen der Multimere des von-willebrand- Faktors zur Prophylaxe oder Therapie von Blutungen zumeist keine spezifischen therapeutischen Maßnahmen erforderlich. Bei entsprechendem bekanntem Defekt und Auftreten einer (perioperativen) Blutungsneigung scheint nach Auffassung des Autors bei Fehlen von Kontraindikationen eine Applikation von Desmopressin

und/oder vwf-haltigen Faktorenkonzentraten vertretbar, um zu versuchen, durch endogene Freisetzung bzw. zuvor funktionell intakten vws den Scherkraft-induzierten Gerinnungsdefekt zu kompensieren. Allerdings ist dieses Vorgehen bisher nicht durch größere Studien abgesichert und bedarf einer weiteren Klärung. Sonstige kardiale Vitien Da das erworbene von-willebrand- Syndrom bei kardialen Vitien durch die erhöhten Scherkräfte hervorgerufen wird, kommt dieser erworbene Gerinnungsdefekt nicht nur bei der Aortenklappenstenose vor. So wurde auch bei kongenitalen kardialen Vitien mit erhöhten Scherkräften wie offenem Ductus arteriosus Botalli [25] und anderen kongenitalen kardialen Defekten [14] über ein erworbenes vws berichtet. Bei einer Untersuchung von 49 Kindern mit kardialen Vitien wiesen 12% Kriterien eines erworbenen vws auf; bei Fehlen einer Blutungsneigung wurde diesen Laborbefunden allerdings keine klinische Relevanz beigemessen [2]. Interessant ist auch die Beobachtung, dass bei Patienten nach Klappenersatz insbesondere bei paravalvulärem Leck ein erworbenes vws auftreten kann [24]; dieser Defekt sollte bedacht werden, wenn bei betroffenen Patienten unter Antikoagulation eine vermehrte Blutungsneigung ohne befriedigende alternative Erklärung auftritt. Auch nach Implantation von Kunstherzen und kardialen Assist-Devices wurde über einen Verlust der großen Multimere des vwf berichtet, wobei sich der Defekt nach Explantation wieder zurückgebildete [16]. In einer kürzlich publizierten Studie zeigte sich, dass eine Gabe von vwf/faktor VIII-haltigen Faktorenkonzentraten die Blutungsneigung der Patienten mit Assist-Devices deutlich reduzierte und diese Therapie bei Auftreten einer Blutungsnei-

gung bei solchen Patienten unter Berücksichtigen möglicher thrombotischer Komplikationen eingesetzt werden kann [5]. Zusammenfassend ist heute gesichert, dass bei vielen Patienten mit angeborenen oder erworbenen kardialen Defekten mit erhöhten Scherkräften ein Verlust der hochmolekularen Multimere des plasmatischen vwf resultieren kann. Eine Blutungsneigung betroffener Patienten wird nicht regelhaft beobachtet, allerdings sollte ein erworbenes vws differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden, wenn bei solchen Patienten eine Blutungsneigung ohne befriedigende alternative Erklärung auftritt. In manchen Fällen kann bei symptomatischen Patienten die Blutungsneigung durch Gabe vwf/faktor-viii-haltiger Faktorenkonzentrate reduziert und das Blutungsrisiko im Rahmen von Eingriffen minimiert werden. Erworbenes von-willebrand- Syndrom bei soliden Tumoren In seltenen Fällen wurde auch bei soliden Tumoren über das Auftreten eines erworbenen vws berichtet. Aus der Literatur und den verfügbaren Registerdaten geht hervor, dass etwa 5% der Fälle des erworbenen vws bei Patienten mit soliden Tumoren beobachtet werden [11]. In der Literatur finden sich insbesondere zahlreiche Berichte über das Tumor-assoziierte erworbene vws bei Patienten mit Nephroblastom bzw. Wilms-Tumor [23, 28]; eine kausale Assoziation wird dadurch belegt, dass es nach erfolgreicher Tumortherapie zu einer Rückbildung des Gerinnungsdefekts kommt [28]. In einer größeren Serie von 50 Patienten mit Wilms-Tumor wurde ein erworbenes vws bei 8% der Betroffenen nachgewiesen [4]. Wenngleich die Blutungsneigung bei den Patienten zumeist gering ist, wurde in Einzelfällen eine schwere Blutungsnei-

gung beschrieben, welche eine intensive Therapie erforderte [3]. Somit sollte bei Patienten mit Wilms-Tumor und unerklärlicher Blutungsneigung differenzialdiagnostisch an das Vorliegen eines erworbenen vws gedacht werden. Bei schweren Blutungen wäre ein Therapieversuch durch Desmopressin, welches zu einer Freisetzung endogenen vwf führt, oder eine Substitution von vwf bei Nachweis eines erworbenen vws zu überlegen. Auch bei anderen Tumoren, wie etwa MALT-Lymphom ([26] und Osteosarkom [1] wurde über ein erworbenes vws berichtet. Pathogenese, Epidemiologie und klinische Relevanz sind derzeit nicht bekannt. Als Konsequenz sollte auch bei erworbener Blutungsneigung im Rahmen maligner Tumoren ohne alternative Erklärung differenzialdiagnostisch an ein mögliches erworbenes vws gedacht und eine entsprechende Abklärung herbeigeführt werden. Erworbenes von-willebrand- Syndrom bei Hypothyreose Es wird angenommen, dass ca. 2 bis 5% der Patienten mit einer Hypothyreose eine Verminderung des von- Willebrand-Faktors im Sinne eines milden erworbenen von-willebrand- Syndroms Typ 1 aufweisen. Als Ursache wird eine verminderte Synthese des von-willebrand-faktors im Rahmen der Hypothyreose angenommen [13]. Durch Substitution einer Hypothyreose mit L-Thyroxin kann eine Normalisierung der von- Willebrand-Parameter und somit eine Rückmeldung des erworbenen vws erreicht werden [6, 9]. Die klinische Relevanz der verminderten Synthese des vwf bei Hypothyreose ist umstritten. Während sich in einer Studie lediglich eine geringe und klinisch irrelevante Reduktion der Konzentration des vwf zeigte [17], fanden andere Autoren bei betroffenen Patienten eine ausgeprägte und klinisch relevante Reduktion des

vwf und nahmen diesen Defekt als Hauptursache der vermehrten Blutungsneigung bei Patienten mit Hypothyreose an [18]. Eine abschließende Bewertung der Relevanz des verminderten vwf bei Hypothyreose in Hinblick auf die Blutungsneigung ist derzeit aufgrund widersprüchlicher Publikationen nicht möglich. Eine Blutungsneigung bei Hypothyreose ist insgesamt selten. Bei Auftreten von Blutungssymptomen bei Patienten mit manifester Hypothyreose sollte differenzialdiagnostisch an ein erworbenes vws gedacht und eine entsprechende Diagnostik initiiert werden. Andererseits sollte bei Patienten mit leichter Verminderung der von-willebrand- Parameter differenzialdiagnostisch an das Vorliegen einer Hypothyreose gedacht werden [6]. Hinsichtlich der Therapie des erworbenen vws im Rahmen der Hypothyreose wurde ein gutes Ansprechen mit Anstieg der vwf-parameter auf Gabe von Desmopressin beschrieben; zudem können zur Therapie mukokutaner Blutungen Antifibrinolytika eingesetzt werden. Die effektive Substitution einer Hypothyreose führt bei betroffenen Patienten zur Normalisierung der vwf- Parameter und zur Rückbildung der Blutungssymptome und stellt somit die Therapie der Wahl dar [20]. Erworbenes von-willebrand- Syndrom bei Autoimmunerkrankungen Über das erworbene von-willebrand- Syndrom wurde erstmals durch SI- MONE et al. im Jahre 1968 bei einem Kind mit systemischen Lupus erythematodes (SLE) berichtet [30]. Seither finden sich in der Literatur wiederholte Berichte über das erworbene vws bei SLE und anderen Autoimmunerkrankungen. Als Ursache erwiesen sich Autoantikörper, die gegen den Komplex aus

vwf und Faktor VIII gerichtet sind und über eine beschleunigte Elimination zu einer Verminderung von vwf und Faktor VIII führen. Betroffene Patienten weisen eine Verlängerung der aptt, eine verminderte Ristocetin-induzierte Plättchenaggregation (RIPA) sowie eine Verminderung der großen Multimere des vwf in der Multimeranalyse auf. Bei Blutungsneigung ist eine Therapie durch Applikation monoklonaler Immunglobuline (i.v.ig) zu erwägen, die durch Blockade des retikuloendothelialen Systems (RES) die Elimination des vwf reduzieren; das Ansprechen der Blutungsneigung auf die Gabe von Desmopressin oder Faktorenkonzentraten wird hingegen als zumeist schlecht beschrieben. Durch eine adäquate immunsuppressive Therapie der Autoimmunerkrankung kann mit bestenfalls mit einer Rückbildung des erworbenen vws gerechnet werden [20]. Medikamentös-induziertes erworbenes von-willebrand-syndrom Erworbene Veränderungen des von- Willebrand-Faktors wurden in Zusammenhang mit der Applikation verschiedener Pharmaka beschrieben. Am bekanntesten sind Alterationen der von-willebrand-parameter durch eine Applikation des Plasmaexapanders Hydroxyäthylstärke (HAES), die durch eine Präzipitation des von-willebrand-faktors hervorgerufen werden. Durch die Applikation von HAES kommt es zu einem signifikanten Abfall der Konzentration und Aktivität des vwf, begleitet von einer Verlängerung der Verschlusszeiten von Epinephrin/Kollagen- und ADP/Kollagen-Kartuschen im Platelet Function Analyzer (PFA) als Ausdruck einer relevanten Beeinträchtigung der primären Hämostase [7]. Des Weiteren finden sich auch unter Therapie mit dem Antiepileptikum

Valproinsäure neben anderen Veränderungen wie Hypofibrinogenämie und Thrombozytopenie auch gehäuft Berichte über das Auftreten eines erworbenen vws. SERDAROGLU et al. [29] untersuchten Veränderungen von Gerinnungsparametern bei 29 Kindern mit Epilepsie, die Valproinsäure über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erhielten; bei 20,7 % der Betroffenen wurde eine Verminderung der Aktivität des vwf nachgewiesen [29]. Hingegen fanden sich in einer anderen Untersuchung unter Therapie mit Valproinsäure zwar signifikante Verminderungen von Fibrinogen und Thrombozytenzahlen, allerdings keine Veränderungen im Sinne eines erworbenen vws. Aufgrund der geringen bis fehlenden Blutungsneigung kamen die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die leichten beobachteten Veränderungen des von- Willebrand-Faktors unter Medikation mit Valproinsäure keine hinreichende Begründung für die Blutungsneigung bei einigen therapierten Kindern darstellen [8]. Zu zahlreichen anderen Medikamenten, wie etwa Cephalosporinen [15], existieren Einzelfallberichte die Veränderungen der vwf-parameter beschreiben; die Pathogenese dieser Veränderungen ist größtenteils unbekannt. Die klinische Relevanz ist wahrscheinlich gering, zumal Blutungskomplikationen bei entsprechend therapierten Patienten nur selten vorkommen und dann zumeist nur mild ausgeprägt sind.

Fazit zur Diagnostik und Therapie Zur Diagnostik des erworbenen vws sind eine Bestimmung von Konzentration und Aktivität des von- Willebrand-Faktors erforderlich. Eine relevante Einschränkung der Funktion des vwf spiegelt sich häufig in einer Verlängerung der Verschlusszeiten im Platelet Function Analyzer (PFA) wider. Der beim erworbenen vws häufig nachweisbare Verlust bzw. die Reduktion der hochmolekularen Multimere lässt sich meist nur durch elektrophoretische Auftrennung in der sogenannten Multimeranalyse nachweisen. Dieser Defekt entgeht somit häufig der konventionellen Diagnostik, da Konzentration und Aktivität des vwf sowie Relation von Aktivität zu Konzentration unauffällig sein. Daher empfiehlt sich bei unauffälliger Routinediagnostik bei prädisponierten Individuen mit auffälliger Blutungsanamnese ggf. die Durchführung einer Multimeranalyse [35, 37]. Die Therapie des erworbenen vws ist von der Ätiologie der Erkrankung abhängig. Die effektive kausale Therapie der zugrundeliegenden Erkrankung stellt die Therapie der Wahl dar, etwa die Therapie einer hämatologischen Systemerkrankung, die Resektion eines Tumors, die Substitution einer Hypothyreose und die immunsuppressive Therapie einer Autoimmunerkrankung. Zur Symptomkontrolle, also zur Prophylaxe oder Therapie von Blutungen, kann versucht werden, eine Freisetzung von vwf durch Gabe von Desmopressin zu induzieren oder eine Substitution mit vwf-haltigen Faktorenkonzentraten versucht werden; in vielen Fällen ist allerdings mit einem verringerten Ansprechen zu rechnen, da auch der freigesetzte oder zugeführte vwf durch Abbau, Proteolyse oder Adsorption rasch aus der Zirkulation eliminiert wird. Daher werden in vielen Fällen im-

munsuppressive Maßnahmen oder Blockades des retikuloendothelialen Systems (RES) durch intravenöse Applikation von Immunglobulinen (i.v.ig) erforderlich, um Blutungen zu verhindern oder adäquat zu therapieren. Insgesamt ist die Therapie des erworbenen von-willebrand-syndroms heute unzureichend standardisiert, hier sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich [37].

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